Digital Journal for Philology
Dies ist ein Testkommentar.
Trotz der zentralen Bedeutung von Raum als inhaltlichem und ästhetischem Gestaltungsmittel literarischer Texte ist die narratologische Beschäftigung mit der Kategorie deutlich unterrepräsentiert gegenüber Phänomenen der ›Zeit‹, ›Erzählebene‹ oder ›Stimme‹.1 Dabei gibt es eine vielschichtige Auseinandersetzung mit Raum in Literaturwissenschaft und Philosophie seit den 1970er-Jahren: Lotman beschreibt die Semantisierung von Räumen sowie eine sujethafte Grenzüberschreitung,2 Bachtin den »Zusammenhang von Zeit und Raum« im ›Chronotopos‹,3 und Foucault erfasst unter dem Begriff der ›Heterotopie‹ Gegenorte zum gesellschaftlichen Leitbild, die auch als tatsächlich realisierte Utopien gelten können.4 Im Laufe der 1980er-Jahre entwickeln sich zudem erste raumnarratologische Ansätze,5 die trotz des in den Kulturwissenschaften einsetzenden Spatial Turns in der Narratologie deutlich weniger rezipiert und angewandt wurden als die oben genannten Konzepte Gérard Genettes.6
Mit Barbara Piattis Geographie der Literatur von 2008 und Katrin Dennerleins Narratologie des Raumes von 2009 liegen dagegen umfassende Untersuchungen vor, in denen Grunddefinitionen des literarischen Raumes aufgestellt und Kategorien zur Systematisierung angeboten werden.7 Neben Unterscheidungen hinsichtlich der Ausdehnung, Hierarchie oder Leserrezeption von Räumen befindet sich darunter insbesondere eine Beurteilung der Handlungsrelevanz, bei der auf die Ereignishaftigkeit im Zusammenhang einer Raumreferenz oder die Funktion als Verortungsinstanz für Figuren Bezug genommen wird. Diesen Handlungsräumen stehen jene Räume gegenüber, die innerhalb der Narration lediglich erwähnt werden, etwa in einem Vorausblick oder einer Beschreibung bzw. im Zusammenhang einer Imagination oder Erinnerung durch eine Figur. Dabei formuliert Barbara Piatti als Motivation für ihre raumnarratologische Auseinandersetzung die zentrale Frage, die der Klassifikation der Handlungsrelevanz eines Raumes zugrunde liegt: »Wo spielt ein literarisches Werk?«8
Während Dennerleins Arbeit eine rein narratologisch-formale Auseinandersetzung darstellt, veröffentlicht Piatti auch eine Reihe von Beiträgen, die für die ›Digital Humanities‹ relevant sind. Jedoch steht darin nicht die maschinelle Automatisierung ihrer Raumkategorien im Vordergrund sondern vielmehr deren Visualisierung.9 Somit liegt weder für Dennerleins noch für Piattis Raumkonzept ein Verfahren zur automatischen Erkennung vor.
In Computerlinguistik und Computer Science gibt es zwar zahlreiche ›Named-Entity-Classifier‹, die Räume als LOC-Entitäten erfassen, allerdings bleibt die Erkennung im Deutschen wie im Englischen meist auf Toponyme (konkrete Ortsnamen) beschränkt;10 eine Klassifikation nach Handlungsrelevanz oder Vergleichbares findet nicht statt. Zudem wurden die ›Classifier‹ meist auf einer anderen Domäne wie Zeitungsartikeln trainiert. Demgegenüber stehen spezifische Ansätze zur computationellen Modellierung von Raum, etwa beim Konzept des ›ISO-Space‹.11 Diese beinhalten jeweils auch literaturwissenschaftlich relevante Aspekte der Raumdarstellung, wie Raumrelationen, Routen, Ortsbestimmungen sowie Bewegungen und deren Ereignishaftigkeit.12 Jedoch nimmt Pustejovsky ebenfalls keine Kategorisierung von Raum nach seiner Handlungsrelevanz vor, die für die literaturwissenschaftliche Perspektive zentral ist. Darüber hinaus gibt es im Konzept des ›ISO-Space‹ und den literaturwissenschaftlich-narratologischen Kategorien grundlegende Diskrepanzen hinsichtlich der Beurteilung von Figuren als räumliche Entitäten.13
Der vorliegende Beitrag hat daher zwei zentrale Ziele: In Aufgabe I) wird eine Operationalisierung des Raumbegriffs insbesondere basierend auf den Studien von Katrin Dennerlein angestrebt. Wir diskutieren, welche Aspekte der Raumdarstellung für die Entwicklung einer computationell modellierbare Entität relevant sind. Zur Bezeichnung des daraus entwickelten Verständnisses eines literarischen Raumes wird im Folgenden die jeweils kursiv gesetzte Bezeichnung Spatial Entity oder synonym der Begriff Raumentität verwendet.
Zusätzlich zur Identifizierung der Spatial Entities erfolgt in Aufgabe II) eine Klassifikation in die Kategorien Handlungsraum (Setting) und erwähnter Raum (Mention). Hierfür werden neben Dennerleins Raumkonzept auch die literaturtopografischen Kategorien aus Barbara Piattis Geographie der Literatur herangezogen. Wir bezeichnen diese Unterscheidung der Raumentitäten im Folgenden auch als Klassifikation der Handlungsrelevanz.14
Der methodische Bezug auf Dennerlein Narratologie des Raumes bei der Entwicklung der Kategorie der Raumentität (Aufgabe I) basiert auf dem narrratologisch-strukturellen Fokus ihres Konzepts, das bereits sehr formale Überlegungen auf Textebene beinhaltet, die sich für eine Operationalisierung eignen. Der Fokus bildet eine Raumentität, die an das Konzept der ›Named Entity‹ angelehnt ist, das Nomen oder Nominalphrasen umfasst. Zusätzlich beziehen wir Adverbien und Pronomen in das Raumentitäten-Konzept mit ein, wenn diese mit zuvor genannten Nomen koreferent sind. Es sei darauf hingewiesen, dass für die Konzeption unserer Raumentität bestimmte Kategorien in Dennerleins Gesamtkonzept selektiert wurden. Die Erkennung von Settings (Aufgabe II) ist dagegen eine spezifische Klassifikationsaufgabe, für die innerhalb der Konzepte von Dennerlein und Piatti konkrete Kategorien angelegt sind, die zur Herausarbeitung unserer Vorstellung von Settings und Mentions herausgegriffen und im Folgenden erläutert werden.
Somit hat dieser Beitrag einen klaren Fokus auf eine Raumkategorie auf Entitäten-Ebene, auf deren Basis eine Klassifikation der Handlungsrelevanz erfolgt. Dieser spezifische Fokus unterscheidet sich zum Beispiel von der Monographie Orte und Räume im Roman von Mareike Schumacher, deren umfassende Raumkonfiguration auch relationale Verben oder implizite Räume beinhaltet.15 Für beide Teilaufgaben wurde eine Pilotannotation von zwei Annotatorinnen basierend auf fünf Texten aus dem ›Corpus of German Novels‹ (DROC) durchgeführt.16 Bei einer Pilotannotation werden zunächst vergleichsweise wenige Trainingsdaten erhoben, um die Funktionalität des Annotationsschemas und erster maschineller ›Classifier‹ zu evaluieren.
Der Beitrag ist wie folgt strukturiert: Abschnitt 2 geht auf die literaturwissenschaftliche Definition von Raumentitäten (für Aufgabe I: Identifizierung von Raumentitäten) und die Überführung in reproduzierbare Richtlinien ein. Abschnitt 3 erläutert die Begriffsbildung der gegensätzlichen Kategorien Handlungsraum und erwähnter Raum anhand einschlägiger Konzepte von Dennerlein und Piatti (für Aufgabe II: Klassifikation der Handlungsrelevanz). Anschließend erfolgt in Abschnitt 4 ein Überblick über die Ergebnisse des ›Inter-Annotator-Agreements‹ der Annotation für beide Aufgaben und zentrale Erkenntnisse über ein maschinelles Modell zur Klassifikation der Handlungsrelevanz (Aufgabe II). Abschließend beinhaltet Abschnitt 5 Schlussfolgerungen zur Überführung des narratologischen Konzepts in ein operationalisiertes Modell und liefert einen Ausblick für eine etwaige Weiterentwicklung des Annotationsschemas sowie der maschinellen Modelle.
Katrin Dennerlein formuliert eine Grunddefinition des literarischen Raumes:
Räume sind Objekte der erzählten Welt, die eine Unterscheidung von innen und außen aufweisen und die nach den Regeln der erzählten Welt zur Umgebung mindestens einer Figur werden oder werden können. [...] Der Terminus ›Ort‹ bezeichnet eine Stelle in einem Raum. Der Oberbegriff für Räume und Orte ist ›räumliche Gegebenheit‹. 17
Aus dieser Definition geht bereits die zentrale Bedeutung der Figuren-Präsenz für die literarische Raumkonstitution hervor. Unabhängig davon, ob Figuren tatsächlich gegenwärtig sind, wird die literarische Relevanz des Raumes allein an die Möglichkeit der Anwesenheit einer Figur innerhalb einer Raumentität geknüpft.
Fiktionale Welten müssen dabei nicht den realweltlichen Gesetzmäßigkeiten folgen.18 Für die Formalisierung innerhalb einer Pilotannotation empfiehlt sich dennoch, bestimmte nicht betretbare Objekte zunächst auszuschließen.19 Dies entspricht der Erwartung des Lesers, der im Sinne des ›principle of minimal departure‹ von faktualen Gesetzmäßigkeiten ausgeht, bis innerhalb der fiktionalen Welt das Gegenteil evident wird.20 In Piattis Verständnis von ›Figurenraum‹ dient der Terminus auch als Überbegriff von ›Handlungszonen‹ und ›Schauplätzen‹, die in ihrem Konzept die handlungsrelevanten Kategorien darstellen.21
Dennerlein unterscheidet die Begriffe ›Ort‹ und ›Raum‹ voneinander und legt für beide den Oberbegriff ›räumliche Gegebenheit‹ fest. Als Räume werden umfassendere Gebiete verstanden, die, wie in der obigen Definition festgehalten, über ein Innen und Außen verfügen. Orte seien dagegen eher konkrete Punkte bzw. Stellen innerhalb eines übergeordneten Raumes.22 Dabei verweist Dennerlein darauf, dass »[j]eder Raum potentiell [...] in einem größeren Raum enthalten ist«, wobei Orte in einer solchen vertikalen Hierarchie die kleinsten Einheiten darstellen, die nicht mehr von einer Figur betretbar sind.23 Der nachfolgende Abschnitt aus Dos Passos’ Roman Manhattan Transfer, den Dennerlein in kürzerer Form verwendet, vermag dies zu verdeutlichen.24
[New York die zweitgrösste Metropole [der Welt]raum]raum [...] Er atmete tief ein, faltete die Zeitung zusammen und legte sie [auf den Tisch]ort. [Die zweitgrößte Metropole [der Welt]raum]raum [...] Er schob das Fenster hoch und beugte sich hinaus. [Am Ende [der Straße]raum]ort rumpelte ein Hochbahnzug vorbei. [...] Ein junger Mann saß zusammengesunken [neben der Gaslaterne]ort [auf dem Bordstein]ort.25
In diesem Abschnitt wird auf den Raum »Welt« referenziert, in dem sich die Stadt »New York« befindet, die ebenfalls als Raum anzusehen ist.26 Dagegen sind die Präpositionalphrasen »neben der Gaslaterne« oder »auf dem Bordstein« lediglich als Orte anzusehen, da sie von Figuren nicht direkt betretbar sind, sondern vielmehr zur ›Verortung‹ von Figuren oder anderen Objekten dienen.27 Die »Straße« stellt wiederum einen Raum dar, in dem sich einzelne referenzierbare Orte befinden (»am Ende der Straße«). Unsere Definition von Spatial Entities umfasst sowohl punktuelle Orte und weitreichende Räume. Auf eine weiterführende Unterscheidung wird verzichtet, da das Verhältnis von Ort und Raum oft relational zu betrachten ist und eine hierarchisierende Modellierung geeigneter erscheint.28
Auf einer horizontalen Ebene unterscheidet Katrin Dennerlein literarische Raumentitäten (›räumliche Gegebenheiten‹) in folgende Oberflächenformen, die von uns um die Punkte vii. und viii. erweitert wurden.29 Von diesen Oberflächenformen sind bei Dennerleins ›räumlichen Gegebenheiten‹ jene Entitäten ausgenommen, die nach ihrer Auffassung lediglich punktuelle Orte markieren.30
i. Toponyme umfassen »genuin geographische Räume wie [...] Preußen, Asien, Berlin« oder topografische Objekte.31
ii. Eigenamen bezeichnen einzigartige Räume, die jedoch keine geografische oder topografische Spezifizierung beinhalten. Ein Beispiel wäre ein einzigartiges »blaues Schloss« innerhalb eines fiktionalen Textes.
iii. Mit Gattungsbezeichnungen beschreibt Dennerlein unspezifische Raum-Begriffe, wie »Staat« oder »Problemviertel«, sowie Bezeichnungen für Innenräume wie »Speisekammer«.
iv. Objekte, in denen sich Figuren aufhalten können, umfassen »Flugzeuge«, »Autos«, aber auch »Schränke« oder »Kisten«.
v. Weiterhin werden Deiktika angeführt (wie die Adverbien »hier«, »da« und »dort«), die sich sowohl auf ein vorher eingeführtes Antezedens beziehen können sowie in situativer Verwendung ohne vorherige Referenz vorkommen.
vi. Zuletzt nennt Dennerlein weitere unspezifische Konkreta, wie »außen«, »innen«, »Heimat«, »das Fremde«, »das Freie« oder auch »Zuhause«.
vii. Figurennennungen können einen betretbaren Raum bzw. punktuellen Ort darstellen, wenn damit deren Wohnort bzw. aktueller Standort bezeichnet wird, zum Beispiel im Satz:
1.Felicie lief [zu Homais]spatial entity, der es aller Welt ausposaunte.32
viii. Ereignisse, die innerhalb einer Nominal- bzw. Präpositionalphrase ausgedrückt sind, können Raumreferenzen darstellen (hier: »zum Mittagessen«):
2. Als ich [auf dem Wege]spatial entity hinunter [zum Mittagessen]spatial entity [an dem Zimmer]spatial entity vorüberging, sah ich [durch die geöffnete Thür]spatial entity.33
Mit arabischen Zahlen versehene Textbeispiele, wie in vii.1. und viii.2. wurden im Zusammenhang der Konzeption der Annotationskategorien eruiert und entstammen zum Teil den annotierten Texten. Die Markierung der Raumentitäten folgt dabei den formalen Kriterien der Annotation, die in Abschnitt 2.4 näher besprochen werden.
Eine grundsätzliche Diskrepanz zwischen den hier dargestellten literaturwissenschaftlich relevanten Räumen und Pustejovskys ›ISO-Space‹-Richtlinien besteht in deren Definition der Kategorie der ›spatial entity‹, welche sowohl Objekte (iv) als auch handelnde Figuren unterscheidungslos beinhaltet. Als ›spatial entity‹ nach Pustejovsky gelten alle Objekte, die sich bewegen oder die das Potential dazu haben, wie »the car« in den unten stehenden Beispielsätzen. Darunter fällt aber auch die Figur »John« im zweiten, hier angegebenen Satz.34
[The car]spatial entity (pustejovsky) drove down the street.35
[John]spatial entity (pustejovsky) arrived [at the car]spatial entity (pustejovsky).36
Eine Abgrenzung von Figuren zu beweglichen Objekten, wie sie Dennerlein trifft, ist jedoch zentral für die literarische Raumkonstitution. Wie oben dargelegt, macht die potentielle Präsenz einer Figur innerhalb eines Raumes diesen überhaupt erst im literarischen Sinne relevant. Zudem sind Figuren ein wichtiger Bestandteil der handlungsrelevanten Raumkategorien bei Dennerlein und Piatti, die im folgenden Abschnitt 3 besprochen werden.37. Im Gegensatz zu den ›ISO-Space‹-Richtlinien betrachten wir Figuren in unserem Konzept daher stets als eigenständigen Typ von Entitäten, der sich von Spatial Entities unterscheidet.
Damit literaturwissenschaftliche Kategorien von einem maschinellen ›Classifier‹ erkannt werden können, werden Trainingsdaten benötigt, die auf textueller Ebene die Kategorien eindeutig markieren. Dafür wird eine manuelle Annotation durchgeführt, für die in Richtlinien genaue Regeln zur Annotation der literaturwissenschaftlichen Kategorien festgehalten sind. Um die Übereinstimmung und Verständlichkeit der zu annotierenden Kategorien zu messen, annotieren mindestens zwei Annotatorinnen, sodass zwischen den Annotationen ein ›Inter-Annotator-Agreement‹ berechnet werden kann.
Wir annotieren Nominal- bzw. Präpositionalphrasen (NPs und PPs), bei denen jeweils die maximale Spanne der Phrase berücksichtigt wird. Solche maximalen Nominal- bzw. Präpositionalphrasen beinhalten bestimmte und unbestimmte Artikel (Beispiel 3), Komplemente und Adjunkte (4 und 5) sowie Attribute, zum Beispiel in Form von Adjektiven (6). Darüber hinaus werden Relativsätze mitannotiert, wenn sie direkt an die Nominal- bzw. Präpositionalphrase angeschlossen sind (7). Wie im Beispiel ersichtlich, lassen sich dadurch weitere konkret auf die Raumphrase bezogene Informationen einbeziehen, die bei Bedarf als ›Feature‹ für die Klassifikation Verwendung finden. Aus diesem Grund sind auch Appositionen bei der Annotation mitzuerfassen (8).38 Nominal- und Präpositionalphrasen können einander überlappen bzw. sich umschließen, in diesem Fall werden sie verschachtelt annotiert (4, 5, 8).
3. Phileas Fogg war Mitglied [des Reformclubs]spatial entity, nichts weiter.39
4. Er gehörte weder [dem Königlichen Institut]spatial entity, [...] noch [...] einer der zahlreichen Gesellschaften, wovon [Englands [Hauptstadt]spatial entity]spatial entity wimmelt.40
5. Sein letzter Herr, der junge Lord Longsferry [...], kam oft, wenn er seine Nacht [in den Austernstuben [Haymarkets]spatial entity]spatial entity verbracht, auf den Schultern der Polizeileute [nach Hause]spatial entity.41
6. [Dieses reinliche, geordnete, strenge, puritanische, wohl für den Dienst eingerichtete Haus]spatial entity gefiel ihm.42
7. [Es]spatial entity machte auf ihn den Eindruck [eines schönen Schneckenhauses, das jedoch mit Gas erleuchtet und geheizt war]spatial entity.43
8. [Keine Bibliothek]spatial entity, keine Bücher, welche für Herrn Fogg unnütz gewesen wären, weil [der Reformclub]spatial entity [zwei Bibliotheken, [eine für Literatur]spatial entity, [die andere für Recht und Politik]spatial entity]spatial entity, ihm zur Verfügung stellte.44
NPs und PPs werden auch dann als Raumentität annotiert, wenn sie generisch verwendet sind (9), auf unbestimmte Räume verweisen (10) oder verneint sind (11). Darunter fallen zudem NPs und PPs, die eindeutig erkennen lassen, dass in der fiktionalen Welt keine der bezeichneten Entitäten existiert, wie bei »keine Bibliothek« in Beispiel 8.45
9. Auch [von dem entlegensten Ort]spatial entity schien er genaue Kenntnis zu haben.46
10. Vermutlich, denn kein Mensch war besser wie er [in aller Welt]spatial entity auf der Karte bekannt.47
11. Man sah ihn nie [auf der Börse]spatial entity, noch [auf der Bank]spatial entity, noch [auf irgendeinem Handelskontor [der City]spatial entity]spatial entity.48
Es gibt Spatial Entities, deren Oberflächenformen eine ›inhärente Raumbedeutung‹ besitzen, das heißt, das korrespondierende Substantiv wird unabhängig vom Kontext stets als literarischer Raum angesehen, der von einer Figur betretbar ist. Dazu gehören Toponyme (Kategorie i der Oberflächenformen in Abschnitt 2.3), Eigennamen (Oberflächenform ii), Gattungsbezeichnungen (iii) oder auch Objekte, in denen sich Figuren aufhalten können (iv).
Im Gegensatz dazu gibt es Nomen, die lediglich über ›situative Raumbedeutung‹ verfügen. Dies können Oberflächenformen sein, die von Adjektiven abgeleitet sind, zum Beispiel bei unspezifischen Konkreta, wie »das Fremde« (vgl. vi), oder Ortsangaben, die durch Figurenreferenzen oder ereignishafte Nominalphrasen ausgedrückt werden (vgl. die Beispiele 1 und 2 in Abschnitt 2.3).
Darüber hinaus können Nomen im Zusammenhang einer präpositionalen ›Verortung‹ genutzt werden. Wie eingangs in Abschnitt 2.2 und 2.3 festgestellt, erfassen wir unter den Raumentitäten auch jene punktuellen Lokalitäten, die Dennerlein als Orte bezeichnet. Diese auf unterster Ebene der vertikalen Raum-Hierarchie befindlichen Entitäten dienen oftmals einer ›Positionierung‹ und ›Direktionalisierung‹ von Figuren oder Objekten,49 die wir hier zusammenfassend als ›Verortung‹ bezeichnen. Die ›Verortung‹ einer Figur wird im Textbeispiel in Abschnitt 2.2 ersichtlich, wo eine »Gaslaterne« und ein »Bordstein« in Relation zur Position eines jungen Mannes gesetzt werden. Figuren können sich zudem innerhalb von Objekten verorten, die unter realweltlichen Bedingungen nicht betretbar sind (12).
12. [...] da schrie der Geist [aus der Flasche]spatial entity heraus: »Siehst du nun, Fischer, wie ich [in der Flasche]spatial entity bin?«50
13. Sie wurde bleicher als das Bettuch, in das sich ihre Finger krampfhaft einkrallten.51
14. Sie setze sich [auf das Betttuch]spatial entity.
Bei Nomen, deren räumliche Bedeutung im Kontext einer ›Verortung‹ entsteht, kommen in narrativen Passagen in Innenräumen insbesondere Einrichtungsgegenstände zum Einsatz (»Stuhl«, »Tisch«, »Fenster«). Bei derartigen Begriffen zeigt die Evaluation der Annotation, dass eine eindeutige Erkennung von Raumentitäten Probleme bereitet. So handelt es sich bei der NP »das Bettuch« in Textbeispiel 13 um keine Raumentität.52 Im fiktiven Beispiel 14 bekommt die PP »auf das Betttuch« durch die ›Verortung‹ der Figur hingegen eine räumliche Bedeutung und ist deshalb als Raumentität anzusehen. In den vorliegenden Annotationsrichtlinien wurde daher zunächst der Ansatz gewählt, spezifische Nomen nur im Zusammenhang einer Präpositionalphrase als Raumentität gelten zu lassen.
Zusätzlich beinhalten die Annotationsrichtlinien eine Heuristik von Objekten, die für eine ›situative Raumbedeutung‹ in Frage kommen – so können Einrichtungsgegenstände oder zum Gebäude gehörige Objekte (zum Beispiel »Tür«) allein in präpositionaler Verwendung annotiert werden, wohingegen Kleidungsstücke oder Körperteile weder als NP noch PP als Raumentitäten annotierbar sind.
Neben NPs und PPs kann auf Raumentitäten mit deiktischen Adverbien (vgl. die Oberflächenformen in v. in Abschnitt 2.3 sowie 15), Pronomen (7, 16, 17) sowie Konjunktionen 18) referenziert werden. Diese Wortarten werden dann annotiert, wenn sie mit einer zuvor bzw. danach genannten Raumentität in Form einer NP oder PP koreferent sind.53
15. Phileas Fogg begab sich sogleich [in den Speisesaal]spatial entity [...]. Er setzte sich [dort]spatial entity an die gewöhnliche Tafel [...].54
16. Passepartout befand sich also, nachdem halb zwölf vorüber war, allein [im Hause [der Savile Row]spatial entity]spatial entity. Sogleich machte er sich daran, [es]spatial entity [[vom Keller]spatial entity [bis zum Speicher]spatial entity]spatial entity zu besichtigen.55
17. Phileas Fogg war der einzige Bewohner [seines Hauses [Savile Row]spatial entity]spatial entity, und kein Mensch sonst kam in [dasselbe]spatial entity hinein, einen einzigen Diener ausgenommen, der ihm genügte.56
18. Er ging [in das Haus]spatial entity hinein, [worin]spatial entity er seine Mutter vermutete.
Bei der Identifizierung von Spatial Entities gilt es, einen lokalen Kontext zu beachten, für den in der Regel das Verständnis des propositionalen Gehaltes eines unmittelbaren Satzes oder Teilsatzes ausreichend ist.57 So wird bei der Lektüre der ersten Strophe aus Joseph von Eichendorffs Gedicht »Heimweh« (Textbeispiel 19) allein in der ersten Zeile deutlich, dass es sich bei der Präpositionalphrase »in die Fremde« um eine Raumentität handelt.58
19. Wer [in die Fremde]spatial entity will wandern, Der muß mit der Liebsten gehn, Es jubeln und lassen die andern Den Fremden alleine stehn.59
Neben der Grunddefinition und Skalierung von Raum beschreiben Dennerlein und Piatti jeweils eine Reihe von Kategorien, die in ihrer Gesamtheit eine komplexe Konfiguration des literarischen Raumes ergeben. Zusammenfassende Definitionen dieser Konzepte finden sich bei Dennerlein im Glossar und bei Piatti im Anhang.60 Dieser Beitrag geht nicht auf jede einzelne Kategorie ein, vielmehr dient der hier vorgelegte Überblick dazu, den Fokus auf jene Konzepte zu richten, die Handlungsrelevanz bzw. das Gegenteil thematisieren.
In Abbildung 1 finden sich überblicksartig die Konzepte von Dennerlein und Piatti dargestellt, die für unsere Kategorien von Handlungsräumen und erwähnten Räumen herangezogen werden – wir mappen dabei Dennerleins und Piattis Kategorien auf die von uns definierten, binären Konzepte von Setting und Mention.
Somit umfassen Handlungsräume und erwähnte Räume eine Reihe von präzise ausgestalteten Unterkategorien. Gius und Jacke beschreiben den unterschiedlichen Detailgrad von Begriffsbestimmungen als eine grundsätzliche Diskrepanz zwischen Literaturwissenschaft und Informatik.61 Während narratologische Definitionen detailliert ausdifferenziert sind und oft Einzelanalysen von komplexen Phänomenen in den Vordergrund stellen, werden in der automatischen Sprachverarbeitung Definitionen zunächst allgemein gehalten, um eine »möglichst große Datenbasis« zu schaffen und eine Generalisierung von häufig vorkommenden Phänomenen zu ermöglichen.62 Es sei betont, dass die einzelnen Merkmale der Unterkategorien, die in der Abbildung aufgeführt sind (zum Beispiel ›Jetzt-Eindruck‹ beim Setting), individuelle Indikatoren für die Klassifikation der Handlungsrelevanz darstellen. Es ist nicht notwendig, dass alle Merkmale vorhanden sind, um ein Setting bzw. eine Mention zu konstituieren. Die Entscheidungsfindung für Annotierende wird basierend auf der im Folgenden dargestellten Unterkategorien in Abschnitt 3.3 genauer erläutert.
Abb. 1: Überblick über die konzeptuellen Grundlagen für Settings und Mentions bei Dennerlein und Piatti
Für unser Vorgehen erschien es sinnvoll, die Einzeldefinitionen von Piatti und Dennerlein zu beachten, bei einer automatischen Verarbeitung jedoch die übergeordneten Konzepte von Setting und Mention zu verwenden.63 Mit diesem Ansatz soll ein Kompromiss entstehen, dem die Komplexität der vorgestellten, literaturwissenschaftlichen Raum-Konzepte gerecht wird und der dennoch eine automatische Erkennung der Kategorien ermöglicht, sodass auf beiden Feldern ein Erkenntnisgewinn möglich ist.
Die im vorherigen Abschnitt dargestellte ›räumliche Gegebenheit‹ bildet bei Dennerlein den Überbegriff für die gegensätzlichen Konzepte von ›Ereignisregion‹ und ›erwähnter räumlicher Gegebenheit‹. Grundsätzlich sollen damit situative (›Ereignisregion‹) von nicht-situativen Verwendungen (›erwähnte räumliche Gegebenheit‹) von Raumreferenzen abgegrenzt werden.64 Mehrere ›Ereignisregionen‹ bilden einen ›Bewegungsbereich‹ und als spezifische Sonderform der ›Ereignisregion‹ definiert Dennerlein zudem die Kategorie des ›Schauplatzes‹.
Bereits Ruth Ronen beschreibt Raum in literarischen Texten als »the domain of settings and surroundings of events, characters and objects«, die gemeinsam mit anderen Domänen wie der Zeit ein fiktionales Universum bildet.65 Die Kategorie des ›Ereignisses‹ wird neben der eingangs dargestellten Figuren-Präsenz somit bereits früh mit einer Grunddefinition von Raum in Verbindung gebracht. Da Raum grundsätzlich auch in den oben dargestellten nicht-situationsbezogenen Modi (Reflektieren, Argumentieren, Kommentieren) verwendet werden kann, geht die Ereignishaftigkeit noch nicht in Dennerleins Grunddefinition von Raum ein. Vielmehr untersucht Dennerlein zunächst vorangegangene Raumkonzepte, die Ereignisse bzw. eine situative Komponente beinhalten, um anschließend ihre eigene Definition der ›Ereignisregion‹ auszugestalten. Dabei findet sie bei Gerhard Hoffmann ein Konzept für den Begriff der ›Situation‹, das neben »Zeit, Charakter und Geschehen« eine räumliche Komponente umfasst, die sie jedoch als unterdefiniert erachtet.66 Bei Bal wird der Begriff ›location‹ (Schauplatz) beschrieben und bei Zoran eine ›zone of action‹ (Handlungszone): Beides stellen Raumkategorien dar, die über Einheiten der Handlung definiert werden, allerdings bemängelt Dennerlein ebenfalls eine unzureichende Erklärung einer solchen Handlungseinheit sowie ihrer räumlichen Ausdehnung und antizipiert stattdessen das Ereignis als fehlendes Definiens.67
Um die narratologische Kategorie des Ereignisses korrekt abzubilden, folgt Dennerlein der Definition von Hühn, der unter ›Ereignis I‹ eine Zustandsveränderung jeglicher Art erfasst und unter ›Ereignis II‹:68
eine besondere Art der Zustandsveränderung, die durch den Rahmen der erzählten Geschichte besondere Relevanz erhält und/oder ungewöhnlich und/oder unerwartet ist.69
Hühns zweite Definition ist äußerst subjektiv, sodass zahlreiche interpretative Elemente zur Konstitution des ›Ereignis II‹ beitragen können, wie etwa von Gius und Jacke festgestellt wurde.70 Dennerlein verwirft das ›Ereignis II‹ folgerichtig, um sich bei ihrer Ereignisdefinition gänzlich auf eine situative Zustandsveränderung zu beschränken.71 Sie konstatiert, dass Ereignisse formal wie Aussagesätze aufgebaut sind, die aus einem Subjekt und einem Prädikat bestehen, wobei als Subjekte a) Figuren oder b) Gegenstände bzw. andere nicht-figurale Elemente in Frage kommen und als Prädikate a) ›Geschehen‹ (Beispiel 20), b) ›Handlungen‹ (21) und c) ›Zustände‹ (22).72 Zur Veranschaulichung wählt Dennerlein in der Tat eine Reihe einfacher Aussagesätze, bei denen Subjekt und Prädikat des Satzes die jeweils geschilderten Ereignis-Komponenten darstellen (Beispielsätze 20–22).73
Anhand der Satz-Beispiele erläutert Dennerlein die Prädikatvarianten wie folgt: Ein Geschehen innerhalb der erzählten Welt sei eine nichtintendierte Zustandsveränderung (wie im Satz 20), bei der das Subjekt das nicht-figurale Element »Blitz« bildet.74 Demgegenüber definiert Dennerlein eine Handlung allein als Figurenhandlung (21).75 Eine Differenzierung nimmt sie hingegen beim Begriff des Zustandes vor: Hier sei ein Ereignis nur im Kontext einer Figur in Subjektposition gegeben (22), nicht dagegen bei einem Gegenstand bzw. nicht-figuralen Element als Subjekt (23).76 Begründet wird dies damit, dass eine Figur, auch wenn sie inaktiv ist, sich »intentional fortbewegen« kann.77
20. Der Blitz schlug [in das Gebäude]setting ein.78
21. Sie traten [in den Garten]setting.79
22. Er lag den ganzen Tag [in der Koje]setting.80
23. Das Bettzeug liegt [in der Koje]mention.81
Wir erfassen Dennerleins ›Ereignisregion‹ in dieser Arbeit innerhalb unseres Konzepts des Settings und den Gegenbegriff, die ›erwähnte räumliche Gegebenheit‹, als Mention, weshalb beide Begriffe in den Beispielen 20 bis 23 direkt mit den korrespondierenden Tags versehen sind.
Anhand der obigen Handlungs- und Zustandsdefinition wird erneut die Wichtigkeit einer grundlegenden Unterscheidung von Figuren- und Raumentitäten deutlich, die bei Pustejovskys Kategorie der ›spatial entity‹ nicht gegeben ist (vgl. Abschnitt 2.3). Denn bereits in zwei strukturell sehr ähnlich aufgebauten Sätzen ändert sich die Klassifikation lediglich durch den Austausch der Figur in Subjektposition (»er« in 22) mit einem Gegenstand (»das Bettzeug« in 23).82
Dennerlein konzipiert die ›erwähnte räumliche Gegebenheit‹ in Abgrenzung zum Konzept der ›Ereignisregion‹.83 Demnach umfassen ›erwähnte räumliche Gegebenheiten‹ diejenigen Raumentitäten (›räumliche Gegebenheiten‹), die in nicht-ereignisbezogenen Modi vorkommen, wie beim Kommentieren, Argumentieren, Reflektieren oder Beschreiben.84 Letzterer Modus hat für Dennerlein besondere Bedeutung, weshalb sie ihn konkret definiert:
Eine Beschreibung ist ein Texttyp, bei dem auf der Ebene des Bedeuteten stabile Eigenschaften eines Raumes, einer Figur oder eines Objekts mitgeteilt werden, ohne dass im selben Teilsatz, Satz oder Abschnitt ein bestimmtes, einmaliges Ereignis erwähnt wird.85
Zur Illustration zitiert Dennerlein eine längere Passage aus Theodor Fontanes Roman Unwiederbringlich, von der wir einen Ausschnitt wiedergeben:
24. Eine Meile südlich [von Glücksburg]mention, [auf einer dicht [an die See]mention herantretenden Düne]mention, lag das [von der gräflich Holkschen Familie bewohnte Schloß Holkenäs]mention, [eine Sehenswürdigkeit]mention für die vereinzelten Fremden, die von Zeit zu Zeit [in diese wenigstens damals noch vom Weltverkehr abgelegene Gegend kamen]mention.86
Der erste Teil des Satzes erfüllt den geschilderten Charakter einer Beschreibung von stabilen Eigenschaften des Schlosses Holkenäs. Dass die Familie das Schloss bewohnt, ist hier nicht als Ereignis anzusehen, sondern als Zustand, der ebenfalls zur Beschreibung des Schlosses dient. Diese Wertung kann als implizites Textverständnis angesehen werden, zu dem auch eine sich fortführende (hier nicht wiedergegebene) Beschreibung im Roman beiträgt. Weiterhin findet sich mit dem im Zitat von Dennerlein kursivierten Verweis auf die Fremden, die von Zeit zu Zeit in die Gegend kämen, zwar ein Ereignis, dieses wird jedoch repetitiv erzählt, weshalb es ebenfalls als stabiles Merkmal im Kontext der Beschreibung verstanden werden sollte – Dennerlein hält fest, dass grundsätzlich alle Raumreferenzen im Kontext repetitiv erzählter Ereignisse als ›erwähnte räumliche Gegebenheiten‹ anzusehen sind.87
Zudem betont Dennerlein die klassifikatorische Variabilität von Raumentitäten: So kann sich der Status einer ›Ereignisregion‹ (Setting) innerhalb des Textes zu einer ›erwähnten räumlichen Gegebenheit‹ (Mention) ändern.88 Dies passiert insbesondere dann, wenn die Darstellung der Raumentität vom Kontext eines Ereignisses hin zu den oben genannten nicht-ereignisbezogenen Modi wechselt.89
Basierend auf der ›Ereignisregion‹ als grundlegende situationsbezogene Raumdarstellung spezifiziert Dennerlein den Begriff des ›Schauplatzes‹ als eine besondere Form dieser ›Ereignisregion‹, bei der die ›Handlung‹ eines narrativen Textes konkret ausgemacht werden kann.90
Zunächst erfolgt bei Dennerlein die Feststellung, dass der Begriff ›Schauplatz‹ bzw. englische Synonyme, wie ›setting‹ oder auch ›location‹, in literaturwissenschaftlichen Lexika wie Routledge Encyclopedia of Narrative Theory, Metzler Literaturlexikon, Killys Literaturlexikon oder dem Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft nicht vorkommen; einen einzigen Eintrag für ›setting‹ findet sich im Dictionary of Narratology von Prince, der »damit ganz allgemein die raumzeitlichen Bedingungen der erzählten Ereignisse« bezeichnet.91 Zwar bediene Prince eine »Alltagsvorstellung« von Raum statt einer spezifisch literarischen Raumbetrachtung, wie sie Dennerlein entwickelt.92 Dennoch wird hier ein direkter Zusammenhang zwischen Raum und Kategorien der Zeit hergestellt, den Dennerlein aufgreift und der in unserer ›Feature‹-Konzeption mit der Beachtung von Zeitreferenzen und Zeitformen eine Entsprechung findet (vgl. Abschnitt 4.3).
Eine fruchtbare Beschreibung bietet zudem Ruth Ronen im Rahmen ihrer Konzeption literarischer ›frames‹, die sie als »actual or potential surrounding of fictional characters, objects and places« kennzeichnet.93 Diese Darstellung weist eine gewisse Ähnlichkeit zu Dennerleins Grunddefinition von Raumentitäten auf. Mehr noch beschreibt Ronen ihre Vorstellung von ›settings‹ als »actual immediate surrounding of an object, a character or an event«, worin sich deutlich der Charakter von Dennerleins ›Ereignisregion‹ wiederfindet.94 Dennerlein bemängelt jedoch fehlende Kriterien dafür, wie »die direkte (immediate) Umgebung« begrenzt und wodurch eine tatsächliche (actual) Umgebung gekennzeichnet sei.95 Stattdessen greift Dennerlein den letzteren Begriff auf, und konstatiert, dass ›Tatsächlichkeit‹ »eine zeitliche, eine modale und eine mediale Komponente« hat, die für die Konstitution des ›Schauplatzes‹ entscheidend sind.96 Während die ›zeitliche Komponente‹ auch in unserer Definition von Settings in ähnlicher Weise Einzug findet, erachten wir die ›modale‹ sowie die ›mediale Komponente‹ als eine Form der ›Erzählebene‹. Da sich hier konträre Schlussfolgerungen auf den Status der Raumklassifikation ergeben, beschreiben wir an dieser Stelle zunächst nur die ›zeitliche Komponente‹ und gehen auf modale und mediale Vermittlung in Abschnitt 3.1.5 ein, in dem die besondere Bedeutung von ›Erzählebenen‹ dargelegt wird.
Die ›zeitliche Komponente‹ erfasst Dennerlein als ›Jetzt-Eindruck‹, das heißt, es handle sich dann um einen ›Schauplatz‹, wenn ein korrespondierendes Ereignis »in diesem Moment« in der jeweiligen ›Ereignisregion‹ stattfindet.97 An dieser Stelle ist Dennerleins Definition etwas unpräzise angesichts komplexerer Konfigurationen von ›Erzählzeit‹, wie sie Genette mit den Konzepten von ›Ordnung‹, ›Dauer‹ und ›Frequenz‹ liefert.98 Zwar hält Dennerlein zuvor fest, dass sich ›Ereignisregionen‹ sowie ›Schauplätze‹ grundsätzlich nur in Verbindung mit einmalig erzählten Ereignissen konstituieren, wodurch zumindest Genettes Konzept der ›Frequenz‹ einbezogen wird.99 Trotzdem wäre eine stärkere Reflexion über die zeitliche Ordnung oder den Umgang mit ›Anachronien‹ (›Pro‹- und ›Analepsen‹) von Seiten Dennerleins wünschenswert.
Damit eine ›Ereignisregion‹ als ›Schauplatz‹ angesehen werden kann, muss nach Dennerlein neben der ›Tatsächlichkeit‹, von der wir nur die ›zeitliche Komponente‹ berücksichtigen, auch die ›Origo‹, das raum-zeitliche Orientierungszentrum, innerhalb der ›Ereignisregion‹ verortet werden.100 Diesem auf Bühler zurückgehenden Begriff liegt die Vorstellung zugrunde, dass sprachliche Äußerungen »nicht unabhängig von ihrer Äußerungssituation verstanden werden können«.101 Deiktische Adverbialausdrücke mit räumlicher oder zeitlicher Bedeutung, wie »hier«, »da«, »jetzt« oder »dort«, seien nur dann auflösbar, wenn die damit in Verbindung stehende ›Origo‹ verifizierbar ist.102 Die ›Origo‹ kann dabei auch als Wahrnehmungsinstanz gelten und wird in literarischen Texten meist durch eine konkrete Figur ausgefüllt. Abschließend schlägt Dennerlein folgende Definition für einen ›Schauplatz‹ vor:
Eine Ereignisregion ist ein Schauplatz der erzählten Geschichte auf einer Erzählebene, wenn die Origo in ihr verortet wird und wenn sie nach den Regeln der erzählten Welt zur faktischen Umgebung eines Ereignisses wird.103
Für unser Konzept des Settings ist dabei insbesondere die Verortung des ›Schauplatzes‹ in der gegenwärtigen ›Situation‹ sowie die konkrete Präsenz einer Figur bedeutsam. Im Gegensatz zu Dennerlein unterscheiden wir beim Setting-Konzept nicht zwischen reinen ›Ereignisregionen‹ (wie in Textbeispiel 25) und den nach Dennerlein spezifizierten ›Schauplätzen‹. Wir erfassen den ›Jetzt-Eindruck‹ (26) und die Angabe einer Wahrnehmungsinstanz (27), welche Dennerleins ›Schauplätze‹ auszeichnen, vielmehr als generelle Merkmale für unsere Kategorie des Settings.
25. Um halb ein Uhr hielt [der Zug]setting [auf der Station Benares]setting. 104
26. In diesem Augenblicke klopfte es an die Türe [des kleinen Salons, worin sich Phileas Fogg aufhielt]setting.105
27. Im September 1828 verließ der größte Mathematiker des Landes zum erstenmal seit Jahren [seine Heimatstadt]setting, [...].106
Eine letzte für uns relevante Kategorie stellt der ›Bewegungsbereich‹ dar, in dem mehrere Settings (Dennerleins ›Ereignisregionen‹ sowie ›Schauplätze‹) oder Mentions (›erwähnte räumliche Gegebenheiten‹) zusammengefasst werden).107 Während Dennerlein anhand der Kutschfahrt in Flauberts Madame Bovary auch Settings zu einem ›Bewegungsbereich‹ verknüpft, die sich in einem längeren Textabschnitt wiederfinden, fassen wir darunter ausschließlich die Verbindung zweier oder mehrerer Raumentitäten innerhalb einer Nominal- bzw. Präpositionalphrase (16., 28.). In Mareike Schumachers Untersuchung Orte und Räume im Roman würde der ›Bewegungsbereich‹ auch unter den Begriff der ›Relationen‹ fallen, einer (nicht-impliziten) Kategorie von Raum, auf die im Text konkret referenziert wird.108 Abbildung 2 zeigt die hier vorgestellten Raumkategorien von Katrin Dennerlein in einer hierarchischen Gesamtdarstellung.109
28. Diesmal nahm er [[seinen Weg]setting [am Wrangelbrunnen]setting und [der Matthäikirche]setting]setting vorbei, welchen [Umweg]setting er nur der längeren Vorfreude halber wählte.110
Abb. 2: Schematische Darstellung von Dennerleins Raumkonzeption
Wie Dennerlein im Kontext ihrer ›Schauplatz‹-Definition feststellt, können ›Schauplätze‹ auf verschiedenen ›Ebenen der Erzählung‹ vorkommen.111 Die Klassifikation von Settings wird damit grundsätzlich abhängig von einer vorherigen Bestimmung dieser ›Erzählebenen‹. Dennerlein erklärt nicht explizit, was sie unter ›narrativen Ebenen‹ versteht, sondern verwendet vielmehr den Begriff der ›Binnenerzählung‹. Dies legt nahe, dass sie einer Definition von ›Erzählebenen‹ folgt, die ausschließlich auf einem Wechsel der ›Erzählinstanz‹ basiert, wie ursprünglich von Genette festgelegt.112
Insbesondere Marie-Laure Ryan unterscheidet bei einem Wechsel der ›Erzählebene‹ zwischen ›illokutionären Grenzen‹, worunter sie den klassischen Wechsel der ›Erzählinstanz‹ versteht, und ›ontologischen Grenzen‹, die zwischen verschiedenen Realitätsebenen innerhalb der diegetischen Welt bestehen.113 Für die ›ontologische Ebenengrenze‹ führt sie das Beispiel von Lewis Carrolls Roman Alice im Wunderland an,114 in dem Alice die realweltliche erste ›Erzählebene‹ verlässt und eine Traumwelt betritt, die eine andere Form der Realität mit eigenen Gesetzen darstellt.
Als ›modale Komponente‹ von ›Tatsächlichkeit‹ schließt Dennerlein jedoch gerade die Imaginationen von Orten aus, die zwar zum jeweiligen Zeitpunkt innerhalb einer Erzählung stattfinden (und damit einem ›Jetzt-Eindruck‹ gerecht werden), mit denen aber keine innerhalb der Geschichte tatsächlich existierenden Raumentitäten erfasst würden.115 Nach dieser Argumentation wären alle Settings, denen Alice auf ihrer Reise durch das Wunderland begegnet, als Mentions zu klassifizieren. Wir lehnen daher Dennerleins Vorstellung der ›modalen Komponente‹ ab und gehen stattdessen von einer ›Erzählebene‹ nach Ryan aus, auf der sich Settings zweiter Ordnung befinden können.116
Dennerlein nennt weiterhin mediale Vermittlung als Ausschlusskriterium für ihre Vorstellung eines ›Schauplatzes‹, beispielsweise durch eingeschobene Briefe.117 Analog zur ›modalen Komponente‹ kann auch bei der Einfügung anderer Medien nach Ryan ein ›illokutionärer Ebenenwechsel‹ ausgemacht werden,118 weshalb wir Dennerleins ›modale Komponente‹ ebenfalls verwerfen und auf die Notwendigkeit einer vorherigen Ebenenbestimmung verweisen.
Folglich ist es bei der Erkennung von Settings notwendig, sowohl auf ›illokutionäre Ebenengrenzen‹, die auch Dennerlein beschreibt, zu achten als auch auf ›ontologische Ebenengrenzen‹. Da es bisher keine automatischen Modelle zur Klassifikation von ›Erzählebenen‹ gibt, wurden die für diesen Beitrag annotierten Texte jedoch so ausgewählt, dass keine untergeordneten Ebenen vorkommen, um Störsignale bei der ›Classifier‹-Entwicklung zu vermeiden.119 Darüber hinaus wurde für die Annotation definiert, bei welchen textuellen Phänomenen es sich um keine ›Erzählebenen‹ handelt, zum Beispiel bei kurzen Einschüben von Gedanken (vgl. Textbeispiel 29) oder lokalen ›Analepsen‹.
Mit der eingangs aufgeworfenen Frage – »Wo spielt ein literarisches Werk?« – beginnt nach Piatti jegliche Geografie der Literatur.120 Ähnlich wie Dennerlein erkennt Piatti, wie wenig Aufmerksamkeit in der bisherigen literaturwissenschaftlichen Forschung ›Handlungsräumen‹ oder dem literarischen ›Schauplatz‹ (Piatti) gewidmet wurde.121 Eine schematische Übersicht von Piattis Raumkategorien findet sich in Abbildung 3. Mehr noch als Dennerlein setzt Piatti dabei auf ein inklusives Raumkonzept, bei dem zentrale Begriffe ineinandergreifen.
Abb. 3: Piattis inklusives Raumschema basierend auf dem Georaum
Piattis Grundkategorie, in der alle anderen Konzepte enthalten sind, stellt der sogenannte ›Georaum‹ dar, welcher stark an einer realweltlichen Vorstellung eines physischen Raumes orientiert ist.122 Explizit wird der ›Georaum‹ nach dem Lexikon der Geographie als ein »die gesamte Erde umhüllende[r], die Erdoberfläche und die oberflächennahen Bereiche einschließender Raum« definiert.123 Literarische Texte bedienen sich nach Piatti mit »Ausschnitte[n] aus dem Georaum«, die sie als ›literarisierte Räume‹ und ›fiktionalisierte Räume‹ benennt.124 Der erste Begriff der ›literarisierten Räume‹ bezeichnet zunächst städtische oder landschaftliche Räume, die Gegenstand einer literarischen Verarbeitung geworden sind.125 ›Fiktionalisierte Räume‹ seien als Untermenge dagegen jene ›literarisierten Räume‹, aus denen in einem fiktionalen Text der ›Handlungsraum‹ (Piatti) modelliert wird.126 Wie der Titel der Untersuchung verrät, geht es Piatti in ihrer Geographie der Literatur explizit darum, den ›Georaum‹ mit dem ›fiktionalisierten Raum‹ in Relation zu setzen:
Literarische Handlungsräume sollen in ihrem Verhältnis zur außerliterarischen Wirklichkeit, zu realen Landschaften und Städten, gedeutet werden. Es geht somit um die Beziehung dieser beiden Felder, um die wechselseitige Erhellung von Text und Schauplatz, Literatur und Raum.127
Der ›Handlungsraum‹ bei Piatti stellt im Gegensatz zu unserem Handlungsraum (Setting) zunächst einen »erzähltheoretischen Oberbegriff« dar, der die wesentlichen, für uns relevanten Kategorien zur Raumbeschreibung umfasst (siehe Abb. 3). Die Begriffe des ›Georaumes‹ sowie des ›literarisierten‹ und ›fiktionalisieren Raumes‹ sind dem ›Handlungsraum‹ (Piatti) dagegen im Sinne des dargestellten Inklusionsschemas theoretisch vorgelagert: Nach Piatti werden aus dem ›Georaum‹ realweltliche Räume herausgegriffen, was sie zu ›literarisierten Räumen‹ macht. Sofern diese Räume im Rahmen der Handlung näher beleuchtet sind, werden sie damit fiktionalisiert.
Unter der Annahme, dass literarische Texte eine eigene ›fiktive Welt‹ darstellen,128 bezeichnet Parsons darin befindliche Entitäten wie Orte oder Figuren ohne realweltliche Entsprechung als ›native objects‹; Entitäten, die auf eine Entsprechung in der realen Welt referenzieren, nennt er dagegen ›immigrant objects‹.129 Gerade bei ›immigrant objects‹ betont Frank Zipfel, dass die Referenzierung eines realen Ortes innerhalb eines fiktionalen Textes nicht notwendigerweise dem tatsächlich existierenden Pendant entspricht.130 Zwar lehnt auch Zipfel die These Rudolf Hallers von der Verschiedenheit eines realen Ortes und seiner fiktiven Entsprechung ab,131 verweist jedoch auf die Möglichkeit, es könne sich um sogenannte ›surrogate objects‹ handeln.132 Dies sind nach Pavel Räume, die sich zwar an einer realweltlichen Entsprechung orientieren, diese aber im fiktionalen Text verändern oder ergänzen.133 Piatti erwähnt die hier dargestellten Vorarbeiten nicht, dennoch weisen ihre Betrachtungen zum Fiktionalitätsstatus von Raum deutliche Parallelen dazu auf, was sich im Folgenden zeigen soll.
Aufgrund der definitorisch engen Verknüpfung von Piattis Raumkonzept mit dem außerliterarischen, physischen Raum dient die Kategorie der ›fiktionaliserten Räume‹ als eine Zwischenebene, die jene Emergenz realweltlicher Räume innerhalb fiktionaler Texte verdeutlicht. Hat ein ›fiktionaliserter Raum‹ den Status eines ›immigrant objects‹, beschreibt Piatti den daraus modellierten ›Handlungsraum‹ (Piatti) als ›importiert‹, da er den »Georaum topographisch und toponymisch korrekt wiedergibt«.134 Weicht der ›fiktionalisierte Raum‹ dagegen vom ›Georaum‹ ab (wie bei ›surrogate objects‹), handelt es sich nach Piatti um einen ›transformierten Handlungsraum‹.135
Analog zu Parsons ›native objects‹ erfasst Piatti »reine[.] Produkte der dichterischen Imagination« als ›Räume der Fiktion‹.136 Aufgrund der fehlenden Referenzen auf den ›Georaum‹ bezeichnet Piatti den aus ›Räumen der Fiktion‹ modellierten ›Handlungsraum‹ (Piatti) als ›fingiert‹ (in Analogie zum oben dargestellten ›importierten‹ sowie ›transformierten Handlungsraum‹).137 Abbildung 4 zeigt eine angepasste Darstellung von Piattis Inklusionsschema für Raumkategorien, die Räumen der Fiktion entstammen.
Abb. 4: Piattis inklusives Raumschema basierend auf Räumen der Fiktion
Da wir vorrangig die Aspekte von Piattis Kategorien herausarbeiten wollen, die für die Klassifikation der Handlungsrelevanz bedeutsam sind, verfolgen wir die Zuschreibung des Fiktionalitätsstatus an Piattis ›Handlungsraum‹ (›importiert‹, ›transformiert‹, ›fingiert‹) nicht weiter. Im Folgenden konzentrieren wir uns auf die textuell repräsentierten Kategorien und zeigen Parallelen und Unterschiede zu Dennerleins handlungsrelevanten Konzepten auf.138
Der ›Schauplatz‹ nach Piatti ist definiert als »kleinste Einheit« des ›Handlungsraumes‹ (Piatti) und bildet damit eine punktuelle Einheit, die keine größere Ausdehnung umfasst.139 Im englischen Aufsatz von Piattis Mitarbeitern Reuschel und Hurni wird für den ›Schauplatz‹ (Piatti) die Übersetzung ›setting‹ (Piatti) gewählt und ausgeführt, dass es sich dabei um Raumbegriffe mit einer gewissen regionalen (»eine Schlucht«) bzw. linearen (»eine Straße«) Ausdehnung handeln kann oder um ganz konkrete punktuelle Orte (ähnlich wie in Dennerleins Definition von ›Ort‹, vgl. Abschnitt 2.2).140
›Handlungszonen‹ machen nach Piatti die Makrostruktur des ›Handlungsraumes‹ (Piatti) sichtbar. Die Zusammenfassung mehrerer ›Schauplätze‹ (Piatti) zu einer ›Handlungszone‹ basiere auf einer Interpretationsleistung – dies ähnelt Dennerleins ›Bewegungsbereich‹.141 Zudem befinden sich ›Handlungszonen‹ nach Piatti nicht in einem räumlichen Kontinuum, das heißt, sie überlappen sich nicht.142
Wie bereits in der Grunddefinition von Raum in Abschnitt 2 angegeben, stellt der ›Figurenraum‹ bei Piatti ein zentrales, konstituierendes Element der Handlungsrelevanz eines Raumes dar und wird daher als Überkategorie für ›Handlungszonen‹ und ›Schauplätze‹ (Piatti) gesetzt. Innerhalb des ›Figurenraumes‹ erwartet Piatti eine konkrete Figurenpräsenz,143 die bei Dennerlein im Zuge der ›Origo‹-Verortung lediglich ein zusätzliches Element für deren spezifische ›Schauplatz‹-Definition bildet, welche die ›Ereignisregion‹ erweitert. In Piattis Perspektive auf handlungsrelevante Raumentitäten nimmt die Anwesenheit einer Figur somit eine hervorgehobene, ausschließliche Bedeutung an,144 wohingegen Dennerleins Fokus auf der Ereignishaftigkeit einer Raumreferenz liegt.
Während Dennerlein alle nicht-ereignisbezogenen Raumentitäten unter ihrem Begriff der ›erwähnten räumlichen Gegebenheit‹ subsumiert, differenziert Piatti bei ihrer Gegenkategorie des ›Schauplatzes‹ (Piatti) in ›topographische Marker‹ und ›projizierten Raum‹. Für unser Konzept gilt dabei, dass wir Piattis ›Schauplätze‹ als Setting verstehen und ›topographische Marker‹ sowie ›projizierte Räume‹ als Mentions.145
›Topographische Marker‹ umfassen nach Piatti Erwähnungen von Raumreferenzen ohne die Präsenz handelnder Figuren.146 Solche Marker kommen in den von Dennerlein genannten Modi Kommentieren, Argumentieren, Reflektieren oder Beschreiben vor (vgl. Textbeispiel 24). In Abbildung 3 und 4 wird deutlich, dass ›topographische Marker‹ sowie der ›Figurenraum‹ vom sogenannten ›Geographischen Horizont‹ umschlossen sind. Mit dieser »Komponente des Handlungsraumes« (Piatti) werden jene Raumreferenzen erfasst, die innerhalb der diegetischen Welt tatsächlich geographisch verortbar und betretbar sind.147 Demgegenüber handelt es sich bei ›projizierten Räumen‹ um Traumorte, Sehnsuchtsorte oder erinnerte Orte (Textbeispiel 29), die nicht Teil der unmittelbaren Diegese sind und daher für Figuren nicht betretbar.148 Damit gehören sie zwar dem ›Handlungsraum‹ (Piatti) an, nicht jedoch dem ›geographischen Horizont‹, der dem ›Handlungsraum‹ (Piatti) untergeordnet ist.149
29. Er dachte noch [an die märchenhafte Stadt von 1849]mention.150
Bei jeder Raumentität wurde entschieden, ob darin die Handlung der Erzählung aktiv stattfindet. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Handlungsräume sich auszeichnen durch 1) eine aktive Handlung von Figuren sowie einem ›Jetzt-Eindruck‹ (30 und 31) oder 2) eine besondere Ereignishaftigkeit bei Vorgängen ohne direkte Figurenbeteiligung (32).
30. Phileas Fogg fährt [das wundervolle Gangestal]setting hinab, ohne dass er sich kümmert, [es]setting zu sehen.151
31. Hier im Beginn verläßt Franz Biberkopf [das Gefängnis Tegel]setting, in das ihn ein früheres sinnloses Leben geführt hat.152
32. Endlich, um sieben Uhr früh, kam man [zu Kalkutta]setting an.153
Als Mention werden dagegen Beschreibungen (33), Erwähnungen (34), repetitiv erzählte (35), oder zukünftig bevorstehende Ereignisse (36 und 37) annotiert.
33. [Das nicht eben prachtvolle Haus [in Savile Row]mention]mention empfahl sich durch größte Bequemlichkeit.154
34. Was nun Jean, genannt Passepartout, betrifft, so war er ein echter Pariser [aus Paris]mention.155
35. Er machte regelmäßig die Fahrten [[von Brindisi]mention [nach Bombay]mention]mention [durch den Suez-Canal]mention.156
36. In fünf und einer halben Stunde mußte [der Weg [von Liverpool]mention [nach London]mention]mention zurückgelegt werden.157
37. In einem Monat wollte sie mit ihrem Bruder [mit dem Auto]mention [nach New York]mention fahren.158
Bei der Klassifikation der Handlungsrelevanz sollte eine Klassifikationsentscheidung nach Möglichkeit im Rahmen des Kontextes des umgebenden Satzes getroffen werden. Dennoch sind Annotatorinnen angehalten, sich die korrespondierende ›Situation‹ bzw. ›Szene‹ innerhalb eines narrativen Textes vorzustellen, an die der jeweilige Handlungsraum gebunden ist. Hierfür können sie auf den ›intratextuellen Kontext‹ zurückgreifen.159 Als Voraussetzung für eine ›Szene‹ sehen wir das Vorhandensein eines ›Jetzt-Eindrucks‹ im Sinne Dennerleins, der für unser Verständnis von Settings konstitutiv ist.160
Eine detaillierte Darstellung technischer Aspekte der ›Agreement‹-Berechnung, ›Feature‹-Extraktion sowie der maschinellen Verfahren wurde bereits beim ›InfDH-Workshop 2020‹ vorgestellt und anschließend publiziert,161 im Rahmen dieses Beitrags erfolgt ein Überblick über die zentralen Erkenntnisse.
Für Aufgabe I, die Erkennung der Raumentitäten, und Aufgabe II, die Klassifikation der Handlungsrelevanz (vgl. Abschnitt 1), erfolgt an dieser Stelle ein Überblick, der die Qualität der Annotation und Operationalisierung reflektiert. Für Aufgabe II wurde ein maschinelles Modell entwickelt, das hier anhand der zugrundeliegenden ›Features‹ sowie der allgemeinen Performance vorgestellt wird.
Die Annotatorinnen haben unabhängig voneinander nach den Richtlinien annotiert, ohne dass während der Annotation eine Absprache erfolgte oder Rückfragen zu den Richtlinien beantwortet wurden.162 Zum Vergleich der Übereinstimmung zwischen Annotatorinnen können verschiedene ›Agreement‹-Maße angewandt werden. Wir verwenden zur ›Agreement‹-Berechnung ›Cohens Kappa‹ sowie einen ›Fuzzy--Score‹ und ›Exact--Score‹. ›Kappa‹ wird als klassisches ›Agreement‹-Maß auf Tokenebene berechnet,163 eignet sich weniger gut für überlappende Annotationen und bildet zudem keine Zusammengehörigkeit der Tokens innerhalb einer Entität ab. Der ›-Score‹ als Maß zur Evaluation von ›Machine-Learning‹-Modellen kann auch zur Evaluation zwischen zwei Annotatorinnen angewandt werden, wobei jeweils eine Annotation als ›Goldstandard‹ angesehen wird. Im Falle des ›Fuzzy--Score‹ wird ein ›True Positive‹ (TP) auch dann aktzeptiert, wenn annotierte Raumentitäten zwischen den Annotatorinnen nur teilweise (das heißt für einzelne Tokens) übereinstimmen, während beim ›Exact--Score‹ nur genaue Übereinstimmungen als TP gelten.
Abb. 5›Agreement‹ für die Spatial Entity-Erkennung sowie die Spatial Entity-Erkennung mit Klassifikation der Handlungsrelevanz
Abbildung 5 zeigt das ›Agreement‹ für die beschriebenen Evaluationsmaße. Wir berechnen den ›-Score‹ auf ›Macro‹- und ›Micro‹-Ebene sowie analog dazu ›Cohens Kappa‹ als Mittelwert der ›Kappa‹-Werte für die Einzeltexte (›Macro‹) und in einer zweiten Variante über alle Tokens (›Micro‹). Der ›Exact--Score‹ und ›Cohens Kappa‹ erreichen bei der Spatial Entity-Erkennung ein stichhaltiges (›substantial‹) ›Agreement‹, für ›Fuzzy--Score‹ wird sogar ein ideales (›perfect‹) ›Agreement‹ erzielt.164
Bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Handlungsrelevanz im ›Agreement‹ sinken die Werte beim ›Exact--Score‹ sowie ›Fuzzy--Score‹ durchschnittlich um 0.13 und bei ›Kappa‹ um 0.07. Somit herrscht bei der Klassifikation der Handlungsrelevanz ebenfalls ein stichhaltiges bis ideales ›Agreement‹.
Bei der Auswertung der Annotation lässt sich im Hinblick auf die Raumentitäten neben typischen Flüchtigkeitsfehlern (unvollständiger Span oder fehlende Verschachtelung) ein ›Disagreement‹ bei Objekten mit ›situativer Raumbedeutung‹ im Hinblick auf die in Abschnitt 2.4.1 erwähnte Heuristik erkennen. Hier gilt es, die Richtlinien zu präzisieren bzw. zu prüfen, ob eine Heuristik für annotierbare Begriffe die richtige Herangehensweise ist, um mit ›Verortung‹ umzugehen.
Bei der Klassifikation der Handlungsrelevanz konnte in einigen Fällen eine abweichende Interpretation von ›Situationen‹ bzw. ›Szenen‹ festgestellt werden: In Textbeispiel 38. sieht eine Annotatorin eine Mention in der Raumentität »das Haus«, da sie auf eine gerade vergangene ›Situation‹ referenziert, während die andere Annotatorin den Gesamtkontext des Satzes betrachtet und erkennt, dass Karl gerade in dieses Haus eintritt. Wir haben uns dafür entschieden, die Klassifikation hier im Satzkontext zu beachten und daher das Setting als wünschenswerte Kategorie angegeben. In den Richtlinien wäre diesbezüglich die Verwendung des lokalen Kontextes zu präzisieren.
Zudem entstanden Unstimmigkeiten bei der Einstufung eines Settings im Hinblick auf seine Distanz. Im Fall von Textbeispiel 39. wurde die »Station Darlington« und »Station Gibson« von einer Annotatorin nicht als Setting erachtet, weil sie sich im entfernten Sichtfeld der angenommenen Wahrnehmungsinstanz befindet, anstatt in der unmittelbaren Umgebung. Bei der »Station Holmes« sowie dem »gleichnamigen Fort« handelt es sich dagegen um Mentions, da sie nicht mehr sichtbar sind. Hier gilt es zu klären, ob es eine Mindestreichweite für die Wahrnehmung eines Raumes durch eine Figur gibt, oder ob grundsätzlich alle im Sichtfeld weiter entfernten Raumentitäten als Setting klassifiziert werden können. Deshalb haben wir die Entscheidung im konkreten Textbeispiel 39. bisher offen gelassen.165
38. Emma hatte eben [das Haus]Mention setting verlassen, als Karl heimkam [...]. 166
39. Gegen Mittag hatten alle drei, nach mehrmaliger Rast, [den Kamm [des ziemlich hohen Gebirgszuges]setting]setting erreicht [...]. Von den Ortschaften an der Bahn hin waren nur die weiter entfernten sichtbar: [Station Darlington]setting/mention und [Station Gibson]setting/mention (letztere schon ganz drüben), während sich [die verhältnismäßig nahe gelegene Station Holmes, samt [ihrem gleichnamigen Fort]mention]mention, verbergen zu wollen schien. 167
Für die automatische Klassifikation wurden ›Features‹ gewählt, die als direkte Indikatoren für Settings oder Mentions dienen. Dazu zählen die 1) Figurenpräsenz,168 die als numerischer Wert für die Figurenanzahl pro Satz direkt aus den Annotationen des DROC-Korpus gewonnen wird und auch koreferente Pronomen einbezieht. Die Gesamtzahl der Figuren pro Satz wird als numerischer Wert abgebildet. 2) Zeitmarker und 3) Zeitformen liefern Informationen darüber, ob ein ›Jetzt-Eindruck‹ vorliegt. Dabei wurden Zeitformen mittels ›HeidelTime‹ erkannt, einem von Strötgen und Gertz entwickelten System zur Extraktion und Normalisierung temporaler Ausdrücke, und Zeitformen mit einem System von Bögel, Strötgen und Gertz.169 4) Direkte Rede wurde ebenfalls aus der Annotation des DROC-Korpus extrahiert, da dort ein ›Goldstandard‹ für die annotierten Texte vorliegt, der eine Minimierung der Fehlerquellen beim ›Machine-Learning‹ garantiert. Zuletzt wurden 5) Präpositionen direkt aus der annotierten Präpositionalphrase extrahiert.
Alle kategorialen ›Features‹ (2–5) wurden für die maschinelle Verarbeitung in ›One-Hot-Vektoren‹ überführt.170 Die eigentliche Klassifikation erfolgt auf Clause-Ebene, sodass die ›Features‹ stets im Kontext eines Teilsatzes extrahiert wurden.171
Für die Klassifikation der Handlungrelevanz wurde zur Evaluation der ›Machine-Learning‹-Modelle die Annotation des Autors dieses Beitrages als ›Goldstandard‹ gesetzt. Alle in der Pilotannotation ausgezeichneten Texte kamen beim Training zum Einsatz, wobei mit einer ›10-fold Cross-Validation‹ trainiert und evaluiert wurde.172 Es wurden verschiedene ›Classifier‹ getestet,173, für die hier jeweils der gemittelte Evaluationswert der ›10-fold Cross-Validation‹ angegeben wird und unter denen ein ›Random-Forest-Classifier‹ mit 10 übereinandergelagerten ›Decision-Trees‹ und einer unbegrenzten Baumtiefe das beste Ergebnis mit einem ›-Micro‹ von 0.78 (›Accuracy‹: 0.78) erreicht.174 Mit einer Begrenzung der Baumtiefe auf 8 sinkt die Gefahr eines Overfittings, der ›-Micro‹ fällt dann mit 0.77 etwas geringer aus (›Accuracy‹: 0.77).175 Insgesamt wurden 510 Raumentitäten innerhalb der Pilotannotation annotiert, von denen 263 Settings darstellen, sodass sich eine ›Mehrheits-Baseline‹ mit einer ›Accuracy‹ von 0.52 ableiten lässt. Dieser Wert wurde vom ›Classifier‹ deutlich übertroffen.
Bei der Inspektion einzelner ›Decision-Trees‹ kann zudem die Wirkungsweise des Algorithmus eingeschätzt werden: Abbildung 6 zeigt einen Baum mit einer Tiefe von 4, bei dem der erste Split anhand des ›Features‹ der direkten Rede vorgenommen wird. Dies verdeutlicht, dass innerhalb von direkter Rede deutlich mehr Settings und außerhalb mehr Mentions vorhanden sind, was im Baum korrekt zugeordnet wird. Außerdem erreichen bereits bei einem Baum dieser Tiefe 9 Knoten die gewünschte ›Gini-Impurity‹ (Reinheit) von 0.
Der vorliegende Beitrag stellt eine Operationalisierung der insbesondere von Dennerlein herausgearbeiteten Definition von Raum vor. Basierend auf Dennerleins ›räumlicher Gegebenheit‹ und eigener Beobachtungen wird die an ›Named-Entities‹ orientierte Kategorie der Raumentität abgeleitet, die Raumreferenzen in Form von Nominal- bzw. Präpostionalphrasen sowie darauf bezogene, adverbiale und pronominale Koreferenzen umfasst. Für diese Grundkategorie der Raumentität liefert Dennerlein eine umfassende theoretische Grundlage, die mit der genauen Aufschlüsselung relevanter Oberflächenformen (vgl. Abschnitt 2.3) genügend Material für die Entwicklung reproduzierbarer Kategorien bereithält, sodass ein hohes ›Agreement‹ erzielt wird. Das Konzept der Raumentität umfasst dabei im Wesentlichen explizite Referenzen auf konkrete Punkte (›Orte‹), größere ›Räume‹ oder Relationen zwischen Räumen (›Bewegungsbereich‹ und ›Handlungszone‹). Schumacher betont, dass es sich bei ›Orten‹ und ›Relationen‹ im Wesentlichen um im Text konkret benannte und damit nicht-implizite Raumreferenzen handelt.176 Allein die von uns berücksichtigten Objekte mit ›situativer Raumbedeutung‹ beinhalten auch implizite Rauminformationen, weshalb eine zusätzliche Heuristik zur Annotation nötig wurde. Hier gilt es den konzeptuellen Ansatz zu überprüfen, bevor mit einer umfangreicheren Annotation begonnen wird, die Grundlage für einen eigenen Classifer für Raumentitäten (Aufgabe I) sein könnte.
Weiterhin wird im Beitrag eine spezifische Klassifikation der vorgestellten Raumentitäten nach ihrer Handlungsrelevanz vorgeschlagen. Aus den Konzepten von Dennerlein und Piatti wurden zwei gegensätzliche Kategorien herausgearbeitet, um insbesondere durch die Bestimmung des Settings Piattis zentrale Frage nach dem Handlungsort eines literarischen Textes zu adressieren. Dabei lassen sich Erkenntnisse aus anderen Bereichen der digitalen Narratologie, wie die Bestimmung ›narrativer Ebenen‹, direkt in die Formalisierung unseres Raum-Modells integrieren. Das ›Agreement‹ für diese Klassifikation der Handlungsrelevanz ist ebenfalls hoch und kann bei einer Auflösung der Problemfälle (situativer Kontext, Reichweite der Wahrnehmungsinstanz, vgl. Abschnitt 3.3) ggf. noch gesteigert werden.
Der gezeigte ›Classifier‹ demonstriert die Funktionalität der ›Feature‹-Konzeption und der automatischen Klassifikation von Settings und Mentions. Mit einem ›-Score‹ (›Micro‹ und ›Macro‹) sowie einer ›Accuracy‹ von 0.78 kann ein valides Ergebnis präsentiert werden, das die ›Accuracy‹ der ›Mehrheits-Baseline‹ deutlich übertrifft. Derzeit handelt es sich um einen ›Classifier‹, der nur für eine Teilaufgabe der vorgestellten Operationaliserung geeignet ist (Aufgabe II: Klassifikation der Handlungsrelvanz) und der auf einem kleinen Datenset trainiert wurde. Da zentrale ›Features‹ aus annotierten Daten extrahiert wurden, kann der ›Classifier‹ derzeit nicht auf unbekannte Daten (außerhalb des DROC-Korpus) angewandt werden, sodass keine Aussage zur Generalisierbarkeit des Modells möglich ist. Der ›Classifier‹ dieser Pilotstudie soll vorrangig die Funktionalität des konzeptionellen Ansatzes demonstrieren und müsste für die breite Anwendung weiterentwickelt werden.
In einem nächsten Schritt sollte der ›Classifier‹ zur Erkennung der Raumentitäten (Aufgabe I) erweitert und ein größerer Datenbestand annotiert werden. Bei der Zusammenstellung eines umfassenden Annotationskorpus gilt es, die Ausgeglichenheit von Kriterien wie Publikationsjahr, Geschlecht der*des Autors*Autorin, Erzählperspektive und Textgattung zu beachten. Eine umfangreichere Annotation könnte zudem in ein festgelegtes Trainings-, Development- und Test-Set aufgeteilt werden, auf denen die Generalisierbarkeit des ›Classifiers‹ besser einschätzbar ist. Es gilt dann auch, die hier bereits konzeptionell vorgedachten ›Erzählebenen‹ bei der Textauswahl zu berücksichtigen. Vielversprechend erscheint hierfür die Integration maschineller Verfahren, die im Kontext des zur ›Erzählebenen‹-Erkennung angestrebten computationellen ›Shared Tasks‹ zu erwarten sind. Weiterhin sollte bei der Entwicklung des ›Classifiers‹ auf ›Features‹ zurückgegriffen werden, die einen größeren Kontext als die direkte Satzumgebung einbeziehen. Zudem ist neben traditionellen ›Machine-Learning‹-Modellen auch die Verwendung von ›Deep-Learning‹-Verfahren erstrebenswert.
Bereits anhand der Analyse der (Teil-)Annotation der fünf Romane aus dem DROC-Korpus zeigen sich Tendenzen zur Verwendung der Settings in diesen Texten: So lernt der in Abbildung 6 dargestellte ›Decision-Tree‹ anhand der Verteilung von Settings in direkter und indirekter Rede, dass Figuren offensichtlich öfter über Settings sprechen, während in der Rede der ›Erzählinstanz‹ häufiger Mentions vorkommen. Innerhalb der Literaturwissenschaft kann ein finaler ›Classifier‹, der sowohl die Erkennung der Raumentitäten sowie deren Setting-Klassifikation bewerkstelligt, auf umfassende Korpora angewandt werden und spezifische, literaturtheoretische Beobachtungen in einer großen Textmenge verifizieren. Dabei können diachrone Entwicklungen zur Verwendung von Raumentitäten und Settings sichtbar gemacht und ein literaturgeschichtlicher Wandel ihrer Verwendung in einer Longue-durée-Perspektive herausgearbeitet werden. Im Rahmen der ›Digital Humanities‹ wären Tools zur explorativen Darstellung von Settings denkbar, zum Beispiel in Form von Übersichten von Handlungsräumen über einzelne Kapitel oder der Geovisualisierung von Reiserouten einzelner Figuren.
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Olaf Grabienski
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Olaf Test
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