Cordula
Lemke
Berlin

Robert Burns. Autor ohne Werk?

Robert Burns ist in der britischen Literatur ein ganz besonderes Phänomen. Er wird als Nationaldichter des 18. Jahrhunderts gefeiert, der die schottische Identität wie kein anderer geprägt hat. Sein Geburtstag wird als Burns Night jedes Jahr am 25. Januar begangen, und stellt ein veritables Fest von Scottishness dar. In ritueller Abfolge wird zu Dudelsackklängen und Burns’ Gedicht »Address to a Haggis« das schottische Nationalgericht, der Haggis, angeschnitten und mit viel Whisky verspeist, weitere Gedichte rezitiert und der Abend mit einem Ceilidh, einer schottischen Tanzveranstaltung, beschlossen. Auch wenn Tartanröcke und Kilts als traditionelle Kleidungsstücke der Highlands nicht notwendig etwas mit Robert Burns zu tun haben, so sind sie doch häufig Teil der Schottlandnostalgie, die mit der Burns Night aufgerufen wird. Robert Burns gilt vielen als Ikone einer generellen Scottishness, deren kulturelle Klischees Schottland vereint. Im Gegensatz zu seiner kulturellen Zentralität als Popikone sind Burns’ Gedichte weniger kanonisch und werden generell von der Forschung der Romantik erstaunlich oft ignoriert. Hier scheint der Autor weitaus zentraler als sein Werk zu sein. Im Folgenden möchte ich untersuchen, wie es zu dieser Diskrepanz zwischen allgegenwärtiger Autorfigur und wenig rezipiertem Werk kommen konnte.

Widerständige Dichtung

Für die Forschung stellt sich Burns als ungemein widerspenstiger Gegenstand dar. Jeder Versuch, ihn zu fassen und in einigermaßen einheitliche Interpretationen zu gießen, ist zum Scheitern verurteilt. Sein viel beschworener folkloristischer Stil, der auch als Vorläufer naturalistischen Schreibens beschrieben wird,1 wird unterlaufen von einer stilistischen Vielfalt, die zwischen Burns’ Heimatdialekt, der in Ayrshire gesprochen wird, einem stark stilisierten Scots und langen Passagen in Standard English changiert.2 Es ist also bemerkenswert, dass seine Verwendung von Folkloristischem und Dialekt weniger kohärent ist, als seine Leser es sich wünschten. Er scheint seine Leser immer wieder aufzurufen, seine Verwendung von Sprache kritisch zu betrachten, indem er eine überraschende Pluralität von Varietäten anbietet. Wie Murray Pittock feststellt: »The bardic voice then turns to mediate between the enlightened spectator who thinks only in abstract Scots English […] and the peasant farmer who intensely realizes the compassionate moment in the fellowship of autochthonous speech […]«.3 Diese klare Trennung zwischen unterschiedlichen Sprecherfunktionen lässt sich in einigen Gedichten, wie beispielsweise »The Vision«, nachvollziehen. Häufig verwendet Burns unterschiedliche Varietäten jedoch ironischer, indem er mit gesellschaftlichen Registern spielt; eine Strategie, die Pittock in »To a Mouse« als politisch subversiv versteht.4 Doch auch diese Einschätzung lässt sich nur in Einzelfällen bestätigen. Burns allumfassende Ironie verdammt jeden Versuch einer Festlegung zum Scheitern.

Ähnlich schwierig ist es, Burns’ Themen zu bestimmen. Sein Themenspektrums rangiert vom Schicksal eines Gänseblümchens über Zahnschmerzen, den unverblümt erotischen Zeilen von »Nine Inch Will Please a Lady«, der satirischen Kritik an religiöser Überheblichkeit in »Holy Willie’s Prayer«, dem in keiner Weise ironischen sondern hochmoralischen Anspruch von »Humanity. An Ode«, bis zu seiner Verehrung von Miltons Satan in »Address to the Deil« oder seinem Spiel mit Shakespeares satirischem Blazon in »Yon Wild Mossy Mountains«. Auch seine politische Ausrichtung bereitet der Forschung immer wieder Kopfzerbrechen: Seine Unterstützung der unteren Schichten in »To a Mouse« als Manifest gegen die Idee des improvement5 steht neben einer sehr ambigen Einstellung zur Sklaverei etwa in »A Man’s a Man for a’ That«6 und Burns’ Feiern jakobitischer Kräfte in nationalistischen Liedern wie »Robert Bruce’s Address to his troops at Bannockburn«, bekannter unter dem Titel »Scots Wha Hae«. Je nach Gedicht lässt er sich dem rechten oder linken Spektrum zuordnen.7

Die Unmöglichkeit, eine vereinheitlichende Tendenz seines Werkes aufzuzeigen, oder auch nur eine Entwicklung nachzuzeichnen, hat Forscher immer wieder erstaunt. Murray Pittock hat in einem Aufsatz von 2009 das Problem schon in seinem ersten Satz angesprochen: »What was Robert Burns?«8 Pittock schließt eine Liste von über zehn binären Zuschreibungen an vom bourgeoisen Vorbild oder kommunistischen Vorkämpfer, subversiven Querdenker oder unbeschwertem peasant poet, hin zur Frage, ob Burns denn eher ein schottischer Nationalist war, oder dem britischen Unionism anhing. Populäre Zuschreibungen wie ›Casanova‹9 oder ›Ecowarrior avant la lettre‹10 hat er dabei sogar ausgelassen. Und Pittocks Liste ist bei weitem nicht die erste und einzige ihrer Art. Vielen Burnsforscher ist es ein Bedürfnis, auf die vielen unterschiedlichen Interpretationen der Vorgänger hinzuweisen, bevor sie schließlich mit ihrer eigenen aufwarten.

Der Wunsch, eine Liste an Burnsschen Ambiguitäten zu erstellen, kann vielleicht als Reaktion auf die frühe Burnsrezeption gesehen werden, die direkt nach seinem Tod 1796 begann, ein Bild von Burns zu schaffen, das notwendig den Moralvorstellungen der Zeit entsprach und weniger in Auseinandersetzung mit seinen Gedichten entstand. Schon im Jahr 1800 hat James Curry einen biographischen Entwurf vorgelegt, der das wohlbekannte und nach wie vor kurrente Bild von einem sehr patriotischen Robert Burns als aufgeklärtem peasant poet zeichnete. 1882 hat sich John Nichols in seiner Biographie bemüßigt gefühlt, dieses Bild, das den Wünschen der Mittelschichte entsprach, zu revidieren, indem er auf Burns’ sexuelle Eskapaden und seinen Alkoholkonsum hinwies.11 Daraufhin hat John DeLancey Fergusson schon 1939 in seiner bahnbrechenden Biographie die grundlegende Frage gestellt: »What sort of a man was Robert Burns?«12 Sein Ansatz fordert die strikte Trennung zwischen dem Menschen Burns und seinem Bild: »In one respect at least my preparation for writing about Burns is unique. Most editors and biographers have either been bred in the rosy mists of the Burns legend or have worked their way back to the original records through a mass of secondary printed matter.«13 Er selbst hat versucht sich einen Weg durch den Dschungel des Burns-Mythos zu bahnen, indem er Burns’ Briefe einer intensiven Lektüre unterzog. Seine Biographie wurde zum Referenzwerk, da sie versprach, Burns aus den Untiefen der mythischen Verehrung zu befreien, und ihn in den gesellschaftlichen Kontext seiner Zeit einbettete.

DeLancey Fergussons Ansatz bereitete den Weg für eine Vielzahl an kritischen Betrachtungen des Burns-Mythos: so stellt beispielsweise John Ross Campbell 1991 fest, dass Burns unmöglich zur Schicht der einfachen Bauern gehören konnte, da seine finanzielle Situation eindeutig der eines Landbesitzers entsprach,14 und George Scott Wilkie konstatiert 2005, dass Burns Sexleben nicht ungewöhnlich für seine gesellschaftliche Stellung zu seiner Zeit war.15 Dennoch können nicht alle Unstimmigkeiten mit dem Verweis auf den historischen Hintergrund geklärt werden. So gibt auch Wilkie zu bedenken, dass Burns’ Werk auch nach der Kontextualisierung kein einheitliches Frauenbild aufweist.16 Und Liam McIlvanney erinnert sowohl Leser als auch Forscher 2002 in seiner bahnbrechenden Monographie Burns the Radical daran, dass es sich bei Burns um einen Dichter und nicht um einen Philosophen handelt, weshalb die Frage nach der Stringenz des Arguments sich eigentlich nicht stellen sollte.17 Schlussendlich kann jedoch auch McIlvanney nicht auf ein vereinheitlichendes Element in Form von politischem radicalism in der Vielfalt der Burnsschen Gedichte verzichten – und legt einen weiteren Baustein für den Burns-Mythos vor.

Dieser Mythos wurde schon in den 1940er Jahren von dem überzeugten schottischen Nationalisten Edwin Muir in seinem Essay »The Burns Myth« untersucht. Muir schreibt: »He is a myth evolved by the popular imagination, a communal poetic creation. He is a Protean figure; we can all shape him to our own likeness, for a myth is endlessly adaptable.«18 In Muirs Augen wurde Burns zu einer überlebensgroßen Projektionsfläche für eine Vielzahl an unterschiedlichen Agenden. Muir legt also einen rezeptionsästhetischen Ansatz vor, nachdem die Leser das Bild von Robert Burns, dem Menschen, formen, das sie dann wiederum auf seine Gedichte projizieren. Die Liste der Charakteristika, die Burns immer wieder zugeschrieben werden, sagen also, wie auch Muir feststellt, mehr über den Leser als über das Objekt seiner Lektüre aus. Dennoch besteht Muir darauf, dass der Einfluss gegenseitig ist: »He moulds their thoughts and they mould his, too, sometimes long after he is dead. They make current a vulgarized image of him, and a vulgarized reading of his poetry; they take him into their life, but they also enter his; and what emerges as the popular picture is a cross between them.«19 Auch wenn Muir hier mit seiner Einschätzung der Vulgarisierung natürlich stark wertet, vertritt er schon in den 40er Jahren die These des wechselseitigen Einflusses von Autor und Leser. So kann Corey Andrews dann auch 2014 in seinem Buch The Genius of Scotland feststellen, dass Burns zum Ort der kulturellen Produktion geworden ist. Im Laufe der Jahre wurde Burns also zum Verhandlungsort unterschiedlicher Legenden, die Andrews im Gegensatz zu Muir jedoch auch auf den Einfluss von Burns’ Gedichten zurückführt. Er zeichnet ein Bild von Robert Burns, das aus einem unentwirrbaren Text aus assoziativ verwendeten Gedichtstellen, biographischen Details und Leserprojektionen besteht.20

Burns als schottische Ikone

Muir wie auch Andrews extrahieren aus dieser Gemengelage schließlich Burns’ besonderen Status als Ikone. Obwohl Muir im Gegensatz zu Andrews den Geniebegriff im Zusammenhang mit Burns vermeidet, operiert er dennoch mit dem Konzept, wenn er auf Burns’ singuläre Position verweist: »The myth is unlike the man; but the man was its basis, and no other could have served. No other writer has said so fully and expressly what every man of his race wanted him to say; no other writer, consequently, has been taken so completely into the life of the people.«21 Muir befüttert hier den Mythos von Burns als ›man of the people‹, der in seiner gesamten Durchschnittlichkeit genau das auszudrücken vermag, was der viel beschworene Mann auf der Straße fühlt.

In Muirs Version des Burns-Mythos wird Burns zum universellen Genie, das jeden anspricht und das für jeden etwas bereit hält: »His poetry embodied the obvious in its universal form, the obvious in its essence and its truth, the discovery of which is one of the perennial surprises of mankind.«22 Dennoch gibt es bei Muir eine Einschränkung: Burns spricht nicht zur gesamten Menschheit, sondern der kleine Zusatz »every man of his race« verweist auf Muirs Agenda. Burns ist ein durch und durch schottischer Schriftsteller. Sein inklusiver Charakter bezieht sich also nicht notwendig auf die gesamte Menschheit, sondern auf die gesamte schottische Menschheit in allen Schattierungen; auf die intellektuellen Liebhaber von Dichtung wie auch die Arbeiter auf den Höfen, die abends im Pub Burns Lieder singen und Burns in Muirs Worten vulgarisieren. Und auch wenn Muir diese Funktion von Burns als kultureller Ikone lamentieren mag, so muss er dennoch feststellen, dass der Burns Mythos ein intrikates Gebilde ist, das mehr beinhaltet als nur Burns’ Gedichte und Biographie. Wie Muir bedauernd konstatiert: »When we consider Burns we must therefore include the Burns Night with him, and the Burns cult in all its forms.«23 Burns ist eben nicht nur ein gefeierter Autor, sondern eine ebenso gefeierte populäre Ikone. Seine Verehrung nimmt einen integralen Platz ein in der anhaltenden kulturellen Produktionsmaschinerie, die Burns als Dichter und als Mensch in stetig neuen Schattierungen hervorbringt. Daher kann die Interpretation seiner Gedichte nicht mehr von Burns’ kultureller Funktion entkoppelt werden. Er ist immer mehr als sein Werk und sein Werk kann ohne den Mythos kaum rezipiert werden.

Dabei hat sich die Aufmerksamkeit mittlerweile zugunsten seiner ikonischen Funktion verlagert: Burns gilt landläufig ausschließlich als unumstößliche Ikone für schottische Identitätskonstruktion. Sogar ein Filmemacher wie Ken Loach verwendet Burns’ Lieder in seinem Film »Ae Fond Kiss« von 2004, um Scottishness zu beschwören. Am Ende seines Films finden sich eine irische Lehrerin und ein indischstämmiger Schotte gegen alle familiären Hemmschwellen und versuchen ihr Glück als Paar. Dabei lässt Loach vollkommen außer Acht, dass Burns’ Lied »Ae fond Kiss«, das den Film sozusagen mit einer Dudelsackquinte unterlegt, ein weniger glückliches Ende nimmt. Im Lied erhofft der Sprecher sich einen letzten Kuss, bevor er sich endgültig von seiner Liebe verabschieden muss – »Ae fond kiss, and then we sever! / Ae farewell, Alas, for ever«;24 eine Wendung, die jedoch nicht in das Schottlandbild des Films zu passen scheint. Und so verkommt das Lied in Loachs Film letztlich zu einem hingeleierten Beitrag in einem Gesangswettbewerb der Schule, für den es den Film hindurch geübt wird. Der Film bekräftigt also Burns ikonischen Status, der ihn vollkommen unabhängig von den Themen seiner Dichtkunst zum Marker für das Schottische macht. Burns, die Ikone, erfüllt hier eine atmosphärisch emotionale Funktion von Schottlandnostalgie, die seinem Lied inhaltlich sogar zuwiderläuft.

Diese Tendenz zeigt sich jedoch nicht nur in den kulturellen Produktionen des Engländers Loach, von dem man vermuten könnte, dass er letztlich wenig Interesse an dem Schottland hat, für das Burns in seinem Gedicht wirbt. Diese Tendenz zeigt sich auch in dem Umgang der Schotten selbst mit ihrer Nationalikone. So stimmt beispielsweise die Gegenwartsschriftstellerin Janice Galloway in Muirs Lament ein, wenn sie sich an den Umgang mit Burns an ihrer Schule erinnert. Auch dort war Burns in der Regel nur Gegenstand von schulischen Rezitationswettbewerben:

Then a pre-teen during the sixties in post-Bard Ayrshire, my Burns was 1) local; and 2) who you did once a year for the school poetry competition whether you liked it or not. The verb ›do‹ is fitting, since he was not so much read as mumbled through or roared with odd inflections in front of a whole class assembly. A verse or two of half-understood »To a Mountain Daisy« (served up as a ditty about a flower), »To a Haggis« (served up as serious) or something in Lallans were standard fare. I remember tears and forgettings and trauma, teachers in ecstasies or despair at the fate of their favourites. But I do not remember much of meaning. There was a general pretence we knew what was going on in the poems or that it didn’t matter. Burns, like Shakespeare before him and to the same resentful effect, was shoddily taught, reduced, hog-tied, compulsory.25

Wie schon in Loachs Film steht Burns für schottische Identität, ohne dass seine Gedichte interpretativ zur Kenntnis genommen werden. Und wo seine Dichtung im Mittelpunkt steht, ist der Name des Dichters in der Regel absent. So ist Burns’ Version des Volksliedes »Auld Lang Syne« mittlerweile zur inoffiziellen schottischen Nationalhymne avanciert oder wird weltweit in vielen unterschiedlichen Sprachen gesungen (unter anderem in Klingonisch),26 ohne dass Burns Name jemals fällt. In Japan wird das Lied in Supermärkten als Feierabendlied gespielt27 und die Universität Glasgow blickt stolz auf einen Eintrag im Guiness Buch der Rekorde, nachdem Studierende das Lied gleichzeitig in 41 Sprachen gesungen haben.28 Generell scheint sich Burns für Rekorde anzubieten, wenn es beispielsweise darum geht, die Burns Night an immer entlegeneren Orten zu feiern, wie dem höchsten Berg.29 Bei dieser Begeisterung für immer neue Burns-Rekorde scheint es, als habe Burns, die Ikone, nicht seine Dichtung mittlerweile einen festen Platz im Kanon der Weltliteratur gefunden.

Für eine schottische Ikone mit widerständigem Werk

Es ist auffällig, dass Burns selbst nicht unbeteiligt an der Produktion des Burns-Mythos war. In seinen Gedichten zeigt sich, dass der Mythos nicht nur ein Konstrukt der konzertierten Anstrengungen von Lesern und Kritikern ist. Burns selbst war ein gewichtiger Akteur in der Mythenbildung. Er arbeitete trotz seines ambigen Verhältnisses gegenüber der Schottlandpolitik seiner Zeit von Anfang an an seinem Ruf als ›peasant bard‹ oder ›Scottish bard‹.30 Es gibt eine Reihe von Gedichten, in denen er sich als Barde Schottlands stilisiert, wie beispielsweise in »The Vision«, wo die Leser zu Zeugen der Inauguration eines Barden werden: hier wird der Sprecher des Gedichts von der schottischen Muse als Barde eingesetzt, nachdem er sich kurz zuvor in biographischen Anspielungen auf Burns selbst ergangen hat.

Aufgrund von Burns’ eigener Mythenproduktion soll abschließend noch einmal Murray Pittocks Frage »What is Burns?« auf seinen Lösungsvorschlag des Dilemmas von einer Werkinterpretation der Popikone Burns hin betrachtet werden. Zu Beginn seines Essays reformuliert Pittock DeLancey Fergussons berühmte Frage »What sort of a man was Robert Burns?« in »What was Robert Burns?« Er stellt hier die Frage nach dem Diskursraum, den dieser Autorenname eröffnet. Dadurch kann Pittock sowohl Fragen nach biographischer Mythenbildung, die Edwin Muir noch anprangert, in seinen Ansatz einbeziehen wie auch Perspektivenwechsel der Rezeptionsseite. Pittock ruft also zu einem neuen Umgang mit Burns auf, der den Mann, den Mythos und das Werk gleichermaßen berücksichtigen soll. Denn wenn Burns selbst nicht differenziert und davon absieht den Schriftsteller vom Text zu trennen, indem er mit seiner Autorfigur spielt, dann sollte nach Pittock die Forschung dieses Spiel berücksichtigen.

Pittock plädiert also für den Konnex von Autor und Werk, wenn er feststellt, dass Burns’ Gedichte unterschiedliche Agenden bedienen, die nicht selten durch den Verweis auf biographisch-mythische Konstrukte untermauert wurden. Es ist also im Fall von Burns geradezu unmöglich, den Menschen vom Werk zu trennen. Wie Pittock treffend feststellt: »At the same time, if Burns scholarship must spread so must Burns suppers, because Burns is not only a great romantic poet but an ambassador of Scottish culture«.31

Burns bleibt also der wohl wichtigste Vertreter einer wie auch immer gearteten schottischen Identität. Und wenn Burns für den Mythos sorgt, so sorgt die Forschung dafür, dass mittlerweile nicht mehr nur Burns der Mensch Teil der Weltliteratur ist, sondern auch Teile seines wenn auch widerständigen Werks wieder genauer in den Blick genommen werden. Dabei handelt es sich um einen ausgewählten Kanon von Burns’ Gedichten, der, wie mittlerweile in Diskussionen zur Weltliteratur allgegenwärtig, die Weltpolitik mindestens genauso im Blick hat, wie den Goetheschen Wunsch nach einer ästhetisch begründeten »Weltcultur«.32 Die Besonderheit bei Burns dem Menschen, Autor und Werk ist jedoch, dass nicht allein sein Werk sondern auch die Hydraköpfe des Burns-Mythos Teil der Weltliteratur sind. Sie sind es, die die Rezeption steuern und den Kanon seines Werkes festlegen.

Die Frage, ob Burns ein Autor ohne Werk ist, verlangt also schlussendlich nach einer komplexeren Antwort als die einfache Bejahung oder Verneinung. Auch wenn sein Mythos die Rezeption seines Werkes zu überschatten scheint, so spielen doch immer beide Faktoren, Autor und Werk, ineinander. Einerseits ist die Betrachtung des Werkes ohne den Mythos nicht denkbar, da der Mythos als Katalysator der Werkrezeption dient. Andererseits lebt der Mythos davon, dass Burns’ Gedichte, wenn auch geleiert als Wettbewerbsbeitrag oder nostalgisch zur Burns Night, als performatives Denkmal in iterativer Weise immer neu auf die Lebendigkeit des Mythos verweisen, wobei das Werk die Dominanz der Autorfiktion jedoch weiterhin unterstützt.

Literatur- und Medienverzeichnis

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YOUNG, John: Robert Burns. A Man for All Seasons. The Natural World of Robert Burns. Aberdeen 1996.

  • 1. Vgl. Murray Pittock: »Introduction: ›The mair they tak, I’m kend the better‹: Burns and Europe«. In: Murray Pittock (Hg.): The Reception of Burns in Europe. London 2014, S. 1–7, hier S. 6. Auch Eleoma s Reception of Burns in Europe. London 2014, S. 33–54, hier S. 54.
  • 2. Vgl. Murray Pittock: Scottish and Irish Romanticism. Oxford 2008, S. 148.
  • 3. Murray Pittock: »Nibbling at Adam Smith«. In: Johnny Rodger u. Gerard Carruthers (Hg.): Fickle Man. Robert Burns in the 21st Century. Dingwall 2009, S. 118–131, hier S. 128.
  • 4. Ebd., S. 130.
  • 5. Vgl. ebd., S. 152.
  • 6. Nigel Leask: »Burns and the Politics of Abolition«. In: Gerard Carruthers (Hg.), The Edinburgh Companion to Robert Burns. Edinburgh 2009, S. 47–60, hier S. 57.
  • 7. Colin Kidd: »Burns and Politics«. In: Gerard Carruthers (Hg.), The Edinburgh Companion to Robert Burns. Edinburgh 2009, S. 61–73, hier S. 61.
  • 8. Pittock: »Nibbling at Adam Smith« (Anm. 3), S. 118.
  • 9. George Scott Wilkie: Robert Burns and the Lassies. Glasgow 2005, S. VIII.
  • 10. John Young: Robert Burns. A Man for All Seasons. The Natural World of Robert Burns. Aberdeen 1996, S. XVI.
  • 11. Nigel Leask: »Across the Shadow Line. Robert Burns, Scottish Romanticism and the English Canon«. In: Ders. u. Alan Riach: Stepping Westward. The Inaugural Lectures of Professor Nigel Leask, Regius Chair of English Literature and Language, and Professor Alan Riach, Chair of Scottish Literature, the University of Glasgow. Glasgow 2008, S. 9–47, hier S. 25, 32.
  • 12. John DeLancey Ferguson: Pride and Passion. Robert Burns 1759-1796. New York 1939, S. V.
  • 13. Ebd., S. VIf.
  • 14. J.R. Campbell: Robert Burns the Democrat. Coleford 1991 [1945], S. 3.
  • 15. Wilkie: Robert Burns and the Lassies (Anm. 9), S. VIII.
  • 16. Ebd., S. IX.
  • 17. Liam McIlvaney: Burns the Radical. Poetry and Politics in Late Eighteenth Century Scotland. East Linton 2002, S. 4.
  • 18. Edwin Muir: »The Burns Myth«. In: William Montgomerie (Hg.): Robert Burns. Essays by six contemporary Writers. Glasgow 1947, S. 5–12, hier S. 5f.
  • 19. Ebd., S. 9.
  • 20. Corey E. Andrews: The Genius of Scotland. The Cultural Production of Robert Burns, 1785-1834. Leiden 2014, S. 27.
  • 21. Muir: »The Burns Myth« (Anm. 18), S. 6.
  • 22. Ebd., S. 9.
  • 23. Ebd., S. 8.
  • 24. Burns, Robert: »Ae Fond Kiss«. In: Ders.: The Canongate Burns. The Complete Poems and Songs of Robert Burns. Hg. v. Andrew Noble u. Patrick Scott Hogg. Edinburgh 2001, S. 375, 21–22.
  • 25. Janice Galloway: »Singing for Suppers«. In: Kirsty Gunn u. Anna Day (Hg.): For A’ That. Dundee [ohne Jahr], S. 8–14, hier S. 10.
  • 26. Boyd Banes: Robert Burns Night. A freestyle guide. Glasgow 2013, S. 83.
  • 27. Frances Jarvie u. Gordon Jarvie: Robert Burns in Time and Place. Edinburgh 2010, S. III.
  • 28. Banes: Robert Burns Night. A freestyle guide (Anm. 26), S. 82.
  • 29. F. Jarvie u. G. Jarvie: Robert Burns in Time and Place (Anm. 27), S. III.
  • 30. Andrews: The Genius of Scotland. The Cultural Production of Robert Burns, 1785-1834 (Anm. 20), S. 27.
  • 31. Pittock: »Nibbling at Adam Smith« (Anm. 3), S. 119.
  • 32. Vgl. David Damrosch: What is World Literature? Princeton 2003, S. 118, und Johann Wolfgang Goethe: »Neueste Deutsche Poesie«. In: Ders.: Sämtliche Werke. Bd. 22: Ästhetische Schriften, 1824-1832. Über Kunst und Altertum. Hg. v. Anne Bohnenkamp. Frankfurt / M. 1999, S. 382f., hier S. 383.

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