Dietrich
Scholler
Mainz

Wege und Formen der Mediensatire am Beispiel des Portals ›Le Gorafi‹

Facebook und der Satire-Tag

Bei der Fußballweltmeisterschaft im Jahr 2014 meldete die Satirenachrichtenwebsite Der Postillon nach dem Halbfinale-Sieg Deutschlands gegen Brasilien (7:1), ein Kneipenwirt stehe vor dem Ruin, da er versprochen habe, für jedes deutsche Tor eine Runde Schnaps zu spendieren. 62 Gäste lägen mit Alkoholvergiftung im Krankenhaus, außerdem habe sich der Wirt vom Ausschenken eine Sehnenscheidenentzündung zugezogen. Der russische Staatssender Rossija 24 übernahm das als Tatsachenbericht, andere osteuropäische Medien zogen nach. Bei der Verbreitung von Neuigkeiten und Berichten über das Internet ist Validität und Ernsthaftigkeit der berichtenden Quelle schwierig abzuschätzen. Printberichte sind wortwörtlich untrennbar an die publizierende Institution gebunden, digitale Veröffentlichungen jedoch können eine Eigendynamik erhalten und verbreiten sich unkontrolliert, zum Beispiel über die Seiten sozialer Netzwerke wie Facebook. Um solchen Fehlinterpretationen in Zukunft vorzubeugen, soll Satire bei Facebook für jeden klar erkennbar gemacht werden. Seit August 2014 experimentiert die Plattform damit, Artikel von Seiten wie der US-Satire-Zeitschrift The Onion mit dem Hinweis »[Satire]« zu versehen:

Abb. 1: Satire-Tag auf den Seiten des sozialen Netzwerks Facebook.

Die Warnung soll aber nur bei solchen Vorschlägen erscheinen,1 die keine Verlinkungen auf externe Inhalte sind, sondern Beiträge bewerben, die original auf Facebook erstellt wurden. Verlinkte Artikel von Nutzern oder Beiträge wie auf der Facebook-Seite von The Onion enthalten ihn nicht. Nur die weiterführenden Links in der Box »Ähnliche Artikel« erhalten fortan in den USA die Satire-Warnung. Auch wenn der Satirevermerk vorerst nur auf den US-Seiten von Facebook angebracht wird, entwickelte diese scheinbar randständige Nachricht mitten im Sommerloch des Jahres 2014 rund um den 18. August eine unerwartete Dynamik. In Frankreich und der Frankophonie, aber auch in Deutschland löste die unscheinbare Notiz ein mittleres Medienbeben aus. Der Journalist François Jost überschrieb aus diesem Anlass seinen Artikel in der Webausgabe des Nouvel Observateur mit der Schlagzeile »Facebook veut contrôler les articles satiriques: c’est à nous d’avoir un regard critique«,2 womit schon klar sein dürfte, was man im Land Voltaires von dieser Operation hält.3 Aber auch das frankokanadische Webmagazin Journalmétro zeigte sich im Hinblick auf den Satire-Tag skeptisch. Nachdem der Journalmétro-Journalist Vincent Abry die Nachricht in neutralem Duktus referiert hat, beendet er seinen Artikel mit dem Hinweis auf ein fingiertes Interview des Regisseurs George Lucas, aus dem folgende Passage zitiert wird: »Les événements dépeints dans Star Wars me sont vraiment arrivés – témoigne George Lucas«.4 Die Facebook-Aktion wird also kommentiert, indem man als seriöses Nachrichtenmagazin selbst zum Mittel der Satire greift. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schließlich stellte Ursula Scheer eine Reihe rhetorischer Fragen, die naturgemäß nicht beantwortet werden müssen: »Nach welchen Kriterien sortiert das niedliche Programm die Welt in ernst und komisch? Folgt der totale Netzwerkausfall, wenn es auf etwas Tragikomisches trifft? Oder schon bei der Begegnung mit einem weinenden Clown?«5 Aus diesen wenigen, aber repräsentativen Zeugnissen spricht der alteuropäische Geist, der nolens volens seit 2000 Jahren an den Umgang mit satirischen Praktiken gewöhnt ist und dem Bedürfnis nach expliziter Markierung satirischer Inhalte mit völligem Unverständnis begegnet. Auf der anderen Seite steht das Unternehmen Facebook, das vorgeblich im Namen der digital Geborenen spricht, die zum Zwecke der besseren Orientierung angeblich eine solche Markierung gefordert haben sollen.

Ich möchte die aus der Sicht von Sprach- und Literaturwissenschaftlern merkwürdig anmutende Aktion des Hauses Facebook zum Anlass nehmen, um zunächst einige grundlegende Gedanken über die Funktionsweise satirischer Kommunikation anzustellen. In einem zweiten Schritt soll dann untersucht werden, welche Formen der Satire in jüngeren Medienformaten anzutreffen sind. Dabei wird die französische Plattform Le Gorafi im Mittelpunkt stehen. Abschließend soll kurz erörtert werden, wo in etwa das Subjekt des Satirikers im Gefüge aktueller Kommunikationsorganisation anzusiedeln wäre.

Das Satirische als Form ungerader Kommunikation

Sachtexte und Fiktivtexte bestehen zum größten Teil aus Aussagen, die Sachverhalte tatsächlicher oder fiktiver Welten mitteilen, deren kommunikative Verwendung man als ›gerade‹ bezeichnen muss. Zwischen dem Autor eines solchen ›geraden‹ Textes und dem Leser entsteht ein Kontrakt, der eine bestimmte Rezeptionshaltung zur Folge hat. Der Leser geht von einer weitgehenden Übereinstimmung zwischen Gesagtem und Gemeintem aus. Nehmen wir ein Beispiel: Nach dem WM-Sieg der deutschen Fußballmannschaft im Jahr 2014 hängten die Vereinigten Staaten von Amerika ein Plakat vor die Fassade ihrer Berliner Botschaft, um dem deutschen Team zu seiner Leistung zu gratulieren, eine Aktion des guten Willens in schwierigen Zeiten, die auch auf Facebook veröffentlicht wurde.

Abb. 2: Aktion des guten Willens: Die USA gratulieren Deutschland zum WM-Sieg.

Der kommunikative Pakt zwischen Sender und Empfänger ist in diesem Fall eineindeutig. Als Urheber der Äußerung werden die USA genannt, das Gesicht des Adressaten wird durch die größere Schrifttype der deutschsprachigen Gratulation angemessen bedient,6 und auch die Bildersprache ist unmissverständlich: Das Foto zeigt ein Fußballfeld, das von den Nationalflaggen beider Staaten eingerahmt ist. Dabei fällt auf, dass beide Flaggen nicht im Wind stehen, sondern, ganz im Gegenteil, nach unten hängen und sich weich an den linken und rechten Bildrand schmiegen, ein Eindruck, der über den visuellen Sekundärcode mittels Weichzeichner noch verstärkt wird. Auf der US-Spielfeldseite sieht man einen Ball, der sich, so die naheliegende Suggestion, womöglich Richtung deutscher Spielfeldseite bewegt, was als Visualisierung der Metapher vom Ballzuspiel zum Ausdruck kooperativer Kommunikation interpretiert werden darf, oder, einfacher formuliert: Aha, die USA spielen den Deutschen den Ball zu. Wie man sieht, handelt es sich bei ›geraden‹ Sachtexten oder Bildern stets um ideologische Selektionen. Demgegenüber funktioniert das Satirische als Gegenselektion, was ich gern an folgendem Beispiel erläutern möchte. Auf nachstehendem Foto wird dieser Kontrakt gestört:

Abb. 3: Satire: Die N.S.A gratuliert zum deutschen WM-Sieg (Fälschung).

Es handelt sich um die Fotomontage eines pfiffigen Zeitgenossen, die Letzterer wenige Tage später auf der Kommunikationsplattform Twitter publizierte. Durch eine minimale paradigmatische Ersetzung – »NSA« statt »USA« – wird die ›gerade‹ Kommunikation unterminiert und gestört. Die feste Verbindung zwischen Gesagtem und Gemeintem wird brüchig und ist zumal im Hinblick auf das Postskriptum ein Indiz für das Vorliegen einer Implikatur, was beim Adressaten zu einer Anpassung der Rezeptionseinstellung führen müsste. Da Satire immer auf extratextuelle Realumstände abzielt, die aber nicht direkt benannt werden, haben wir es mit einer Bezugsfeldverlagerung zu tun. Auf den ersten Blick wird der Sieg der deutschen Fußballmannschaft thematisiert, aber durch den Austausch des Gratulanten spielt die Fotomontage auf einen politischen Skandal an, der das deutsch-amerikanische Verhältnis in der jüngeren Vergangenheit schwer belastet hat.

Andreas Mahler erläutert den Akt der ungeraden Kommunikation in seiner Satiretheorie im Rückgriff auf die Grice’schen Kommunikationsmaximen.7 Demnach verstößt satirische Rede in der Regel gegen mindestens eine der Maximen von der Quantität (adäquate Beitragslänge), der Qualität (Wahrheit), der Relevanz (beim Thema bleiben) oder der Modalität (Vermeidung von Mehrdeutigkeit und Weitschweifigkeit). Das heißt, satirische Kommunikation liegt immer dann vor, wenn gerades Sprechen zum Ausdruck einer Tendenz sekundär in Dienst genommen wird. Im vorliegenden Fall wird die aufrichtige, breit rezipierte und deshalb hinreichend bekannte Gratulation des nordatlantischen Partners für ein anderes Bezugsfeld funktionalisiert, und zwar über den Modus der Implikatur. Um noch einmal mit Mahler zu sprechen: »Der satirische Text tut zunächst so, als ob er wie ein Sachtext bzw. Fiktivtext wahrgenommen werden könnte, bis er diese Rezeptionsmöglichkeiten aufgrund übermächtig werdender textinterner oder textexterner Evidenzen zum Kippen bringt.«8 Im vorliegenden Fall wird schon auf textexterner Ebene eine entsprechende Einstellung auf Seiten des Rezipienten vorbereitet, nämlich durch paratextuelle Signale wie zum Beispiel die Nennung der unkonventionellen Quelle: »twitter.com/McAtze«.9 Twitter ist eine Jedermann-Plattform, und die schottisch-berlinerische Kontamination »McAtze« zur Bezeichnung des Urhebers dürfte einschlägig sein. Wird doch durch die Kombination heterogener sprachlicher Elemente ein komischer Kontrast indiziert. Zum Kippen gebracht wird der vermeintliche Sachtext dann auf interner Ebene, und zwar spätestens bei der Lektüre des Postskriptums, das in Verbindung mit dem neuen Gratulanten »NSA« eine ingeniöse Implikatur bildet, die auf etwas Mitgemeintes verweist ohne das Mitgemeinte direkt anzusprechen, nämlich auf die skandalösen Abhörpraktiken der National Security Agency. Das heißt, das panegyrische Format »Gratulation per Fassadenplakat« wird scheinbar übernommen, tatsächlich aber transformiert und auf parasitäre Weise für einen geradezu gegenteiligen Zweck funktionalisiert. Mahler bezeichnet diesen Vorgang auch als »intentionale Gegenselektion«.10 Zusammengefasst funktioniert satirische Kommunikation also nach folgendem Schema:

Abb. 4: Schema satirischer Kommunikation nach Andreas Mahler.

Das Nachrichtenportal Le Gorafi

Die Startseite

Im Folgenden stellt sich die Frage, ob die aus dem Diskurs der Literaturwissenschaft stammenden Modelle zur Analyse satirischer Rede auch ohne weiteres auf die Formen aktueller Kommunikationsorganisation anwendbar sind. Ich meine »Ja« und möchte daher die Probe aufs Exempel machen, und zwar am Beispiel des französischen Nachrichten­portals Le Gorafi, das kurz vorgestellt sei.

Abb. 5: Die Startseite des satirischen Nachrichtenportals Le Gorafi.

Le Gorafi könnte man als Pastiche eines Nachrichtenportals bezeichnen. Es wurde im Februar 2002 während der Wahlkampagne zu den Präsidentschaftswahlen gegründet, existierte zunächst als einfacher Twitter-Account, dann als Blog und wurde schließlich im September 2012 in die aktuelle Internet-Plattform verwandelt. Als Vorbild gilt die US-amerikanische Satire-Zeitschrift The Onion. Ähnlich wie in klassischen Nachrichtenportalen werden interaktive Tools bereitgestellt, mit deren Hilfe sich die Leserschaft einschalten kann, vorzugsweise in parodierender, pastichierender oder satirisierender Form, wobei die Regeln der Netiquette nicht eingehalten werden müssen, was sich auf der Ausdrucksseite in bekannten Mustern manifestiert: SMS-Stil, Majuskelgebrauch, gefälschte Trolle wie überhaupt grundsätzlich gefälschte Identitäten. Apropos: Die Identität der Portalbetreiber war bis Anfang 2014 nicht bekannt. Inzwischen haben sich Pablo Mira und Sébastien Liebus in den Medien bekannt gemacht. Nach Angaben des Magazins Les Inrocks wird Le Gorafi 900.000 Mal pro Monat aufgerufen.11 Wie sein bekanntes Vorbild The Onion verdankt Le Gorafi seinen hohen Bekanntheitsgrad der Tatsache, dass immer mal wieder eine ihrer ›Portal-Enten‹ von der seriösen Tagespresse, von bekannten Politikern oder gutgläubigen Bürgern für bare Münze genommen wird. So etwa berichtete die Tageszeitung Le Monde am 28. September 2013, dass die italienische Nachrichtenagentur ANSA eine Meldung des Portals Le Gorafi übernommen habe, die dann am 24. September 2013 im altehrwürdigen Mailänder Corriere della Sera als seriöse Nachricht veröffentlicht wurde.

Abb. 6: Übernahme einer ›Portal-Ente‹ im Corriere della Sera.

Dabei handelte es sich jedoch um eine gefälschte Umfrage, die dem französischen Expertenvolk auf dem Gebiet des amour keine Ehre machte, wohingegen sich der italienische Mann bei der Lektüre dieser Umfrageergebnisse seiner Amore-Kompetenz versichern konnte.12

Kommen wir zurück zum Erscheinungsbild des Nachrichtenportals Le Gorafi. Es sieht einem klassischen Nachrichtenportal oder der Onlineausgabe einer seriösen Tages- oder Wochenzeitung täuschend ähnlich, wird doch das System der Codes und Kanäle quasi eins zu eins imitiert:

  • Der Leser wird mit einer ansprechenden Titelei konfrontiert.
  • Editorial und klassische Rubriken wie »France«, »Monde libre«, »Culture«, »Sciences«, »Sport« werden übersichtlich unter der Dachzeile angeordnet, eine Benutzerführung, die den üblichen Regeln smarter Seitengestaltung entspricht.
  • Eine weitere Zeile ist für die Icons der gängigen Kommunikationsplattformen und Netzdienste wie Facebook, Twitter, RSS-Feeds und Email reserviert.
  • In der traditionellen Gutenberg-Rhetorik verankert ist die Redeweise von »à la une«. Damit wird den Seiten ein klassischer seriöser Anstrich gegeben.
  • Die auf der Startseite versammelten Themen werden der zugehörigen Rubrik zugeordnet, enthalten je ein Foto, einen formattypischen Anreißer sowie einen Link, der zu dem gesamten Artikel führt. So kennt man das von den Online-Ausgaben großer Tageszeitungen.
  • Auch die Sparten »Le plus récent« und »Les Plus Commentés« entsprechen den üblichen diskursiven Praktiken und treffen auf eine digitalmoderne Leserschaft, die mit solchen einschlägigen Formaten vertraut sein dürfte.
  • Nicht zuletzt erwecken die relativ sparsam und durchweg dezent geschalteten Werbeanzeigen den Eindruck eines seriösen Nachrichtenportals.

Summa summarum handelt es sich also um eine professionelle Imitation des Codes von Nachrichtenportalen bzw. Onlineausgaben seriöser Tageszeitungen, womit dem Besucher zunächst einmal ein Kontrakt im Sinne gerader Kommunikation angeboten wird. Aber bei näherem Hinsehen wird die scheinbar seriöse und ernst gemeinte Selektion und Kombination von Sachaussagen über unsere Welt schon auf externer Ebene gestört bzw. einer zweiten Brechung unterzogen und parasitär in Dienst genommen. Titel und Untertitel verweisen auf den altehrwürdigen Figaro, insofern es sich bei dem Titel Le Gorafi um eine Paronomasie handelt. Dabei besitzt schon der Figaro-Verweis Doppelcharakter. Die meisten dürften den Titel mit der bekannten Tageszeitung in Verbindung bringen. Weniger bekannt ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass der Figaro zunächst als unregelmäßig erscheinendes, vierseitiges Satiremagazin gedruckt wurde, und zwar ab dem Jahr 1826, das auch von Le Gorafi als Gründungsjahr angegeben wird. Daneben finden sich auch abseits der Titelei kleinere Störsignale, die den Leser auf eine entsprechende Rezipientenhaltung einstimmen sollten. Im vorliegenden Beispiel etwa eine Notiz in englischer Sprache, die auf die seinerzeit virulenten Unabhängigkeitsbestrebungen in Schottland anspielt: »To our Scottish readers: vote yes, then ask for your unification with France. / Today you will make history. Leaving the UK […].«13

Das Beispiel IKEA-Wettbewerb

Was nun die interne Ebene der einzelnen Meldungen und Artikel angeht, so lassen sich ebendort ähnliche Prinzipien erkennen wie auf der externen paratextuellen Ebene. Ich habe eine Meldung über die Möbelkette IKEA herausgegriffen, weil sie womöglich eine Illustration zu dem Thema der Subjektkonstitution im Zeitalter moderner Medien und Märkte darstellen könnte.

Ein Mann hat diesen Wettbewerb, der darin bestand, einem Möbelstück zu gleichen, sicherlich ein wenig weit getrieben. Die Polizei hat nämlich seinen Körper gefunden, zerlegt in 36 Teile […], ohne jede Möglichkeit ihn wieder zusammenzusetzen, dazu noch eine schwer verständliche Montageanleitung.

Das Möbelhaus hatte zuvor über das Internet einen Wettbewerb ausgeschrieben, demzufolge sich seine Fans in IKEA-Produkte verwandeln sollten. [...] ›Selbst mit der Anleitung bleibt immer ein Teil übrig oder ein Teil fehlt‹, erklärt der Arzt. Nach Aussage der Polizisten, die kurz vor der Aktion durch eine von dem jungen Mann in sozialen Netzwerken geposteten Nachricht alarmiert waren, habe eine Anleitung auf Schwedisch neben dem Körper gelegen. ›Die Zeichnungen sind schwer verständlich. […]beschwert sich ein Gerichtsmediziner, der darauf verzichtet hat, den Körper wieder zu beleben. ›Wir haben gestern um fünf Uhr morgens aufgehört und das Etwas glich einem Nichts und wir hatten einen Fuß und ein Ohr übrig. Und es fehlt die Leber und die linke Schulter.‹

Derzeit versucht die Polizei herauszufinden, ob der junge Mann allein gehandelt hat, um seinen Gewinnerlös zu realisieren. Von Seiten der Familie hört man, dass Sie Druck auf das Möbelhaus ausüben wolle, um den Sieg bei diesem Wettbewerb anerkennen zu lassen.

Die Redaktion14

Kurzgefasst handelt die Meldung von einem IKEA-Wettbewerb in Malaysia, der wohl zum Zwecke der Produktwerbung veranstaltet wird. Die Teilnehmer dieses Wettbewerbs sollen sich in ein IKEA-Möbel verwandeln, was gar nicht so abwegig ist, wenn man bedenkt, dass sich trendige Zeitgenossen auf dem Kölner Karneval z.B. als Barrilla-Nudel-Packung verkleiden. Im vorliegenden Fall nun endet die Möbelverwandlung tragisch, weil sich ein 22jähriger Malaysier dabei in 36 Einzelteile zerlegt hat, die trotz Montageanleitung nicht zusammengefügt werden können.

Wie schon auf der externen Ebene der Eingangsseite, glaubt man es auf den ersten Blick mit einem seriösen Nachrichtenangebot zu tun zu haben, nämlich mit einer Agenturmeldung, oder, besser noch, mit einer Kurznachricht des aktuell verwendeten Providers, ein ubiquitäres Phänomen, das durch die Vermarktung des Internets entstanden ist und daher einen sehr hohen Bekanntheitsgrad besitzt. Sind doch Providerkurznachrichten das Salz im globalen Infotainment, mit denen die gängigen Provider wie GMX, WEB.DE oder T-Online ihre Kunden anlocken, um die meist werbefinanzierten Dienste zu amortisieren. In der IKEA-Nachricht wird der Sachverhalt im ersten Absatz kurz und sachlich zusammengefasst. Daraufhin werden die Hintergründe ausgeleuchtet und einschlägige Experten zitiert, darunter der IKEA-Verantwortliche für das Südostasien-Geschäft, ein Polizist sowie ein Arzt. Die Zitate werden korrekt mit Anführungszeichen versehen und der französischen Konvention entsprechend als fremde Rede kursiv gesetzt. Ein Äußerungssubjekt ist nicht auszumachen, wie überhaupt Spuren subjektiver Parteinahme mit keiner Silbe greifbar sind, was dem Objektivitätsideal des klassischen Journalismus westlicher Prägung in hohem Maße entspricht und damit den ersten Eindruck bestätigt. Da die Nachricht in der Rubrik »Monde libre« publiziert wird, erscheint uns nicht einmal der reißerische Titel abwegig, weil eine solche Rhetorik integraler Bestandteil von Rubriken wie ›Vermischtes‹, ›Aus aller Welt‹, ›Panorama‹ o.Ä. ist.

Die satirische Gegenkonstruktion wird erst auf der internen Ebene der Einzeläußerungen erkennbar. Das aber heißt, dass die allseits bekannten Formate »Agenturnachricht« oder »Providerkurznachricht« zweckentfremdet werden. Das satirische Subjekt betreibt also Mimikry an die herrschenden Dispositive, um diese dann nur umso gründlicher auszuhöhlen und für gänzlich anders geartete Zwecke umzupolen. Im vorliegenden Fall erfolgt das mittels Verstößen gegen die Grice’schen Konversationsmaximen. Verletzt wird die Maxime der Qualität, denn durch die im Text gehäuft auftretenden Übertreibungen wird dem Leser signalisiert, dass die geschilderten Ereignisse vermutlich nicht auf wahren Begebenheiten beruhen. Stattdessen lenkt die satirische Darstellung den Leserblick auf ein anderes Bezugsfeld, das – wie üblich bei guter Satire – nicht direkt benannt, sondern mittels Implikaturen in der ästhetischen Vermittlung allenfalls suggeriert wird. Zunächst einmal verweisen die disiecta membra des jungen Malaysiers in grotesker Weise auf ein global bekanntes Ärgernis, nämlich auf die kryptischen Montageanleitungen des schwedischen Möbelhauses, das noch jeden User mit überzähligen Schrauben zur Verzweiflung bringt und ihn mit blutenden Fingern allein lässt. Darüber hinaus wird der Mythos vom Subjekt als Selfmademan demaskiert. Zwar suggeriert der selbstständige Möbelaufbau à la IKEA auf der Seite der Konsumenten einen Zugewinn an Autonomie, in Wirklichkeit aber geht es im Containerzeitalter um effiziente Lagerung, die nur mittels Outsourcing gewährleistet werden kann, getreu dem Sprichwort »Die Axt im Haus erspart den Zimmermann«. Hinter der Do-it-yourself-Methode stecken also knallharte Konzerninteressen. Schließlich gerät durch die satirische Verzerrung unsere postmoderne condition humaine in den Blick, denn die Geschichte spielt nicht zuletzt auf rezente IKEA-Slogans an: »Bien plus qu’un marchand de meuble!« oder »Vous avez grandi avec nos meubles, nous avons grandi avec vous« oder auch »30 ans de vie commune c’est un bon début«.15 Was haben diese Parolen mit unserer Geschichte zu tun? Nun, in allen drei Slogans möchte IKEA mehr als ein Möbelhaus sein. Damit wird suggeriert, dass der Konzern ein fester, wenn nicht unverzichtbarer Bestandteil unseres Lebens ist. Tatsächlich wird niemand verneinen, dass IKEA die westliche Lebenswelt auf profunde Weise kolonisiert hat. Dass man IKEA nicht entkommen kann, signalisiert der bekannte deutsche Slogan: »Wohnst Du noch, oder lebst Du schon?« Damit wurde das Wohnen in IKEA-Umgebung zur Transzendentalie promoviert. Darüber hinaus wird unterstellt, dass moderne Individuen nur unter der Voraussetzung modularen IKEA-Wohnens ihre Existenzmöglichkeiten ausschöpfen.

Wenn man nun von hier aus noch einmal zurückkehrt zu der malaysischen Kurznachricht, dann erschließt sich die gesamte Dimension satirischer Vertextung. Denn genau genommen macht der 22jährige Malaysier Ernst mit der großen IKEA-Suggestion. Das wahre Leben ist das modulare IKEA-Leben. Deshalb werden die im Katalog angebotenen Möbelstücke auch konsequent vermenschlicht, tragen sie doch in der Regel skandinavische Vornamen. Unter diesen Auspizien entbehrt es also nicht einer gewissen Logik, wenn sich der malaysische Wettbewerbsteilnehmer wie ein Möbelstück selbst auseinandernimmt: Er schlüpft ja nur in eine andere Person und heißt dann Billy, Klippan oder Gulliver, allesamt freundliche Zeitgenossen, die man nach Belieben zerlegen und potenziell auch wieder zusammensetzen kann. Damit folgt die malaysische Satirefigur nolens volens jenem unterschwelligen Ideal, das der US-amerikanische Soziologe Richard Sennett in seiner Kapitalismuskritik auf die bekannte Formel Der flexible Mensch gebracht hat.16 In dem gleichnamigen Buch demonstriert Sennett, in welchem Ausmaß sich die Rahmenbedingungen modernen Lebens und Arbeitens seit der Nachkriegszeit verändert haben. Zwar sind die Arbeitnehmer in den westlichen Gesellschaften im Zeichen von Digitalisierung und Neoliberalismus flexibler geworden, aber diese Flexibilität hat ihren Preis, nämlich den der Prekarität.17 So gesehen kann die IKEA-Satire auch als Parabel über die Grenzen der Flexibilität in der Kultur eines virulenten neuen Kapitalismus gelesen werden.

Nicht zuletzt aber zeigt das IKEA-Beispiel auch, dass satirische Kommunikation nur dann funktionieren kann, wenn die Kommunikationsteilnehmer über entsprechendes Vorwissen verfügen. In der Gutenberg-Ära war das kein Problem, weil Satirisches über satireaffine Kanäle wie zum Beispiel Satirezeitschriften verbreitet wurde. Diese auch noch weiterhin existierenden Organe waren und sind semiotisch entsprechend markiert, so dass der Leser bereits vororientiert ist. Man denke etwa an das Symbol des sinkenden Schiffes auf der Titelseite des deutschen Periodikums Titanic. In dem Moment aber, in dem Satire – um abschließend noch einmal auf Facebook zurück zu kommen – auf einer vergleichsweise neutralen Plattform landet, ist adäquates Verstehen nicht mehr sichergestellt. Als globale Plattform versammelt Facebook ein breit gestreutes heterogenes Publikum, das in kommunikative Kokons zerfällt. Nachrichten aus fremden Kokons sind oftmals unverständlich und müssen deshalb getaggt werden.

Literaturverzeichnis

ABRY, Vincent: »Facebook teste la mention [Satirique]«, 18. August 2014. http://journalmetro.com/opinions/vincent-abry/540451/facebook-teste-la-m... (zuletzt eingesehen am 3. Februar 2016).

Art. »Le Gorafi«. In: Wikipedia (Französisch). https://fr.wikipedia.org/w/index.php?title=Le_Gorafi&oldid=129279847.

GOFFMAN, Erving: Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation. Frankfurt/M. 1986.

JOST, François: »Facebook veut contrôler les articles satiriques: c’est à nous d’avoir un regard critique«, 19. August 2016. http://leplus.nouvelobs.com/contribution/1233028-facebook-veut-controler... (zuletzt eingesehen am 3. Februar 2016).

KLEINMAN, Alexis: »Facebook Is Labeling Posts From The Onion As ›Satire‹ So You Don’t Get Confused«, 18. August 2014. http://www.huffingtonpost.com/2014/08/18/facebook-satire_n_5687884.html (zuletzt eingesehen am 3. Februar 2016).

MAHLER Andreas: Moderne Satireforschung und elisabethanische Versssatire. Texttheorie, Epistemologie, Gattungspoetik. München 1992.

LA RÉDACTION: »Il voulait se déguiser en produit IKEA et meurt dépecé en 36 morceaux impossibles à assembler«, 9. September 2014. http://www.legorafi.fr/2014/09/09/il-voulait-se-deguiser-en-produit-ikea... (zuletzt eingesehen am 3. Februar 2016).

LA RÉDACTION: »To our Scottish readers: vote yes, then ask for your unification with France«. In: Le Gorafi, 18. September 2014. http://www.legorafi.fr/2014/09/18/to-our-scottish-readers-vote-yes-then-... (zuletzt eingesehen am 5. Mai 2016).

SCHEER, Ursula: »Facebook. Achtung, Satire!«, 19. August 2014. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/facebook-achtung-satire-13106074.html (zuletzt eingesehen am 3. Februar 2016).

SENNETT, Richard: Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus. Berlin 1998

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Satire-Tag auf den Seiten des sozialen Netzwerks Facebook. Quelle: Alexis Kleinman: »Facebook Is Labeling Posts From The Onion As ›Satire‹ So You Don’t Get Confused«, 18. August 2014. http://www.huffingtonpost.com/2014/08/18/facebook-satire_n_5687884.html (zuletzt eingesehen am 3. Februar 2016).

Abb. 2: Aktion des guten Willens: Die USA gratulieren Deutschland zum WM-Sieg. Quelle: Facebook-Seite U.S. Embassy Berlin, 15. Juli 2014. https://www.facebook.com/usbotschaftberlin/photos/a.698650156851448.1073... (zuletzt eingesehen am 3. Februar 2016).

Abb. 3: Satire: Die N.S.A gratuliert zum deutschen WM-Sieg (Fälschung). Quelle: Facebook-Seite SWR3, 15. Juli 2014. https://www.facebook.com/SWR3/photos/a.426908172329.204055.61869322329/1... zuletzt eingesehen am 3. Februar 2016).

Abb. 4: Schema satirischer Kommunikation nach Andreas Mahler: Moderne Satireforschung und elisabethanische Versssatire. Texttheorie, Epistemologie, Gattungspoetik. München 1992, S. 62.

Abb. 5: Die Startseite des satirischen Nachrichtenportals Le Gorafi, 25. September 2014 http://www.legorafi.fr/.

Abb. 6: Übernahme einer ›Portal-Ente‹ im Corriere della Sera, 24. September 2013, http://www.corriere.it/notizie-ultima-ora/Esteri/Francia-uomini-clitorid....

  • 1. Wenn Facebook-User einen einzelnen Beitrag mit einem ›Like‹ versehen, werden basierend auf einem auf der Basis von Äquivalenzbeziehungen arbeitenden Algorithmus weitere ähnliche Inhalte als Vorschläge zur Lektüre eingeblendet.
  • 2. »Facebook möchte Artikel satirischen Inhalts kontrollieren. Es liegt nun an uns wachsam zu sein.« (Übersetzung D.S.).
  • 3. François Jost: »Facebook veut contrôler les articles satiriques: c’est à nous d’avoir un regard critique«, 19. August 2016. http://leplus.nouvelobs.com/contribution/1233028-facebook-veut-controler... (zuletzt eingesehen am 3. Februar 2016).
  • 4. Vincent Abry: »Facebook teste la mention [Satirique]«, 18. August 2014. http://journalmetro.com/opinions/vincent-abry/540451/facebook-teste-la-m... (zuletzt eingesehen am 3. Februar 2016).
  • 5. Ursula Scheer: »Facebook. Achtung, Satire!«, 19. August 2014. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/facebook-achtung-satire-13106074.html (zuletzt eingesehen am 3. Februar 2016).
  • 6. Zum Begriff des Gesicht oder face im Rahmen der pragmatischen facework-Theorie vgl. Erving Goffman: Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation. Frankfurt/M. 1986. Die Grundannahme der facework-Theorie besteht darin, dass sich private oder politische Akteure in zwischenmenschlichen Beziehungen beständig aneinander ausrichten. Goffman zufolge erheischen soziale Individuen im Kontakt mit anderen Menschen die Bestätigung ihres sozialen Werts. Diese Bestätigung erlangen sie dadurch, dass sie sich selbst anerkannten Normen entsprechend verhalten, darauf hoffend, dass ihnen ein positives Selbstbild zurückgeworfen wird.
  • 7. Vgl. Andreas Mahler: Moderne Satireforschung und elisabethanische Versssatire. Texttheorie, Epistemologie, Gattungspoetik. München 1992, insbes. S. 39–79.
  • 8. Ebd., S. 48.
  • 9. Der Deckname des Urhebers der satirischen Montage wird in der Online-Ausgabe der österreichischen Neuen Kronen Zeitung genannt: Vgl. http://www.krone.at/Fussball/WM-Party_in_Berlin_Spionage-Witz_sorgt_fuer..., zuletzt eingesehen am 3. Februar 2016.
  • 10. Mahler: Moderne Satireforschung und elisabethanische Verssatire (Anm. 7), S. 41.
  • 11. Vgl. Lemma »Le Gorafi« in der französischen Wikipediaausgabe: Art. »Le Gorafi«. In: Wikipedia (Französisch). https://fr.wikipedia.org/w/index.php?title=Le_Gorafi&oldid=129279847.
  • 12. Nachstehend die deutsche Übersetzung der Meldung: »Frankreich: 89% der Männer sagen, ›Klitoris‹ ist ein Toyota-Modell. 16:32 (ANSA) – Paris – 89% der französischen Männer verwechseln die Klitoris […] mit einem Auto aus dem japanischen Hause Toyota, eine mögliche Verwechslung mit dem Toyota Yaris. Das ist das Ergebnis einer Umfrage der französischen Frauenzeitschrift Causette. Zirka neun von zehn Männern sind überzeugt davon, dass es sich um ein Auto der Marke Toyota handelt, 7% versichern, dass ›Klitoris‹ auf eine Göttin der ägyptischen Mythologie zurückgeht. 4% behauptet, noch nie davon gehört zu haben.« (Übersetzung D.S.). 24. September 2013, http://www.corriere.it/notizie-ultima-ora/Esteri/Francia-uomini-clitorid... (zuletzt eingesehen am 3. Februar 2016).
  • 13. La Rédaction: »To our Scottish readers: vote yes, then ask for your unification with France«. In: Le Gorafi, 18. September 2014. http://www.legorafi.fr/2014/09/18/to-our-scottish-readers-vote-yes-then-... (zuletzt eingesehen am 5. Mai 2016).
  • 14. »Malaisie – Terrible épilogue pour ce concours organisé par IKEA en Malaisie. Un jeune homme a poussé ce concours, qui consistait à ressembler à un de ses produits, sans doute un peu loin. La police a ainsi retrouvé son corps découpé en 36 morceaux […] et avec une notice de montage difficilement compréhensible. Malaysia – Schrecklicher Ausgang für den von IKEA organisierten Wettbewerb in Malaysia. / La société d’ameublement avait lancé un concours sur Internet et demandait à ses fans de se déguiser en produits vendus dans ses magasins. […] ›Même avec la notice, il y a toujours un bout en plus, ou en moins‹ explique un médecin. Selon les policiers qui ont été alertés par un message laissé sur les réseaux sociaux posté par le jeune homme avant de passer à l’acte, une notice explicative en suédois accompagnait le corps. ›Les schémas sont difficilement compréhensibles. […] se lamente un médecin légiste qui a renoncé à remonter le corps. ›On a fini hier à cinq heures du matin et ça ressemblait à rien et on avait un pied et une oreille en trop. Et il manquait le foie et l’épaule gauche‹. / Dans l’immédiat, la police cherchait à définir si le jeune homme avait agi seul pour réaliser son forfait. De son côté, sa famille a annoncé qu’elle allait faire pression sur la chaîne de magasins suédois pour faire valider sa victoire au concours. / La rédaction« (Übersetzung D.S.). La Rédaction: »Il voulait se déguiser en produit IKEA et meurt dépecé en 36 morceaux impossibles à assembler«, 9. September 2014. http://www.legorafi.fr/2014/09/09/il-voulait-se-deguiser-en-produit-ikea... (zuletzt eingesehen am 3. Februar 2016), Herv. i. Orig.
  • 15. »Mehr als ein Möbelhändler!« Oder »Sie sind mit unseren Möbeln groß geworden, wir sind mit Ihnen groß geworden!« oder auch »Dreißig gemeinsame Jahre sind ein guter Start« (Übersetzung D.S.).
  • 16. Richard Sennett: Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus. Berlin 1998.
  • 17. Besonders prägnant wird dieser Befund am Fallbeispiel des italo-amerikanischen Hausmeisters Enrico und dessen Sohn Rico, vgl. ebd., S. 15–38: Vater Enrico interpretiert nach langjähriger gleichbleibender Tätigkeit, geschützt durch Gewerkschaft und bescheidenen Aufstieg qua Dienstalter sein eigenes Leben noch als lineare Aufstiegsgeschichte. Sein Sohn macht im Anschluss an ein Studium der Elektrotechnik eine fulminante Karriere, die allerdings in den Wirren der neuen Ökonomie ins Stocken gerät. Sein Job im Büropark von Missouri wird wegrationalisiert. Fortan zieht er mit Frau und Kind wie ein moderner Nomade von Job zu Job, weil Bindung, Vertrauen und lange Fristen nicht zur ethischen Grundausstattung flacher Netzwerkhierarchien mit temporärer Projektorientierung gehören.

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