Vincenz
Pieper
Göttingen

Ideen zu einer poststrukturalistischen Philosophie der Philologie

Einleitung

Die allmähliche Überwindung der immanenten Literaturbetrachtung, eine der wichtigsten theoretischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, ist noch längst nicht abgeschlossen. Solange die Erzähltheorie immer noch von strukturalistischen Vorstellungen bestimmt wird und man auch in anderen Bereichen der Literaturwissenschaft unbeirrbar an der Idee festhält, dass man den Text selbst vom Autor trennen könne, bleibt noch einiges zu tun. Damit aber mit der ›Rückkehr des Autors‹ nicht auch seine Idealisierung wieder Einzug hält, ist es wichtig, die antimetaphysische, sprachkritische Grundhaltung zu erneuern, die in der Literaturwissenschaft vor allem durch den Poststrukturalismus kultiviert wurde. Bei der Zurückgewinnung dieser Haltung, die zuletzt beinahe in Vergessenheit geraten ist, kann man sich wohl nur eingeschränkt an Jacques Derrida orientieren, dessen Dekonstruktionsversuche sich oft in Begriffskonfusionen verlieren. Wer nach richtungsweisenden Beispielen für Metaphysikkritik sucht, sollte sich, so faszinierend Derridas Schriften weiterhin sind, auch anderswo umsehen und prüfen, ob nicht auch bei Ludwig Wittgenstein, Gilbert Ryle oder John Austin hilfreiche Analysen zu finden sind.1

Manche Literaturwissenschaftler, die sich dafür einsetzen, dass Texte rational untersucht und in ihrer Eigenart gewürdigt werden, verbinden die Bezeichnung ›Poststrukturalismus‹ mit der Vorstellung eines schlichten Relativismus, der sich wissenschaftlichen Ansprüchen verweigert.2 Einige Forscher, die dieses Feindbild pflegen, stilisieren sich in der Nachfolge Eric Hirschs zu Bewahrern des »old-fashioned ideal of rightly understanding what the author meant«.3 Auch in neuerer Zeit sind einige Arbeiten erschienen, die den hermeneutischen Intentionalismus im Namen der Verwissenschaftlichung verteidigen. Das Erstaunliche dabei ist, dass die Auffassung von Interpretation, die Roland Barthes und andere in Zweifel gezogen haben, fast unverändert wiedereingeführt wird:

Barthes arbeitet [...] Grundzüge des sinn-objektivistischen und autoristischen Konzepts eigentlich treffend heraus. Wird ein im Text enthaltener und letztlich auf den Textproduzenten zurückführbarer Sinn angenommen, so wird damit die Vielfalt der möglichen Sinnzuschreibungen eingedämmt. Der Text besitzt dann eine bestimmte Bedeutung, und diese gilt es zu erkennen. Der [...] wissenschaftliche Interpret bekommt in diesem Konzept die zentrale Aufgabe zugewiesen, diese Sinnrekonstruktion zu leisten, indem das Werk durch Rückgriff auf die sinngebenden Aktivitäten des Textproduzenten erklärt wird.4

Das Schreckbild der Regellosigkeit (einer unkontrollierbaren Vielfalt der Sinnzuschreibungen) wird hier benutzt, um dem Intentionalismus zur Durchsetzung zu verhelfen. Muss man aber die Idee akzeptieren, dass Texte einen Sinn haben, der durch die sinngebenden Aktivitäten des Autors hineingelangt ist, um sicherzustellen, dass Interpretationen richtig oder falsch sein können?5 Was ist an dieser Stelle mit ›Sinn‹ gemeint, was mit ›enthalten‹? Was heißt es, dass Texte eine ›bestimmte Bedeutung‹ haben? Was sind ›sinngebende Aktivitäten‹? Was bedeutet ›Sinnrekonstruktion‹? Das selbstgewisse Festhalten an diesen unklaren Ausdrücken ist eine gute Gelegenheit, übungsweise die poststrukturalistische Position einzunehmen. Bei diesem Versuch muss man sich, wie bereits angedeutet, nicht ausschließlich mit den Autoren befassen, die standardmäßig als ›Poststrukturalisten‹ klassifiziert werden. Statt immer dieselben Namen und Formeln zu wiederholen, kann man Jean-Louis Baudry und Pierre Macherey in die Diskussion einbeziehen, die wohl zu den interessantesten französischen Vertretern der poststrukturalistischen Bewegung zählen.6 Intensive Aufmerksamkeit verdient darüber hinaus Barbara Herrnstein Smith, die in den 1960er Jahren, inspiriert unter anderem durch die Arbeiten von B.F. Skinner und Kenneth Burke, eine eigenständige amerikanische Version des Poststrukturalismus ausgebildet hat, die sie seitdem weiterentwickelt und scharfsinnig verteidigt.7 Das Programm des Poststrukturalismus ist ohnehin nicht an eine klar umgrenzte Gruppe von Autoren gebunden. Es kann jederzeit präzisiert und für neue Ideen geöffnet werden, die aus ganz anderen intellektuellen Strömungen stammen. Wer die strukturalistischen Zeichen- und Kommunikationsmodelle hinter sich lassen will, aber eine Rückkehr zum Psychologismus der traditionellen Literaturwissenschaft nicht für erstrebenswert hält, kann weiterführende Überlegungen beispielsweise bei Otto Neurath, Ludwig Wittgenstein, Gilbert Ryle und John Austin finden, bei Autoren also, die üblicherweise als ›Analytische Philosophen‹ einsortiert werden.

Das Wiederaufleben des hermeneutischen Intentionalismus ist Teil einer umfassenderen Bewegung, die sich in den 1970er Jahren durchzusetzen begann: Überall wurde der menschliche Geist wieder als Aufenthaltsort der Gedanken und Absichten sowie als Quelle der Bedeutung von Zeichen und Handlungen definiert.8 Die Dämonisierung des Behaviorismus, der Erfolg der Griceschen Bedeutungsauffassung, die Psychologisierung der Sprechakttheorie, die Renaissance repräsentationalistischer Theorien des Geistes und der Ansehensverlust des französischen Poststrukturalismus führten dazu, dass überwunden geglaubte Vorstellungen von Subjektivität in der literaturwissenschaftlichen Debatte als etwas Neues und Vielversprechendes begrüßt wurden.9 Am Beispiel John Searles, der Literaturwissenschaftlern vor allem durch seine Sprechakttheorie und die gegen Derrida gerichteten Polemiken bekannt ist, lässt sich diese Rückkehr zum Psychologismus studieren. In einem seiner Beiträge zur Literaturtheorie schreibt er: »One of my many problems is: [...] how does one now, in a post-Wittgensteinian era, construct a theory of mind and language?«10 Searle präsentiert sich als ein Philosoph, der die Ideen Wittgensteins und Austins systematisch weiterführt; tatsächlich vollzieht er jedoch eine Abkehr von ihren zentralen Errungenschaften.11 Mit seiner Theorie der Intentionalität führt er den alten Brauch wieder ein, die Bedeutung sprachlicher Zeichen von der intrinsischen Bedeutung des Mentalen abzuleiten.12 Später veröffentlicht er ein Buch mit dem Titel The Rediscovery of the Mind, worin er sich um die Erneuerung einer cartesianischen Konzeption des Bewusstseins bemüht.13 Derrida hat Searles metaphysische Auffassung von Vorstellungen und Absichten als »fundamentalen Intentionalismus«14 angemessen charakterisiert. Searle stellt sich in seinen Arbeiten zwar weiterhin in die Tradition Wittgensteins und Austins, aber er gibt ihre methodologischen Einsichten preis und wendet sich traditionellen Auffassungen zu, die diese Autoren aus einem antimetaphysischen, sprachkritischen Impuls abgelehnt hatten.

Auch die Herausbildung der kognitiven Literaturwissenschaft ist ein Beispiel dafür, dass man die Gefahr sprachinduzierter Trugschlüsse geringschätzt und auf ältere Modelle des menschlichen Geistes zurückgreift. Jerry Fodor räumt unumwunden ein, dass die meisten Kognitionswissenschaftler wie er selbst eine Theorie vertreten, die in ihren Grundzügen von Descartes und Hume vorgeprägt wurde: »For Hume, as for our contemporary cognitive science, the mind is preeminently the locus of mental representation and mental causation. In this respect, Hume’s cognitive science is a footnote to Descartes’s, and ours is a footnote to his.«15 Mark Turner, einer der Wortführer der kognitionswissenschaftlichen Literaturforschung, feiert die ›Entdeckung‹, dass das Gehirn der Ort des Denkens und der Imagination sei, als geradezu epochemachenden Vorgang, der das Studium der Literatur grundlegend verändern werde:

The coming age will be known and remembered, I believe, as the age in which the human mind was discovered. [...] The purpose of this book is to propose a reframing of the study of English so that it comes to be seen as inseparable from the discovery of mind, participating and even leading the way in that discovery, gaining new analytic instruments for its traditional work and developing new concepts of its role.16

Aber ist diese auftrumpfende Rhetorik gerechtfertigt? Hat nicht schon im 18. Jahrhundert, angeleitet von Joseph Addison und Alexander Gottlieb Baumgarten, eine Psychologisierung der Literaturtheorie stattgefunden? Der erneute Versuch, die Funktionsweise der Literatur durch die Annahme mentaler Repräsentationen zu erklären, und das Bestreben, den Geist des Autors als Quelle der Bedeutung wiedereinzuführen, gehören im Grunde zu einer Bewegung. Wie sich deren Vertreter von der wissenschaftlich anmutenden Neuformulierung traditioneller Fehlkonstruktionen abgrenzen wollen, ist bislang eine offene Frage.

Gegen das willkürliche Psychologisieren hatte sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Bewegung formiert, die man der Einfachheit halber ›Strukturalismus‹ nennen kann. Ich werde alle Forscher als Strukturalisten bezeichnen, die das literarische Werk als ein für sich bestehendes Sprachgebilde begreifen, dessen innere Logik sich analysieren lässt, ohne dass man ständig prüfen muss, was der Autor denkt und will. Bereits Gérard Genette hatte die Nähe der ›strukturalistischen Textanalyse‹ zu jenen Richtungen hervorgehoben, die sich auf Formeln wie ›werkimmanente Analyse‹ oder ›close reading‹ berufen: »D’une certaine manière, la notion d’analyse structurale peut être considérée comme un simple équivalent de ce que les Américains nomment close reading et qu’on appellerait en Europe [...] étude immanente des œuvres.«17 Georges Poulet, der den Strukturalismus im Gegensatz zu Genette ablehnt, liefert eine ähnliche Bestimmung: »La critique devient alors le miroir impersonnel où l’objet – rien que l’objet – se révèle dans son agencement, dans sa composition, dans les relations de ses parties, dans son ordre linguistique. C’est là, semble-t-il, le point de vue [...] auquel prétend se placer la critique structuraliste.«18 Nach diesem Verständnis könnten Roman Ingarden, René Wellek, Wolfgang Kayser, Monroe Beardsley, William Wimsatt, Michael Titzmann und Seymour Chatman sinnvoll als Strukturalisten beschrieben werden, nicht hingegen Victor Šklovskij, der die literarischen Verfahren analysiert und dabei keine Trennung des Werks vom Autor vornimmt. Während Strukturalisten dogmatisch eine werkimmanente Äußerungsinstanz annehmen, beurteilt Šklovskij von Fall zu Fall, ob eine solche Figur in den Text eingeführt wird – und selbst wenn das Erzählen scheinbar einem fiktiven Sprecher überlassen wird, ist das Erzählen, für das Šklovskij sich eigentlich interessiert, das Erzählen des Dichters (zum Beispiel die »Erzähltechnik Sternes«19).

In letzter Zeit gibt es vermehrt Versuche, Strukturalismus und Intentionalismus zu kombinieren. Man will einen Text erst ›strukturalistisch‹ analysieren und die festgestellten Befunde dann ›intentionalistisch‹ erklären.20 Der Vorschlag, den Strukturalismus auf eine deskriptive Arbeitsphase zu beschränken und den Intentionalismus für die Erklärung der Textbefunde zu reservieren, beruht auf der Voraussetzung, dass Texte bestimmte (grammatische, rhetorische, narrative) Strukturen aufweisen, die man identifizieren kann, ohne sich auf den Autor und seine Absichten beziehen zu müssen. Die Position, die ich in diesem Artikel erläutern und mit dem Ausdruck ›Poststrukturalismus‹ bezeichnen werde, widerspricht dieser Trennung des Textes vom Autor, entfernt sich aber auch vom Intentionalismus, da das Bewusstsein nicht (wie bei Georges Poulet) als Schauplatz der künstlerischen Gestaltung oder (wie bei Eric Hirsch) als Bedeutungsgarant der Zeichen aufgefasst wird.

Die Bedingungen für eine Überwindung von Strukturalismus und Intentionalismus sind günstig. Searles rückwärtsgewandte Philosophie, die noch in den 1990er Jahren Erfolge feierte, hat deutlich an Anziehungskraft verloren. In den letzten zwanzig Jahren sind dagegen einige bemerkenswerte Arbeiten erschienen, die sich gegen die Lokalisierung des Denkens im Subjekt wenden und die Integration sprachlicher Zeichen in strukturierte Tätigkeiten hervorheben. Ich verweise nur auf Oliver Scholz' Erneuerung der Hermeneutik21, auf Julia Tanneys geistreiche Verteidigung Gilbert Ryles22, auf Peter Hackers philosophische Anthropologie23 sowie auf Louise Barretts24, Alva Noës25 und Daniel Huttos26 Engagement für eine verhaltens- und fähigkeitsbezogene Auffassung des Mentalen. Die Idee einer Literaturforschung, die Wörter nicht als Bedeutungsträger oder Vehikel des Gemeinten interpretiert, sondern ihren individuellen, in Kultur- und Lebenszusammenhänge eingebetteten Gebrauch untersucht, wurde von Peter Szondi27, John Reichert28, Barbara Herrnstein Smith29, Quentin Skinner30 und Toril Moi31 verfolgt. Wenn man nach einer orientierenden Bezeichnung für diese Ansätze sucht, könnte man Smiths Vorschlag folgen und sie behelfsmäßig als »naturalistic or poststructuralistic accounts«32 identifizieren. ›Naturalistisch‹ würde die verhaltensorientierte, integrationistische Sprachauffassung andeuten, ›poststrukturalistisch‹ würde signalisieren, dass man die metaphysische Auffassung von Bedeutungen und Absichten zu überwinden trachtet. ›Poststrukturalismus‹ ist für eine Theorie der Philologie eine heikle Selbstidentifikation, selbst wenn man sie nur provisorisch benutzt, da sich unter den Autoren, die man dieser Richtung üblicherweise zuordnet, auch solche befinden, dessen wissenschaftlicher Stil berechtigte Kritik hervorgerufen hat.33 Doch unerfreuliche Beispiele kann man auch für andere Forschungsrichtungen (›Hermeneutik‹, ›Strukturalismus‹, ›Analytische Literaturwissenschaft‹) anführen, deren unklares Denken sich zuweilen hinter einer Fassade von strenger Wissenschaftlichkeit verbirgt.

›Poststrukturalismus‹ ist ein Wort auf der Suche nach einer sinnvollen Verwendungsweise. Es soll hier eine unabgeschlossene, noch auszuarbeitende Philosophie der Literaturwissenschaft identifizieren, die sich in Abgrenzung zu Strukturalismus und Intentionalismus definiert. Diese »doppelte Distanzierung« war, folgt man Richard Brütting, das wichtigste Kennzeichen des frühen französischen Poststrukturalismus: »Nach Meinung der post- und antistrukturalistischen Autoren bleiben [...] sowohl die ›Philologie‹ [gemeint ist eigentlich die traditionelle, psychologistische Literaturwissenschaft, V. P.] als auch der Strukturalismus der ›Metaphysik‹ verhaftet.«34 Anknüpfend an diese historisch treffende und auch gegenwärtig noch hilfreiche Erklärung möchte ich ausführen, wie sich die poststrukturalistische Denkweise im Verhältnis zum traditionellen Intentionalismus und zum Strukturalismus bestimmen lässt.

Probleme des Intentionalismus

›Die Worte sind für mich etwas Sinnvolles, Lebendiges. Das will ich verstehen und anderen verständlich machen.‹ So ungefähr können die Überlegungen eines Philologen lauten, der beginnt, seine wissenschaftliche Tätigkeit theoretisch zu rechtfertigen. Man kann sich vorstellen, wie er von hier aus auf vorgeprägten Pfaden fortschreitet: ›Das Wort, das ich zu verstehen versuche, ist nicht nur ein graphisches Muster auf dem Papier, es ist mehr als das. Das Wort muss mit einer Bedeutung verbunden sein. Die Bedeutung ist das, was mir präsent ist, wenn ich es verstehe; sie ist das, was mir fehlt, wenn es mir unverständlich ist. Und ich will nicht irgendeine Bedeutung mit dem Wort verbinden, sondern die Bedeutung, die der Autor intendiert hat. Denn hinter dem Werk steht ein Autor, dessen Absichten den bloßen Schriftzeichen einen Sinn verleihen. Die Aufgabe besteht also darin, von den äußeren wahrnehmbaren Zeichen zum Geist des Autors vorzudringen. Doch ich habe keinen direkten Zugang zu den Bewusstseinsinhalten des Autors. Nur die eigenen Vorstellungen und Absichten sind mir unmittelbar gegenwärtig. Ich muss also versuchen, mich in den Verfasser hineinzuversetzen, muss mich bemühen, im eigenen Geist die Vorgänge nachzubilden, die in seinem Geist abgelaufen sein müssen, als er den Text schrieb.‹ Aus solchen Reflexionen könnte die Bereitschaft entstehen, Wilamowitz zuzustimmen: »Der Philologe ist nun einmal Interpret, Dolmetsch, aber nicht nur der Worte; die wird er nicht voll verstehen, wenn er nicht die Seele versteht, aus der sie kommen. Er muß auch der Interpret dieser Seele sein.«35

Die gefühlte Gewissheit, dass Texte mehr sind als eine Ansammlung von Wörtern ist der Auftakt zum metaphysischen Denken. Die Alternative zwischen Reduzieren (es gibt nur die Ausdrücke) und Dualisieren (neben den Ausdrücken gibt es auch noch Bedeutungen) führt mitten in eine Konfusion: Man springt von der Behauptung, dass die Bedeutung den graphischen Figuren nicht innewohne, unkontrolliert zu der Annahme, dass man eine Bedeutung konstruieren und dem Ausdruck zuordnen müsse. Die ›bloßen Wörter‹ scheinen einer Ergänzung durch etwas Inneres, Geistiges zu bedürfen. Die kognitionswissenschaftlich orientierte Literaturwissenschaft bekräftigt diese Intuition:

This is the common situation of all language: expressions do not mean; they are prompts for us to construct meanings [...]. In no sense is the meaning [...] of any utterance ›right there in the words.‹ When we understand an utterance, we in no sense are understanding just ›what the words say‹; the words themselves say nothing independent of the richly detailed and powerful cognitive processes we bring to bear.36

Die oft wiederholte, auf den ersten Blick trivial wirkende Behauptung, dass Leser nicht die Bedeutung verstehen, die ein Wort hat, sondern eine Bedeutung, die sie selbst produzieren, dient der rhetorischen Motivierung einer Theorie, die Schriftzeichen als bloße Auslöser einer inneren Bedeutungskonstitution definiert. Es wird dann eine kognitionswissenschaftliche Terminologie (›Frames‹, ›Inferenzen‹) eingeführt, mit der man suggeriert, über die verborgenen Prozesse, die von äußeren Schriftzeichen zu inneren Bedeutungsstrukturen führen, nachprüfbar Auskunft geben zu können. Bei genauerer Betrachtung stellt sich allerdings die Frage, was eigentlich ausgeschlossen werden soll, wenn man verneint, dass die Wörter eine Bedeutung ›haben‹. Leugnet man, dass ihnen eine Bedeutung zukommt, die sich unmittelbar erschließt, ohne dass man seine sprachlichen Fähigkeiten mobilisiert? Es ist wohl unstrittig, dass beim Lesen Zuschreibungen stattfinden und kognitive Leistungen erbracht werden, aber unter dem Einfluss der Idee, dass Bedeutungen etwas Geistiges sind, das zum wahrnehmbaren Ausdruck hinzukommt, wird aus der Annahme, dass ein Wort diese oder jene Bedeutung hat, die Herstellung einer Beziehung zwischen dem bloßen Wort und einer schattenhaften Ergänzung, die im Kopf verortet wird. Aus diesem sprachinduzierten Fehlschluss ergeben sich irritierende Fragen: Haben Zeichen und höherstufige Sprachgebilde so viele Bedeutungen, wie es Leser gibt, die sie in sich hervorbringen? Muss man sicherstellen, dass die Bedeutung, die man mit den Zeichen verbindet, dieselbe ist, die der Autor mit ihnen verbunden hat? Oder sollte man, wie es Gottlob Frege, Roman Ingarden und Eric Hirsch fordern, für die Bedeutung einen Platz außerhalb des Bewusstseins finden, damit sichergestellt ist, dass mehrere Personen sie erfassen und gegebenenfalls etwas Richtiges oder Falsches über sie aussagen können? Die objektive Bedeutungskonzeption zieht wieder neue Probleme nach sich: Wie kann man zu diesen rätselhaften Objekten in Beziehung treten? Und woher weiß man, dass man die richtige Bedeutung in sein Bewusstsein aufgenommen hat?

›Bedeutung‹ ist nicht der einzige Ausdruck, der dazu verleitet, Dinge anzunehmen, wo keine sind. Auch ›Gedanke‹ und ›Vorstellung‹ rufen erhebliche Probleme hervor. Die Redeweisen, die das Denken und Fühlen im Inneren des Körpers ansiedeln, sind kulturell so fest etabliert, dass man sich schwer damit tut, sie lediglich als nützliche Bilder zu verstehen. Man redet nicht bloß so, als ob Gedanken besondere Vorkommnisse im Inneren des Organismus seien, sondern vermutet ernsthaft, dass sie im Gehirn oder Geist stattfinden. Dan Sperber und Deirdre Wilson halten die Aussage, dass Autoren ›ihre Gedanken zu Papier bringen‹ oder ›Ideen in den Text einfließen lassen‹, für wörtlich falsch. Sie sind fest davon überzeugt, dass Gedanken tatsächlich im Kopf zu finden sind:

The power of these figures of speech is such that one tends to forget that the answer they suggest cannot be true. In writing this book, we have not literally put our thoughts down on paper. What we have put down on paper are little dark marks, a copy of which you are now looking at. As for our thoughts, they remain where they always were, inside our brains.37

Wir haben es hier mit einem typischen Muster metaphysischen Denkens zu tun: Der Text wird zunächst auf seine materiellen Aspekte reduziert. Alles, was über die graphischen Figuren hinausgeht, wird dann als geistige Ergänzung definiert und in den Kopf verschoben. Sperber und Wilson verdinglichen Gedanken und definieren sie als intrinsisch gehaltvolle Strukturen (‹mentale Repräsentationen›). Diese metaphysische Auffassung von Gedanken konfundieren sie mit dem etablierten Begriff des Denkens, so dass der Eindruck entsteht, dass ein Autor, der seine Gedanken äußern kann, über Gedankengebilde in seinem Inneren verfügt. Der Leser, der die Gedanken des Autors angeben kann, scheint aufgrund der äußeren Zeichen eine Repräsentation der inneren Repräsentationen des Autors entwickelt zu haben. So gelangt Karl Eibl zu der Behauptung, dass das Verstehen von Texten auf der »Fähigkeit einer Repräsentation (Metarepräsentation) fremder Geisteszustände«38 beruhe. Wolfgang Detels Hermeneutik, die manche bereits zu den »großen philosophischen Entwürfen der Gegenwart«39 rechnen wollen, entsteht ebenfalls aus der Gleichsetzung von Gedanken mit innergeistigen Repräsentationen: »Das Verstehen ist [...] ein Lesen des Geistes anhand seiner expressiven Zeichen«.40 Hinter den Darstellungen des Textes, die man im Gespräch über das Gelesene anbietet, liegt nach Detel eine »Metarepräsentation«41, die sich im Kopf des jeweiligen Sprachbenutzers entwickelt habe.

Der Intentionalismus, den ich hier nur andeutungsweise diskutieren kann, wird durch unbewusste sprachliche Operationen aufrecht erhalten: Beim Nachdenken über das Verstehen von Texten verwechselt man die Aussage, dass Wörter eine Bedeutung haben, mit der Aussage, dass es zusätzlich zum beobachtbaren Ausdruck etwas gibt, das ›Bedeutung‹ heißt. Die Verwirrung der Begriffe wird erst deutlich, wenn man sich an die Vorstellung gewöhnt, dass ein Wort eine Bedeutung ›haben‹ kann, ohne mit einer Bedeutung verbunden zu sein, wie ein Wort ja auch eine Funktion oder einen Wert ›haben‹ kann, ohne dass man in den Zeichen oder außerhalb von ihnen nach etwas Ausschau halten müsste, das man ›Funktion› bzw. ›Wert‹ nennt.42 Ähnliches gilt für Gedanken: Der Übergang von ›etwas denken‹ zu ›etwas in sich haben, das ein Gedanke ist‹ führt zu der trügerischen Gewissheit, dass dort, wo Gedanken geäußert werden, ein Gedanke zusätzlich zum Ausdruck präsent sein müsse. Wenn man annimmt, dass ›denken‹ eher so etwas wie ›geneigt sein, etwas zu sagen‹ bedeutet, stellt sich die Frage, warum der gemurmelte oder still formulierte Satz mehr Anspruch darauf haben sollte, den Gedanken eines Verfassers zu formulieren, als der gesprochene oder der geschriebene Satz. Das Verschließen der Lippen gehört, wie Ryle prägnant bemerkt, nicht zur Definition des Denkens.43

Probleme des Strukturalismus

Nicht alle Literaturwissenschaftler beteiligen sich an dem Unternehmen, den Geist wieder als Aufenthaltsort von Absichten und als Quelle der sprachlichen Bedeutung anzuführen. Moritz Baßler, einer der gewandtesten Kritiker des hermeneutischen Intentionalismus, stellt die diskussionswürdige These auf, dass jene Forscher, die für sich beanspruchen, etwas über mentale Prozesse des Autors zu wissen, die Phänomene, die sie aufgrund einer Analyse des Textes festgestellt haben, unnötig »verdoppeln«.44 Sie psychologisieren die Objekte ihrer Untersuchung und verorten sie im Inneren des Autors. Damit verkennen sie nach Baßler den eigentlichen Charakter der literaturwissenschaftlichen Arbeit. Ein Philologe interessiere sich im Grunde nicht für das, was im Gehirn oder Geist des Autors vor sich gehe, sondern für die Zeichen in ihren historischen Zusammenhängen: »[Seine Aufgabe ist es [...], belegbare Bezüge herzustellen, und dies ist immer nur zwischen Textbefunden möglich und nie zwischen einem Autorenhirn und einem Textbefund.«45 Die Analyse der Strukturen sei dem Erraten der Gedanken, die dem Autor beim Schreiben durch den Kopf gegangen sind, vorzuziehen: »Konzentrieren wir uns auf das, was wir können, nämlich die Analyse der Textbefunde, und zwar nicht hermeneutisch-verstehend, sondern strukturalistisch-deskriptiv, mit einer Methode also, die vom Vorwurf einer gewissen idiosynkratischen Beliebigkeit [...] nicht getroffen wird.«46 So vernünftig dieser Vorschlag klingt, so problematisch sind die Folgen, die sich aus der Gleichsetzung des Geistes mit dem Innenleben des Autors ergeben. Baßler gibt zu verstehen, dass er mit der »immanenten Werkanalyse«47, wie sie von William Wimsatt und Monroe Beardsley verfochten wird, im Grunde einverstanden ist. Er trennt das Werk vom Autor und wirft der hermeneutischen Literaturwissenschaft vor, dass sie dem mühsamen Prozess des Sammelns und Auswertens von Daten aus dem Weg gehe. Sie nehme eine bequeme Abkürzung und unterstelle kommunikative Absichten, wo es eigentlich nötig wäre, den Text sorgfältig zu analysieren: »Das hermeneutische Subjekt, das durch jeden wissenschaftlichen Aufsatz gespenstert, ist [...] eine Abkürzung, die die aufwendige Analyse und Repräsentation der textuellen Zusammenhänge [...] überspringt.«48 Baßler stellt es als mysteriöse, wenn auch unvermeidbare Praxis dar, einen Autor zu imaginieren, der für die Gestaltung des Textes verantwortlich ist:

Die hermeneutische Abkürzung leistet die Wiederbelebung toten Datenmaterials, auch sie lädt Texte mit Energie auf, jedoch nicht durch die wechselseitige semiotische Erhellung der Archivdaten, sondern durch die künstliche Schaffung eines intentionalen Subjekts als Prinzip der Synthese. Sie ist demnach, könnte man sagen, in ihrem Wesen gespenstisch. Unter Namen wie Shakespeare, Goethe [...] etc. geistern solche Bildungen durch die schlecht beleuchteten Bereiche unserer wissenschaftlichen Literatur. Sie sind auch nicht wirklich wegzubringen [...].49

Sie sind tatsächlich nicht wegzubringen: Auch dieser Aufsatz beteiligt sich an der künstlichen Schaffung von Autorbildern, indem er die Sätze zitiert, mit denen sich jemand äußert, den wir als Moritz Baßler ansprechen. Dieser »gespenstische Vorgang«50, bei dem wir die eigenen sprachlichen Ressourcen nutzen, um wiederzugeben, was andere Personen sagen und tun, kann mit dem Begriff ›Projektion‹ umschrieben werden. Die These, der Autor sei eine Projektion, hat den heftigen Widerspruch kluger und wohlmeinender Wissenschaftler erregt. Brian Vickers etwa sieht darin den »extremsten Ausdruck«51 der Theorie, dass der Autor nicht der Urheber eines Textes mit eigener Bedeutung und eigenem Wert sei. Indem er ein solches Feindbild schafft und es mit dem Namen Michel Foucault verbindet, liefert er selbst ein eindrückliches Beispiel für das, was bewiesen werden sollte. Projektionen werden uns meistens erst dann deutlich bewusst, wenn einem Autor Positionen zugeschrieben werden, die er so nicht vertritt, wenn also verzerrt dargestellt wird, was jemand sagt und tut. Projektionen finden aber sicherlich auch dort statt, wo sichergestellt ist, dass der Autor sich tatsächlich so verhält, wie man es probeweise darzustellen geneigt ist, wo das Autorbild also der Prüfung standhält.

Damit die Projektionstheorie stimmig formuliert ist, sind allerdings einige Präzisierungen nötig. Denn das, was Literaturforscher konstruieren, ist nicht ein Subjekt, das Texte schreibt, sondern die Auffassung eines solchen Subjekts, die man fallweise als ›bloße Projektion‹ einschätzen kann. Nun ist sicher nicht jede Projektion eine ›bloße Projektion‹, und so richtig es ist, dass Bequemlichkeit und Ignoranz häufig zu unberechtigten Unterstellungen führen, so übertrieben ist die These, dass die Analyse durch die »künstliche Schaffung eines [...] Subjekts« durchgängig vermieden werde. Manche Autorbilder werden unüberlegt zusammengesetzt und dann nicht mehr korrigiert; die Alternative ist aber wohl nicht der Verzicht auf das Evozieren von Autoren, was dem Verzicht auf Philologie gleichkäme, sondern das Bemühen, alle verfügbaren Daten in ein möglichst kohärentes Gesamtbild zu integrieren und es immer wieder zu prüfen. Baßler kontrastiert die Entwicklung eines korrigierbaren Autorbilds mit der wechselseitigen Erhellung der Archivdaten, bleibt aber eine Erklärung schuldig, wie man denn ›Textbefunde‹ oder ›Archivdaten‹ identifizieren kann, wenn man die Zeichen von ihrem historisch situierten Gebrauch trennt.

In Roland Barthes’ Aufsatz La mort de l‘auteur52 macht sich, wie Heinrich Detering festgestellt hat, stellenweise eine »metaphysische Energie«53 bemerkbar, also eine Tendenz zum metaphysischen Denken. Es hieße jedoch, seine Relevanz zu überschätzen, wollte man Barthes dafür verantwortlich machen, diese Energie in die Diskussion hineingebracht zu haben. Die Theoriebildung, die er vorfindet, ist bereits von Metaphysik durchzogen. Die Poststrukturalisten stellen eine lange Tradition des Nachdenkens über das Funktionieren der Sprache in Frage, eine Tradition, zu der Augustinus, René Descartes, John Locke, Franz Brentano, Gottlob Frege, Jerry Fodor und John Searle gezählt werden können. Auch die Hermeneutik hat sich immer wieder von dem Bild leiten lassen, demzufolge die Sprache das äußere Zeichen innerer Prozesse ist. Statt diese Tradition einfach fortzusetzen, sollte die Philologie sie sprachkritisch untersuchen. Wenn man genau analysiert, wie die jeweiligen Theorien rhetorisch organisiert sind, zeigt sich, dass sowohl der Intentionalismus, als auch der strukturalistische Anti-Intentionalismus metaphysische Auffassungen von der Wissenschaft und ihrem Objektbereich entwerfen. Der Intentionalismus produziert Metaphysik, wenn er behauptet, dass der sinnerfüllte Geist des Autors (oder eine Repräsentation des Sinns im Geist des Lesers) die äußeren Zeichen lebendig macht, wohingegen der Strukturalismus in dem Bestreben, den Psychologismus zu vermeiden, auf die seltsame Idee gerät, dass sich das Sprachmaterial gewissermaßen aus eigener Kraft, ohne dass es von jemandem verwendet wird, zu einem Satz, einem Vers, einer Redefigur oder einer Erzählung organisiert.

Der Strukturalismus ist also keineswegs frei von metaphysischen Auffassungen, da er zu schnell von der Ablehnung des Mentalismus zur Ablehnung des Mentalen übergeht. Der Vorbehalt, dass »etwas wesenhaft Textuelles in Begriffen der Subjektivität gelesen«54 werde, beruht auf der Gleichsetzung des Psychischen mit verborgenen Geisteszuständen und auf der unbegründeten Unterstellung, dass ein Text frei von Subjektivität identifiziert werden könne. Diese These muss ignorieren oder verdrängen, dass sich die Strukturen des Geschriebenen nicht unabhängig davon erkennen lassen, wie die Wörter gebraucht werden. Bei aller Verschiedenheit der Meinungen und Interessen setzten letztlich alle Richtungen der Literaturwissenschaft einen gemeinsamen Begriffsrahmen voraus, in dem ›Wort‹, ›Satz‹, ›Metapher‹, ›schreibt‹, ›erzählt‹, ›gestaltet‹, ›zeigt‹, ›gibt vor, etwas zu tun‹, ›verspottet‹ und unzählige andere Begriffe ihren Platz haben. Wenn man anerkennt, dass diese Begriffe identifizieren, wie Sprache verwendet wird, bricht die Trennung zwischen dem Werk selbst und dem Autor, der außerhalb des Werks steht, bald in sich zusammen. Gewiss, ein Forscher ist nicht gezwungen, den Verfasser ausdrücklich zu erwähnen, denn er kann seine Beobachtungen und Hypothesen auch unpersönlich ausdrücken: ›Zuerst wird dargestellt, wie...‹, ›Am Anfang des Kapitels wird zu verstehen gegeben, dass...‹, ›Das Motiv wird hier eingeführt und später wiederaufgenommen‹, ›Nun wird die Auflösung vollzogen‹ usw. Wenn man jedoch aufgefordert wird, das mit diesen und vergleichbaren Sätzen Gesagte zu erläutern, kann man auf den Autorbegriff kaum verzichten.

Einige Literaturwissenschaftler versuchen, die Bezugnahme auf den Autor zu vermeiden, indem sie auf einen implied author ausweichen oder den Text zu einem handelnden Subjekt machen, doch diese Notbehelfe sind, wie sich zeigen lässt, nicht haltbar. Von einem Text kann man nur im übertragenen Sinn behaupten, dass er Wörter verwendet, Sätze konstruiert und Geschichten entwickelt. Und der implied author ist entweder der ›reale‹ Autor, wie er sich in seinem Text präsentiert, oder eine Illusion, die dadurch zustande kommt, dass man das korrigierbare Bild, das sich Leser von ihm machen, als einen schattenhaften Doppelgänger missdeutet. Die Wiederkehr des Verdrängten in der Vermenschlichung des Textes oder in der Annahme von gespenstischen Ersatz-Autoren bestätigt, was Georges Poulet den Anhängern der immanenten Literaturbetrachtung vorausgesagt hat: »Chassez la subjectivité, elle revient au galop.«55 Die Beobachtung, dass selbst noch in der zur Schau gestellten Nüchternheit der Schriften Gérard Genettes die uneingestandene Subjektivität des Autors immer wieder hervorscheine, veranlasste Poulet zu der Hoffnung, dass der Irrweg des Strukturalismus bald überwunden sein werde.56 Rückblickend kann man feststellen, dass Poulet die Situation zutreffend analysiert hat.

Poststrukturalismus

Wer Barthes‘ La mort de l’auteur als unzweideutige Aufforderung auffasst, den Autor konsequent aus der Textanalyse herauszuhalten, läuft Gefahr, in der wissenschaftlichen Debatte eben den Fehler zu machen, vor dem Moritz Baßler warnt: ein bequemes Autorbild zur Abkürzung der Untersuchung zu konstruieren. Joshua Landy zum Beispiel, der das (durchaus nachvollziehbare) Ziel verfolgt, die Barthes-Überschätzung zu korrigieren, behauptet eine Eindeutigkeit, die mit den Textbefunden schwer in Einklang zu bringen ist: »It isn’t always entirely clear what Barthes is trying to say in his essay, but one thing is certain: he wants us to stop thinking of writers when we talk about literary texts.«57 Dabei deutet vieles darauf hin, dass Barthes nicht den Autor überhaupt zum Verschwinden bringen, sondern eine überhöhte, klischeebehaftete Vorstellung desselben durch die nüchterne Konzeption eines Verfassers ersetzen will, der auch dann, wenn er sein Inneres zu offenbaren scheint, aus einem Vorrat von kulturellen Mustern schöpft, die Barthes (sehr irreführend) ›Zitate‹ nennt. Sicher, in La mort de lauteur wird auch noch einmal der psychologisierende Biographismus attackiert, aber das ist überhaupt nichts Neues; in diesem Punkt sind sich Strukturalisten und Poststrukturalisten einig. Neu hingegen ist, dass Barthes die strukturalistische Trennung des Textes vom Autor in Frage stellt.

Um angemessen einzuschätzen, wie sich Barthes’ Position ändert, ist es wichtig, den Streit um die ›Neue Kritik‹ zu berücksichtigen, der sich in den Jahren zuvor abgespielt hatte. Raymond Picard, der in Nouvelle Critique ou Nouvelle Imposture die Unzulänglichkeiten von Barthes’ Racine-Forschungen in übertrieben harten Worten offenlegt, versteht sich selbst als Philologe, der die Textanalyse nicht mit der Biographie des Autors vermischen will. Da Picard allerdings das Werk nicht in einen Gegensatz zur Technik des Autors bringt, erstaunt es ihn, dass Barthes an den literarischen Strukturen gar nicht interessiert sei und aus den Nachbardisziplinen importierte Terminologien auf die Texte anwende:

Elle [la ›nouvelle critique‹] ne se préoccupe pas plus de dramaturgie s’il s’agit d’une tragédie, que de technique romanesque s’il agit d’un roman. [...] C’est de bonne foi que la ‚nouvelle critique’ réclame le retour à l’œuvre, mais cette œuvre, ce n’est pas l’œuvre littéraire (qu’elle commence par pulvériser en signes), c’est l’expérience totale d’un écrivain. De même, elle se veut structuraliste; toutefois il ne s’agit pas des structures littéraires (qu’elle détruit ou qu’elle ignore), mais de structures psychiques, sociologiques, métaphysiques, etc.58

Die strukturalistische Literaturwissenschaft verkenne, da sie die künstlerische Praxis ignoriere, den spezifischen Aufbau und die tatsächliche Gestaltung der Texte. Dieser Einwand wird auch von dem Althusser-Schüler Pierre Macherey erhoben, der in seinem brillanten Aufsatz L’analyse littéraire tombeau des structures zeigt, dass Barthes die Oberfläche des Textes nicht genügend beachte und so die Individualität der schriftstellerischen Arbeit vernachlässige:

Le critique ne s’occupera jamais du travail réel de l’écrivain (où R. Barthes parle-t-il des difficultés particulières que Racine a eu à résoudre, des moyens dont il disposait pour les résoudre, des conditions réelles dans lesquelles il se trouvait, sans le savoir nécessairement?), mais du travail littéraire en général: que fait-on quand on écrit?59

Machereys eindringlich vorgetragene Zurückweisung von verborgenen Strukturen, versteckten Zusammenhängen und tieferen Bedeutungen dürfte Barthes nicht unbeeindruckt gelassen haben.60 Die »critique positive«, die Macherey in Opposition zum Strukturalismus und Intentionalismus entfaltet, wendet sich dem Verfasser und seinem individuellen Gebrauch der verfügbaren Ressourcen zu:

La vraie question critique n’est pas: Qu’est-ce que la littérature? c’est-à-dire: qu’est-ce qu’on fait quand on écrit (ou quand on lit)?; mais: à quel type de nécessité renvoie une œuvre; de quoi est-elle faite, qui lui donne sa réalité? La question critique doit porter sur la matière travaillée, et sur les moyens qui la travaillent.61

Anders als Picard interessiert sich Macherey nicht allein für die künstlerische Leistung, sondern auch für das Fehlen von Sinn, für Unstimmigkeiten, die durch vorgetäuschte Ordnungen überspielt werden, für Verschwiegenes und für die im Text marginalisierten ideologischen Konflikte. Wenig später unterziehen auch die Autoren der Tel-Quel-Gruppe (Jean-Louis Baudry, Jean-Louis Houdebine, Julia Kristeva, Philippe Sollers) die gängigen Struktur- und Zeichenbegriffe einer positivistischen Kritik und wenden sich der Praxis des Gebrauchs von Sprache zu.62 Mit Macherey und Derrida verwerfen sie die Ideologie des Schöpfers und das Innen-Außen-Bild, nicht aber den Begriff des Verfassers, der mit Sprache arbeitet und Texte produziert. Der Ausdruck »Text-Praxis«63 findet in diesem Kontext als eine Übersetzung von »pratique textuelle« Eingang in die deutsche Sprache. Er steht in einer Reihe mit Ausdrücken wie ›pratique scripturale‹ und ›production textuelle‹, die sich auf die Transformation der vorgefundenen Muster, also auf das Operieren mit dem sprachlichen und ideologischen Material im Text beziehen.64 Um die neue Einstellung zum Text zu fassen, die sich bei Macherey und den Telqueliens zeigt, wird dann von Michel Arrivé erstmals die Bezeichnung ›Poststrukturalismus‹ in Umlauf gebracht.65

Barthes tritt vor diesem Hintergrund mit einer neuen Position hervor: Er verkündet lautstark den Tod des Autors und leitet zugleich eine stille Abkehr vom Strukturalismus ein, die einer Rückkehr des Autors den Weg ebnet. Im Klappentext zu Machereys Pour une théorie de la production littéraire, erschienen 1966 in der Reihe ›Théorie‹ bei Maspero, wird die poststrukturalistische Haltung zum Autor bereits klar gekennzeichnet: »L’écrivain ne sera plus un créateur, ce Dieu déplacé, mais l’ouvrier de son texte, qu’il produit dans des conditions déterminées.«66 Barthes scheint diese Formulierung noch überbieten zu wollen. Wenn man mit den Diskussionen, die in seinem Umfeld stattgefunden haben, nicht vertraut ist, kann der Eindruck entstehen, Barthes radikalisiere lediglich die Ablehnung der traditionellen Hermeneutik. Diese gängige Deutung übersieht jedoch, dass in dem Aufsatz die Dissoziation des Textes vom Gebrauch der Zeichen aufgehoben und die schriftstellerische Praxis wieder ins Zentrum der Literaturbetrachtung gerückt wird. Barthes’ Sinneswandel zeigt sich nicht zuletzt daran, dass er zustimmend auf die verhaltensorientierte Sprachauffassung der »philosophie oxfordienne«67 Bezug nimmt. Die Neufassung des Textbegriffs, die Barthes vornimmt, war für ihn offenbar mit den Ansichten der durch Wittgenstein, Ryle und Austin geprägten Richtung der Analytischen Philosophie vereinbar. Nach der Publikation von La mort de lauteur stabilisiert sich Barthes’ neue Position: Die unauffällig vollzogene »Rückkehr des Autors«68 wird nun deutlich artikuliert.

Auch wenn man Foucault hier nicht allzu wichtig nehmen muss, ist doch bemerkenswert, dass auch er die Analytische Philosophie für seine Zwecke nutzt. Er beschäftigt sich in den 1960er Jahren mit Wittgenstein, Ryle, Austin und Quine, wobei er sich, wie aus seinen Arbeitsnotizen hervorgeht, besonders für die Erläuterung von ›Bedeutung‹ durch ›Funktion‹ interessiert; die Diskursanalyse sieht er als Teil der Tendenz, sich dem Gebrauch der Sprache zuzuwenden.69 Bekannter ist Derridas Auseinandersetzung mit John Austins How to Do Things with Words. Ich möchte hier nicht auf seine oft diskutierten Missverständnisse eingehen, sondern nur erwähnen, dass er die Originalität der Sprachauffassung, die Austin in seinen William-James-Vorlesungen entwirft, deutlich würdigt:

Cette categorie de communication est relativement originale. Les notions austiniennes d’illocution et de perlocution ne désignent pas le transport ou le passage d’un contenu des sens, mais en quelque sorte la communication d’un mouvement original [...], une opération et la production d’un effet.70

Derrida gefällt, dass der Gebrauch der Sprache für Austin keinen Sinn übersetzt oder vermittelt, der im Geiste vorformuliert ist. Die Sprache vermittelt, wenn überhaupt irgendetwas, sich selbst. Manche Ideen, die Derrida in Signature événement contexte ausführt, hätten, wenn er sie mit größerer Strenge verfolgt hätte, zu einer Weiterentwicklung von Austins Theorie führen können. Seine Reflexionen sind jedoch eher unkonturiert und bleiben den strukturalistischen und intentionalistischen Denkmustern noch allzu stark verhaftet.

Wie Autoren, die man dem Poststrukturalismus zuordnet, nicht dauernd poststrukturalistisch denken, so denken auch nicht alle Autoren, die sich dem Strukturalismus zurechnen lassen, konsequent strukturalistisch. Baßler etwa schließt, trotz mancher Gesten, die in diese Richtung weisen, das Sprachverhalten des Autors (die ›Verfahren‹) nicht aus der Literaturbetrachtung aus. Auch die Psychologie will er offenbar nicht ganz aus der Literaturwissenschaft verbannen. Dort, wo er nicht angriffslustig zuspitzt, sondern sachlich abwägt, ist es lediglich die philosophische Idealisierung des Autors, die er in Frage stellt:

Die Autorintention [...] ist also nur in genau einer Hinsicht abzulehnen: als [...] Garant der Bedeutung [...] hinter dem Text, als ein irgendwie Wesentlicheres als die Zeichenstruktur [...]. Abgelehnt wird [...] das hermeneutische Modell einer Emanation von Sinn aus einer [...] Instanz hinter dem Text.71

Abgelehnt wird das philosophische Bild, das man bei Eric Hirsch und John Searle findet. Ihm stellt Baßler eine Autorkonzeption entgegen, die ohne den Mythos der Intention auskommt: »Der Text ist ein Gewebe von Zitaten, und sein Autor ist ein Arrangeur von interessanten Differenzen, deren semiotische Implikationen er niemals vollständig kontrolliert.«72 Man könnte es vielleicht auch so sagen: Jedes Wort, jeder Vers, jeder Gedankengang, jede Erzählung ist eine Reproduktion und Variation früherer Muster. Indem der Autor das verfügbare Material für seine Zwecke nutzt, konstruiert er Sprachgebilde, die ihm nützlich oder interessant scheinen. Da die Sprachverwendung wesentlich auf Iterationen und Fortsetzungen sowie auf die wertschätzende Aufmerksamkeit einer Sprachgemeinschaft angewiesen ist, kann er aber immer nur begrenzt kontrollieren, wie der Text letztlich beschaffen ist. Wenn man Baßlers Aussagen so paraphrasiert, nähert man seine Position dem poststrukturalistischen Denken an.

Eine sinnvolle Neubestimmung der Begriffe würde eine behavioristische Sprachauffassung mit einer »Entpsychologisierung der Psychologie«73 verbinden. Denn ein Strukturalismus, der voraussetzt, dass die Schrift losgelöst vom Autor funktioniert, ist genauso unhaltbar wie ein Intentionalismus, der voraussetzt, dass ein Text durch besondere psychische Vorkommnisse geprägt wird, die ›Absichten‹ heißen. Wenn man anerkennt, dass die sprachlichen Zeichen sich nicht aus eigener Kraft zu komplexeren Gebilden organisieren, und sich zugleich von der Vorstellung distanziert, dass es von besonderen psychischen Vorgängen abhängt, welche Funktion die Wörter im Rahmen des Textes haben, wird eine interessante Denkweise sichtbar, die eher selten erkundet wird: Statt den Geist zur verborgenen Quelle des Sinns zu machen, betont sie die Einbettung der Zeichen ins Verhalten, das wiederum in komplizierte Kulturzusammenhänge und Lebensformen integriert ist. Sie widersteht dem reduktionistischen Impuls, das Verhalten auf bloße Körperbewegungen einzuschränken und überwindet dadurch die alte Zweiteilung des Sprachgebrauchs in äußere Schriftzeichen und innere Geisteszustände. Sie vermag Mentales (Absichten, Vorstellungen) in die Untersuchung einzubeziehen, ohne in einen Mentalismus abzugleiten, der das Wichtigste hinter den analysierbaren Mustern des Verhaltens lokalisieren will.

Das Bild der Loslösung der Zeichen vom Autor übersieht, dass man nichts darüber sagen kann, wie Texte strukturiert sind, ohne zu bestimmen, wie die Zeichen im Verlauf des Textes gebraucht werden. Der Standardeinwand gegen den Poststrukturalismus, dieser verwechsle die Genese mit der Struktur, setzt voraus, was zur Diskussion steht: dass das Sprachverhalten lediglich zur Genese gehört und der ›Text selbst‹ unabhängig vom Gebrauch der Wörter bestimmbar ist.74 Man kann diesen Einwand am besten dadurch entkräften, dass man jene, die ihn vortragen, darauf aufmerksam macht, dass sie, wenn sie den ›Text selbst‹ betrachten, Begriffe verwenden, die keinen Sinn ergeben, wenn man sie nicht auf einen oder mehrere Verfasser bezieht. Eine verbindende Analyse dieser Begriffe kann Klarheit darüber schaffen, dass Zeichen nicht Bedeutungsträger oder Vehikel des Gemeinten sind, nichts ›vermitteln‹, sondern erst einmal als soundso verwendete Wörter aufgefasst werden. Texte sind keine bloße Ansammlung von Schriftzeichen in der Außenwelt, die eine Bedeutungszuweisung im Geist auslösen; sie sind aber auch nicht mehr als eine Ansammlung von äußeren Spuren. Texte sind vielschichtige Sprachgebilde, die aus sprachlichen Ausdrücken bestehen, mit denen Sätze konstruiert, rhetorische Figuren gebildet, Gedanken ausformuliert oder Ereignisverläufe dargestellt werden.

Damit ist auch der Unterschied zur kognitionswissenschaftlichen Literaturwissenschaft markiert, die auf die Annahme festgelegt zu sein scheint, dass Aussagen, die über die ›bloßen Zeichen‹ hinausgehen, zusätzliche Objekte identifizieren, die durch kognitive Prozesse hervorgebracht werden (›Bedeutungsstrukturen‹, ›mentale Texte‹). Wenn man untersucht, was die Bedeutung eines Wortes ist, bildet man ein Verständnis, eine Auffassung davon aus, wie das Wort im Rahmen des Textes verwendet wird. Der Begriff ›Auffassung‹ ist aber bloß eine Umschreibung für die Geneigtheit, den Text auf eine bestimmte Weise zu beschreiben und wiederzugeben. Die Fähigkeit, Texte sprachlich darzustellen, kann nicht von inneren Repräsentationen abhängig sein, denn erstens ist unklar, was es bedeuten würde, irgendeine Struktur, die sich im Gehirn oder Geist befindet, als ›Repräsentation‹ zu beschreiben; und zweitens würde das Verstehen dieser Strukturen eben die Fähigkeiten voraussetzen, die man eigentlich erklären will. Eine poststrukturalistische Konzeption verwirft solche Verdopplungen und konzentriert sich auf die Manifestation des Verstehens im offenen oder unausgedrückten Verhalten des Forschers.

Der Einsicht, dass die Zeichen sich nicht von selbst zu höherstufigen Sprachgebilden organisieren und ihre Kraft auch nicht von den Geisteszuständen des Autors erhalten, können wir nun hinzufügen, dass ihre Bedeutung auch nicht durch die geistigen Vorgänge des Lesers produziert wird. Wittgenstein hat den Kern des Problems, um das es in dieser Debatte geht, gut formuliert: »Jedes Zeichen scheint allein tot. Was gibt ihm Leben?«75 Statt diese Frage mit Bezug auf die intrinsische Bedeutung des Mentalen zu beantworten, lenkt er die Aufmerksamkeit auf die Einbettung der Zeichen in Tätigkeiten. Ein Zeichen wird im Zusammenspiel mit anderen Zeichen benutzt, um etwas zu beschreiben, etwas vorherzusagen, Gebete zu formulieren, Scherze zu machen, Geschichten zu erzählen und so weiter. Das ›Leben‹ der Zeichen ist also ihre Funktionsweise, ihre abgestimmte Verwendung im Rahmen des Textes. Das Wort erhält seine Kraft nicht durch etwas, das sich im Kopf abspielt, sondern durch seine Einbeziehung in Zusammenhänge: in einen Satzzusammenhang, in einen Redezusammenhang, aber auch in einen Lebens- und in einen Kulturzusammenhang. Diese Verhältnisse sind mitzudenken, wenn Wittgenstein auf die Frage, was dem Zeichen Leben gibt, knapp antwortet: »Im Gebrauch lebt es.«76 Es ist vielleicht hilfreich, Wittgensteins Erklärung mit Wolfgang Kaysers strukturalistischer Denkweise zu vergleichen: »Eine Dichtung lebt [...] nicht als Abglanz von irgend etwas anderem, sondern als in sich geschlossenes sprachliches Gefüge.«77 Und: »Das sprachliche Kunstwerk lebt als solches und in sich.«78 Eine poststrukturalistische Literaturwissenschaft würde Kayser in dem Punkt zustimmen, dass ein Text nicht der Ausdruck von inneren Vorgängen ist, und zugleich bestreiten, dass das Leben der Zeichen unabhängig von ihrem zitierbaren Gebrauch gedacht werden kann.79 Der Eindruck, dass ein Wort allein »tot« ist, entsteht durch die isolierende Betrachtungsweise, also dadurch, dass man davon absieht, wie damit gearbeitet wird. Ein Wort trägt im Verbund mit anderen Zeichen dazu bei, eine kühn anmutende Ode oder eine raffiniert aufgebaute Erzählung zu entfalten. Selbst wenn der einzelne Text der primäre Untersuchungsgegenstand ist, kann sich seine Analyse, wie Baßler richtig sagt, »nicht auf die Sequenz beschränken«, sondern muss »auf das Archiv ausgedehnt werden«.80 Dieser kulturwissenschaftliche Leitgedanke geht letztlich auf die vertraute Überlegung zurück, dass die einzelne Erscheinung »in ihrem individuellen Leben vollkommen nur vom Ganzen her verstanden werden«81 kann. Die Kultur, in die der Gebrauch der Zeichen integriert ist, sollte jedoch weder auf Textualität reduziert noch als Äußerung eines kollektiven Geistes idealisiert, sondern als vielstimmiges, konflikthaftes, uneinheitliches »Gewimmel«82 reproduzierbarer Muster des Verhaltens verstanden werden.

Philologie zwischen Einfühlung und Distanzierung

Wenn die Überlegung, dass der Poststrukturalismus die Rückkehr des Autors einleitet, die Abgrenzung von Poststrukturalismus und Hermeneutik durcheinanderbringt, hätten die provisorisch gebrauchten Richtungs-ismen ihren Zweck erfüllt und könnten beinahe fallen gelassen werden. Auch die Bezeichnung ›Hermeneutik‹ könnte man notfalls beiseitelassen, um unnötig Trennendes, das der produktiven Zusammenarbeit entgegensteht, zu vermeiden. Ein weiteres Problem allerdings drängt sich auf, wenn man den ›Mythos der Unmittelbarkeit‹, die »illusion empirique«83 vermeiden will: Die Lebendigkeit der Zeichen wird nicht fertig vorgefunden und vom Forscher bloß noch aufgenommen. Wenn man beobachtet (oder auch nur glaubt, dass man beobachtet), wie die Wörter verwendet werden, muss man sie in gewisser Weise selbst verwenden. Man muss den fremden Sprachgebrauch simulieren, d. h. versuchsweise nachahmen, was im Text, den man analysiert, geschieht.84 An dieser Stelle kann man den Begriff der Einfühlung rehabilitieren, von dem gesagt wurde, dass er »nicht zum literaturwissenschaftlichen Gebrauch«85 geeignet sei. Traditionell versteht man darunter ein intuitives Erfassen des Fremdpsychischen durch innere Nachbildung. Karl Lachmann etwa meint, der Literaturhistoriker habe die Aufgabe, »die gedanken absichten und empfindungen des dichters, wie sie in ihm waren [...], rein und voll zu wiederholen«86. Für George Poulet zielt das Lesen auf die »coïncidence de deux consciences: celle d’un lecteur et celle d’un auteur«.87 Wer an der Verwissenschaftlichung der Geisteswissenschaften interessiert ist, wird diese unklar definierte, unkontrollierbare Methode nicht anerkennen. Schon Otto Neurath erklärt: »Einfühlen [...] mag den Forscher fördern, es geht aber in die Aussagegesamtheit der Wissenschaft ebensowenig ein wie ein guter Kaffee, der den Gelehrten bei seiner Arbeit förderte.«88 Doch selbst Neurath, der den Sonderstatus der Geisteswissenschaften in Zweifel zieht, ist sich, wenn man seinen weiteren Ausführungen folgt, nicht so sicher, ob sich die Sätze, um deren Richtigkeit Philologen und Soziologen streiten, von dem trennen lassen, was man vernünftigerweise als ›Einfühlung‹ bezeichnen kann. Er hält eine »behavioristische Umformung«89 und Rettung des Einfühlungsbegriffs für möglich. Seine Anforderungen an eine respektable Theorie der Einfühlung sind moderat: »Der ›Einfühlung‹ darf [...] nicht irgendeine sonderbare Zauberkraft über die gewöhnliche Induktion hinaus zugemutet werden.«90

Eine behavioristische – man könnte auch sagen ›praxeologische‹ oder ›enaktivistische‹ – Neubestimmung der Einfühlung müsste sich zuerst von der Annahme verabschieden, dass man bloß deswegen zitieren kann, was in einem Text gesagt oder dargestellt wird, weil man über eine Repräsentation oder Reproduktion des Textes verfügt. Mit dieser Erklärung verdoppelt man nur die Phänomene, die man zu erklären beansprucht. Dasselbe gilt für die Unterstellung, man könne bloß deswegen die Gedanken des Autors darlegen, weil man eine innere Repräsentation der fremden Seelenzustände in sich aufgebaut habe. ›Einfühlung‹, wenn dieses Wort einen klaren Begriff ausdrücken soll, bezieht sich auf ein (nicht unbedingt ›inneres‹) Verhalten: auf die Mobilisierung der eigenen Ausdrucksfähigkeiten zur (hypothetischen) Wiedergabe dessen, was ein Autor schreibt, sagt, darstellt, erzählt, denkt, fühlt, will. Man entwirft, wenn man sich um das Verstehen des Textes bemüht, eine Auffassung davon, was der Autor tut, indem er ihn schreibt. Dabei erprobt man Ausdrucks- und Handlungsmöglichkeiten, bis man die Ausdrucks- und Handlungsweise bestimmt hat, die am besten zu den Daten passt, die man über den Autor gesammelt hat.

Wer beansprucht, eine rhetorische Figur zu erkennen, muss imstande sein, die Zeichen in ein Muster zu integrieren. Dabei genügt es nicht, die Figur bloß zu benennen; man muss das rhetorische Muster wiedergeben, es also selbst formulieren können, wobei das, was man mit den eigenen Ressourcen imitiert, eben das ist, was man (vorläufig) für den Gebrauch der Zeichen hält. Auch für die Zeichen selbst gilt: Ein Forscher kann sie nur identifizieren, vergleichen und in komplexere Muster einpassen, wenn er sie im Modus der Wiedergabe zu reproduzieren imstande ist. Lesbarkeit bedeutet Iterierbarkeit – in diesem Punkt kann man Derrida zustimmen. Allerdings suggeriert er, indem er die Schrift mit einer Maschine vergleicht, dass sich die Zeichen im Moment der Niederschrift vom Kontext ihrer Entstehung ablösen und weiterwirken: »Écrire, c’est produire une marque qui constituera une sorte de machine à son tour productrice, que ma disparition future n’empêchera pas principiellement de fonctionner, et de donner, de se donner à lire et à réécrire.«91. Das Bild der Maschine und das Bild der Ablösung der Schrift vom Autor gehören zum Strukturalismus, von dem sich Derrida nie wirklich befreit hat. Er scheint (wenigstens zeitweise) zu vergessen, dass Schrift in Abwesenheit des Verfassers bloß deswegen funktioniert, weil man immer wieder zitieren kann, wie die Zeichen verwendet werden. Nun muss ein Philologe, der einen Text zitiert und die Verwendungsweise der Wörter erläutert, nicht nach den psychischen Begleitvorgängen des Schreibens fragen, aber sich doch ein Bild davon machen, in welche biographischen und kulturellen Zusammenhänge die Zeichen einbezogen sind.92 Weiterhin ist zu bedenken, dass nicht nur die Wörter und Sätze ›iterierbar‹ sind, sondern auch komplexere Muster, die durch ihren Gebrauch realisiert werden. Die Zeichen werden als höherstufige sprachliche Muster aufgefasst und in dieser Gestalt zitiert. Der Literaturwissenschaftler nimmt die Zeichen als etwas Sinnvolles wahr, wenn er fähig ist, ihre historisch situierte Verwendung zu imitieren. Die Sätze sind lebendig für ihn, wenn er geneigt ist, sie als begeisterte Lobrede, als bittere Reflexion oder dergleichen wiederzugeben. Er simuliert unter Aufbietung des eigenen Verhaltensrepertoires, was im Text gesagt, dargestellt oder ausgedrückt wird.

Wenn man an dieser Stelle, wie es leider oft geschieht, den poststrukturalistischen Textbegriff auf die Formel bringt, dass das Lesen eine »Bedeutungen schaffende Praxis«93 sei, verwischt man die weitreichende Einsicht, die bei Wittgenstein, bei Austin und bei den Autoren im Umfeld der Tel-Quel-Gruppe angelegt ist. Im Unterschied zu der alten These, dass der Leser auf eigene Verantwortung Bedeutungsstrukturen bzw. »Textwelten«94 produziert, die mit den unverfügbaren ›Originalen‹, die der historische Autor mit den Zeichen verbunden hat, mehr oder weniger übereinstimmen, ist nach der neuen Denkweise die Sprachverwendung (»énonciation«) selbst das Wesentliche, das der Leser als virtueller Autor (»scripteur virtuel«95) neu formuliert, in seinem Reiz auskostet und fortsetzt. Das Verstehen ist nach dieser im Grunde behavioristischen Auffassung keine Sinnproduktion und kein Erschließen von etwas Innerem. Texte verstehen, so könnte man Barthes paraphrasieren, heißt nicht, an die Bedeutungen in oder hinter den Zeichen heranzukommen, sondern ihren Gebrauch zu erfassen.96 Die Fähigkeit, die Verwendungsweise der sprachlichen Ausdrücke richtig zu beschreiben, hängt dabei wesentlich mit der Fähigkeit zusammen, sie richtig nachzuahmen.

Wie die Aussagen über den Text von der ominösen Vorstellung getrennt werden können, dass es neben Zeichen auch noch Bedeutungen oder Inhalte gibt, die im Geist oder außerhalb davon im Text vorhanden sind, so kann die Verwendung psychologischer Begriffe von dem Behälter-Modell des Geistes befreit werden. Willard Quines Vorschlag, dass psychologische Sätze wie ›Er glaubt/vermutet/befürchtet/ihm gefällt, dass...‹ Nachahmungen von Verhaltensmustern einleiten, weist einen Weg aus dem Mentalismus. Die Sätze, mit denen erläutert wird, was ein Autor denkt, glaubt, fühlt oder will, bilden nach Quine ein »essentially dramatic idiom«.97 Man wechselt, wenn man diese Sätze konstruiert, in einen dramatischen Modus, um mit eigenen Worten auszudrücken (und dadurch zu identifizieren), was eine andere Person beobachtet, denkt, glaubt, will, fühlt. Der »dramatic act«98, mit dem man ausformuliert, was sich im Verhalten des Autors andeutet, etwa die Bereitschaft, etwas so oder so zu beschreiben, oder die Neigung, sich so oder so auszudrücken, kann man zwar auch stumm (›im Geiste‹) ausführen, aber diese ›Verinnerlichung‹ ist in keiner Weise vorrangig gegenüber der Ausführung, die für andere wahrnehmbar ist. Auch zielt die ›Gedankenwiedergabe‹ nicht auf die Reproduktion oder Repräsentation eines vermeintlichen Originals im Inneren des Autors ab.99 Sie ist richtig, wenn der Autor tatsächlich geneigt ist, sich so zu verhalten, wie man es darstellt.

›Einfühlung‹ ist also, folgt man Quines Andeutungen, nicht der Name einer speziellen Methode, sondern die systematische Mobilisierung der eigenen sprachlichen und intellektuellen Fähigkeiten zur Wiedergabe fremder Verhaltensmuster. Sie ist konstitutiv für die Fragen und Antworten der Literaturwissenschaft. Das Einfühlungsvermögen durchdringt sowohl die Analyse, als auch ihre (vorläufigen) Resultate. Der Philologe kommt nicht umhin, dem untersuchten Text die eigene Subjektivität unterzuschieben, um versuchsweise zu entwerfen, was darin gesagt und getan wird. Zwar ist Stephen Greenblatts Darstellung der Literaturwissenschaft als Gespräch mit den Toten ein wenig irreführend, aber man kann seinen Ausführungen dennoch etwas Richtiges abgewinnen:

I had dreamed of speaking with the dead, and even now I do not abandon this dream. But the mistake was to imagine that I would hear a single voice, the voice of the other. If I wanted to hear one, I head to hear the many voices of the dead. And if I wanted to hear the voice of the other, I had to hear my own voice. The speech of the dead, like my own speech, is not private property.100

Diese Aussagen werden sinnvoll, wenn man den Ausdruck ›mit den Toten sprechen‹ durch ›sich das Verhalten der Toten (der abwesenden Autoren) vergegenwärtigen‹ ersetzt und ›ihre Stimme hören‹ durch ›den Charakter ihres Verhaltens identifizieren‹. Die Sprache der Toten ist verstehbar, sofern man sie im Modus der Simulation selbst verwenden kann. Forscher leihen den Autoren die eigene Stimme (die eigenen Ausdrucksfähigkeiten), um ihre sprachlichen Äußerungen, ihre Denk- und Handlungsweisen wiederzugeben und zu erläutern. Man zitiert, was die Autoren geschrieben haben; man spricht aus, was sie ungesagt lassen und nur zwischen den Zeilen zu verstehen geben; man formuliert verdeutlichend, worauf sie anspielen, welche Urteile sie nahelegen, in welchem Stil sie Texte verfassen. Dabei erfassen die Sätze, mit denen man darstellt, was Autoren tun, das individuelle Verhalten als Variation von Mustern, die in der Kultur verfügbar sind.

Wenn das, was hier ›Einfühlung‹ heißen soll, erfolgt, wird ein Muster im Unterschied zu anderen probeweise vergegenwärtigt. Um herauszufinden, was ein Autor tut, indem er seinen Text schreibt, muss man sich möglichst in die Kultur ›einleben‹, also das eigene Verhaltensrepertoire so gut wie möglich auf den Autor und sein soziales Umfeld einstellen, so dass man hypothetisch formulieren kann, was hätte gesagt und getan werden können. Dasselbe gilt für die Versifikation eines Gedichts oder die Handlungsführung eines Romans: Um zu verstehen, was ein Autor zu tun versucht, muss man sich ein ganzes Spektrum von Möglichkeiten aneignen. Eine Philosophie der Philologie, die sich auch als ›Gelehrtenbehavioristik‹ oder ›Praxeologie‹ versteht, müsste berücksichtigen, dass die rationale Untersuchung von Texten nicht nur eine Sache des richtigen Verstandesgebrauchs im Nachdenken und Diskutieren über das Gelesene ist, sondern auch eine Arbeit an sich selbst, eine Erweiterung, Umformung und gezielte Mobilisierung des eigenen Verhaltensrepertoires.

›Sich einfühlen‹ steht nicht im Gegensatz zur Bildung und vergleichenden Prüfung von Hypothesen: Die Beschäftigung mit Texten kann weiterhin als eine rationale Untersuchung gelten, als ein disziplinierter Versuch, die beste Antwort auf erklärungssuchende Fragen zu finden. Nur das falsche Wissenschaftsideal, das dem Forscher die Rolle zuweist, Strukturen des Textes teilnahmslos zu beschreiben und Hypothesen über Objekte aufzustellen, ohne sie selbst zu durchdringen und ohne an der Entwicklung von Autorbildern mitzuwirken, wird in Frage gestellt. Genettes Unterscheidung zwischen einer »critique hermeneutique», die an den ursprünglichen Sinn herankommen will, indem sie ihn im Geiste nachbildet (»recréation intérieure«), und einer »critique structurale«, die eine unpersönliche, verstandesmäßige Rekonstruktion der im Text nachweisbaren Beziehungen leisten will (»reconstruction intelligible«101), wird somit hinfällig. Denn die Zeichen können nicht länger von ihrem koordinierten Gebrauch und die Analyse der Texte nicht von der Verlebendigung durch den Leser getrennt werden. Philologie ist weder eine Nachbildung verborgener seelischer Vorgänge im Bewusstsein des Forschers, noch eine unbeteiligte Bestandsaufnahme losgelöster Strukturen.

Ist die Literaturforschung, da sie in so hohem Maße auf Wiedergabeleistungen angewiesen ist, »die schmiegsamste aller Wissenschaften«102? Jedenfalls bedeutet ›Schmiegsamkeit‹ nicht, dass die Analyse innehält, wenn sie die Bedeutung der Wörter und die Absichten des Autors entdeckt zu haben meint. Dass die Einfühlung nicht darauf hinauslaufen muss, das Selbstverständnis des Autors bloß zu reproduzieren und seine Geltungsansprüche kritiklos hinzunehmen, wird in den aufschlussreichen Bemerkungen deutlich, die Richard Alewyn diesem Thema widmet: Die Einfühlung, die er für einen »unerläßliche[n] Bestandteil des Verstehens« hält, ist für ihn kein innerer Vorgang, sondern ein »kontrollierter Gebrauch suggestiver Sprachmittel«103, der eine »Evokation [...] seelischer Verfassungen«104 leistet. Wenn es erlaubt ist, ›suggestiv‹ durch ›imitativ‹ zu ersetzen, wird die sachliche Nähe dieser Überlegung zu Quines »essentially dramatic idiom« deutlich. Genauso unerlässlich wie die Einfühlung ist für Alewyn die »Distanzierung«105, die sich, so darf man ihn wohl ergänzen, in kritisch-einordnenden, versachlichenden, die Selbstpräsentation des Autors zurechtrückenden und vielleicht in gewissen Hinsichten desillusionierenden Charakterisierungen ausdrückt. Mit dem interessanten Ausdruck »mimetische Ironie«106, den er in seiner Antrittsrede vor dem Kollegium der Deutschen Akademie benutzt, gibt Alewyn zu verstehen, dass die Nachahmung eines Rede- oder Denkmusters aus einer distanzierten Haltung heraus erfolgen kann. Der Forscher kann zum Beispiel im Ton der Verkündung vorgetragene Reflexionen als unüberlegte Reproduktion von Klischees wiedergeben. Nicht nur gelungene Sprachverwendungen, sondern auch Unstimmigkeiten, misslungene Problemlösungsversuche oder unartikulierte Gedanken kann man probeweise vergegenwärtigen. Und was man in einem Moment nachahmt, macht man im nächsten Moment zum Objekt einer weiterführenden Analyse, indem man es als Fortsetzung eines Konflikts, als eine Strategie im Ringen um Geltung oder als Etappe in einer längerfristigen Entwicklung einordnet. Man nimmt sozusagen Abstand und versucht, den Weg, den der Autor einschlägt, aus einer überlegenen Position zu verfolgen. Die übermäßige Betonung der Absichten würde hierbei zu einer unnötigen Beschränkung der Untersuchung verleiten. Schon die Frage, was der Verfasser tatsächlich tut, indem er seinen Text schreibt, öffnet den Blick für Sachverhalte, die sein Selbstverständnis relativieren oder ihm zuwiderlaufen.

Schluss

Fünf Resultate der Diskussion möchte ich abschließend hervorheben: 1. Der Poststrukturalismus leitet eine Rückkehr des Autors ein, die sich von der unkritischen Wiedereinführung des hermeneutischen Intentionalismus, die seit einiger Zeit zu beobachten ist, vorteilhaft unterscheidet. 2. Wo Barthes und Derrida behaupten, dass sich die Schrift von dem Verfasser und seinen Absichten löst, sind sie strukturalistischen Vorstellungen verhaftet; wo sie versuchen, Text und Sprachverwendung zusammenzudenken, ist ihre Denkweise poststrukturalistisch. 3. Die rationale Untersuchung sprachlicher Gebilde bedarf keiner Absicherung durch die Annahme von Bedeutungen, die mit den Zeichen verbunden sind, oder durch die Annahme von mentalen Zuständen, die den Text prägen. Man kann analysieren, welche Bedeutung ein Wort hat und mit welcher Absicht es im Text verwendet wird, ohne Hypothesen über geistige Dinge aufstellen zu müssen, die ›Bedeutungen‹ und ›Absichten‹ genannt werden. 4. Die Idee, dass ein Literaturforscher den fremden Sprachgebrauch sozusagen verlebendigt, indem er ihn im Modus der Wiedergabe selbst verwendet, ist zentraler Bestandteil einer poststrukturalistischen Auffassung von Philologie. 5. Die Philologie braucht einerseits Anpassungsbereitschaft und Einfühlungsvermögen, um die Eigenart und den spezifischen Reiz eines Textes identifizieren zu können, andererseits aber auch einen nüchternen Blick für weniger glanzvolle Texteigenschaften und die Grenzen eines Autors.

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  • 1. Wittgenstein und Derrida werden oft miteinander verglichen, vgl. Marjorie Grene: »Life, Death, and Language. Some Thoughts on Wittgenstein and Derrida«. In: Partisan Review 43 (1976), S. 265–279; Adrian Moore: The Evolution of Modern Metaphysics. Making Sense of Things. Cambridge 2012, S. 518–538. Anthony Kenny stellt die interessante Behauptung auf, dass die Bücher, die Derridas literarischen Ruhm begründet haben, deutlich von John Austin beeinflusst sind: »In 1967 Derrida published three highly original works (Writing and Difference, Speech and Phenomena, and Of Grammatology) which bore clear marks of Austin’s influence.« (Philosophy in the Modern World. Oxford 2007, S. 91.)
  • 2. Vgl. Barbara Herrnstein Smith: »The Chimera of Relativism. A Tragicomedy«. In: Common Knowledge 17/1 (2011), S. 13–26.
  • 3. Eric Hirsch: Validity in Interpretation. London 1967, S. 26.
  • 4. Peter Tepe: Kognitive Hermeneutik. Würzburg 2007, S. 351.
  • 5. Die Idee, dass Aussagen über Texte nicht richtig oder falsch sein können, lässt sich entkräften, ohne dass man behaupten müsste, dass Bedeutungen durch Akte der Sinngebung in den Text eingeschrieben werden, vgl. Stefan Descher: Relativismus in der Literaturwissenschaft. Studien zu relativistischen Theorien der Interpretation literarischer Texte. Berlin 2017.
  • 6. Pierre Macherey: Pour une théorie de la production littéraire. Paris 1966; Jean-Louis Baudry: »Écriture, Fiction, Idéologie«. In: Théorie d’ensemble. Paris 1968, S. 127–147; Ders.: »Linguistique et production textuelle«. In: ebd., S. 351–364; Ders.: »Freud et ›la création littéraire‹«. In: Tel Quel 32 (1968), S. 65–85.
  • 7. Barbara Herrnstein Smith: Poetic Closure. A Study of How Poems End. Chicago 1968. Smith interpretiert Derridas und Foucaults Arbeiten als eine Bestätigung ihrer positivistischen und behavioristischen Betrachtungsweise, vgl. »A Conversation with Barbara Herrnstein Smith«. In: Pre-Text 10/3-4 (1989), S. 143–163, hier S. 144. Üblicherweise werden diese Denktraditionen trotz ihrer inhaltlichen Übereinstimmungen getrennt rezipiert, vgl. Mark Freeman u. Charles Locurto: »In Skinner’s Wake. Behaviorism, Poststructuralism, and the Ironies of Intellectual Discourse«. In: New Ideas in Psychology 12/1 (1994), S. 39–56. Im Unterschied zu Skinner vertritt Smith einen dezidiert anti-reduktionistischen Behaviorismus, den man in der gegenwärtigen Diskussion auch als ‚Enaktivismus‘ bezeichnet, vgl. Smith: »Super Natural Science: The Claims of Evolutionary Psychology«. In: Dies.: Scandalous Knowledge. Science, Truth and the Human. Edinburgh 2005, S. 130–152; Dies.: Natural Reflections. Human Cognition at the Nexus of Science and Religion. New Haven / CT 2009.
  • 8. Diese Entwicklung wird skizziert von: Alan Costall u. Ivan Leudar: »On the Historical Antecedents of the Theory of Mind Paradigm«. In: Dies. (Hg.) Against Theory of Mind. London 2009, S. 19–38.
  • 9. Vgl. Marcus Willand: »Intention in romantischer Hermeneutik und linguistischer Pragmatik«. In: Christian Meierhofer u. Eric Scheufler (Hg.): Turns und Trends der Literaturwissenschaft. Zürich 2010, S. 28–49.
  • 10. John Searle: »Literary Theory and its Discontents«. In: New Literary History 25/3 (1994), S. 637–667, hier S. 664.
  • 11. Da Searle die methodologische Hinwendung zur Sprache rückgängig macht und das dogmatische Theoretisieren wiedereinführt, ist es irreführend, wenn Remigius Bunia und Till Dembeck die Auseinandersetzung zwischen ihm und Derrida als einen »Konflikt zwischen Poststrukturalismus und Analytischer Philosophie» darstellen (»Dekonstruktion / Poststrukturalismus«. In: Jost Schneider (Hg.): Methodengeschichte der Germanistik. Berlin 2009, S. 71–86, hier S. 84). Searles Entwicklung wird übersichtlich dargestellt von Andreas Kemmerling: »Von der Sprache zum Bewusstsein. John Searle löst sich vom analytischen Mainstream«. In: Merkur 48/5 (1994), S. 432–438. Allerdings ist Searle, anders als die von Kemmering gewählte Metapher nahelegt, kein Einzelgänger, sondern Teil einer »mentalistischen Wende« (Edward Kanterian: Analytische Philosophie. Frankfurt / M. 2004, S. 149–151).
  • 12. Die Theorie, dass die Fähigkeit der Wörter, etwas darzustellen, von inneren Zuständen abgeleitet ist, die aus sich heraus etwas repräsentieren, wird von Searle seit den späten 1970er Jahren vertreten: »Language is derived from Intentionality« (John Searle: »What is an Intentional State?«. In: Mind 88 (1979), S. 74–92, hier S. 75) »Beliefs, fears, hopes and desires [...] are intrinsically Intentional. [...] The mind imposes Intentionality on entities that are not intrinsically [...].« (Ebd., S. 88f.). Vgl. Ders.: Intentionality. An Essay in the Philosophy of Mind. Cambridge 1983.
  • 13. John Searle: The Rediscovery of the Mind. Cambridge / MA. 1992.
  • 14. Jacques Derrida: Limited Inc. Evanston / Ill. 1988, S. 128.
  • 15. Jerry Fodor: Hume Variations. Oxford 2003, S. 8.
  • 16. Mark Turner: Reading Minds. The Study of English in the Age of Cognitive Science. Princeton 1991, S. VII.
  • 17. Gérard Genette: »Structuralisme et critique littéraire«. In: Ders.: Figures I. Paris 1966, S. 145–170, hier S. 156. »Der Begriff einer strukturalistischen Textanalyse kann in bestimmter Hinsicht als ein bloßes Äquivalent dessen aufgefasst werden, was die Amerikaner close reading nennen und was man in Europa [...] als immanente Literaturbetrachtung bezeichnen würde.« (Wenn nicht anders angegeben, stammen alle Übersetzungen von mir – V. P.)
  • 18. Georges Poulet: La conscience critique. 3. Aufl. Paris 1986 [1971], S. 285. »Die Literaturbetrachtung wird also zum unpersönlichen Spiegel, in dem sich das Objekt – nichts als das Objekt – in seiner Organisation, in seiner Komposition, in den Beziehungen seiner Teile, in seiner sprachlichen Ordnung offenbart. Dies scheint der Standpunkt zu sein, [...] den der Strukturalismus einzunehmen beabsichtigt.«
  • 19. Viktor Šklovskij: Theorie der Prosa [1921]. Frankfurt / M. 1966, S. 139. Zur Verteidigung dieser Sichtweise vgl. Vincenz Pieper: »Was heißt es, eine fiktionale Erzählung zu verstehen? Überlegungen am Beispiel von ›Der Tod in Venedig‹, ›Der Erwählte‹ und ›Felix Krull‹«. In: Regine Zeller, Jens Ewen u. Tim Lörke (Hg.): Der Geist der Erzählung. Narratologische Studien zu Thomas Mann. Würzburg 2017, S. 25–63.
  • 20. Vgl. Tepe: Kognitive Hermeneutik (Anm. 4), S. 69, S. 325f.
  • 21. Oliver Scholz: Verstehen und Rationalität. Untersuchungen zu den Grundlagen von Hermeneutik und Sprachphilosophie. 3. Aufl. Frankfurt / M. 2016; Ders.: »Sinn durch Einbettung. Von Frege zu Wittgenstein.« In: Georg Bertram u. Jasper Liptow (Hg.): Holismus in der Philosophie. Ein zentrales Motiv der Gegenwartsphilosophie.  Weilerswist 2002, S. 168–188.
  • 22. Julia Tanney: Rules, Reasons, and Self Knowledge. Cambridge / MA. 2013.
  • 23. Peter Hacker: Human Nature. The Categorial Framework. Oxford 2007; Ders.: The Intellectual Powers: A Study of Human Nature. Oxford 2013; Ders.: The Passions. A Study of Human Nature. Oxford 2017.
  • 24. Louise Barrett: »Why Behaviorsm Isn’t Satanism«. In: Jennifer Vonk u. Todd Shackelford (Hg.): The Oxford Handbook of Comparative Evolutionary Psychology. Oxford 2012, S. 17–38.
  • 25. Alva Noë: Out of Our Heads. Why You Are Not Your Brain, and Other Lessons from the Biology of Consciousness. New York 2009.
  • 26. Daniel Hutto: »Enactivism: From a Wittgensteinian Point of View«. In: American Philosophical Quarterly 50/3 (2013), S. 281–302.
  • 27. Peter Szondi: »Schleiermachers Hermeneutik heute« [1970]. In: Ders.: Schriften. Bd. 2. Hg. v. Jean Bollack. Frankfurt / M. 1978, S. 106–130.
  • 28. John Reichert: Making Sense of Literature. Chicago 1977.
  • 29. Barbara Herrnstein Smith: »Doing Without Meaning«. In: Dies.: Belief and Resistance. Dynamics of Contemporary Intellectual Controversy. Harvard 1997, S. 52–72.
  • 30. Quentin Skinner: Visions of Politics. Bd. 1: Regarding Method. Cambridge 2002.
  • 31. Toril Moi: Revolution of the Ordinary. Literary Studies after Wittgenstein, Austin, and Cavell. Chicago 2017.
  • 32. Smith: »Doing Without Meaning« (Anm. 29), S. 70.
  • 33. Vgl. Jacques Bouveresse: Prodiges et vertiges de l’analogie. Paris 1999; Hans-Johann Glock: »Imposters, Bunglers and Relativists«. In: Susanne Peters (Hg.): The Humanities in the New Millennium. Tübingen 2000, S. 267–287.
  • 34. Richard Brütting: Écriture‹ und ›texte‹. Die französische Literaturtheorie ›nach dem Strukturalismus‹. Bonn 1976, S. 17. Vgl. Ders.: »Tel quel«. In: Bernd Schmidt (Hg.): Frankreich-Lexikon. Berlin 2005, S. 926–928.
  • 35. Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Platon. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin 1920, S. 4.
  • 36. Turner: Reading Minds (Anm. 16), S. 206.
  • 37. Dan Sperber u. Deirdre Wilson: Relevance. Communication and Cognition. Oxford 1995, S. 1.
  • 38. Karl Eibl: »Ist Literaturwissenschaft als Erfahrungswissenschaft möglich? Mit einigen Anmerkungen zur Wissenschaftsphilosophie des Wiener Kreises«. In: Philip Ajouri, Katja Mellmann u. Christoph Rauen (Hg.): Empirie in der Literaturwissenschaft. Münster 2013, S. 19–45, hier S. 35.
  • 39. Christoph Demmerling: »Verstehen als Erklären«. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 63/5 (2015), S. 983–993, hier S. 993.
  • 40. Wolfgang Detel: Geist und Verstehen. Historische Grundlagen einer modernen Hermeneutik. Frankfurt / M. 2011, S. 42.
  • 41. Ebd., S. 26.
  • 42. Wer die Bedeutung unter Berufung auf Ferdinand de Saussure als Bestandteil des Zeichens (wie bei einer chemischen Verbindung) oder als Seite des Zeichens (wie bei einem Blatt Papier) fassen will, fährt fort, Bedeutungen zu verdinglichen. Saussure vergrößert die Konfusion sogar noch, indem er das Zeichen im Kopf lokalisiert. Das Bestreben, etwas zu finden, das man ›Bedeutung‹ nennen kann, ist von Anfang an fehlgeleitet. Manche Sprachwissenschaftler stimmen Wittgenstein in diesem Punkt zu: »The problem of semantics is not, then, nor can it be, the search for an elusive entity called ›meaning‹. [...] If we are talking of ›having‹ a meaning, it is rather like talking about ›having‹ length. Having length is being so many feet or inches long; length is not something over and above this. Similarly, meaning is not some entity that words or any other linguistics entities ›have‹, in any literal sense of ›having‹.«(Frank Palmer: Semantics, Cambridge 1981, S. 29). Dazu ist zweierlei zu sagen: 1. ›Eine Bedeutung haben‹ ähnelt nicht so sehr ›eine Länge haben‹, sondern Ausdrücken wie ›einen Zweck haben‹, ›einen Nutzen haben‹, ›einen Wert haben‹, ›eine Funktion haben‹, die einen Bezug zu Verhaltensweisen und Interessen herstellen. 2. Es ist nicht klar, dass das Wort ›haben‹ in den genannten Konstruktionen uneigentlich verwendet wird.
  • 43. Vgl. Gilbert Ryle: The Concept of Mind [1949]. Hg. v. Julia Tanney. London 2009, S. 23.
  • 44. Moritz Baßler: »Mythos Intention. Zur Naturalisierung von Textbefunden«. In: Matthias Schaffrick u. Markus Willand (Hg.): Theorien und Praktiken der Autorschaft. Berlin 2014, S. 151–167, hier S. 153.
  • 45. Ebd., S. 154.
  • 46. Ebd., S. 160.
  • 47. Ebd., S. 153.
  • 48. Ebd., S. 341.
  • 49. Ebd., S. 343.
  • 50. Ebd., S. 342.
  • 51. Brian Vickers: Shakespeare, Co-Author. A Historical Study of Five Collaborative Plays. Oxford 2002, S. 507.
  • 52. Roland Barthes: »La mort de l‘auteur« [1967]. In: ders.: Œuvres complètes, Bd. 3, Paris 2002, S. 40–45.
  • 53. Heinrich Detering: »Vorbemerkung«. In: Ders. (Hg.): Autorschaft. Positionen und Revisionen. Stuttgart 1999, S. IX–XVI, hier S. X.
  • 54. Moritz Baßler: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv. Eine literaturwissenschaftliche Text-Kontext-Theorie. Tübingen 2005, S. 342.
  • 55. Poulet: La conscience critique (Anm. 18), S. 272. »Vertreibt die Subjektivität, sie kommt im Galopp zurück.«
  • 56. Vgl. Georges Poulet: »La crise de la critique littéraire«. In: Gérard Buis (Hg.): Les Crises de la pensée scientifique dans le monde actuel. Paris 1971, S. 83–104, hier S. 104.
  • 57. Joshua Landy: »The Most Overrated Article of All Time?« In: Philosophy and Literature 41/2 (2017), S. 465–470, hier S. 465.
  • 58. Raymond Picard: Nouvelle Critique ou Nouvelle Imposture. Paris 1965, S. 119–121. »Die ›neue Kritik‹ beschäftigt sich nicht mit der Dramaturgie, wenn sie eine Tragödie behandelt, und nicht mit der Romantechnik, wenn sie einen Roman behandelt. [...] Die ›neue Kritik‹ behauptet in gutem Glauben, zum Werk zurückzukehren, aber dieses Werk ist nicht das literarische Werk (das sie zu Zeichen pulverisieren will), sondern die gesamte Erfahrung des Verfassers. In ähnlicher Weise will sie strukturalistisch sein, befasst sich aber gar nicht mit den literarischen Strukturen (die sie zerstört oder ignoriert), sondern mit psychischen, soziologischen, metaphysischen usw. Strukturen.«
  • 59. Pierre Macherey: »L’analyse littéraire tombeau des structures«. In: Les Temps Modernes 246 (1966), S. 907–928, zitiert nach: Macherey: Pour une théorie de la production littéraire (Anm. 6), S. 170. »Der Forscher beschäftigt sich nicht mit der wirklichen Arbeit eines bestimmten Verfassers, sondern mit dem Schreiben als solchem: Was tut man, wenn man schreibt? (Wo erwähnt Barthes die spezifischen Probleme, die Racine lösen musste, die Mittel, die ihm dafür zur Verfügung standen, die realen Bedingungen, die er vorfand, ohne sich dessen notwendigerweise bewusst zu sein?).«
  • 60. Macherey behauptet, dass Barthes sein Pathos mit gedanklicher Konfusion bezahle und rückt seinen Stil in die Nähe von Saint-Exupéry und Roger Garaudy. Das dürfte erklären, warum sein Buch von den Telqueliens, die Barthes nahestanden, zwar gelesen, aber selten erwähnt wurde, vgl. Brütting: ›Écriture‹ und ›texte‹ (Anm. 34), S. 77–79. Louis Althusser war von Machereys Ideen offenbar stark beeindruckt, vgl. Warren Montag: Louis Althusser and His Contemporaries. Philosophy’s Perpetual War. Durham 2013, S. 73–100.
  • 61. Macherey: Pour une théorie de la production littéraire (Anm. 6), S. 179. »Die wesentliche Frage der Forschung ist nicht: Was ist Literatur? Das heißt: Was tut man, wenn man schreibt (wenn man liest)? Die Frage ist: Welche Notwendigkeiten bestimmen das Werk? Woraus ist es gemacht? Wodurch erhält es seine Beschaffenheit? Die Forschung sollte also nach dem Material fragen, das verwendet wird, und nach der Art und Weise, wie mit dem Material gearbeitet wird.«
  • 62. Jacques Derrida und Pierre Macherey gelten ihnen als Wegbereiter eines neuen Textbegriffs: »Demgegenüber zielt die hier vorgelegte Studie darauf, einen Begriff vom Text als solchem herauszukristallisieren, der, mag er sich immerhin als fertiges Produkt präsentieren [...], gleichzeitig in seiner Textur selber den Prozeß seines eigenen Produziertwerdens (des Schreibens) bezeugt, das durch Begriffe wie Ausdruck und Widerspiegelung nicht erfaßt wird. Um auf ein berühmtes Bild zurückzukommen, dessen letzte operative Möglichkeiten Macherey in seiner Studie [...] mit strenger Klarheit ausgeschöpft hat, wie mir scheint: man kann den Spiegel in noch so viele Stücke zerbrechen – niemals wird man auf diese Weise das Literarische als solches erkennen, d. h. den Text als Prozeß, als Praxis, als Produziertwerden.« (Jean-Louis Houdebine: »Erste Annäherung an den Begriff Text« [1967]. In: Tel Quel. Die Demaskierung der bürgerlichen Kulturideologie. Übersetzung von Gert Sautermeister. München 1971, S. 110–124, hier S. 122.) Die politische Entwicklung der Telqueliens wird erhellend dargestellt von Michael Scott Christofferson: French Intellectuals Against the Left. The Antitotalitarian Moment of the 1970s. New York 2004, S. 198–207.
  • 63. Jean-Louis Houdebine: »Über eine Lektüre Lenins. Vom Begriff der Widerspiegelung zur Idee des Prozesses« [1968]. In: Tel Quel. Die Demaskierung der bürgerlichen Kulturideologie. Übersetzung von Gert Sautermeister. München 1971, S. 125–134, hier S. 134.
  • 64. Es geht den Poststrukturalisten nicht um die Genese im Unterschied zum fertigen Produkt, sondern um die Erfassung der Verwendungsweise der Elemente, die das Produkt konstituieren: »Dans la pratique scripturale, la production est inscrite et lisible dans son produit.« (Baudry: »Linguistique et production textuelle« (Anm. 6), S. 362.) »In der schriftstellerischen Praxis ist die Produktion dem Produkt eingeschrieben und in ihm lesbar.« Das Interesse für die Produktion war, so Baudry, bei den Russischen Formalisten lebendig, wurde dann jedoch durch die metaphysischen Zeichen- und Kommunikationsmodelle der strukturalistischen Linguistik verdrängt, vgl. ebd. S. 363.
  • 65. »Leur attitude peut être [...] qualifiée de post- ou d’antistructuraliste« (Michel Arrivé : »Postulats pour la description linguistique des textes littéraires«. In: Langue Française 3 (1969), S. 3–13, hier S. 10). »Ihre Einstellung kann als post- oder antistrukturalistisch gekennzeichnet werden.«
  • 66. »Der Verfasser wird nicht länger ein Schöpfer sein, ein deplatzierter Gott, sondern Hersteller eines Textes, den er unter bestimmten Bedingungen produziert.«
  • 67. Roland Barthes: »La mort de l’auteur« [1967] (Anm. 52), S. 43. Barthes kannte die Beiträge von Émile Benveniste, der sich bereits früh mit Austins Theorie des Sprachgebrauchs auseinandergesetzt hatte, vgl. »La philosophie analytique et la langage« [1963]. In: Ders.: Problèmes de linguistique générale. Paris 1966, S. 267–276. Die Nähe der eigenen Position zu Wittgenstein wird in einem Beitrag zum Tel-Quel-Kolloquium ‚Artaud/Bataille‘ in Cerisy-la-Salle deutlich, vgl. »Les sorties du texte« [1972]. In: Ders.: Œuvres complètes. Bd. 4. Paris 2002, S. 366–376, hier 376. Später bezeichnet Barthes die Oxford-Philosophie im Gespräch mit Nadine Dormoy Savage als Beginn einer poststrukturalistischen Wende in der Sprachreflexion: »Le mouvement est parti certainnement de la philosophie oxfordienne« (»Rencontre avec Roland Barthes«. In: French Review 52/3 (1979), S. 432–439, hier S. 435).
  • 68. Vgl. Roland Barthes: »Sade, Fourier, Loyola« [1971]. In: ders.: Œuvres complètes. Bd. 3. Paris 2002, S. S. 699–868, hier S. 705 (»retour amicale de l‘auteur«); ders.: La Préparation du roman I et II. Cours et séminaires au Collège de France (1978-1979 et 1979-1980). Paris 2003, S. 275f. (»retour de l’auteur«).
  • 69. Vgl. Michel Foucault: Dits et Ecrits. Hg. v. Daniel Defert u. Francois Ewald unter Mitarbeit von Jacques Lagrange, übersetzt von Michael Bischoff, Hans-Dieter Gondek u. Hermann Kocyba. Bd. 1. Frankfurt / M. 2001, S. 44f., S. 763; ders.: L’Archéologie du savoir. Paris 1969, S. 105-115. Genauere Angaben zu seinen Lektüren findet man bei Martin Rueff: »Introduction à L’Archéologie du savoir«. In: Les Études philosophiques 153 (2015), S. 327–352.
  • 70. Jacques Derrida: »Signature événement contexte«. In: ders.: Marges de la philosophie. Paris 1972, S. 365–393, hier S. 328. »Diese Kategorie von Kommunikation ist verhältnismäßig originell. Die Austinschen Begriffe von illocution und perlocution bezeichnen nicht die Beförderung oder Übermittlung eines Bedeutungsinhalts, sondern gewissermaßen die Mitteilung einer ursprünglichen [...] Bewegung, eine Operation und das Hervorrufen einer Wirkung« (Jacques Derrida: »Signatur Ereignis Kontext«. In: Ders.: Randgänge der Philosophie. Wien 1999, S. 325–351, S. 346.)
  • 71. Baßler: »Mythos Intention« (Anm. 44), S. 155. Meine Hervorhebung – V.P.
  • 72. Moritz Baßler: »Vergleichen, was uns ergreift. Von den Kränkungen der Literaturwissenschaft«. In: Moritz Baßler, Cesare Giacobazzi, Christoph Kleinschmidt u. Stephanie Waldow (Hg.): (Be-)Richten und Erzählen. München 2011, S. 47–58, hier S. 54f.
  • 73. »[T]he shortest way I might describe such a book as the Philosophical Investigations is to say that it attempts to undo the psychologizing of psychology [...]. And at the same time it seems to turn all of philosophy into psychology – matters of what we call things, how we treat them, what their role is in our lives.« (Stanley Cavell: »Aesthetic Problems of Modern Philosophy« [1969]. In: Ders.: Must we mean what we say. A Book of Essays. Cambridge 1976, S. 73–96, hier S. 91.) Ausführlicher zu diesem Programm: Sandra Laugier: »Dépsychologiser la psychologie«. In: Dies.: Wittgenstein. Le mythe de l’inexpressivité. Paris 2010, S. 23–54.
  • 74. Vgl. Klaus Hempfer: Poststrukturale Texttheorie und narrative Praxis. München 1976, S. 35, S. 43, S. 48, S. 108, S. 150; Seymour Chatman: »Reply to Barbara Herrnstein Smith«. In: Critical Inquiry 7/4 (1981), S. 802–809, hier 806.
  • 75. Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen. Kritisch-genetische Edition. Hg. v. Joachim Schulte. Frankfurt / M. 2001, § 432.
  • 76. Ebd.
  • 77. Wolfgang Kayser: Das sprachliche Kunstwerk. Einführung in die Literaturwissenschaft. Bern 1961, S. 5.
  • 78. Ebd., S. 387.
  • 79. Der Kultursoziologe Andreas Reckwitz schlägt eine ähnliche Abgrenzung vor, wie ich sie hier vornehme: Er unterscheidet die ›Praxistheorie‹, die an Wittgenstein anknüpft, einerseits vom ›Mentalismus‹ und andererseits vom ›Textualismus‹ (den ich lieber als ›Strukturalismus‹ bezeichne, um besser zwischen strukturalistischen und nicht-strukturalistischen Textbegriffen unterscheiden zu können). Ich würde Reckwitz Ausführungen in vielen Aspekten zustimmen. Allerdings zählt er die französischen Poststrukturalisten, denen er eine »Neigung zu einer [...] anti-praxeologischen, textorientierten Semiologie« unterstellt, zum ›Textualismus‹ (Andreas Reckwitz: »Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken«. In: Zeitschrift für Soziologie 32/4 (2003), S. 282–301, hier S. 283). Tatsächlich finden sich einige strukturalistische (Reckwitz würde sagen ›textualistische‹) Motive bei Foucault und Derrida. Insgesamt ist der Poststrukturalismus jedoch, wie oben dargelegt wurde, keineswegs »anti-praxeologisch«. Im Gegenteil: Die Hinwendung zur Praxis ist eines der poststrukturalistischen Hauptanliegen.
  • 80. Baßler: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv (Anm. 54), S. 363f.
  • 81. Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: »Philologie und Schulreform« [1892]. In: Ders.: Reden und Vorträge, 3. Aufl. Berlin 1913, S. 97–119, hier S. 105.
  • 82. Ludwig Wittgenstein: Zettel. Frankfurt / M. 1989, § 567.
  • 83. Macherey: Pour une théorie de la production littéraire (Anm. 6), S. 23.
  • 84. Zu diesem Aspekt vgl. Sandro Zanetti: »Literaturwissenschaftliches Schreiben zwischen Mimesis und Abstraktion. Von Le Clerc zu Peter Szondi und Roland Barthes«. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 40/2 (2015), S. 348–373; Ralf Klausnitzer verbindet das Einnehmen von Perspektiven mit dem Wort »simulieren«, vgl. Einführung in die Literaturwissenschaft. 2. aktualisierte und erweiterte Aufl. Berlin 2012, S. 82.
  • 85. Klaus Weimar: »Einfühlung«. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 1. Berlin 1997, S. 427–429, hier S. 427.
  • 86. Karl Lachmann: »Vorrede«. In: Iwein. Eine Erzählung von Hartmann von Aue. 2. Auflage, Berlin 1843, S. III–X, hier S. III.
  • 87. Poulet: La conscience critique (Anm. 18), S. 9.
  • 88. Otto Neurath: »Empirische Soziologie. Der wissenschaftliche Gehalt der Geschichte und Nationalökonomie« [1931]. In: Ders.: Gesammelte philosophische und methodologische Schriften. Hg. von Rudolf Haller u. Heiner Rutte. Wien 1981, S. 423–527, hier S. 463
  • 89. Otto Neurath: »Soziologie im Physikalismus« [1932]. In: Ders.: Gesammelte philosophische und methodologische Schriften. Hg. v. Rudolf Haller u. Heiner Rutte. Wien 1981, S. 533–562, hier S. 548.
  • 90. Ebd.
  • 91. Derrida: »Signature événement contexte« (Anm. 70), S. 377. »Schreiben heißt, ein Zeichen produzieren, das eine Art ihrerseits nun produktive Maschine konstituiert, die durch mein zukünftiges Verschwinden nicht daran gehindert wird, zu funktionieren und sich lesen und nachschreiben zu lassen.« (Derrida: »Signatur Ereignis Kontext« (Anm. 70), S. 334.)
  • 92. Derrida erklärt, dass in einer differenzierten Typologie der Iterationsformen auch Wiedergabeleistungen einen Platz haben, die sich auf die Absichten des Verfassers beziehen: »Dans cette typologie [de formes d’itération], la catégorie d’intention ne disparaîtra pas, elle aura sa place, mais, depuis cette place, elle ne pourra plus commander toute la scène et tout le système de l’énonciation.« (Derrida: »Signature événement contexte« (Anm. 70), S. 389). »In dieser Typologie [von Iterationsformen] wird die Kategorie der Intention nicht verschwinden, sie wird ihren Platz haben, aber von diesem Platz aus wird sie nicht mehr den ganzen Schauplatz und das ganze System der Äußerung beherrschen können« (Derrida: »Signatur Ereignis Kontext« (Anm. 70), S. 346). Damit macht Derrida dem Psychologismus möglicherweise zu große Zugeständnisse. Austin ist hier radikaler: Die Vorstellung eines Subjekts, das ›hinter‹ dem äußeren Verhalten steht, parodiert er als die Annahme eines »backstage artiste«, der das Spiel der Zeichen im Verborgenen bloß verdoppelt (How to Do Things with Words. Hg. v. James Urmson u. Marina Sbisà, London 1962, S. 10).
  • 93. Ottmar Ette: »Kommentar«. In: Roland Barthes: Die Lust am Text. Berlin 2010, S. 87–502, hier S. 101.
  • 94. Vgl. Klaus Weimar: »Doppelte Autorschaft«. In: Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matías Martínez u. Simone Winko (Hg.): Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs. Tübingen 1999, S. 123–133.
  • 95. Sandro Zanetti u. Agathe Mareuge: »Roland Barthes im Gespräch mit Georges Charbonnier: Über eine mögliche Theorie der Lektüre (1967)«. Transkribiert, übersetzt und mit Vorbemerkungen versehen von Sandro Zanetti u. Agathe Mareuge. In: Sprache und Literatur 47/1 (2018), S. 97–109.
  • 96. Der Gedanke, dass jede Wahrnehmung des Textes (also auch die Wahrnehmung des Geschriebenen vom Verfasser selbst) eine vergegenwärtigende Nachahmung der Sprachverwendung einschließt, wird von Baudry in die etwas irritierende Aussage gefasst, dass Lesen und Schreiben gleichzeitige Momente derselben Textproduktion sind, vgl. Baudry: »Écriture, Fiction, Idéologie« (Anm. 6), S. 131.
  • 97. Willard Quine: Word and Object [1960]. Hg. v. Dagfinn Føllesdal. Cambridge / MA. 2013, S. 201.
  • 98. Ebd., S. 200.
  • 99. Man verbindet mit dem Einfühlungsbegriff typischerweise die Vorstellung, dass der der Leser »sich ausmalt, was in der Psyche einer anderen Person vor sich geht« (Hans Ulrich Gumbrecht: Diesseits der Hermeneutik. Über die Produktion von Präsenz. Frankfurt / M. 2004, S. 12.)
  • 100. Stephen Greenblatt: Shakespearean Negotiations. The Circulation of Cultural Energy in Renaissance England. Berkeley 1988, S. 20.
  • 101. Genette: »Structuralisme et critique littéraire« (Anm. 17), S. 161.
  • 102. Wilhelm Scherer: »Goethe-Philologie«. In: Ders.: Aufsätze über Goethe. Berlin 1886, S. 1–27, hier S. 3.
  • 103. Richard Alewyn: »Vorwort«. In: Ders.: Probleme und Gestalten. Essays. Frankfurt / M. 1982, S. 7–9, hier S. 8.
  • 104. Ebd.
  • 105. Ebd.
  • 106. Richard Alewyn: »Antrittsrede«. In: Michael Assmann (Hg.): Wie sie sich selber sehen: Antrittsreden der Mitglieder vor dem Kollegium. Göttingen 1999, S. 84f.

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