Christine
Lötscher
Zürich/Frankfurt, Oder

Vom Denken der Pilze und Flechten

Die »Assemblage« als Verfahrenstechnik des »New Weird«

Wie viel Umweltethik kann, soll, muss Literatur vermitteln? Diese Frage steht im Zentrum der wissenschaftlichen Diskussion über Jeff VanderMeers 2014 publizierte Romantrilogie Area X: Southern Reach.1 Die meisten Analytiker*innen betrachten sie als ­engagierten Beitrag zu einem ökologischen Denken.2 Das liegt jedoch in erster Linie an der klaren Positionierung des Autors zum Thema.3 Denn die Romane selbst tun das, was gelungene (New) Weird Fiction am besten kann: Sie irritieren ihre Leser*innen. Geheimnisvolle Mächte sorgen dafür, dass alles, was wir über uns und unsere Welt zu wissen glauben, in Frage gestellt wird. Jeffrey Weinstock definiert den Modus des New Weird darüber hinaus als ein Phänomen der Gegenwart, das in der Tradition der Weird Fiction des 19. und 20. Jahrhunderts steht und dabei Motive, vor allem aber Affektpoetiken von William Hope Hodgson, Montague Rhodes James, Algernon Blackwood und Howard Philips Lovecraft aufnimmt und ökologisch, posthumanistisch und feministisch variiert.4 Insbesondere VanderMeers erster Band, Annihilation, bietet eine verstörende ästhetische Erfahrung, indem er mit der Area X eine seit dreißig Jahren der menschlichen Zivilisation entzogene Welt heraufbeschwört. Wer die Zone betritt, kehrt, wenn überhaupt, kontaminiert, mutiert oder als scheinbar leere Körperhülle mit schnell wuchernden Tumoren zurück. Das Verstörende besteht darin, dass völlig unklar ist, wo das, was den Menschen ausmacht, geblieben ist; ob es, jenseits der sich unkontrolliert verändernden Materialität des Körpers, überhaupt etwas gibt, was als das genuin Menschliche zu bezeichnen wäre. Ohne die Kenntnis des dritten Bandes, in dem die Vorgeschichte erzählt und die Kontamination der Zone mit dem Eingreifen von Aliens erklärt wird, lassen sich die Veränderungen, die sich dort abspielen, deshalb nicht so leicht unter Krankheiten verbuchen. Alison Sperling verwendet den von Heather Houser geprägten Begriff der ecosickness fiction, in der Krankheit als eine Art Medium fungiert, um auf die Auflösung der Grenze zwischen Mensch und Nicht-Mensch hinzuweisen und damit bei den Leser*innen ein ökologisches Bewusstsein zu stärken.5 Hier würde ich Sperlings Argumentation, Annihilation verhandle genau das anhand der Krankheiten des Anthropozäns, die in der Area X sichtbar werden, entgegenhalten, dass die Kategorie der Krankheit eine Wertung mit sich bringt, die im Text gerade vermieden wird. Aus dieser Perspektive lässt sich überhaupt keine ökologische Appellfunktion festmachen, denn der Roman stellt – durchaus in der Tradition von Lovecrafts Weird Tales – die Bedingungen der Möglichkeit eines menschlichen Denkens und Fühlens in Frage. So lässt er jeglichen Bezug zur Realität nicht nur brüchig werden, sondern als ganz und gar unmöglich erscheinen. Die Area X ist keine Landschaft, die es Menschen erlaubt, sie als souveräne Subjekte zu durchwandern und mithilfe objektivierbarer Kategorien zu beschreiben. Wer sie betritt, wird Teil von ihr und denkt aus ihr heraus; herkömmliche Konzepte und Begriffe können höchstens noch zur Analogiebildung dienen. Bei der Lektüre des Romans – mit einer Biologin als in­tradiegetisch-homodiegetischer Erzählinstanz – bezeugen die Leser*innen diesen höchst ambivalenten Prozess der Verschmelzung.

Um die politische Dimension dieses Prozesses beurteilen zu können, ist mehr als ein ›Abgleich‹ des Textes mit ökokritischen, posthumanistischen beziehungsweise neomaterialistischen oder objektorientiert-ontologischen Theorien notwendig.6 Zumal man die Auflösung der Subjekt-Objekt-Relation zwischen Figur und Landschaft bei VanderMeer auch als die künstlerische Zuspitzung einer Erkenntnis betrachten kann, die im Bereich des Nature beziehungsweise Environmental Writing längst zu den epistemologischen Voraussetzungen gehört. Nature Writing geht gemäß Ludwig Fischer davon aus, »dass wir Menschen selbst mit unseren Kulturtätigkeiten, mit unseren Wissenschaften, unserer Technologie und Industrie, also mit unserem gesamten Denken und Tun unaufhebbar eingebunden sind in die Wirkungszusammenhänge dessen, was wir Natur nennen.«7 Als Definition schlägt er vor:

Mit Nature Writing wird kein besonderes literarisches Genre, keine Gattung oder Textsorte bezeichnet. Es handelt sich um einen zusammenfassenden Begriff für Werke, die eine genaue Erkundung von Natur und Landschaft auf literarisch anspruchsvolle Weise vergegenwärtigen, was oft die Reflexion auf das erkundende Subjekt und auf das Mensch-Natur-Verhältnis einschließt.8

Der wohl prominenteste Vertreter des Genres, der Brite Robert Macfarlane, widmet dem Verhältnis zwischen Landschaften, Wegen, dem Gehen und der Vorstellungskraft ein Buch – The Old Ways (2012) –, das mit einer programmatischen Vorbemerkung beginnt:

It is an exploration of the ghosts and voices that haunt ancient paths, of the tales that tracks keep and tell, of pilgrimage and trespass, of songlines and their singers and of the strange continents that exist within countries. Above all, this is a book about people and place: about walking as a reconnoitre inwards, and the subtle ways in which we are shaped by the landscapes through which we move.9

Vieles davon ließe sich zur Charakterisierung von Annihilation verwenden. Denn die Area X ist so ein eigentümlicher Kontinent innerhalb der USA, und die scheinbar unberührte Wildnis ist voller Spuren verschwundenen Lebens, Ruinen und Überreste, die von elf früheren Expeditionen geblieben sind. Vor allem aber kann man die Erforschung der Area X als ein existenzielles Rekognoszieren nach Innen verstehen, jenseits psychologischer Erklärungsmöglichkeiten. Die Landschaft erinnert die Biologin auf Schritt und Tritt an ihre kindliche Leidenschaft für ein Biotop, die eine vegetative Seite in ihr anspricht, welche in der anthropozentrisch organisierten sozialen Welt keinen Raum hat. Die Area X erscheint in dieser Perspektive als ein weirdes Palimpsest von innerer Landschaft, der Erinnerungen eingeschrieben sind und gänzlich unvertrauter äußerer Landschaft. Nur ist bei VanderMeer all das mit der spekulativen Radikalität zur Unkenntlichkeit­ entstellt: Der innere Kontinent der Area X kann nicht einfach so betreten, die Grenze nur unter Hypnose überwunden werden; die Spuren menschlichen Lebens sind so beschaffen, dass sich das scheinbar organisch Wuchernde nicht vom kulturell Konstruierten trennen lässt. Davon später mehr; im Moment geht es darum, festzuhalten, dass nicht zuletzt diese Kombination von Nature Writing und Weird Fiction zur Komplexität des Romans beiträgt.

Die Bezugnahme auf literarische Genres und ihre Kombinatorik in Annihilation weist darauf hin, dass eine politische Beurteilung des Textes nur auf der Basis einer poetologischen Analyse möglich ist. Die entscheidende Frage muss sich auf dessen Machart beziehen und nicht auf die epitextuellen Aussagen VanderMeers. Denn die auf eine ›Botschaft‹ auf der Repräsentationsebene fokussierende Herangehensweise übersieht, dass gerade die Ambivalenz von Grauen und Glück, die sich beim Lesen einstellt, als Resultat der formalen Komposition des Romans, seiner Weird-Ästhetik, zu werten ist; ein Grauen, das durch eine Schönheit ausgelöst wird, die den Menschen als Bewunderer*in nicht braucht, und ein Glück, das im Grunde dieselbe Ursache hat: die Erfahrung der Biologin, Teil der Landschaft zu sein.

Hier manifestiert sich das alternative Denken in Bezug auf Beziehungen zwischen Menschen und nichtmenschlichen Wesen, das in VanderMeers Texten häufig thematisiert wird – und zwar gerade insofern, als traditionelle Narrative von handlungsfähigen menschlichen Held*innen unterlaufen werden. Und dies im Sinne einer alternativen, ökologischen und feministischen Poetologie, die Anna Lowenhaupt Tsing bei Ursula K. Le Guin vorfindet:

[She] argues that stories of hunting and killing have allowed readers to imagine that individual heroism is the point of a story. Instead, she proposes that storytelling might pick up diverse things of meaning and value and gather them together, like a forager rather than a hunter waiting for the big kill. In this kind of storytelling, stories should never end, but rather lead to further stories.10

Eine Möglichkeit dieses Sammelns und nichthierarchischen Wertschätzens der Fundstücke realisiert sich wiederum im Nature Writing. ›Natur‹ erscheint nicht als eine Idee oder ein Konzept, sondern als eine Erfahrung, in der die konkrete sinnliche Wahrnehmungsebene ganz mit dem Wissen über die Landschaft und den Spuren, die ihre ­Geschichte erzählen, verschmilzt. Doch in der Radikalität der Auflösung der Subjektposition geht VanderMeer wesentlich weiter als selbst Autorinnen wie Esther Kinsky oder ­Judith Schalansky, deren Erzählinstanzen eng mit den Landschaften verwoben sind, durch die sie sich bewegen. Die Leser*innen werden Zeug*innen davon, wie sich literarische Landschaften performativ herausbilden im Zusammenspiel von Körper, Sprache und Raum.11 Die zentrale Verfahrenstechnik, die in Annihilation aus der Verbindung von Nature Writing und Weird Fiction heraus entsteht, ist, wie dieser Beitrag aufzeigen möchte, die Weird-Assemblage – eine ästhetische Figuration, die bedingt, dass es keine Hierarchien zwischen ihren Elementen geben kann. Es handelt sich dabei um eine Ansammlung heterogener Entitäten und Materialien – Menschen, Tiere, Pflanzen, Maschinen und Dinge –, die weder hierarchisch noch dialektisch und auch nicht als Organismus organisiert sind, sondern in einer gleichsam vielstimmigen Form der Berührung und Verwandlung produktiv werden. Im Anschluss an Anna Tsing und Donna Haraway erscheint die Assemblage als Muster des vielstimmigen, nichtteleologischen Zusammenspiels unterschiedlicher Entitäten, die Lebensmöglichkeiten schaffen und zusammen mehr sind als die Summe ihrer Teile.12

Sowohl Tsing als auch Haraway verwenden Assemblage als Konzept, mit dem sich das Leben auf dem Planeten anders betrachten lässt, etwa als radikale Alternative zum Fortschrittsideal des Kapitalismus, mit seinem Ideal vom eigenständig handelnden Individuum,­ das auszieht, um den eigenen Gewinn zu maximieren.13 Zunächst hilft ein anderes Denkmodell als die Assemblage dabei, das scheinbar Selbstverständliche und Alternativlose zu historisieren:

The assumption of self-containment made an explosion of new knowledge possible. Thinking through self-containment and thus the self-interest of individuals (at whatever scale) made it possible to ignore contamination, that is, transformation through encounter. Self-contained individuals are not transformed by encounter. Maximizing their interests, they use encounters – but remain unchanged in them.14

Die Assemblage erlaubt es umgekehrt, Wirklichkeiten zu denken, in denen der Mensch nicht mehr Herrscher*in über Natur und Technologie ist, sondern Teil davon. Es wird die Frage aufgeworfen, was in den Figuren unter diesen Umständen denkt, fühlt und handelt: das Menschliche oder eher der Pilz, die Flechten, die Sporen? Bei Tsing geht es nicht um Kunst; sie ist Anthropologin und untersucht in ihrem Buch den Matsutake-Pilz, der in von Menschen abgeholzten und vergifteten Wäldern wächst und um den herum dynamische Biosphären und ökonomische Möglichkeiten entstehen, in denen jedes einzelne Element alle anderen beeinflusst: »[…] a gathering that’s greater than the sum of its parts«.15 Hier verbinden sich ›Natur‹ und ›Kultur‹, und auf den verschlungenen Pfaden von Kontamination und Kollaboration entsteht Neues aus den Trümmern des Kapitalismus.

Die Assemblage kann als Denkfigur dienen, die neue Betrachtungsweisen von ­politischen, ökonomischen und historischen Prozessen erlaubt. Vor dem Hintergrund eines Kapitalismus, der elaborierte Techniken entwickelt hat, um alles in Ressourcen zu ­verwandeln, ungeachtet dessen, ob es sich um Mensch, Tier, Pflanze oder Ding handelt,16 werden hier Denkansätze entwickelt, um dieser Kampf- und Verwertungslogik zu entkommen und eine andere Perspektive auf die Wirklichkeit zu gewinnen. Es geht bei der Assemblage also darum, auf artifizielle Grenzziehungen zu verzichten, das heißt, ein Denken zu entwickeln, welches nicht an Dichotomien oder identitären Zuschreibungen orientiert ist und die Trennlinien zwischen Mensch und Tier, Kultur und Natur auflöst.

Doch was macht die Assemblage als literarisches Verfahren aus? Annihilation, so meine These, ist weder als ökologischer Weckruf, noch als Warnung oder als didaktisches Lehrstück zu lesen. Vielmehr gestaltet der Roman die höchst ambivalente Gemengelage von Angst, Sehnsucht und Neugier. Die Assemblage wird bei VanderMeer zu einem Verfahren der fantastischen Spekulation.17 Und nicht nur bei ihm: In Texten und Filmen des New Weird begegnet man ihr überall dort, wo das Mensch-Natur-Verhältnis in Frage steht. Sie kann als wichtigste Verfahrenstechnik des New Weird gelten.

Interessant ist die Tatsache, dass verwandlungsaffine kulturelle Praktiken wie die Assemblage auf die Romantik zurückgehen. Man könnte die Assemblage als eine ­Weiterentwicklung der Arabeske verstehen, die als Verfahren der deutschen Frühromantik auf die Materialität des Medialen verweist.18 Im Kontext der orientalisierenden Märchenmode des 18. Jahrhunderts entstanden, dehnt sich das Muschel- und Laubwerk der Arabeske im Rocaille-Ornament vom Rahmen auf das Gerahmte aus. Von einem orientalisch ­inspirierten Rand- und Rahmenornament wandelte sie sich zu einem zentralen Formprinzip des Kunstwerks selbst.19 Die Arabeske wurde zum Bildgegenstand mit räumlicher Tiefendimension, ohne aber ganz in den Bildmodus einzugehen.20 Im Changieren zwischen Ornament- und Bildmodus bringt die Umwertung einer ornamentalen Rahmenform eine »eigene Welt« hervor, wie Winfried Menninghaus betont.21 Die Kritik der Aufklärer und der klassischen Hermeneutik richtete sich gegen die »semantische Leere« des Ornamentalen; im Zuge des material turn hingegen wurde gerade die Energie und die atmosphärische Kraft der nicht auf ihre Bedeutung zu reduzierenden Materialien (wieder)entdeckt – die lebendige Pilzschrift in Annihilation, auf die ich noch im Detail zu sprechen kommen werde, könnte dazu als Schulbeispiel dienen.22 Entscheidend ist, dass sich die Autonomie der Kunst in der Figuration der Arabeske exemplarisch ausprägte.23

In der neomaterialistischen Theorie wird die Arabeske in der Assemblage umkodiert, indem sie in die Autonomie des Zusammenspiels heterogener Materialien eingeht.24 Lars Spuybroek weist in seiner Neulektüre von John Ruskins Studien über die Architektur der Gotik Verbindungen zwischen einer digitalen Ästhetik und dem Handwerk nach, das aus »lebendiger« Materie animierte Ornamente hervorbrachte. Das Ornamentale, als »frühe Form des Pop«, wird zu einem wegweisenden Modell für ein kulturanalytisches Denken, das Heterogenität radikal zu fassen versucht. Wie Texturen sind auch Ornamente in dieser Perspektive insofern lebendig, als in ihren Materialien und in deren Zusammenspiel der Prozess des Machens greifbar wird:

Our first task is to resist thinking of ornament as something applied to a plain surface, i.e., to resist the thought of an underlying, truthful nakedness, and to see both form and ornament as interdependent. After doing so, we will find matter is constantly active and in formation, taking on form and textural pattern simultaneously.25

Was die Weird-Assemblage auszeichnet, ist das nichthierarchische Zusammenspiel ästhetischer Elemente, die unterschiedlichen Ebenen angehören: So wie das Ornament ins Bild eindringt und Teil davon wird, rückt die Materialität der Sprache selbst in den Vordergrund.

Annihilation als Text-Assemblage und Assemblage-Text

Annihilation macht es seinen Leser*innen, wie bereits angedeutet, nicht unbedingt leicht, die Weird-Assemblage als das wichtigste Verfahren des Romans zu erkennen. Der Roman verhält sich selbst wie ein Lebewesen, das sich durch Mimese tarnt, um sich unsichtbar zu machen – Mimese im biologischen, nicht Mimesis im literaturwissenschaftlichen Sinn. Der Roman baut eine scheinbare Diskrepanz zwischen Form und Inhalt auf, indem er als chronologischer Bericht gestaltet ist; als Feldtagebuch, in dem sich Beobachtung an Beobachtung reiht. Doch so wie die Biologin durch die Berührung mit Area X mutiert und sich in ihre eigene Doppelgängerin verwandelt, wird der Textkörper allmählich zu einem schwer durchschaubaren literarischen Geflecht, als dessen einziges Gesetz die Assemblage gelten kann. Am Ende des Romans ist die Biologin nicht nur Teil davon, sie erkennt ihren Zustand auch und hält fest:

I am aware that all of this speculation is incomplete, inexact, inaccurate, useless. If I don’t have real answers, it is because we still don’t know what questions to ask. Our instruments are useless, our methodology broken, our motivations selfish.26

Vier Tage, schreibt sie noch, habe sie mit dem – unmöglichen – Versuch des Berichts zugebracht, den sie über ihre Expedition in die geheimnisumwobene und aufs Strengste bewachte Area X verfasst. Wie unter Hypnose verwenden die Figuren die Formulierung »a pristine wilderness«27, um die Area X zu charakterisieren. Darin verbirgt sich ein wichtiger Hinweis auf die Problematik der Natur-Kultur-Dichotomie, denn im Kontext des Nature Writing gilt genau dies, die unberührte Wildnis, als kulturelle Konstruktion. Seit Menschen auf der Erde leben, so die Argumentation, könne von unberührter Natur keine Rede sein; die Vorstellung einer paradiesischen Wildnis sei ein Produkt des 18. und 19. Jahrhunderts.28

Die homodiegetische Erzählerin von Annihilation ist wie alle der vier Frauen, die im Rahmen der zwölften Expedition in die Area X aufbrechen, auf ihre Funktion reduziert und figuriert nur als »the biologist«, die Biologin. Was sie in der Area X erlebt, was sie wahrnimmt und beobachtet, lässt sich mit den Methoden ihrer, aber auch jeder anderen Wissenschaft, nicht beschreiben. Gerade weil sich die Biologin an eine möglichst rationale, streng chronologische Idee des Erzählens hält, sich zumindest mit aller Kraft daran festzuhalten versucht, tritt die sich herkömmlichen epistemologischen Mustern permanent entziehende Wirklichkeit der Area X für die Leser*innen des Romans umso deutlicher in Erscheinung. Denn das kaum Greifbare, nicht Benennbare der verwandelten Biosphäre schleicht sich beinahe unmerklich in die Wahrnehmung und die Sprache der Erzählerin ein, gerade weil sie die narratologischen Kategorien Zeit und Raum mit aller Kraft gegen deren Auflösung in der Erfahrung von Area X behaupten. So drückt sich die Erzählerin nach wie vor aus, als gäbe es eine zeitliche Abfolge von Ereignissen, und sie versucht, das Unbegreifliche weiterhin mit herkömmlichen Mitteln zu beschreiben, und ihre eigene Verschmelzung mit Area X zu reflektieren:

I was convinced that when I wasn’t looking at them, these cells became something else, that the very act of observation changed everything. I knew this was madness and yet still I thought it. I felt as if Area X were laughing a me then – every blade of grass, every stray insect, every drop of water.29

Liest man dieses Zitat ohne Kontext, so scheint die Erzählerin retrospektiv einen Zustand der Paranoia zu schildern. Doch im Verlauf der Erzählung nimmt gerade das, was sie als Einbildung oder gar Wahnsinn bezeichnet, durch Wiederholung und Variation den Status einer unheimlichen Realität an. Die zyklische Form des nur scheinbar chronologischen Berichts verweist darauf, dass sich die Distanz zwischen Erzählerin und Erzähltem längst aufgelöst hat.

Zum Schluss stellt sie die These auf, dass die Area X immer neue Zyklen durchläuft, an deren Ende »a kind of cataclysmic molting« steht,30 eine vernichtende Metamorphose – »if you want to think of it that way«.31 Zu diesem Zeitpunkt hat sich die Biologin bereits der Verwandlung hingegeben. Sie werde, sagt sie, die Area X weiterhin durchwandern, auf der Suche nach ihrem Mann, da sie spüre, dass er noch da sei: »even if utterly transformed – in the eye of a dolphin, in the touch of an uprising of moss«.32 Daraufhin fragt sie sich: »Will I melt into this landscape, or look up from a stand of reeds or the waters of the canal to see some other explorer staring down in disbelief?«33

Hier wird das Ökosystem Area X auf einer Metaebene als Assemblage angesprochen. Doch die Figuration ist schon von Anbeginn des Textes präsent:

The tower, which was not supposed to be there, plunges into the earth in a place just before the black pine forest begins to give way to swamp and then the reeds and wind-gnarled trees of the marsh flats. Beyond the marsh flats and the natural canals lies the ocean and, a little farther down the coast, a derelict lighthouse. All of this part of the country had been abandoned for decades, for reasons that are not easy to relate. Our expedition was the first to enter Area X for more than two years, and much of our predecessors’ equipment had rusted, their tents and sheds little more than husks.34

Die Landschaft erscheint bereits hier nicht wild und unberührt, sondern vielmehr so wie die von den Spuren des Anthropozäns gezeichneten Gegenden, die Robert Macfarlane in seinen Expeditionen ins Unterland beschreibt.35 Es gibt einen alten Leuchtturm und den Turm, mit dem der Roman beginnt. Er ist nicht nur auf keiner Karte von Area X zu finden; es ist auch keineswegs klar, wie man ihn sich vorzustellen hat. Die Biologin nennt ihn Turm, die Leiterin der Expedition spricht von einem Tunnel.36 So werden verlässliche­ Kategorien bereits im ersten Satz außer Kraft gesetzt, so faltet sich die Assemblage aus kontaminierten Elementen von Alltagssprache und konventionellem Erzählen allmählich auf. Dazu gehören die Analogien, mit denen die Biologin einen Weg sucht, das Erlebte zu beschreiben – weil es aber immer nur bei unscharfen, ungefähren und widersprüchlichen Vergleichen bleibt, stellt sich hier ein bodenloses Gefühl ein.

Ein ähnliches Verfahren findet der Philosoph Graham Harman bei Lovecraft. Dieser, schreibt er, gehöre zu den Autoren, die Löcher in der Welt finden, wo zuvor keine waren: »between objects and the power of language to describe them, or between objects and the qualities they possess.«37 Durch diese drängt die andere Seite durch. Bei VanderMeer zeigt sich ein solches Loch bei der Diskrepanz zwischen den Bezeichnungen »Turm« und »Tunnel«, die in ihrer Widersprüchlichkeit etwas von der Qualität des weirden Ortes vermitteln. Ähnlich verhält es sich mit der Zeitlichkeit des Erzählens. Erinnerungen an die Jahre vor der Expedition, als Forscherin im Feld, als Ehefrau, als Kind, das seine Liebe zur Biologie entdeckt, umschlingen die Beobachtungen aus Area X so sehr, dass nicht mehr von Analepsen die Rede sein kann, sondern von einer ganz eigenen Raumzeit, in der das Vorher und Nachher nicht mehr getrennt erscheint. Schon früh hatte die Biologin, als introvertiertes, dem Mobbing der Klassenkamerad*innen ausgesetztes Kind Mimesis gelernt, und sich am überwachsenen Swimmingpool im Garten des Elternhauses ihre eigenen Forschungsmethoden beigebracht:

I liked most of all pretending to be a biologist, and pretending often leads to becoming a reasonable facsimile of what you mimic, even if only from a distance. I wrote down my pool observations in several journals. I knew each individual frog from the next, Old Flopper so much different from Ugly Leaper, and during which month I could expect the grass to teem with hopping juveniles. I knew which species of heron turned up year-round and which were migrants. The beetles and dragonflies were harder to identify, their life cycles harder to intuit, but I still diligently tried to understand them. In all of this, I eschewed books on ecology or biology. I wanted to discover the information on my own first.38

Das Bild des in ein Biotop verwandelten Pools legt sich über Area X, und so relativiert sich der Eindruck, der von außen, von ihren Expeditionskolleginnen an sie herangetragen wird: Dass die Biologin von Pilzsporen, denen sie im Turm oder Tunnel begegnet, kontaminiert und deshalb übersensibel für die Sprache der Natur sei. Es lässt sich nicht leugnen, dass etwas von außen in den Körper der Biologin eindringt. Bei der Erzählung der Biologin handelt es sich gerade nicht um ein Eindringen von etwas Fremdem, sondern um eine – wenngleich unheimliche – Berührung, aus der etwas Neues entsteht, am Übergang zwischen Mensch und Nichtmensch: Die Pilzsporen treten in Interaktion mit den Erfahrungen der Biologin und ihrem Wunsch, ganz in der teilnehmenden Beobachtung aufzugehen und sich auf diese Weise im Biotop aufzulösen.

Die menschliche Subjektivität mag in ihrer Souveränität zwar untergehen in dieser Verschmelzung von Raum, Zeit, natürlichen Lebenszyklen und kulturellen Praktiken, Individualpsychologie und das Verhältnis zwischen Subjekt, Objekt und Abjekt lösen sich jedoch auf. Was in der Assemblage überdauert und in neue Kollaborationen tritt, um den Begriff von Tsing zu verwenden, sind gerade die kulturellen Praktiken. Die Biologin beobachtet und schreibt, und genau dies scheint die Area X auch zu tun.

Im Roman entdeckt die Biologin an der Turm- oder Tunnelwand eine Schrift aus Pilzen beziehungsweise symbiotischen Fruchtkörpern. Unerklärlicherweise ist sie in der Lage, die Worte zu verstehen – und doch ist die Materialität der Schrift so überwältigend in ihrer seltsamen, vibrierenden Schönheit, dass das Gefühl des Nicht-Verstehens überwiegt. Außerdem ergeben die Worte keinen Sinn. Sie dringen auf andere, stoffliche Arten in die Leserin ein und nehmen eine Schrifteigenschaft auf, die immer schon gegenwärtig und wirksam war, aber nicht wahrgenommen wurde:39

At about shoulder height, perhaps five feet high, clinging to the inner wall of the tower, I saw what I first took to be dimly sparkling green vines progressing down into the darkness. I had a sudden absurd memory of the floral wallpaper treatment that had lined the bathroom of my house when I had shared it with my husband. Then, as I stared, the »vines« revolved further, and I saw that they were words, in cursive, the letters raised about six inches off the wall. […] Already those initial phrases were infiltrating my mind in unexpected ways, finding fertile ground.40

Die lebendige Materialität der Schrift findet fruchtbaren Boden im Körper der Biologin – und doch findet sie sich zugleich in der herkömmlichen Position einer Detektivin wieder: »I would have preferred the words be written in an unknown language; this would have presented less of a mystery for us to solve, in a way.«41 Die kriminalistischen Methoden prallen an den seltsamen Phänomenen in Area X ab, werden aber noch gebraucht, um davon zu erzählen. Die Bedeutung verschwindet, die Kulturtechnik bleibt.

Assemblage als Verfahren der fantastischen Spekulation

Die Verfahrenstechnik der Weird-Assemblage findet sich nicht nur in VanderMeers Annihilation, sondern lässt sich als zentrales Verfahren des ökologischen New Weird beschreiben. Anhand von drei Beispielen aus einschlägigen Texten und Filmen möchte ich zum Schluss illustrieren, in welcher Form Weird-Assemblagen erscheinen können. Eine Affinität des Genres zur Assemblage zeichnet sich durch eine Inszenierung von Materialkonstellationen aus, die sich selbstständig machen, und durch Figuren, die sich, wie die Biologin bei VanderMeer, einer seltsamen Welt hingeben und mit ihr verschmelzen. Entscheidend ist dabei, auch in Hinblick auf die transmediale Präsenz des New Weird in der Populärkultur, die Beobachtung, dass die Assemblage nicht nur in der Literatur, sondern auch in audiovisuellen Medien erscheint.

Das erste Beispiel stammt aus der gleichnamigen Netflix-Adaption von Annihilation­ (Regie: Alex Garland, USA 2018). Augenfälliger als im Roman inszeniert der Film das Konzept auf der materiell-visuellen Ebene. Dazu gestaltet der Film ganz eigene, ausdrucksstarke Bilder, die im Text keine direkte Entsprechung haben und die für eine gesteigerte Dramatik der Handlung sorgen. Als sich die Frauengruppe aufmacht, die Area X zu erforschen, wird eine von ihnen von einem halbverwesten Bären gefressen. Der Bär kommt mit der Stimme der verschlungenen Kollegin zurück. Oder sie passieren Bäume, welche die Gestalt von Männern angenommen haben: auf der Basis der DNA von – ausschließlich männlichen – Teilnehmern einer früheren Expedition, die sich mit der Pflanzen-DNA verbindet. Am spektakulärsten ist aber der Anblick, der sich den Frauen in einem leeren Schwimmbad bietet.42 Gezeigt werden zunächst die fünf Frauen, die sich, Gewehr im Anschlag, ins Becken begeben und sich vorsichtig dem hinteren Rand nähern. Dort scheint etwas zu sein, das sie vorsichtig werden lässt, zugleich aber auch neugierig macht. Die Zuschauer*innen sehen noch gar nichts, und auch die Protagonistinnen scheinen nicht genau zu wissen, was sie sehen. Dann kommt der Gegenschuss, und wir sehen die Frauen von hinten, wie sie auf einen Fleck an der Wand des Beckens zugehen, eine seltsam vermoderte Blume vielleicht. Wieder folgt ein Gegenschuss, und die Zuschauer*innen sehen das von Schrecken verzerrte Gesicht einer Expeditionsteilnehmerin. Dann erst nähert sich die Kamera dem Fleck, der aus der Nähe durchaus dreidimensional erscheint und sich als eine Art Kippbild erweist. Aus einem Gewächs aus Moos und Flechten scheinen zwei Männerbeine herauszuwachsen. Oder sitzt jemand auf einem lebendigen Thron, der ihn bis zu den Hüften verschlungen hat? Ein genauerer Blick – die Kamera und die fünf Frauen stehen nebeneinander – offenbart Wurzeln oder Äste; vor allem sehen wir, dass das Gewebe den zu den Beinen gehörigen Oberkörper nicht verschlungen, sondern verwandelt und verschoben hat. Ein Schädel scheint dynamisch – vor grauem, erstarrtem Gewölk – aus der Skulptur ausbrechen zu wollen, die sich nun als ebenso mineralisch wie pflanzlich erweist. Die Kamera gleitet über die Assemblage, ohne dass die Zuschauer*innen sich ein Bild davon machen können – viel zu flüchtig ist die Bewegung. Und selbst wer Standbild für Standbild anschaut, kann die Figur nicht in ihrer Ganzheit erfassen – die Anschauung allein erklärt nichts, und niemand weiß, was mit der von wuchernden Materialien verarbeiteten Figur genau passiert ist. Nicht einmal die selbstverständlichste Kategorienunterteilung ist hier klar, denn es gibt keine Hinweise darauf, ob das Gewucher tot oder lebendig ist.

Die Grenze zwischen Leben und Tod wird auch im Roman The Beauty von Aliya Whiteley43 durchlässig. Schauplatz der Handlung ist eine postapokalyptische Welt, in der alle Frauen gestorben sind. Die Männer sind im Begriff, sich neu einzurichten, als die Toten zurückkehren: Als weiche, gelbliche Pilzwesen kehren sie zurück und mit nichts anderem im Sinn, als sich mit den Männern zu paaren und ihnen eine sprachlose, intensive Form der Geborgenheit zu spenden. Die Frauen erweisen sich als pilzgewordene Männerphantasien der Figuren, die Sex als eine Assemblage aus Mensch, Eukaryoten, Mikroorganismen, Lust, Geschichten und dem Abjekten erscheinen lassen.

Als letztes Beispiel möchte ich den Roman The Girl with all the Gifts von M.C. ­Carey44 und die Filmadaption von Colm McCarthy erwähnen. Er spielt zum größten Teil in einem postapokalyptischen London, das von Pilzgewächsen ornamental überwuchert ist. Die von den Pilzen versprühten Sporen sind lebensgefährlich – sie verwandeln Menschen in Zombies. Immun ist einzig eine neue Generation von Kindern. Allerdings weist sie eine Eigenschaft der Untoten auf, die das Zusammenleben mit den überlebenden Menschen erschwert: einen unkontrollierbaren Hunger auf Menschenfleisch. Die Ruinen Londons erscheinen als Assemblage aus Architektur, Pflanzengewucher, Tieren, katatonischen und quicklebendigen Untoten – und auch hier verhindert die schnelle Szenenfolge, dass die Bilder detailliert betrachtet werden können.

Die Assemblage ist deutlich zu erkennen, weil sie auf der Ebene des Schauplatzes und der histoire realisiert ist. Die Luft ist erfüllt mit leichten, schwebenden Schneeflocken, den tödlichen Sporen. Die Kinder mit den Zombie-Genen stört das nicht. Anders als die klassischen Survival-Held*innen kämpfen sie nicht so lange, bis alle Monster tot sind – sonst müssten sie, als kontaminierte Wesen, Selbstmord begehen. Stattdessen beginnen sie in den »Ruinen des Kapitalismus« zu handeln; im Sinne der Kollaboration, die Tsing als einzige Option für die Zukunft beschreibt:

As contamination changes world-making projects, mutual worlds – and new directions – may emerge. Everyone carries a history of contamination; purity is not an option. One value of keeping precarity in mind is that it makes us remember that changing with circumstances is the stuff of survival.45

Aus der Welt der Erwachsenen bleibt noch genau eine Figur übrig, eine Lehrerin, die sich für die mutierten Kinder eingesetzt hatte. Alle anderen wollten sie entweder töten oder für tödliche Forschungszwecke nutzen. Die überlebenden Kinder basteln für die Lehrer­in einen abgedichteten Raum und versammeln sich zum Unterricht. Die Lehrerin beginnt wieder am Anfang: »She draws on the side of the tank the letter A and a lowercase a. Greek myths and quadratic equations will come later.«46

Der Blick auf diese unterschiedlichen Erzählungen zeigt, dass Assemblage als ästhetische Figuration in Texten und audiovisuellen Bildern als ein Verfahren des spekulativen Denkens zum Einsatz kommt, aber auch erlaubt zu sehen, zu fühlen und zu erleben, was jenseits des Vorstellbaren, des Erfahrbaren liegt. Sie folgt keinem hierarchischen Ordnungsprinzip. Vielmehr berührt sie Heterogenes, wird produktiv und verwandelt sich ständig, und der Kernsatz von Tsings Definition trifft auch auf ästhetische Assemblagen zu: »assemblages don’t just gather lifeways; they make them.«47

Die Fantastik spekuliert im Modus des New Weird über andere Wirklichkeiten, gestaltet aber auch die Euphorie und die Ängste, die damit verbunden sind. Das geht nicht ohne Gewalt und Angst vor der Selbstauflösung zu. Texte wie Annihilation, The Beauty oder The Girl With All the Gifts arbeiten die Ambivalenz heraus, die in Lovecrafts Konzept der kosmischen Angst, die den affektpoetischen Kern der Weird Tale ausmacht, immer schon enthalten war, auch wenn sie in der Forschung bisher kaum wahrgenommen wurde.48 Im Kern besteht die Poetik der kosmischen Angst darin, dass sich Grauen und Glück auf zutiefst verstörende Weise verbinden. Daniel Illger hat herausgearbeitet, dass es sich bei dem kosmischen Horror um Angst vor dem Unvorstellbaren und gleichzeitiger Lust an der eigenen Auflösung handelt.49 Dieses Oxymoron aus Lust und Grauen ist mit der Erkenntnis verbunden, dass die Regeln des Universums, sollte es welche geben, für den Menschen unbegreiflich sind. Die Sprache ist einzig dazu da, einen Moment der kosmischen Angst zu erzeugen, wie Lovecraft in seinem Essay Supernatural Horror in Literature erläutert:

The one test of the really weird is simply this – whether or not there be excited in the reader a profound sense of dread, and of contact with unknown spheres and powers; a subtle attitude of awed listening, as if for the beating of black wings or the scratching of outside shapes and entities on the known universe’s utmost rim. And of course, the more completely and unifiedly a story conveys this atmosphere, the better it is as a work of art in the given medium.50

Wie bereits erwähnt, hat sich diese Bedrohung im New Weird ganz in die Immanenz ­verschoben; sie sitzt im eigenen Körper. Annihilation gestaltet die damit verbundene Angstlust in einem Körpergefühl, das von der unerträglichen Gleichzeitigkeit von Klaustrophobie und absoluter Durchlässigkeit geprägt ist.

Fazit: Materie und Kultur

Der Modus des New Weird nimmt hier eine Volte ins Unheimliche und Verstörende – und zwar, indem dieses Lebendige des Machens, das der Assemblage heterogener Materialien eigen ist, zu einem von menschlicher Kontrolle unabhängigen Werden extrapoliert wird. Angelegt ist es bereits in der Arabeske: Denn wie in der Arabeske die Materialien im künstlerischen Machen eine Eigendynamik entfalten, die klassisch-hermeneutisch nicht zu fassen ist, lässt die Assemblage im New Weird den Eigenwillen der Materialien im Zusammenspiel mit dem Werden lebendiger Wesen denken. Die Position der menschlichen Figur kann nur die einer Leser*in sein, die einerseits an den narrativen und detektivischen Verfahren festhält, die sie gelernt hat, sich gleichzeitig aber hingibt an die Assemblage – und dabei eine neue Ausdrucksform lernen muss, von der sie selbst längst Teil geworden ist.

Während der Film die Möglichkeit birgt aus Assemblagen Bildwelten zu schaffen und mit der Illusion eines vom menschlichen Blick unabhängigen Kameraauges zu arbeiten, bleiben die literarischen Texte an die Perspektive einer Figur gebunden. VanderMeer wählt in Annihilation, aber auch in Borne, seinem postapokalyptischen Roman von 2017, jeweils eine homodiegetische Erzählerin, die mit ihrem kulturellen Wissen und vor allem mit Hilfe von Erzählungen, von Metaphern und Worten in einer sich ständig verändernden Umgebung und einem sich verändernden Körper zu überleben versucht.

Was dabei geschieht, ist paradigmatisch für die Erscheinungsform der Assemblage in literarischen Texten: Sie entfaltet sich in der Zeitlichkeit des Erzählens. Die Assemblage lässt audiovisuelle Bilder als Medien des Raums und literarische Texte als Medien der Zeit erscheinen. Die Struktur der alten Geschichten ist den neuen eingeschrieben, so wie Schädel und Knochen Teil der Pilzgeschöpfe sind, die sich bei Aliya Whiteley aus den Gräbern der toten Frauen erheben. Der Modus des New Weird, in der Literatur und im Film, kann als ein Versuch gedeutet werden, das Erzählen aus der produktiven Heterogenität der Materialien heraus an die Grenze des menschlichen Denkens zu treiben. Die Protagonistinnen erfahren sich selbst als Teil einer Assemblage und können schließlich nicht mehr wissen, ob sie als Mensch, Pilz oder Flechte denken.

Um auf die eingangs gestellte Frage nach der Ethik zurückzukommen: Was bedeutet das nun für die Leser*innen, die Zuschauer*innen? Im Erkunden dieser überaus ­prekären Seinszustände verbindet sich, ganz ähnlich wie in der Weird Tale des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, eine Angst vor dem Verlust von Sicherheit und Kontrolle, aber auch von Subjektivität und Freiheit mit einer Sehnsucht danach, sich in das für unser Denken und unsere Wahrnehmung Inkommensurable vorzuwagen.51 Dem Roman ist nicht darum zu tun, eine Handlungsanweisung in Klimafragen zu geben, und er verzichtet auf jede Form der Didaktik. Insofern ist er weit entfernt davon, kritisch-politisches Denken gegen die Verführung durch unpolitische Selbstauflösung auszuspielen.52 Das Spekulative an Annihilation ist nicht die Warnung vor einer realen Zukunft, in welcher der Mensch mit Landschaften, Pflanzen, Tieren und dem, was in den Ruinen des Anthropozäns davon übriggeblieben ist, neue Verschmelzungen eingegangen sein wird. Vielmehr geht es um die Erforschung des menschlichen Blicks, einer neuen Perspektive, die durchaus auch retrospektive Züge annimmt. Durch die Weird-Assemblage kann die Kulturgeschichte gegen den Strich gelesen und neu geschrieben werden, denn Vorläufer eines ökologischen Denkens, Sehens und Fühlens finden sich auch in der Vergangenheit.

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WHITELEY, Aliya: The Beauty. London 2014.

Filmographie

Annihilation. Regie: Alex Garland, USA 2018. Netflix, 115 Min.

The Girl With All the Gifts. Regie: Colm McCarthy, UK 2016, 111 Min.

  • 1. Alle drei Bände erschienen 2014: Jeff VanderMeer: Annihilation. New York 2014. Ders.: ­Authority. New York 2014. Ders: Acceptance. New York 2014.
  • 2. Die Frage wird unter anderem in folgenden Aufsätzen diskutiert: Finola Anne Prendergast: »Revising Nonhuman Ethics in Jeff VanderMeers Annhilation«. In: Contemporary Literature, 58.3 (2017), S. 333–360, hier S. 344; Alison Sperling: »Second Skins: A Body-Ecology of Jeff VanderMeer’s The Southern Reach Trilogy«. In: Paradoxa 28 (2016), S. 230–254.
  • 3. Es sei ein wenig pervers, schreibt Prendergast, einem Werk der von Lovecrafts Nihilismus geprägten Weird Fiction einen positiven umweltethischen Einfluss zuzuschreiben. Doch VanderMeers Aussage, er habe sich beim Schreiben auf den radikalen Umweltschützer Derrick Jensen bezogen, legitimiere ihre Deutung. Prendergast: »Revising Nonhuman Ethics in Jeff VanderMeers Annhilation« (Anm. 2), S. 344.
  • 4. Vgl. Jeffrey Andrew Weinstock: »The New Weird«. In: Ben Gelder (Hg.): New Directions in Popular Fiction. Genre, Distribution, Reproduction. London 2016, S. 177–199 sowie ders.: »Jeff ­VanderMeer’s Annihilation (2014)«. In: Simon Bacon (Hg.): The Gothic. A Reader. Oxford 2018, S. 211–223, hier S. 213.
  • 5. Vgl. Sperling: »Second Skins« (Anm. 2), S. 237f. sowie Heather Houser: Ecosickness in Contemporary US-Fiction: Environment and Affect. New York 2014.
  • 6. Auch Weinstock liest Annihilation entlang von Timothy Mortons Konzept des hyperobjects als Klima-Roman. Jeffrey Andrew Weinstock: »Jeff Vandermeer’s Annihilation (2014) – Gothic and the New Weird«. In: Simon Bacon (Hg.): The Gothic: A Reader. New York 2018, S. 211–216, hier S. 213f. Vgl. Timothy Morton: Hyperobjects: Philosophy and Ecology after the End of the World. Minneapolis 2013, S. 1: Unter hyperobjects versteht er »[…] things that are massively distributed in time and space relative to humans.« Konkret meint er damit Ölfelder, Plastikabfälle, »the sum of all the whirring machinery of capitalism.« Weinstock verwendet den Begriff, um auf die Symptomatik des New Weird hinzuweisen, als »expression of an awareness of total crisis«; viel neuen Erkenntnisgewinn bringt die Argumentation mit hyperobjects aber nicht – außer, dass sie auf den Punkt bringt, inwiefern die für den menschlichen Geist unfassbare Bedrohung im New Weird immanent und nicht mehr unbedingt, wie bei Lovecraft, transzendent ist. Denn hyperobjects sind überall, auch in uns selbst, aber nicht zu (be)greifen. Vgl. Weinstock »Jeff Vandermeer’s Annihilation« (Anm. 6), S. 214.
  • 7. Ludwig Fischer: Natur im Sinn. Naturwahrnehmung und Literatur. Berlin 2019, S. 37.
  • 8. Ebd., S. 45.
  • 9. Robert Macfarlane: The Old Ways. A Journey on Foot. London 2012, S. xi.
  • 10. Anna Lowenhaupt Tsing: The Mushroom at the End of the World. On the Possibility of Life in Capitalist Ruins. Princeton/Oxford 2015, S. 287.
  • 11. Vgl. Esther Kinsky: Hain. Berlin 2018; Judith Schalansky: Verzeichnis einiger Verluste. Berlin 2019.
  • 12. Vgl. Tsing: The Mushroom at the End of the World (Anm. 10), S. 23. Die Verwendung des Begriffs bei Tsing und Haraway geht ursprünglich auf Deleuze/Guattaris Konzept der agencement zurück. Vgl. Donna Haraway: Staying With the Trouble. Making Kin in the Chthulucene. Durham 2016.
  • 13. Vgl.Tsing: The Mushroom at the End of the World (Anm. 10), S. 28.
  • 14. Ebd.
  • 15. Vgl. ebd., S. 23.
  • 16. Tsing: The Mushroom at the End of the World (Anm. 10), S. 27f.
  • 17. Das Verfahren ist mit Donna Haraways von Ursula K. Le Guin und einer Reihe von Wissenschaftlerinnen beeinflusster Methode des SF verwandt: »[…] speculative fabulation, science fiction, science fact, speculative feminism […]. SF is storytelling and fact telling; it is the patterning of possible worlds and possible times, material-semiotic worlds, gone, here, and yet to come.« Haraway: Staying With the Trouble (Anm. 12), S. 31.
  • 18. Vgl. dazu: Günter Oesterle: »Arabeske«. In: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Hg. von Karlheinz Barck u. a. Bd. 1: Absenz–Darstellung. Stuttgart/Weimar 2000, S. 272–286; Susi Kotzinger/Gabriele Rippl (Hg.): Zeichen zwischen Klartext und Arabeske. Amsterdam/Atlanta 1994; Caroline Torra-Mattenklott: Poetik der Figur. Zwischen Geometrie und Rhetorik. Modelle der Textkomposition von Lessing bis Valéry. Paderborn 2016.
  • 19. Torra-Mattenklott: Poetik der Figur (Anm. 18), S. 45.
  • 20. Winfried Menninghaus: Lob des Unsinns. Über Kant, Tieck und Blaubart. Frankfurt am Main 1995, S. 94–95.
  • 21. Ebd., S. 95.
  • 22. Ebd., S. 94–118; Vgl. Torra-Mattenklott: Poetik der Figur (Anm. 18), S. 45–47.
  • 23. Vgl. Torra-Mattenklott: Poetik der Figur (Anm. 18), S. 45.
  • 24. Vgl. Tsing: The Mushroom at the End of the World (Anm. 10), S. 22f.
  • 25. Lars Spuybroek u.a.: The Politics of the Impure. Rotterdam 2010, S. 28.
  • 26. VanderMeer: Annihilation (Anm. 1), S. 192f.
  • 27. VanderMeer: Authority (Anm. 1), S. 59.
  • 28. Vgl. William Cronon: »The Trouble With Wilderness or Getting Back to the Wrong Nature«. In: Ders. (Hg.): Uncommon Ground. Rethinking the Human Place in Nature. 1995. S. 69–90, hier S. 75f.
  • 29. VanderMeer: Annihilation (Anm. 1), S. 159.
  • 30. VanderMeer: Annihilation (Anm. 1), S. 193.
  • 31. Ebd.
  • 32. Ebd., S. 194.
  • 33. Ebd.
  • 34. Ebd., S. 3.
  • 35. Vgl. Robert Macfarlane: Underland. London 2019.
  • 36. Vgl. VanderMeer: Annihilation (Anm. 1), S. 18f.
  • 37. Graham Harman: Weird Realism. Lovecraft and Philosophy. Winchester 2012, S. 3.
  • 38. VanderMeer: Annihilation (Anm. 1), S. 45.
  • 39. Zu Materialität und Schrift vgl. u.a. Stephan Kammer: »Visualität und Materialität der Literatur«. In: Claudia Benthien/Brigitte Weingart (Hg.): Handbuch Literatur und visuelle Kultur. Berlin/New York 2014, S. 31–47, Carlos Spoerhase: Linie, Fläche, Raum. Die drei Dimensionen des Buches in der Diskussion der Gegenwart und der Moderne. Göttingen 2016 sowie Christian Benne: Die Erfindung des Manuskripts. Zur Theorie und Geschichte literarischer Gegenständlichkeit. Berlin 2015.
  • 40. VanderMeer: Annihilation (Anm. 1), S. 24f.
  • 41. Ebd., S. 27.
  • 42. Annihilation. Regie: Alex Garland, USA 2018. Netflix, 115 Min, TC: 00:47:44–00:48.22.
  • 43. Aliya Whiteley: The Beauty. London 2014.
  • 44. M.C. Carey: The Girl with all the Gifts. London 2014.
  • 45. Tsing: The Mushroom at the End of the World (Anm. 10), S. 27.
  • 46. M.C. Carey: The Girl With All the Gifts (Anm. 44), S. 460.
  • 47. Tsing: The Mushroom at the End of the World (Anm. 10), S. 23.
  • 48. Daniel Illger arbeitet diese Ambivalenz als poetologischen Kern des (New) Weird heraus. Vgl. Vorlesung Die Tradition des Kosmischen Horrors. Theorie und Poetik, Seminar für Filmwissenschaft, FU Berlin, WS 2019/2020 (unveröffentlichtes Vortragsmanuskript).
  • 49. vgl. ebd.
  • 50. Howard Philips Lovecraft: The Annotated Supernatural Horror in Literature. Hg. von Sunand Tryambak Joshi. New York 2012 (Ebook), Pos. 386.
  • 51. Vgl. Illger 2019/2020 sowie Weinstock 2016, S. 211f.
  • 52. Das Verhalten, oder präziser, das posthumane Fühlen der Biologin wird in der Forschung zur Southern Reach Trilogy als kritische Haltung des Textes interpretiert. Alison Sperling zitiert zwei der wichtigsten Publikationen dazu aus den letzten Jahren in einem Atemzug: Tsings The Mushroom at the End of the World (Anm. 10) und Donna Haraways Staying With the Trouble (Anm. 12): »The Southern Reach Trilogy is a story that begins with a woman who decides to enter and indeed stay in the ruins of the Anthropocene, to see what she will become.« Die Biologin entscheide sich für das »unruhig bleiben« – so die deutsche Übersetzung von Haraways Buch. Vgl. Alison Sperling: »On Not Returning Home. An Introduction.« In: Science Fiction Research Review 330 (Fall 2019), S. 23–24, hier S. 24, http://www.sfra.org/resources/sfra-review/SFRA%20Review%20330.pdf (zuletzt eingesehen 23. April 2020). Im selben Text-Cluster – Area X Five Years Later – betont Bethany Doane, wie sehr VanderMeers »gentle, planetary euthanasia« von den Ereignissen der letzten Jahre überrollt worden sei. Gerade in der ästhetizistischen Beschwörung der Schönheit von Area X und der apolitischen »healing fantasy«, mit der die Trilogie auf die drängenden Probleme der Zeit reagiere, weise VanderMeer kritisch auf die Gefahren sowohl des Ästhetizismus als auch einer Romantisierung der Beziehungen zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Entitäten hin: »Were it not for the horror that accompanies the beautiful dissolution in these texts, they might too easily be read as complicit with escapist, annihilative fantasies.« Die Unzuverlässigkeit der homodiegetischen Erzählerin und die Aushöhlung der Zeichen in Area X verstehe sie als Selbstdekonstruktion des Textes. Er präsentiere eine verführerische ästhetische Oberfläche, die nur dazu da sei, auf die Unmöglichkeit hinzuweisen, durch Zeichen Realität und Bedeutung einzufangen. Vgl. Bethany Doane: »Mediating VanderMeer’s Area X«. In: Science Fiction Research Review 330 (Fall 2019), S. 25–28, hier S. 25f., http://www.sfra.org/resources/sfra-review/SFRA%20Review%20330.pdf (zuletzt eingesehen 23. April 2020).

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