May 10, 2011 - 13:11

Daß Dominik Schreiber für den Umgang mit der Kategorie ›Literatursystem‹ die Vorgabe ›nicht Texte, sondern Kommunikationen sind die Elemente des Literatursystems‹ stärkt, sagt mir sehr zu (ebenso wie das Insistieren auf die Spezifika von ›Kommunikation durch Literatur‹) – zumal damit nach der Begeisterung für ›dekonstruktivistische Textlektüren‹ wieder literaturwissenschaftliche Positionen des Zeitraums 1965-1985 aufgerufen werden.

Allerdings sehe ich für die Rezeption des Beitrags die Gefahr, dass durch die verkürzend-abstrahierende Darstellung zum Literatursystem (als ›einem aktiven Subjekt‹), das ›handelt‹ (»verknüpft und aneinander reiht« – S. 9, auf literarische Texte »zurückgreifen« und »Kommunikationen potenzieren« kann – S. 12) sowie zu etwas »fähig ist« (S. 9) die methodologische Implikation verstellt wird, dass solche ›Beobachtungen‹ das Ergebnis von komplex gewonnenen Zuschreibungen für das System sowie von heuristischen Annahmen für detaillierte literaturwissenschaftliche Analysen sind. Für Untersuchungen zu konkreten Konstellationen literarischer Kommunikation müsste meiner Ansicht nach auf ›Akteure‹ (in den Handlungsbereichen von Produktion, Distribution und Rezeption von literarischen Texten) zurückgegriffen werden: Von der »systemtheoretischen Trennung von Mensch und Kommunikation« wäre also auf die »von sozialen Systemen erzeugten Kommunikationsrealitäten« (S. 14) zurückzugehen. Diesem Plädoyer für ein konkretisierend literatursoziologisches (und im weiteren Sinne sozialgeschichtliches) Vorgehen schließe ich noch wenige Annotationen an.

S. 2: Es wäre festzuhalten, dass Oliver Jahraus und Claus-Michael Ort unterschiedliche systemtheorische Konzepte für Literaturwissenschaft verfolgen. Für eine ›genealogische‹ Erläuterung ist in einem knapp gehaltenen Beitrag kein Raum, doch hätte dazu ein Verweis auf die Teile I und II, die dem Teil III des IASL-Forschungsberichts (s. Anm. 1) vorausgegangen sind, wohl ausgereicht.

S. 5ff.: Als mißverständlich erscheint mir die Formulierung »die literarische Kommunkationseinheit«; sie bezieht sich auf die integrative Verbindung von Information, Mitteilung und Verstehen in der Kommunikation ›durch Literatur‹. Auf den ersten Blick aber ist das im Compositum ›regierende Substantiv‹ der »Einheit« als Teil eines Ganzen, als ›Element‹ anzusehen.

S. 12: An Stelle des ›Lesens von Texten‹ als »Operation des literarischen Systems« würde ich den weiterreichend Begriff des ›Rezipierens‹ setzen.

S. 13: Mit Fug und Recht steht der Hinweis, daß »Gattungen oder Epochen« nicht ohne weiteres als Strukturierungen in der »Selbstorganisation des Literatursystems« zu verstehen, sondern als Leistungen des (das Literatursystem beobachtenden) Wissenschafts(teil)systems ›Literaturwissenschaft‹ zu verstehen sind. Verkürzend formuliert ist dann jedoch der Kommentar, dass »Literatur […] diese Einordnungen […] beobachten und konfirmieren kann«, nicht aber »an sie gebunden« ist. Auch hier führt der Rekurs auf »Menschen« als ›kommunikativ handelnde Subjekte‹ weiter zu notwendigen Differenzierungen. Für das Verfassen literarischer Texte haben Gattungsaspekte zunächst die Relevanz einer ›Vorgabe‹, auf die in unterschiedlicher Weise von ›Textproduzenten‹ (und ihren Rezipienten) reagiert werden kann, während die Zuordnung von literarisch geplanten Kommunikationshandlungen zu Epochen der Literaturgeschichte eine nachträgliche Zuschreibung darstellt und nicht prinzipiell als Reaktion von Literatur-Autoren auf vorgängige literarische Programme – wie etwa den ›Grenzboten-Realismus‹ – zu verstehen ist.