Digital Journal for Philology
Autor*innenschaft als NetzWERK
1. Literaturproduktion im Akteur-Netzwerk: analog/digital
An der Produktion und Dissemination literarischer Texte sind neben dem Autor oder der Autorin eine Vielzahl relevanter Akteur*innen beteiligt, welche den Prozess vom Manuskript über die finale Textfassung bis hin zur Publikation erst ermöglichen. Private oder professionelle Lektor*innen, Verleger*innen, Gestalter*innen und Drucker*innen überführen den Text in die institutionell sanktionierte Form des (gedruckten oder digitalen) Werks und haben somit einen entscheidenden Anteil an der Integration in den Literaturbetrieb.
Literarische Arbeit kann insofern allgemein als ein fortlaufender Produktionsprozess bestimmt werden, der durch ein spezifisches, teils institutionalisiertes Ensemble von ästhetischen Praktiken hervorgebracht wird. Unter diesem Blickwinkel ist der konkrete Schreibprozess ein Aspekt unter vielen.1
Fügt man diesem Ensemble noch die Rezipierenden hinzu, erweitert sich der Kreis der beteiligten Akteur*innen wiederum signifikant. Autor*innenschaft konstituiert sich also grundsätzlich im Zusammenwirken vielfältiger Kräfte, »die nicht notwendig gemeinsame Interessen teilen müssen«.2 Literarische Produktion und Rezeption als ›Literatur-Lebenszyklus‹3 lässt sich daher im Sinne der Akteur-Netzwerktheorie (ANT) als Ensemble komplexer Wirkungsketten und Netzwerke beschreiben, die erst in ihrem spezifischen Zusammenwirken die Strukturen des literarischen Feldes – Autor*innen, Werke, Publikum – hervorbringen.4 Zentral im Sinne der ANT ist hierbei die Zickzack-Bewegung der Verbindungen zwischen Menschen und Objekten, die insgesamt die »Kontinuität eines Handlungsverlaufs«5 ausmachen.
Für algorithmisch generierte Literatur ergeben sich in dieser Perspektive mindestens zwei miteinander zusammenhängende Spezifika im Vergleich mit den Prozessen des klassischen Literaturbetriebs. Erstens erscheint der Einflussbereich der nicht-menschlichen Akteur*innen bei der Produktion generativer Literatur gesteigert. Algorithmisch generierte Literatur entsteht grundsätzlich im Zusammenwirken menschlicher Tätigkeiten des Konzeptualisierens, Auswählens, Programmierens, Trainierens (von Algorithmen) und maschineller Aktivitäten des Daten-Interpretierens und Prozessierens. Die etablierte Verschaltung von Mensch und Schreibgerät (sowie ggf. Beschreibstoff) der klassischen Schreibszene verschiebt und erweitert sich, wenn Algorithmen auf der Basis von konzeptuellen Vorgaben und Trainingsdaten selbst Texte hervorbringen. Insbesondere der für Textgeneratoren notwendige Trainingsprozess vervielfältigt die Verbindungslinien zwischen menschlichen und maschinellen Akteur*innen in kaum noch überschaubarer Weise.
Zweitens ist für algorithmisch generierte Literatur die Handlungsmacht der Akteur-Netzwerke bereits für die Phase des konkreten Schreibprozesses entscheidend, welcher auf der »automatisierten Verarbeitung von Textkorpora als Schreibmethode beruht«.6 Es geht hierbei also um den Teil der literarischen Arbeit, den Amlinger zufolge traditionell die singulär-menschlichen Verfasser*innen der Texte ausführen.7
Die maßgeblich von Bruno Latour und Michel Callon geprägte Akteur-Netzwerktheorie (ANT) geht davon aus, dass sich die Entstehung von Produkten, Wissen und Erkenntnissen grundsätzlich in Akteur-Netzwerken vollzieht: Akteur-Netzwerke sind nach Latour dynamisch gedachte Versammlungen von Objekten und Personen, die zeitweilig untereinander assoziiert werden.8 Handlungsträger werden in der ANT ausschließlich dahingehend definiert, dass sie »einen Unterschied für eine gegebene Situation machen«.9 Demnach ist »[j]edes Ding, das eine gegebene Situation verändert, indem es einen Unterschied macht, ein Akteur«.10
Latours zunächst ›pseudonym‹ publiziertes, mittlerweile berühmtes Beispiel des Türschließers zeigt, dass Akteur*innen in diesem Sinne menschlich ebenso wie nicht-menschlich sind bzw. wie stark und wie komplex menschliche und nicht-menschliche Handlungen bereits in kleinen, alltäglichen Situationen ineinander verwoben sind. Ausgehend von dem durch Kolleg*innen geäußerten Vorwurf des Anthropomorphismus stellt er fest:
Der Türschließer ist tatsächlich anthropomorph, und zwar in drei Hinsichten: Zuerst wurde er von Menschen gemacht, er ist eine Konstruktion; zweitens ersetzt er die Handlungen von Menschen und ist ein Delegierter, der permanent die Position eines Menschen besetzt; drittens gibt er menschlicher Handlung Gestalt, indem er präskribiert, welche Art von Menschen durch die Tür gehen sollen.11
Diese dreifache Rollenzuweisung als Konstruktion, Delegierter und Gestalt gebende Instanz verweist dabei zugleich auf unterschiedliche Kräfteverhältnisse zwischen Mensch und Maschine. Nicht-menschliche Objekte werden zwar von Menschen produziert, gleichzeitig können sie diese aber ersetzen, indem sie vormals menschliche Praktiken ausführen und Funktionen übernehmen.
Als nicht-menschliche Akteur*innen werden von Latour sowohl materielle Objekte wie Hämmer, Kessel oder Körbe als auch technische Apparaturen wie Türschließer oder (verkürzend) Computer verstanden, die die sowohl die Konzeptualisierung von Arbeitsabläufen als auch die Produktion von Ergebnissen ermöglichen.12
In Anlehnung an diese von Latour maßgeblich im Hinblick auf wissenschaftliche und technische Produktions- und Handlungsszenarien entworfene Vorstellung möchte ich im Folgenden die Autor*innenschaft von algorithmisch generierter Literatur als Akteur-Netzwerk interpretieren. Hierbei werden zum einen die Spezifika generativer Literatur einbezogen, welche sie insbesondere hinsichtlich der Produktion deutlich von tradierten literarischen Verfahren unterscheidet. Zum anderen sollen die Anknüpfungspunkte an tradierte Konzepte herausgearbeitet werden, die deutlich machen, wie sich generative Literatur im etablierten literarischen Feld positioniert.
2. Textproduktion und Schreibszene am Beispiel 1 the Road
Algorithmisch generierte Literatur hat eine mittlerweile bereits ca. 70-jährige Tradition, sie ist konzeptuell und gestalterisch vielfältig und es lassen sich Überschneidungen mit anderen Formen digitaler Literatur feststellen.13 Das Spektrum reicht von minimalistischen Publikationen auf Twitter bis hin zu aufwändigen Inszenierungen wie jener, die im Folgenden im Fokus der Betrachtung stehen wird.
Anhand des 2018 publizierten Werks 1 the Road möchte ich zeigen, wie auf allen Ebenen der Literaturproduktion – angefangen bei den Produktionsbedingungen über die Publikationsszenarien bis hin zu den Inszenierungsstrategien – Mensch-Maschine-Kombinationen in der konzeptuellen, sprachlichen, gestalterischen und diskursiven Hervorbringung des Textes als Literatur zusammenwirken, wobei sie an einer Umwertung der Kategorien Autor*innenschaft und Werk teilhaben. Komplementär dazu werden allerdings insbesondere im Hinblick auf die Institutionalisierung als Werk Strategien sichtbar, anhand derer sich die fortdauernde Wirkungsmacht des etablierten Literaturbetriebs und der in diesem Zusammenhang ausgeprägten Konzepte von Autor*innenschaft und Werk zeigen.
1 the Road wurde 2018 unter der Autorenangabe »Writer of writer Ross Goodwin« bei dem französischen Verlag Jean Boîte Éditions publiziert. Das Werk weist insbesondere hinsichtlich des komplexen ›Versuchsaufbaus‹, aus dem letztlich die Textproduktion hervorgeht, einige Spezifika auf, durch die es auch innerhalb der Literaturform der generativen Literatur heraussticht. Gleichzeitig lassen sich anhand der Produktionsweise und Disseminationsstrategien einige generelle Beobachtungen anstellen, die jenseits des Einzelfalls als typisch für das Genre gelten können und daher ausgehend von der exemplarischen Analyse allgemeinere Aussagen zu den Bedingungen der Instanzen Autor*innenschaft und Werk im Zusammenhang mit generativer Literatur ermöglichen.
1 the Road referenziert, wie bereits der Titel andeutet, intertextuell auf Jack Kerouacs Kultbuch On the Road (1957). Adaptiert wird Kerouacs titelgebendes Konzept des Unterwegs-Seins. Entsprechend der Vorlage von Kerouac, der in seinem Roman eigene Erfahrungen beim jahrelangen Trampen durch die USA verarbeitete, ging Ross Goodwin – »data poet«,14 ehemaliger Schreiber im Team des US-Präsidenten Barack Obama und mittlerweile »creative technologist«15 bei Google – in Begleitung seiner Schwester, seiner Verlobten, einer Freundin und zweier Mitarbeiter*innen von Google und eines Kamerateams auf einen Roadtrip von New York nach New Orleans. Diese Route befahren auch die Protagonisten bei Kerouac mehrfach – wobei Goodwin und sein Team im Gegensatz zu den Figuren im Roman nicht trampen, sondern in einem von Google finanzierten, gemieteten schwarzen Cadillac reisen. Das Auto, die Insassen sowie die Fahrt sind Teile eines recht komplexen Akteur-Netzwerks, dessen Ergebnis das Werk 1 the Road ist.
Der Wagen wurde vor der Reise mit verschiedenen, untereinander verknüpften technischen Geräten präpariert, sodass eine Kamera auf dem Dach während der Fahrt die Umgebung abfilmt, ein GPS-Sender die Geokoordinaten aufzeichnet, eine Uhr die zugehörigen Zeitstempel bereitstellt und ein Mikrophon die Gespräche und Geräusche im Inneren des Autos sowie die der vorbeiziehenden Landschaft aufnimmt. Hinzu kommt, dass die GPS-Einheit per App mit einer Onboard-Datenbank von Foursquare-Standorten verbunden wurde, die standortabhängig Empfehlungen und Informationen zu unterschiedlichen Lokalitäten lieferte. All die auf diese Art erzeugten phonologischen, visuellen, chrono- und geografischen Daten dienten als Input für einen Algorithmus der Firma Alphabet Inc. (ehemals Google), durch deren Artists and Machine Intelligence-Programm nicht nur die Miete für das Auto, sondern auch das übrige technische Equipment finanziert wurde.16 In einem Interview mit The Atlantic erklärt Goodwin, dass er den für die Texterzeugung verwendeten Algorithmus vor Beginn des Roadtrips anhand dreier jeweils 20 Millionen Wörter umfassenden Korpora literarischer Texte sowie Geokoordinaten trainiert hätte. Die literarischen Trainingskorpora bestanden aus Gedichten, Science-Fiction sowie Texten, die Goodwin selbst als ›trostlos‹ (›bleak writing‹) definiert. Goodwin erklärt dazu, dass diese Texte dem Sound entsprächen, den er sich für seinen Roman vorgestellt hat. Er betont außerdem explizit, dass Kerouacs Roman selbst nicht Teil des Trainingsmaterials gewesen sei.17
Die anhand der der Zeit- und Ortsdaten sowie des Inputs aus dem Auto algorithmisch generierten Sätze wurden direkt während der Fahrt durch einen On-Board-Drucker in Echtzeit auf insgesamt zwölf Schriftrollen gedruckt – instantanes Schreiben also, schneller als jeder Eintrag auf Social Media und gleichzeitig wiederum eine materiell-mediale Referenz an Kerouac, der der Legende nach seine Roadtrip-Erlebnisse in einem dreiwöchigen Drogenrausch mit der Schreibmaschine ebenfalls auf eine Rolle Endlospapier getippt haben soll. Diese Schreibszene, in der menschliches Erleben und maschinell gestütztes Dokumentieren unmittelbar gekoppelt erscheinen, zitiert und modifiziert das Mensch-Maschine-Ensemble von 1 the Road gleichermaßen. Denn hier dient die Maschine nicht mehr nur der Fortbewegung und der möglichst reibungsfreien Inskription des Erlebten,18 sondern wird durch die aufwändigen technischen Apparaturen selbst zum ›wahrnehmenden Organ‹, durch das die Umgebung aufgenommen und in Text und Bild überführt wird.19 Die bei Kerouac mittels halluzinogener Drogen erreichte Bewusstseinserweiterung verschiebt sich hier zur künstlichen Intelligenz als Wahrnehmungsinstanz jenseits direkter menschlicher Kontrolle.20 Die Praxis des Schreibens wird vollständig automatisiert durch das Ensemble miteinander verschalteter technischer Apparaturen ausgeführt, die Grenzen zwischen Körper, Sprache, Gerät und Intention verwischen, indem die »Gerätschaften« im wahrsten Sinne des Wortes »am Sinn, zu dem sie sich instrumental verhalten, mitwirken«.21 Dabei verweist der produzierte Text durch die jeweils dokumentierten Zeit- und Ortsangaben permanent auf seine eigene »Schreib–Szene«.22
Inhaltlich lässt sich eine Mischung aus atmosphärisch-poetischer Wirkung und offensichtlicher Inkohärenz konstatieren, »it was more Dada than Brautigan, and that may be the state of the art, for now«,23 stellt Allado-McDowell fest. Da sich die Möglichkeiten des Deep Learning und der generativen KI seit 2017 entscheidend weiterentwickelt haben, würde ein Ergebnis auf dem aktuellen Stand der Technik wahrscheinlich anders aussehen.
3. Wer schreibt? Autor*innenschaft im Mensch-Maschine-Ensemble
Die bisherigen Ausführungen zur Schreibszene von 1 the Road haben bereits deutlich gemacht, dass der Text und die Bilder des Werks durch die Assoziation menschlicher und nicht-menschlicher Akteur*innen sowie die untrennbare Verflechtung von Konzepten, Handlungen und Apparaturen entstehen. Zudem hat sich angedeutet, dass auch die Präsentation und Reflexion der Schreib-Szene eine zentrale Rolle für das Werk spielen. Dies ist nicht zuletzt auf den aufwändigen Produktionsprozess zurückzuführen, der sowohl mit einem gewissen Erklärungsbedarf einhergeht als auch großes Potential zur medienwirksamen Präsentation hat. Hierbei verschränken sich die Ebenen der Darstellung und der Inszenierung der Werkproduktion.
Ein Spezifikum der Schreibszene von 1 the Road, welches das Werk von anderen Beispielen generativer Literatur unterscheidet, ist der Einsatz des Autos, das als ›narrative‹ Variante eines Google Street Cars zur perspektiv-gebenden Instanz und zum Akteur des Erzählens gleichermaßen wird, indem erst durch seine – selbstverständlich von Menschen initiierten – Bewegungen überhaupt erzählt, überhaupt Text produziert wird. Diese Praxis lässt sich durchaus als Referenz auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen betrachten, zeichnet sich doch bei der Nutzung digitaler Assistenzsysteme zur Navigation, aber auch zur Überwachung physischer Funktionen die Tendenz ab, als Realität nur die durch die App dokumentierten Daten anzuerkennen.
Auch in der Verlagswerbung für 1 the Road wird die Rolle des Autos betont, in ihrer Funktion allerdings anders interpretiert. Im Klappentext heißt es: »1 the Road is a book written using a car as a pen.« Das Auto fungiert nach diesem Verständnis also als Schreibwerkzeug: Es be-schreibt wortwörtlich die Landschaft, indem es beim Durchfahren eine anhand von Datenpunkten nachvollziehbare Spur hinterlässt und gleichzeitig die Spuren der Landschaft aufzeichnet.
Ganz im Sinne dieser Vorstellung heißt es in einer Rezension des Werks im BOMB Magazine: »A car wrote a book worth reading.« Und weiter: »The experience of reading 1 The Road is not unlike being on a road trip. If the car is the pen, then, in a funny way, reading 1 The Road is almost like riding shotgun.«24 Hier erscheint das Auto nicht mehr nur noch als Schreibwerkzeug, sondern besetzt die Position des Autors. Die menschlichen Rezipierenden treten hingegen als passive Beifahrer*innen auf, die der aktiven Schreibpraxis als Zuschauer*innen beiwohnen.
Der Verlag weist in zwei alternativen Bauchbinden hingegen nicht dem Auto, sondern der generativen KI die Rolle der Autorin zu: In der französischen Variante heißt es: »Le premier livre écrit par une Intélligence Artificielle es tun road-trip gonzo«, auf Englisch: »The first gonzo Artificial Neural Network is a genius writer«.
Auch wenn es sich bei der englischen Version nur um eine leichte Modifikation der französischen Variante handelt, verweist gerade die Rede vom »genious writer« auf den klassischen Topos autonomer menschlicher Autor*innenschaft, der spätestens seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts – ob in affirmierender oder ablehnender Perspektive – den zentralen Referenzpunkt des literarischen und literaturwissenschaftlichen Diskurses bildet. Hier rückt mit der generativen KI ein*e maschinelle*r Akteur*in an die Position nicht nur des*der Schreibers*Schreiberin, sondern der*des für die literarische Schöpfung zuständigen Autor*in.25 Die verschiedenen paratextuellen Aussagen zum Textproduktionsprozess implizieren zwei miteinander zusammenhängende Tendenzen hinsichtlich der Autor*innenschaft von generativer Literatur: Zum einen verdeutlichen sie, dass eine Dispersion von Autor*innen-Rollen bereits im Bereich der nicht-menschlichen Akteur*innen im Schreibkonzept angelegt ist. Das Auto führt als ›Schreibwerkzeug‹ die realräumlichen Bewegungen aus und fungiert durch die an und in ihm installierten ›Aufzeichnungssysteme‹ als maschinelles wahrnehmendes Organ, der Algorithmus verarbeitet die dabei erzeugten Daten und produziert den eigentlichen Text, der dann von dem im Auto installierten Drucker auf Papier ausgegeben wird. Zum anderen verschleiern die Paratexte, welche v. a. die Rollen der maschinellen Akteur*innen betonen, (bewusst?) den auf allen Ebenen ebenfalls relevanten menschlichen Anteil an der Werkproduktion.
Hannes Bajohr erinnert zurecht daran, dass es bislang keine selbstfahrenden Autos gibt, sondern die Fahrt durch eine*n menschliche*n Akteur*in ausgeführt werden muss26 – was allerdings durch das Bild des ›Autos als Stift‹ durchaus noch abgedeckt wäre. Weiterhin liefern aber die menschlichen Gespräche im Auto ebenso wie die abgefilmte und abgehörte belebte wie unbelebte Umwelt, durch die sich das Auto bewegt, den Input für die Textproduktion. Zentralen Einfluss auf die Textgestalt haben zudem die maßgeblich für den Stil des Geschriebenen relevanten Trainingskorpora, bestehend aus Literatur unterschiedlicher Genres. Nicht zuletzt wäre das Werk ohne Goodwin als Konzeptgeber, Initiator und ›Trainer‹ der KI sowie sein technisches Team überhaupt nicht zustande gekommen.
Während vor allem die Peritexte die nicht-menschlichen Akteur*innen in den Fokus rücken, besteht eine weitere Ebene von (Para-)Texten, die komplementär zu dieser Tendenz wirkt. Es handelt sich dabei um Texte und visuelle Darstellungen, die Erklärungen und Reflexionen des ›Versuchsaufbaus‹ vermitteln. Solche Erläuterungen zu den eingesetzten Algorithmen, dem verwendeten Ausgangsmaterial und dem Textproduktionsprozess sind als paratextueller Vor- und Überbau vielfach Teil generativer Literatur.27 Im Fall von 1 the Road zählen dazu das in der Publikation zweisprachig auf Deutsch und Französisch abgedruckte Vorwort, die bereits zitierten Interviews sowie ein Making-Of-Video auf Youtube, das Goodwin auch in seine eigene Webseite eingebettet hat.28
Diese Paratexte erfüllen unterschiedliche Funktionen hinsichtlich der Verortung von Autor*innenschaft: Erstens vergegenwärtigen die Erläuterungen das produzierende Netzwerk, indem sie die verschiedenen menschlichen und nicht-menschlichen Akteur*innen in ihren Funktionen und ihrem Zusammenwirken beschreiben, fotografisch und filmisch repräsentieren. Zweitens wird gerade durch die visuelle Präsentation auf Fotos und im Video der Performance-Charakter des Werks in den Vordergrund gerückt. Das mit sphärischer Musik und gesprochenen Passagen aus dem Text unterlegte Making-Of-Video entfaltet sogar eine gewisse künstlerische Eigenwirkung (deren Autor*innenschaft wiederum zur Disposition steht bzw. im Netzwerk verortet werden müsste). Drittens lassen sich die Paratexte als Werkstrategie interpretieren, welche der »bewussten Verschleierung des menschlichen Anteils an der Werkproduktion«29 entgegenwirkt, indem der menschliche Künstler Goodwin seine Position im Netzwerk gegenüber den anderen menschlichen und nicht-menschlichen Akteur*innen stärkt. Er tritt im Vorwort der Publikation und in den Interviews nicht als fiktionaler Erzähler auf, sondern es entsteht eine Repräsentation des Autors im Text, welche zugleich ein »Bild des Autors-des-Texts«30 produziert. Dies verweist nun wiederum auf ein klassisch-monologisches Autor*innenschaftsverständnis zurück. Auch hier wird die explizit als Mensch-Maschine-Netzwerk konzeptualisierte Autor*innenschaft durch einen Rückgriff auf das Rollenmuster des etablierten Literaturbetriebs konterkariert, das letztlich nur eine*n Autor*in pro Werk anerkennt.
In Anlehnung an Latours eingangs zitiertes Beispiel lässt sich dieses Vorgehen auch als Zugeständnis an die anvisierten menschlichen Rezipierenden verstehen. So erklärt Latour die pseudonyme Publikation seines Türschließer-Aufsatzes unter dem Namen »Jim Johnson« mit den Vorbehalten der Herausgebenden der Zeitschrift, in der der Beitrag erschien. Diese seien der Meinung gewesen, »dass kein amerikanischer Soziologe willens ist, Dinge zu lesen, die sich auf bestimmte Orte und Zeiten beziehen, die nicht amerikanisch sind«.31 Analog lässt sich für Goodwin sowie die weiteren mit Erläuterungen versehenen Werke generativer Literatur postulieren, dass hier Rezipierende präskribiert werden, die eine*n menschliche*n Produzierende*n hinter dem maschinellen Aufbau sehen möchten. Die in den Paratexten betonte Innovation der Schöpfungskraft maschineller Automation steht – Inszenierungsstrategien der Avantgarden fortführend32 – in Spannung zum menschlichen spiritus rector Goodwin, der vom Konzept über den Aufbau bis hin zu Publikation und Inszenierung den Werkwerdungsprozess kontrolliert.33
Die für generative Literatur paradigmatische Dispersion der Autor*innenschaft im Akteur-Netzwerk34 schlägt sich letztlich auch im von Goodwin verfassten Vorwort zu 1 the Road nieder. Hier wird die Produktionssituation folgendermaßen erklärt:
[A] manuscript emerged in real time as we drove across the countryside, written by the car itself. Or perhaps the drivers wrote it, using the car as their pen. Or perhaps the machine wrote it, using our traversal of the landscape as its means of coherence. Or perhaps those who wrote the machine’s training corpus have written it together, reaching out from their work, out from the past, to influence a new story. Or perhaps I wrote it. But I am less sure than ever about that.35
Jenseits dieser von Goodwin reflektierten und dabei inszenierten Verstrickung menschlicher und maschineller Akteur*innen zeichnet sich eine weitere zentrale Akteurin im Netzwerk ab, die zwar in den Darstellungen präsent, allerdings nie explizit Teil der Inszenierungsstrategien ist: Google hat durch sein Arts and Culture-Programm bzw. durch dessen Sparte Artists and Machine Intelligence, das für das technische Equipment ebenso wie für die Finanzierung verantwortlich zeichnet, entscheidenden Anteil am Zustandekommen und Gelingen des gesamten Projekts. Es wäre im Sinne der Verteilung von Autor*innenschaftsrollen im Netzwerk also danach zu fragen, inwieweit auch Google hier eine solche Position im Sinne der/des ausführenden Produzierenden beim Film oder auch der Projektleitung bei (natur-)wissenschaftlichen Publikationen einzuräumen ist36 oder ob der Status des Unternehmens eher im Sinne eines frühneuzeitlichen Mäzenatentums zu interpretieren wäre.
4. Autor*innenschaft und Werk zwischen Dynamisierung und Stabilisierung
Die Autor*innenschaft generativer Literatur lässt sich als Akteur-Netzwerk perspektivieren, welches mit Latour in der »Assoziation zwischen Entitäten«37 entsteht. Eine jeweils spezifische Form der Assoziation wie bspw. im Fall von 1 the Road lässt sich in dieser Vorstellung als »Skript« aus der Situation ihrer Assoziation herauslesen. Latour bezeichnet ein solches »Herauslesen des Skripts aus [einer] Situation« auch als Deskription: »[Deskriptionen] definieren Akteure, statten sie mit Kompetenzen aus und veranlassen sie, etwas zu tun und evaluieren die Sanktionen dieser Handlungen sehr ähnlich den narrativen Programmen der Semiotiker.«38
Autor*innenschaft, verstanden als ein solches »Skript«, erweist sich selbst bereits als Produkt, als Netz-Werk der im Produktions-Zusammenhang aufeinander bezogenen Akteur*innen sowie der von diesen ausgeführten Praktiken des Programmierens, Extrahierens, Einspeisens, Kombinierens, Präsentierens sowie als Gegenstand vielfältiger, teils einander überlappender, teils gegenläufiger Inszenierungen zwischen Innovationsanspruch und Anknüpfung an tradierte literaturbetriebliche und diskursive Muster.
Während Autor*innenschaft als Skript in sich dynamisch ist, aber als Ganzes einen gewissen Ergebnis- oder Produktcharakter erlangt, verhält es sich mit dem Werk gerade umgekehrt: Einzelne, in sich stabile Teile mit ausgewiesener Autor*innenschaft bilden insgesamt ein dynamisches Ensemble aufeinander bezogener Werke: Zunächst im Kontrast zur festgestellten Vervielfältigung der Autor*innenschaft steht die Publikation von 1 the Road als gedrucktes Buch, Hardcover sogar, im französischen Verlag Jean Boîte Éditions. Hier kommt das eingangs angesprochene Akteur-Netzwerk des tradierten Literaturbetriebs zum Tragen, dessen Redakteur*innen, Setzer*innen, Drucker*innen etc. an der Werkwerdung teilhaben. Ergebnis ist eine materiell stabilisierte Version des dynamischen Ensembles, die letztlich unter dem einen Autornamen »Ross Goodwin« publiziert wurde. Dies verweist auf einen relevanten Aspekt für das Thema Autor*innenschaft im juristischen Sinne: Die Verantwortlichkeit für den Text im Sinne des Urheberrechts und damit auch die juristische Sanktionierbarkeit im Falle möglicher rechtswidriger Inhalte liegt bei Goodwin. Dass dies insbesondere für generativ produzierte Texte immer wieder ein Thema ist, belegen bereits die auf der Startseite von ChatGPT regelmäßig eingeblendeten Disclaimer bezüglich der Gefahr von »incorrect or misleading information« sowie »offensive or biased content«. Angesichts der juristischen Rolle des/der Urheber*in ist eine Stabilisierung von Autor*innenschaft bezogen auf das jeweils spezifische Werk notwendig, um Verantwortlichkeit zuweisen zu können.
In Richtung einer Stabilisierung der Autor*innschaft-Werk-Beziehung weisen auch die von Goodwin für die Erzeugung des Textes geschriebenen Skripte, welche er auf GitHub unter dem Titel wordcar und versehen mit dem Copyright »C) 2017, Ross Goodwin« zur freien Nachnutzung publiziert hat.39 Im Gegensatz zur Buchpublikation ist Goodwin hier tatsächlich der alleinige Autor im Sinne des Verfassers des Werks und tritt auch als solcher auf:
This repository contains the raw code from Ross Goodwin’s Word Car experiment of March 2017, in which he (accompanied by: Lily Beale-Wirsing, Beth Goodwin, Christiana Caro, Kenric McDowell, Nora Hamada, Lewis Rapkin, & David Smoler) drove a 2017 Cadillac XTS from Brooklyn, NY, to New Orleans, LA.
Andere menschliche Akteur*innen werden zwar genannt, aber Goodwin ist klar als Kopf des ›experiments‹ hervorgehoben. Maschinelle Akteur*innen erscheinen untergeordnet erst wieder in der fotografischen und textuellen Dokumentation, die auch auf GitHub zu finden ist. Goodwins Position als alleiniger Autor unterstreicht auch der Umstand, dass die Publikation der trainierten Modelle auf GitHub zwar angekündigt, bislang aber noch immer nicht vollzogen ist. Der Autor macht hier ebenfalls von seinem Recht Gebrauch, von ihm produziertes Material zurückzuhalten und gerade nicht zu publizieren, wobei die Ankündigung diese Leerstelle explizit macht.40
Eine dritte Werkebene neben der Buchpublikation 1 the Road und der Daten-Veröffentlichung auf GitHub mit dem Titel Wordcar eröffnet das bereits erwähnte YouTube-Video, welches zum einen paratextuellen Charakter hat, indem es den Ablauf des Experiments und damit die Entstehung des Buchs 1 the Road dokumentiert.41 Zum anderen erhält es aber einen eigenen Titel, Automatic On The Road, und Ross Goodwin tritt hier nicht in der Rolle des Autors, sondern erst in der beigefügten Erläuterung sowie als ›Figur‹ im Film auf. Explizit als Verantwortlicher für die Publikation fungiert hingegen Oscillator Media, im Impressum werden zudem, wie für Filme üblich, ein Regisseur, ein Kameramann, ein Produzent und ein Verantwortlicher für die musikalische Gestaltung genannt. Dies unterstreicht den Eigenwert des Films als zwar an 1 the Road gekoppeltes, dennoch selbstständiges künstlerisches Werk. Dieser Status bestätigt sich auch anhand der dezidiert künstlerischen Gestaltung des Videos, welche über eine reine Dokumentation hinausweist.
Entgegen der stabilisierenden, stillstellenden Funktion, die klassischerweise dem Werk als Endergebnis der geistigen und skripturalen Produktion und Produktivität zukommt, das sich (in der Werkausgabe) materialisiert, ist das gedruckte Buch bei 1 the Road nur eine unter mehreren möglichen Optionen. Die Publikation der Skripte verweist unmittelbar auf die Option der fortgesetzten Produktivität und Goodwin äußert in seinem Vorwort zu 1 the Road explizit die Hoffnung auf Anschlussprojekte.42
Die Werkhaftigkeit algorithmischer Literaturproduktion lässt sich nicht statisch begreifen. Sie besteht vielmehr in einer dynamischen Praxis, in einem Handlungszusammenhang, der in seiner Netzwerkhaftigkeit in den Blick genommen werden muss. Den im Akteur-Netzwerk plurifizierten Produktionsinstanzen entsprechen zeiträumlich zerdehnte und gestalterisch vielfältige analoge und digitale, schriftliche und visuell-mediale Publikationsformate, deren Status zwischen ›Mittel zum Zweck‹ (der Dokumentation, der Erklärung, der Inszenierung) und ›zweckloser Kunst‹ changiert und die stets das Potential zur Fortschreibung, Umformung, Nachnutzung bergen.
- 1. Vgl. Carolin Amlinger: Schreiben. Eine Soziologie literarischer Arbeit. Frankfurt a. M. 2021, S. 22.
- 2. Lore Knapp: »Autorschaft als Akteur-Netzwerk«. In: Zeitschrift für Germanistik. NF 29.1 (2019), S. 85–99, hier S. 85.
- 3. Die Bezeichnung orientiert sich am Begriff des Daten-Lebenszyklus, welcher modellhaft die verschiedenen Phasen veranschaulicht, die Forschungsdaten auf dem Weg von der Planung eines Projekts über die Datenerhebung bis zur Publikation und Nutzung der Ergebnisse durchlaufen (vgl. dazu Jana Baur: »FDM erklärt. Was ist eigentlich ein Daten-Lebenszyklus?«, 16. April 2021, https://blog.rwth-aachen.de/forschungsdaten/2021/04/16/fdm-erklaert-was-ist-eigentlich-ein-daten-lebenszyklus/ (zuletzt eingesehen am 17. Juli 2023)).
- 4. Vgl. dazu, v. a. im Hinblick auf Autor*innenschaft Knapp »Autorschaft als Akteur-Netzwerk«.
- 5. Bruno Latour: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Eine Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie. Übers. v. Gustav Roßler. 4. Aufl. Frankfurt a. M. 2017, S. 130.
- 6. Hannes Bajohr u. Annette Gilbert: »Platzhalter der Zukunft. Digitale Literatur II (2001 à 2021)«. In: Dies. (Hg.): Digitale Literatur II. Sonderband von Text+Kritik X.21 (2021), S. 7–21, hier S. 14.
- 7. Das diese Vorstellung auch für klassische Szenarien der Literaturproduktion häufig eine Illusion ist, zeigen Untersuchungen zu kollektiven Praktiken von Autor*innenschaft. Hierbei stehen allerdings zumeist die verschiedenen menschlichen Akteur*innen im Fokus (vgl. hierzu systematisch Stephan Pabst u. Niels Penke: »Kollektive Autorschaft«. In: Michael Wetzel (Hg.): Grundthemen der Literaturwissenschaft: Autorschaft. Berlin 2022, S. 411–428). Umgekehrt verweist Hannes Bajohr darauf, dass in quasi allen, aktuell am Computer ausgeführten alltäglichen Schreibprozessen machine learning in Form von Autokorrektur- und Autocomplete-Funktionen oder durch den Einsatz von algorithmisch trainierten Übersetzungssystemen wie DeepL beteiligt ist (vgl. Hannes Bajohr: »Künstliche Intelligenz und digitale Literatur. Theorie und Praxis konnektionistischen Schreibens«. In: Ders. u. Annette Gilbert (Hg.): Digitale Literatur II. Sonderband von Text+Kritik X.21 (2021), S. 174–185, hier S. 175).
- 8. Vgl. Latour: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft, S. 112.
- 9. Ebd., S. 92.
- 10. Ebd., S. 123.
- 11. Jim Johnson [d. i. Bruno Latour]: »Die Vermischung von Menschen und Nicht-Menschen. Die Soziologie eines Türschließers«. In: Andréa Bellinger u. David J. Krieger (Hg.): ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefeld 2006, S. 237–258, hier S. 246.
- 12. Vgl. Latour: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft, S. 128–130; Johnson [Latour]: »Die Vermischung von Menschen und Nicht-Menschen«, S. 243.
- 13. Vgl. zur Einordnung aktueller Formen generativer Literatur in historischer Perspektive grundlegend (sowie mit Bezug auf 1 the Road) Bajohr: »Künstliche Intelligenz und digitale Literatur«, S. 176f.
- 14. So Goodwins Selbstbezeichnung auf seiner Webseite Rossgoodwin.com, https://rossgoodwin.com (zuletzt eingesehen am 17. Juli 2023).
- 15. So die Bezeichnung auf der Webseite von Googles Arts & Culture Programm: Rebecca Fulleylove: »How Ross Goodwin Uses Computers To Generate Poetry«. artsandculture.google.com, https://artsandculture.google.com/story/how-ross-goodwin-uses-computers-to-generate-poetry/jQVh59vuG1tJKA (zuletzt eingesehen am 09. Januar 2024).
- 16. Ein entsprechender Hinweis findet sich im Impressum von 1 the Road.
- 17. Vgl. Brian Merchant: »When an AI goes Full Jack Kerouac«, theatlantic.com, 01. Oktober 2018, https://www.theatlantic.com/technology/archive/2018/10/automated-on-the-road/571345/ (zuletzt eingesehen am 17. Juli 2023).
- 18. Zur Verursachung oder Vermeidung von Widerständigkeit im Schreibprozess durch die Wahl des Schreibgeräts vgl. Martin Stingelin: »›Schreiben‹. Einleitung«. In: Ders. (Hg.): »Mir ekelt vor diesem tintenklecksenden Säkulum«. Schreibszenen im Zeitalter der Manuskripte. München 2004, S. 7–21, hier S. 14 sowie explizit zum »reibungslose[n] Schreiben« mit der Schreibmaschine Davide Giurato: »Maschinen-Schreiben«. In: Sandro Zanetti (Hg.): Schreiben als Kulturtechnik. Grundlagentexte. Berlin 2012, S. 305–317, hier S. 307.
- 19. Zusätzlich zur Spracherzeugung wurden auch Bilder generiert, indem die Kamera alle 20 Sekunden ein Bild aufnahm, welches dann in ASCII-Zeichen ›übersetzt‹ und ebenfalls in den automatisiert produzierten endlosen Zeichenstrom integriert wurde (vgl. die Beschreibung bei Kenric Allado-McDowell»AI Poetry Hits the Road«, m, 14. April 2017, https://medium.com/artists-and-machine-intelligence/ai-poetry-hits-the-road-eb685dfc1544 (zuletzt eingesehen am 17. Juli 2023).
- 20. Die Aussagen in verschiedenen Dokumentationen zur Produktion von 1 the Road leisten einer solchen Interpretation Vorschub. So räsoniert eine:r der mitreisenden Google-Mitarbeitenden, Kenric Allado-McDowell (Allado-McDowell identifiziert sich als non-binär und verwendet im Englischen das Pronomen they.]): »The through line from Kerouac to cutting-edge RNN-LSTMs (Recurrent Neural Net Long Short Term Memory) starts with an amphetamine Beat and dips into self-absorbed spiritual utopianism and Gonzo paranoia before it settles in the Bay Area, where dropouts, acid-heads and home-brew hackers laid compost for the home computing revolution and by extension key components in the techno-capitalist stack« (ebd.). Im bereits zitierten Atlantic-Artikel heißt es abschließend: »Regardless, it is a hallucinatory, oddly illuminating account of a bot’s life on the interstate; the Electric Kool-Aid Acid Test meets Google Street View, narrated by Siri« (Merchant: »When an AI goes Full Jack Kerouac«).
- 21. Rüdiger Campe: »Die Schreibszene, Schreiben«. In: Sandro Zanetti (Hg.): Schreiben als Kulturtechnik. Grundlagentexte. Berlin 2012, S. 269–282, hier S. 270.
- 22. Vgl. zur Funktion der Datierung ebd., S. 271f. Zur Differenzierung von Schreibszene und Schreib-Szene definiert Stingelin mit Bezug auf Campe »›Schreibszene‹ [als] die historisch und individuell von Autorin und Autor zu Autorin und Autor veränderliche Konstellation des Schreibens, die sich innerhalb des von der Sprache (Semantik des Schreibens), der Instrumentalität (Technologie des Schreibens) und der Geste (Körperlichkeit des Schreibens) gemeinsam gebildeten Rahmens abspielt, ohne daß sich diese Faktoren selbst als Gegen- oder Widerstand problematisch würden; wo sich dieses Ensemble in seiner Heterogenität und Nicht-Stabilität an sich selbst aufzuhalten beginnt, thematisiert, problematisiert und reflektiert, sprechen wir von ›Schreib-Szene‹« (Stingelin: »›Schreiben‹. Einleitung«, S. 14f.).
- 23. Allado-McDowell: »AI Poetry Hits the Road«.
- 24. Connor Goodwin: »A.I. Storytelling: On Ross G’s 1 the Road«, bombmagazine.org, 14. Dezember 2018, https://bombmagazine.org/articles/ross-goodwins-1-the-road/ (zuletzt eingesehen am 17. Juli 2023).
- 25. Vgl. zum Unterschied von Schreiber*in und Autor*in Christoph Hoffmann: »Schreiber, Verfasser, Autoren«. In: DVjs 91 (2017), S. 163–187, DOI: 10.1007/s41245-017-0037-z.
- 26. Bajohr: »Künstliche Intelligenz und digitale Literatur. Theorie und Praxis konnektionistischen Schreibens«, S. 175.
- 27. Das zeigt sich neben dem hier genauer untersuchten Beispiel auch an vielen weiteren Werken generativer Literatur. Vgl. z. B. die regelmäßig mit Erläuterungen versehenen Werke auf der Webseite des Autor*innenkollektivs 0x0a: 0x0a.li, https://0x0a.li (zuletzt eingesehen am 17. Juli 2023).
- 28. Oscillator Media: »Automatic On The Road – Gonzo AI Robot Writes Road Trip Novel«, Youtube, 27. September 2018, https://www.youtube.com/watch?v=TqsW0PMd8R0 bzw. https://rossgoodwin.com (zuletzt eingesehen am 17. Juli 2023).
- 29. Bajohr: »Künstliche Intelligenz und digitale Literatur«, S. 175.
- 30. Johnson 2006 [1988], S. 247. Johnson/Latour knüpft hier explizit an semiotische Überlegungen zur Repräsentation des/der Autor*in im Text an (vgl. aus semiotischer Perspektive z. B. Umberto Eco: Zwischen Autor und Text. Interpretation und Überinterpretation. Mit Einwürfen von Richard Rorty. Übers. v. Hans Günter Holl. München 1996, S. 75–98).
- 31. Johnson [Latour]: »Die Vermischung von Menschen und Nicht-Menschen«, S. 248.
- 32. Vgl. hierzu grundlegend Hannes Bajohr: »Das Reskilling der Literatur. Einleitung zu Code und Konzept«. In: Ders. (Hg.): Code und Konzept. Literatur und das Digitale. Berlin 2016, S. 7–21; Jasmin Meerhoff: »Verteilung und Zerstäubung. Zur Autorschaft computergestützter Literatur«. In: Hannes Bajohr und Annette Gilbert (Hg.): Digitale Literatur II. Sonderband von Text+Kritik X. 21 (2021), S. 49–61, hier S. 54–56.
- 33. Ganz im Sinne dieser Anknüpfung an die Tradition der Konzeptkunst erweist sich Goodwin in seinem Vorwort zu 1 the Road als informierter Teilhaber am literatur-medienwissenschaftlichen Diskurs um Mensch-Maschine-Interaktionen in Schreibprozessen und damit im Zusammenhang stehenden Fragen von Autor*innenschaft, indem er sich in seinen Reflexionen zur Produktion von 1 the Road u. a. explizit auf Friedrich Kittler und Friedrich Nietzsche bezieht (vgl. Goodwin: »A.I. Storytelling: On Ross G’s 1 the Road«, S. 6–10).
- 34. Jasmin Meerhoff weist mit Bezug auf Espen Arseth darauf hin, dass nicht nur generative Literatur, sondern auch andere Formen computergestützter Literatur im Rahmen eines Produktionsszenarios »[s]ozio-technische[r] Ko-Autorschaften« entstehen (vgl. Meerhoff: »Verteilung und Zerstäubung«, S. 51).
- 35. Writer of writer Ross Goodwin: 1 the Road. Paris 2018, S. 12–14.
- 36. In diese Richtung weist zumindest in Teilen der Paratext von 1 the Road, indem auf den letzten Seiten des Bandes nicht nur biografische Informationen zu Ross Goodwin, sondern ebenfalls zu Kenric McDowell, Leiter*in des Artists and Machine Intelligence-Programms gegeben werden (vgl. ebd., S. 142f.).
- 37. Latour 2017, S. 112.
- 38. Johnson [Latour]: »Die Vermischung von Menschen und Nicht-Menschen«, S. 251. Latour bezieht sich hier wahrscheinlich auf A. J. Greimas’ Konzept des narrativen Programms zur abstrakten Beschreibung der Erzählung von Handlungen als Verknüpfung von menschlichen Akteur*innen und Objekten, die sehr stark an aktuelle Konzepte der Wissensrepräsentation in Ontologien erinnert.
- 39. https://github.com/rossgoodwin/wordcar (zuletzt eingesehen am 17. Juli 2023).
- 40. Auf GitHub heißt es: »Certain elements critical to running the Word Car software in its intended state, including the neural network models Goodwin trained, will be added in the future.«
- 41. Oscillator Media: »Automatic On The Road«.
- 42. »I hope this project establishes a foundation for subsequent journeys into the unknown.« (Goodwin: I the Road, S. 16).
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