Philologie im Gespräch
Iuditha
Balint
Dortmund
Kristin
Eichhorn
Stuttgart
Mahshid
Mayar
Bielefeld
Eva Tanita
Kraaz
Münster
Sarah Alice
Nienhaus
Bielefeld

Digitaler Wissenschaftsaktivismus in Deutschland

Wie der akademische Mittelbau seine Stimme findet und sich einen Resonanzraum schafft.

Die Aufmerksamkeit um #IchBinHanna und #IchBinReyhan brandet seit mittlerweile über einem dreiviertel Jahr wiederholt auf. Es ist Zeit für einen Textpraxis-Podcast: In dieser Episode sprechen wir mit Iuditha Balint (Fritz-Hüser-Institut für Literatur und Kultur der Arbeitswelt in Dortmund), Kristin Eichhorn (Universität Stuttgart) und Mahshid Mayar (Universität Bielefeld) über die Hashtagkampagne, ihre Vorläufer, das WissenschaftsZeitVertragsGesetz und die Arbeitsbedingungen in der deutschen Wissenschaft. Alle unsere Gesprächspartnerinnen sind oder waren von diesen Strukturen unmittelbar betroffen. Durch ihre Forschung, ihre Publikationstätigkeiten und ihren Aktivismus bringen sie verschiedene Perspektiven mit in das Gespräch. Eingeleitet wird der Podcast durch eine Timeline zum WissZeitVG und der Hashtagkampagne sowie einer Stimmencollage weiterer betroffener Wissenschaftler*innen. Wer sich schon immer fragte, welche Metaphern, Narrative und Vorurteilsstrukturen in der Debatte wirkmächtig walten, sollte unbedingt achtsam lauschen.

Bereinigtes Transkript von Folge 3 des Podcasts Philologie im Gespräch

Einleitung (Introduction)

Die Aufmerksamkeit um #IchBinHanna, #IchBinReyhan und das Wissenschaftszeitvertragsgesetz brandet seit mittlerweile über einem dreiviertel Jahr wiederholt auf. Die Debatte um Arbeitsbedingungen im deutschen Wissenschaftssystem ist nicht neu. Es gibt eine Vielzahl von Publikationen zu dem Problemkomplex, etwa aus rassismuskritischer Perspektive, von Mahmoud Arghavan, Emine Aslan oder Karim Fereidooni, um nur einige zu nennen. Seit der Hashtagkampagne bricht die Diskussion aber auch außerhalb des wissenschaftsaktivistischen Rahmens und der Twittersphäre, in der sie im vergangenen Sommer Fahrt aufgenommen hat, nicht ab. Es ist Zeit für einen Textpraxis-Podcast.1

EN: The debate surrounding #IchBinHanna, #IchBinReyhan and the WissenschaftsZeitVertragsGesetz (German Act on Temporary Employment Contracts in Academia) has been continuously surging for the past year. The debate about working conditions in German academia is not new. There has been a multitude of publications regarding these problems, for example with particular emphasis on racism, by Mahmoud Arghavan, Emine Aslan or Karim Fereidooni, to name just a few. Since the initial hashtag campaign, however, the discussion has not lost momentum, even outside the science-activist framework and the Twittersphere in which it gained momentum last summer. It’s time for a Textpraxis podcast.

Diese Folge besteht aus drei Teilen: Auf eine Timeline, die die Hintergründe der Hashtagkampagne in aller Kürze nachzeichnet, folgt eine Collage von Statements betroffener Wissenschaftler*innen. Danach werden wir ins Gespräch mit drei Wissenschaftlerinnen einsteigen, die in den letzten Jahren sowohl auf befristeten akademischen Stellen gearbeitet haben als auch thematische Überschneidungen in ihrer Forschungs- und Publikationstätigkeit mitbringen. Wir werden verschiedene Perspektiven auf die Debatte diskutieren, die mediale Dramaturgie von Hashtagkampagnen analysieren sowie der verwendeten Sprache und den aufgerufenen Narrativen Aufmerksamkeit widmen.

EN: This episode consists of three parts: A timeline is provided that briefly traces the development of the hashtag campaign, followed by a collage of statements from affected scholars. We will then enter into a conversation with three scholars who have worked in academic positions in recent years with fixed-term contracts. They also share thematic overlaps in their research interests and publications. We will discuss various perspectives on the debate, analyze the media dramaturgy of hashtag campaigns, and pay special attention to the language used as well as the narratives invoked.

Bevor wir jedoch mit dem eigentlichen Podcast beginnen, würden wir gerne unsere eigene Sprechposition offenlegen und die Entwicklung unseres Projekts in einigen Punkten nachzeichnen. Wir, das sind im engeren Sinne die Autorinnen und Sprecherinnen dieses Podcasts Sarah Nienhaus und Tanita Kraaz, die selbst als PostDoc und als Doktorandin auf befristeten Stellen an Universitäten arbeiten. Im weiteren Sinne sind wir die Textpraxis-Redaktion, 14 ehrenamtlichen Herausgeber*innen aus dem akademischen Mittelbau. Das akademische Prekariat und die Folgen des WissZeitVG erfahren wir, im weiteren Sinne, also an verschiedenen Stellen am eigenen Leibe – und wir, im engeren Sinne, werden beispielsweise strukturell aufgrund unseres Geschlechts diskriminiert. Zugleich sind wir uns darüber bewusst, dass wir zum Beispiel als weiße, able-bodied, Deutsch Erstsprachlerinnen über viele Privilegien verfügen. Uns war von Anfang an klar, dass andere Menschen im Wissenschaftssystem mehrfach diskriminiert werden, sei es aufgrund ihrer Rassifizierung, ihrer Nationalität, ihrer Klasse und/oder zahlreicher anderer Faktoren. Die redaktionellen Impulse, einen dafür sensiblen Podcast zu produzieren kamen früh. Wir wollten diesen Standpunkten und den betroffenen Personen den entsprechenden Raum in der Diskussion überlassen. Gleichzeitig wollten wir unseren Anspruch wahren, Gesprächspartner*innen mit einer relevanten Forschungsperspektive zu gewinnen. Diese Bemühungen stießen auf verschiedene Probleme: Unsere Podcast-Sprache Deutsch kann für internationale Wissenschaftler*innen eine Hürde darstellen. Mehrfach marginalisierte Personen, die sich bereits in der Öffentlichkeit geäußert haben, werden aus genau diesem Grund häufig von Anfragen für unbezahlte Arbeit überhäuft. – Und das ist wohlgemerkt nur ein Teil der Mehrbelastung, wegen der sie in diesem gesteigerten Maß gefragt sind.

EN: However, before we start with the actual podcast, we would like to disclose our own speaking position and trace the evolution of our project briefly. We, in a narrow sense, the authors and moderators of this podcast, Sarah Nienhaus and Eva Tanita Kraaz, work as a PostDoc and a PhD student, respectively, in fixed-term positions at German universities. In a broader sense, we are the Textpraxis editorial team, which is made up of 14 volunteer editors from the non-professorial teaching staff. We, in a broader sense, experience the academic precarity and the consequences of the WissZeitVG firsthand in various ways - and we, in a narrower sense, are, for example, structurally discriminated against on the basis of our gender. At the same time, we are aware that we, for example, as white, able-bodied, German native speakers, have many privileges. It was clear to us from the beginning that other people face multiple forms of discriminations in academia, whether based on racialization, nationality, class, and/or numerous other factors. Within the editorial team, we have agreed from the start to produce a podcast sensitive to these issues. We wanted to give these viewpoints, as well as the people involved, the appropriate space in this discussion. At the same time, we wanted to invite guests with a relevant research perspective. These efforts raised several problems: Our podcast language (German) can be a hurdle for international scholars. Many marginalized individuals who have already spoken in public are often already met with numerous requests for unpaid labor for this very reason. – And that, in fact, is only part of the extra labor they are asked to perform to this increased degree.

Nach einigen Absagen haben wir unser Konzept hinterfragt. Obwohl uns in unserer ehrenamtlichen Funktion leider keine Möglichkeit zur finanziellen Kompensierung zur Verfügung standen, konnten wir zumindest an einer Schraube drehen: Anstatt eines deutschsprachigen Podcasts haben wir uns für eine bilinguale Gesprächssituation entschieden. Jede sollte entsprechend ihrer eigenen Vorlieben Deutsch oder Englisch sprechen. Durch ein nachträglich erstelltes Transkript werden die Passagen in der jeweils anderen Sprache aufgeklärt. Da auch mit den verschiedenen Perspektiven keine absolute Repräsentation gewährleistet werden kann, haben wir uns an weitere Personen gewendet, die sich mit kurzen Statements im Sinne der Twitterdebatte einbringen konnten. Durch diese Collage der Vielstimmigkeit soll zumindest angedeutet werden, wie vielschichtig die Probleme sind. Wir nehmen diesen Podcast im Bewusstsein auf, dass wir blinde Flecken hatten und haben. Wir sind dankbar für jeden Hinweis und jede Kritik, die wir in diesem Prozess bekommen haben und bekommen werden.

EN: After several negative replies, we questioned our concept. Even though we, unfortunately, had no means of providing financial compensation given our own work being honorary in the first place, we were able to address one of the above-mentioned issues: Instead of a German-language podcast, we decided on a bilingual model. Each person was to speak German or English according to their own preferences. By means of a subsequently created transcript, the passages are made accessible in the other language, respectively. Since even with the different perspectives no absolute representation can be guaranteed, we turned to other people who could contribute with short statements in the spirit of the Twitter debate. This polyphonic collage is intended to at least hint at how multi-layered these issues are. We recorded this podcast knowing that we had, and still have, blind spots. We are grateful for the suggestions and critique that we have received and continue to receive during this process.

Timeline

#IchBinReyhan und #IchBinHanna sind eingängige Schlagworte geworden. Die Geschichte, die hinter der erfolgreichen Hashtagkampagne steckt, ist vielen weniger bewusst. Wir fassen sie im Folgenden in ihren wichtigsten Punkten zusammen:

EN: #IchBinReyhan and #IchBinHanna have become buzzwords. However, not many people are aware of the story behind the successful hashtag campaign. We summarize the most important points below:

12. April 2007

Das WissenschaftsZeitVertragsGesetz tritt in Kraft. Das Gesetz ermöglicht die befristete Anstellung des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals im akademischen Mittelbau – und schafft damit Befristungsmöglichkeiten über die geltenden Regelungen zur Befristung im Teilzeit- und Befristungsgesetz hinaus.

EN: The WissenschaftsZeitVertragsGesetz comes into effect. The law enables the temporary employment of scientific and artistic staff in the academic mid-level faculty – and thus creates the possibility of fixed-term contracts beyond the current regulations on fixed-term contracts in the Teilzeit- und Befristungsgesetz (Part-Time and Fixed-term Contract Act).

Seit seines Inkrafttretens steht das Gesetz in der Kritik. Durch die Befristungsmöglichkeiten werde das wissenschaftliche Personal prekarisiert. 2019 waren 92 Prozent der Personen unter 45 Jahren ohne Professur unter Zeitverträgen in der Wissenschaft angestellt.

EN: The law has been criticized ever since it came into effect. It is observed by many that the fixed-term options make academic posts precarious. In 2019, 92 Prozent of people under the age of 45 without a professorship were employed in academia with temporary contracts.

2015/16

Eine Gesetzesnovelle tritt in Kraft: Sachgrundlose Befristungen und die Befristung von nicht-wissenschaftlichem Personal werden reguliert.

EN: An amendment to the law comes into force: groundless unlimited fixed-term contracts and fixed-term contracts for non-scientific personnel are regulated.

seit 2018

tauchen wiederholt Twitterhashtags auf, darunter zum Beispiel #unbezahlt oder #FrististFrust. Betroffene Wissenschaftler*innen nutzen die Hashtags, um die Erfahrungen in ihrer eigenen prekarisierten Arbeitsumgebung zu schildern. So werden die systematischen Bedingungen für die individuellen Situationen sichtbar.

EN: Since 2018, Twitter hashtags such as #unbezahlt (unpaid) or #FristisFrust (short term is frustration) pop up repeatedly. Affected scientists use the hashtags to describe their experiences in their own precarious working environment. In this way, the systematic conditions for individual situations become visible.

31. Oktober 2020

#95vsWissZeitVG, gestartet von Amrei Bahr, Sebastian Kubon und Kristin Eichhorn: Wissenschaftler*innen posteten auf Twitter Thesen gegen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Ein Buch, in dem diese Thesen, redaktionell gebündelt und sortiert, versammelt sind, erschien im September 2021.

EN: #95vsWissZeitVG, started by Amrei Bahr, Sebastian Kubon, and Kristin Eichhorn: Scholars posted theses on Twitter against the law on WissenschaftsZeitVertragsGesetz. An edited volume, containing these theses, was published in September 2021.

10. Juni 2021

Sebastian Kubon tweetet zum ersten Mal den Hashtag #IchBinHanna: »Das @BMBF_Bund (Bundesministerium für Bildung und Forschung) verschleißt befristete Wissenschaftler_innen und verhöhnt sie auch noch. Zur Erinnerung, dass das WissZeitVG sich gegen Menschen richtet, gebe ich dem wiss. Prekariat ein Gesicht: #IchBinHanna. #95vsWissZeitVG @AmreiBahr @DrKEichhorn #acertaindegreeofflexibility«.

EN: Sebastian Kubon tweets the hashtag #IchBinHanna for the first time: »The @BMBF_Bund (Federal Ministry of Education and Research) wears out temporarily employed scholars and mocks them, too. As a reminder that the WissZeitVG is directed against real people, I give the academic precarity a face: #IchBinHanna. #95vsWissZeitVG @AmreiBahr @DrKEichhorn #acertaindegreeofflexibility«.

Der Hashtag trendet, weil er von Zehntausenden genutzt wird, die ihre eigenen prekären Erfahrungen in der Wissenschaft teilen.

EN: The hashtag is trending because it is used by tens of thousands who share their own precarious experiences in academia.

11. Juni 2021

Reyhan Şahin tweetet zum ersten Mal den Hashtag #IchBinReyhan, wir lesen den Thread in gekürzter Fassung: »Ich bin Reyhan, 39, Sprach-, Migrations- & Rassismusforscherin. Ich hatte noch nie ne Uni-Stelle, finanzierte meine Promotion, Postdoc (& jetzige Habilitation) mit selbst beantragten Stipendien. Forscher:innen of Color aus nicht-akademisierten Familien haben’s in der Fuckademia eindeutig schwerer als Kinder von weißen akademisierten Familien, & auch wenn das niemand zugibt, bekommst du es tagtäglich zu spüren. […] Nun sagt mir bitte: #BinIchHanna? Werde ich jemals #IchbinHanna sein? & kann ich als #IchbinHanna sprechen? Nein. Das kann ich nicht. Denn #IchbinReyhan , werde immer #ReyhanBleiben & versuchen als Bildungsaufsteigerin of Color in diesen problematischen Strukturen zu überleben«.

EN: Reyhan Şahin tweets the hashtag #IchBinReyhan for the first time. We will read an abridged version of the thread: »I am Reyhan, 39, a researcher in language, migration, and race. I have never had a university position, and funded my PhD, postdoc (& current habilitation) with grants I applied for myself. Researchers of color from non-academic families clearly have a harder time in Fuckademia than children from white academic families, & even if no one admits it, you feel it every day. [...] Now, please tell me: #BinIchHanna (#AmIHanna)? Will I ever be #IchBinHanna? & can I speak as #IchBinHanna? No. I cannot. Because #IchBinReyhan (#IAmReyhan) will always remain #Reyhan & try to survive as a person of color and first generation member of the university system in these problematic structures«.

24. November 2021

Substanzielle Forderungen, die durch die verschiedenen Initiativen gegen das WissZeitVG vertreten wurden, werden im Koalitionsvertrag von SPD, Grüne und FDP aufgenommen.

EN: Substantive demands represented by the various initiatives against the WissZeitVG are included in the coalition agreement of the SPD, Greens and FDP.

Stimmencollage (Collage of Voices)

Wir hören nun die vorab gesammelten Statements

EN: Before proceeding further, we will now listen to the previously compiled statements

Manuel Förderer (Münster): »Das Verhältnis von Promoventen aus Arbeiterfamilien zu ihren Kolleginnen aus den Akademikerfamilien ist eins zu zehn. Eine Verlängerung der bereits zuvor gut funktionierenden klassenspezifischen Selektion. Das ist Klassismus in Reinkultur, der zwar in einem Gestus der Kritik beforscht, durch eine dezidiert klassenspezifische Rekrutierungspraxis an den Hochschulen aber faktisch zementiert wird. Die enorme Differenz in Sachen ökonomischer, wie kultureller Kapitalmassen, die unserer Gesellschaft kennzeichnet wird nicht zuletzt an den Universitäten reproduziert«.

EN: Manuel Förderer (Münster): »The ratio of doctoral candidates from working-class families to their colleagues from academic families is one to ten. This is an extension of an already well-functioning class-specific selection. This is classism in its purest form, researched in a mere gesture of critique, but in fact cemented by a decidedly class-specific recruitment practice at universities. The enormous difference in economic and cultural capital that characterizes our society is reproduced not least at the universities«.

Ozan Altinok (Hannover): »I, as an early career researcher, left my country due to political oppression. Being obstructed by many oppressive structures within the university, my dream itself was really difficult to recognize and to accept. The limits and the length of my stay in Germany are decided by the bad institutions and I already knew that, but the limitations of the university and the obstacles they bring about on many different levels are issues I was not prepared for. It is particularly frustrating to see your colleagues and supervisors ignore or dismiss these problems. The temporal limitations of contracts leave us in insecurity and uncertainty not knowing how long one can stay in the country or even in the city. #IchBinOzan #IchBinReyhan #IchBinHanna«.

DE: Ozan Altinok (Hanover): »Ich habe als Nachwuchswissenschaftler mein Land aufgrund politischer Unterdrückung verlassen. Da ich durch viele unterdrückerische Strukturen innerhalb der Universität behindert wurde, war mein Traum selbst sehr schwer zu erkennen und zu akzeptieren. Die Grenzen und die Dauer meines Aufenthalts in Deutschland werden von den schlechten Institutionen bestimmt, und das wusste ich bereits, aber die Grenzen der Universität und die Hindernisse, die sie auf vielen verschiedenen Ebenen mit sich bringen, sind Dinge, auf die ich nicht vorbereitet war. Es ist besonders frustrierend, wenn man sieht, wie seine Kollegen und Vorgesetzten diese Probleme ignorieren oder abtun. Die zeitlichen Begrenzungen der Verträge lassen uns in Unsicherheit und Ungewissheit zurück, wir wissen nicht, wie lange wir im Land oder sogar in der Stadt bleiben können. #IchBinOzan #Ich-BinReyhan #IchBinHanna«.

Anonym: »Für meine Promotion habe ich Material aus 35 Archiven in sechs Ländern ausgewertet, dafür Reisemittel eingeworben, Zeit- und Budgetplanung penibel durchgezogen. Außerdem zig Workshops und Veranstaltungen selbst organisiert. Aber: #IchbinHanna im öffentlichen Dienst, weil ich die Promotion mit Stipendien finanziert habe, zählt diese Zeit aus Prinzip nicht als Berufserfahrung, dadurch verdiene ich gut 200 Euro weniger im Monat. Der Personalrat findet das korrekt«.

EN: Anonymous: »For my PhD, I evaluated material from 35 archives in six countries, raised travel funds for it, and meticulously planned my time and budget. I also organized countless workshops and events myself. But: #IchbinHanna in the civil service, because I financed the PhD with scholarships, this time does not count as professional experience, as a matter of principle, so I earn a good 200 euros less per month. The staff council thinks this is correct«.

Gespräch (Interview)

Wir fahren nun fort mit dem Gesprächsteil unseres Podcast. Wir heißen willkommen: Iuditha Balint, Mahshid Mayar und Kristin Eichhorn. Erlauben Sie uns, Sie jeweils knapp dem Publikum vorzustellen, bevor wir mit unseren Fragen beginnen:

EN: We will now continue with the planned discussion for this podcast. We welcome: Iuditha Balint, Mahshid Mayar, and Kristin Eichhorn. Allow us to briefly introduce each of you to the audience before we begin our interview:

Mahshid Mayar

A literary critic and a cultural historian of the US, Mahshid Mayar is an assistant professor of American Studies at Universität Bielefeld. Currently, she is also a research associate at the English Department, Amherst College, Massachusetts. Mahshid’s current research and teaching interests lie in 21st-century poetry of protest, silence and absence, new empire studies, 19th-century cultural history of the US, and history of race and racialization. In Erasure: Poetics, Politics, Performance, which is the title of her Habilitation project, Mahshid interrogates the intercutting of the empire’s politics and poetics in 21st-century examples of poetry of erasure. Together with Marion Schulte, Mahshid has edited the edited volume Silence and Its Derivatives: Conversations Across Disciplines (which is at the moment in press with Palgrave Macmillan). Mahshid has studied at the University of Tehran, Iran, Universität Heidelberg, and Universität Bielefeld, from which she graduated in 2016.

DE: Mahshid Mayar, Literaturkritikerin und Kulturhistorikerin der USA, ist Assistenzprofessorin für Amerikanistik an der Universität Bielefeld. Derzeit ist sie auch wissenschaftliche Mitarbeiterin am English Department, Amherst College, Massachusetts. Mahshids derzeitige Forschungs- und Lehrinteressen liegen in der Poesie des Protestes, des Schweigens und der Abwesenheit im 21. Jahrhundert, den New Empire Studies, der Kulturgeschichte der USA im 19. Jahrhundert und der Geschichte von Rasse und Rassifizierung. In Erasure: Poetics, Politics, Performance, so der Titel ihres Habilitationsprojekts, untersucht Mahshid die Überschneidung von Politik und Poetik des Imperiums in Beispielen der Poesie der Auslöschung im 21. Jahrhundert. Gemeinsam mit Marion Schulte hat Mahshid den Sammelband Silence and Its Derivatives: Conversations Across Disciplines herausgegeben (derzeit im Druck bei Palgrave Macmillan). Mahshid hat an der Universität Teheran, Iran, der Universität Heidelberg und der Universität Bielefeld studiert, wo sie 2016 ihren Abschluss gemacht hat.

Kristin Eichhorn

Kristin Eichhorn ist Germanistin. Sie hat in Kiel studiert und promoviert. Im Jahr 2020 folgte Ihre Habilitation an der Universität Paderborn mit einer Studie zum Thema Johannes R. Becher und die literarische Moderne. Eine Neubestimmung. Derzeit vertritt sie die Professur von Sandra Richter an der Universität Stuttgart. Das Sachbuch #IchBinHanna. Prekäre Wissenschaft in Deutschland, das sie gemeinsam mit Amrei Bahr und Sebastian Kubon geschrieben hat, ist im Suhrkamp Verlag erschienen.

EN: Kristin Eichhorn is a German Studies scholar. She both studied in and received her doctorate from the University of Kiel. In 2020, she completed her habilitation at the University of Paderborn with the title Johannes R. Becher und die literarische Moderne. Eine Neubestimmung. She is currently currently deputizing for professor Sandra Richter at the University of Stuttgart. The book #IchBinHanna. Prekäre Wissenschaft in Deutschland, which she wrote together with Amrei Bahr and Sebastian Kubon, was published by Suhrkamp Verlag.

Iuditha Balint

Iuditha Balint ist Literatur- und Medienwissenschaftlerin. Sie hat in Heidelberg und Mannheim studiert und promovierte 2015 mit der Arbeit Erzählte Entgrenzungen. Narrationen von Arbeit zu Beginn des 21. Jahrhunderts, die im Wilhelm Fink Verlag erschien. Nach Stationen an den Universitäten Mannheim, Duisburg-Essen und der University of Virginia, sowie Gastdozenturen in Prag, Ljubiljana und Vilnius wurde sie 2018 zur Direktorin des Fritz-Hüser-Instituts für Literatur und Kultur der Arbeitswelt ernannt. Im Verbrecher Verlag erschien zuletzt der Sammelband Brotjobs & Literatur, den sie zusammen mit Julia Dathe, Kathrin Schadt und Christoph Wenzel herausgegeben hat.

DE: Iuditha Balint is a scholar in Literary Studies and Media Studies. She studied in Heidelberg and Mannheim and received her doctorate in 2015 with the thesis Erzählte Entgrenzungen. Narrationen von Arbeit zu Beginn des 21. Jahrhunderts, which was published by Wilhelm Fink Verlag. After holding positions at the University of Mannheim, University of Duisburg-Essen, and the University of Virginia, as well as guest lectureships in Prague, Ljubiljana, and Vilnius, she was appointed director of the Fritz-Hüser-Instituts für Literatur und Kultur der Arbeitswelt in 2018. Verbrecher Verlag recently published the anthology Brotjobs & Literatur, which she co-edited with Julia Dathe, Kathrin Schadt, and Christoph Wenzel.

Gespräch

Textpraxis (Sarah Nienhaus, SN): »Der lange Weg zum Hashtagerfolg«, wäre womöglich eine passende Überschrift für unser heutiges Gespräch. Warum hat es so lange gedauert, bis die Debatte die Aufmerksamkeit bekommen hat, die sie verdient hat? Is there fear of professional consequences for speaking up? Ist die Angst vor beruflichen Konsequenzen nach Debattenbeiträgen real? Wurde der Aufschrei unter Klarnamen als Tabubruch markiert? Did this outcry constitute a breach of taboo? Das sind unsere Impulsfragen, die wir zu Beginn in die Runde werfen möchten und einmal horchen wollen, wie Ihre Einschätzung dazu ist.

Kristin Eichhorn (KE): Ja, warum hat es so lange gedauert? Also ich glaube das, was Sie in der Anmoderation gesagt haben, das ist entscheidend. Es gibt auf jeden Fall eine große Angst davor, Nachteile in der eigenen Karriere zu haben, wenn man sich öffentlich äußert. Ich glaube, das steckt in dem System so drin. Denn das System funktioniert ja doch sehr stark so, dass es Leute dazu erzieht in diese Abhängigkeit zu geraten: Man ist lange befristet und damit immer abhängig von den Leuten, die die eigenen Arbeiten begutachten, die für die Vertragsverlängerungen zuständig sind. Und das führt natürlich dazu, dass man ohnehin zum angepassten Verhalten neigt. Dann ist es natürlich klar, dass man Angst hat vor irgendwelchen Repressalien. Ich glaube, dass das wirklich ein wichtiger Punkt ist, der auch bei dem System, wie es funktioniert, nicht überrascht.

EN: Why did it take so long, right? Well, I think what you said in the introduction is crucial. There is definitely a big fear of having disadvantages in one’s career if one speaks out publicly. I think that just comes with the territory. Because the system works very much in such a way that it trains people to become dependent: You work under temporary contracts for a long time and are therefore always dependent on the people who review your work, who are responsible for renewing your contract. And that naturally leads to a tendency to conform. Then it is just natural that you are afraid of some kind of reprisal. I think that is really an important point, and it is not surprising given the way the system works.

Mahshid Mayar (MM): Just to add to what Frau Eichhorn just mentioned: I would like to also add this other perspective to the question of fear that you brought up in your first question. And that is the very real fear that talking about the professional too quickly becomes personal. Every one of us who ever has joined this hashtag movement on Twitter had their moments of hesitation, partly because of this: That the moment they start talking about professional concerns and its repercussions and consequences for each and every one of us as individual human beings with different histories and backgrounds, the consequences are going to have two directions: One is interpersonal with our colleagues and employers and the other one is the professional, because the record is going to stay there on Twitter. The other fear that I myself – and I am sure that other people have had similar experiences – felt toward the hashtag movement at the very beginning was how to find the language in which I could talk about concerns, join other people’s concerns without talking about myself. So, one of the very first Tweets that I made about #IchBinHanna was very abstract and very general and received little attention. So, I added incidents and moments and slices from my own individual experience. Later on I felt very uncomfortable, because it felt like the Tweet and the whole thread became about my own profile. So, I deleted the whole thing. That was one of the reasons why it took me a while to join the conversation and to feel like I am part of it and I know how to use language in order to talk about all these different facets of this phenomenon.

DE: Nur um das zu ergänzen, was Frau Eichhorn gesagt hat: Gerne würde ich noch diese andere Perspektive zu der Frage der Angst, die Sie in Ihrer ersten Frage angesprochen haben, hinzufügen. Und das ist die ganz reale Angst, dass das Reden über das Berufliche zu schnell persönlich wird. Jeder von uns, der sich jemals dieser Hashtag-Bewegung auf Twitter angeschlossen hat, hatte seine Momente des Zögerns, zum Teil deswegen. In dem Moment, in dem wir anfangen, über berufliche Belange zu sprechen, wird dies Auswirkungen und Konsequenzen für jeden einzelnen von uns als individuelle Menschen mit unterschiedlichen Geschichten und Hintergründen haben. Die Folgen gehen in zwei Richtungen: Die eine ist zwischenmenschlich mit unseren Kolleg*innen und Arbeitgeber*innen und die andere ist beruflich, weil die Posts auf Twitter bleiben werden. Die andere Befürchtung, die ich selbst – und ich bin sicher, dass andere ähnliche Erfahrungen gemacht haben – zu Beginn der Hashtag-Bewegung hatte, war die Frage, wie ich eine Sprache finden kann, in der ich über meine Sorgen sprechen und mich zwischen den Sorgen anderer einfügen könnte, ohne über mich selbst zu sprechen. Einer meiner allerersten Tweets über #IchBinHanna war sehr abstrakt und sehr allgemein und fand wenig Beachtung. Also fügte ich Begebenheiten und Momente und Ausschnitte aus meinen eigenen Erfahrungen hinzu. Später fühlte ich mich sehr unwohl, weil ich das Gefühl hatte, dass es in dem Tweet und dem ganzen Thread um mein eigenes Profil ging. Also habe ich das Ganze gelöscht. Das war einer der Gründe, warum ich eine Weile brauchte, um mich in die Diskussion einzubringen und das Gefühl zu bekommen, dass ich dazu gehöre und weiß, wie ich die Sprache verwenden kann, um über all diese verschiedenen Facetten dieses Phänomens zu sprechen.

Iuditha Balint (IB): Vielen Dank an meine Vorrednerinnen! Was Frau Eichhorn und was Frau Mayar gesagt haben, würde ich sofort unterschreiben und hinzufügen, dass diese Angst davor, sich selbst, naja, nackt zu machen, gerade in den sozialen Medien auch deshalb so groß war und die Angst davor, überhaupt von den Missständen im Universitätsbetrieb zu erzählen, deshalb so groß ist, weil Selbsterzählungen hauptsächlich Erzählungen von Erfolg und von Resilienz sind – und als solche konnotiert sind. Dabei spielen Faktoren wie ein als Scheitern wahrgenommener Verlauf der Karriere oder Verletzlichkeit kaum eine Rolle. Ich glaube, auch in dieser Hinsicht müssen wir darauf achten, andere Erzählformen und andere Narrative dafür zu finden, wie wir über Arbeitswelten sprechen, in diesem Fall über Arbeitswelten an der Universität.

EN: Many thanks to the previous speakers! I would immediately endorse what Ms. Eichhorn and Ms. Mayar said and add that this fear of, well, making expose onself was so big especially on social media, and the fear of even talking about the grievances in the university sector is so great because self-narratives are mainly narratives of success and resilience – and are connoted as such. Factors such as a career trajectory perceived as failure or vulnerability hardly play a role at all. I think in this respect, too, we need to pay attention to finding other narrative forms and other narratives for how we talk about worlds of work, in this case about work environments at the university.

Textpraxis (SN): Was schon von Ihnen aufgegriffen wurde, was ich Sie aber trotzdem gerne nochmal fragen würde: Wie eigentlich war der genaue Verlauf Ihrer Wahrnehmung nach? Anders formuliert: Wie haben Sie die Hashtags #IchBinHanna und #IchBinReyhan verfolgt? In what ways did you follow the debates surrounding #IchBinHanna and #IchBinReyhan?

MM: I already gestured toward an answer to this question with my first response and that is: with a bit of hesitation at the beginning in joining the hashtag campaign, but also with a lot of interest in looking at the language that was used and the way different parties then joined this campaign. Because, at the beginning, it was a few central voices and other people retweeted them. So, it grew exponentially larger over time – rather pretty quickly. For some of us, however, it was difficult to really join that collective ›we‹ that the hashtag was trying to represent and give a voice to, particularly to someone who is non-German and who does not really tweet in German that often. For me and a lot of people who are like me, and come from positions and backgrounds such as myself, it took a bit of time to really find our place in this collective. It is still an ongoing project of what this ›we‹ is constituted of: Who is part of it? Who is excluded? And, what are the ways that we can go about opening it up, so it is representative of as many different individual positions as there are in precarious positions in German academia. For me, to sum it up, it was a process of looking and listening and reading a lot before I found myself a part of it and I realized that I could actually join in and have my own voice among the many voices around me – which was a very pleasant experience, but also it is a never-ending process of learning what we are excluding and we should include it.

DE: Mit meiner ersten Antwort habe ich bereits eine Antwort auf diese Frage angedeutet, und zwar: mit einem gewissen Zögern zu Beginn, aber auch mit großem Interesse an der Sprache, die verwendet wurde, und der Art und Weise, wie sich verschiedene Parteien dieser Kampagne anschlossen. Am Anfang waren es ein paar zentrale Stimmen, die von anderen Leuten retweetet wurden, und mit der Zeit wuchs die Zahl exponentiell an – ziemlich schnell. Für einige von uns war es jedoch schwierig, sich diesem kollektiven ›wir‹ anzuschließen, das der Hashtag repräsentieren und dem es eine Stimme geben wollte, insbesondere für jemanden, der nicht Deutsch ist und nicht so oft auf Deutsch twittert. Für mich und viele andere, die so sind wie ich, die aus solchen Positionen und Hintergründen kommen wie ich, hat es ein bisschen gedauert, bis wir unseren Platz in diesem Kollektiv gefunden haben. Es ist ein fortlaufendes Projekt, wie sich dieses ›wir‹ zusammensetzt: Wer ist Teil davon? Wer ist ausgeschlossen? Und wie können wir es öffnen, so dass es so viele verschiedene individuelle Positionen repräsentiert, wie es prekäre Positionen in der deutschen Wissenschaft gibt. Für mich war es, um es zusammenzufassen, ein Prozess des Hinsehens und Zuhörens und des ausgiebigen Lesens, bis ich mich selbst als Teil davon fühlte und mir klar wurde, dass ich tatsächlich mitmachen und meine eigene Stimme unter den vielen Stimmen um mich herum haben kann – was eine sehr angenehme Erfahrung war, aber es ist auch ein nie endender Prozess des Lernens, was wir ausschließen und was wir einschließen sollten.

KE: Da ich ja das Ganze mit ausgelöst habe, habe ich natürlich eine andere Perspektive, die auch eine Perspektive hinter die Kulissen ist, dadurch, dass ich das mit Amrei Bahr und Sebastian Kubon zusammengemacht habe. Dieses Zögern, das Mahshid Mayar angesprochen hat, das kenne ich auch, aber wir sind drei Leute, die sich schon untereinander pushen. Das heißt, es gibt vorher eine private Absprache zwischen uns Dreien, bevor wir überhaupt etwas twittern, das vielleicht kontrovers sein könnte. Das ist eine Sache, die dazu führt, dass man gut einsteigen kann. Die andere Sache, die ich auch beobachtet habe: Wir hatten am Anfang eine Gruppe von Personen, mit denen wir auf Twitter schon lange vernetzt sind. Wir haben ja knapp ein Jahr vorher 95 Thesen gegen das WissenschaftsZeitVertragsGesetz gesammelt und da hat sich natürlich schon eine Community gebildet. Die war natürlich schon am Anfang aktiv, aber es gab relativ schnell diesen Moment, in dem es über diese Community hinausgegangen ist. Dann kam der Moment, in dem es eine Eigendynamik angenommen hat. Das ist ja das: Wenn man in sozialen Medien unterwegs ist, hat man es irgendwann nicht mehr unter Kontrolle. Gerade die Fragen danach, wer sich äußert – das hat man irgendwann nicht mehr in der Hand! Und ich weiß noch, dass wir dann den Moment hatten, als sich Trolle eingeschaltet haben, die Witz-Tweets gemacht haben oder Angriffe auf die Geisteswissenschaften, die unter dem Hashtag lanciert wurden und so weiter. Das ist alles nicht schön, aber für uns war das ein Zeichen, das wir es geschafft haben, aus dieser Blase herauszukommen. Und nur, wenn wir aus dieser Blase herauskommen, haben wir eine Chance, die Verantwortlichen überhaupt zu erreichen und einen Punkt zu machen. Genau das ist uns gelungen: Dadurch haben es die Medien aufgegriffen, es gab viele Zeitungsartikel, und und und. All das ist nur möglich, weil wir nicht in dieser Blase von hundert Leuten geblieben sind, die auch bei den ersten Aktionen dabei waren.

EN: Since I co-initiated the whole thing, I naturally have a different perspective, which is also a behind-the-scenes perspective because I did it together with Amrei Bahr and Sebastian Kubon. I also know the hesitation that Mahshid Mayar mentioned, but we are three people who push each other. That means there is a private agreement between the three of us before we even tweet something that might be controversial. That is one thing that makes it easy to get on board. The other thing I also observed: We had a group of people at the beginning that we have been networking with on Twitter for a long time. We had collected 95 theses against the WissenschaftsZeitVertragGesetz a year beforehand, and a community had already formed. Of course, it was already active at the beginning, but there was a moment, relatively quickly, when it went beyond this community. Then came the moment when it took on a momentum of its own. That is the thing: When you are active on social media, at some point you no longer have it under control. Especially the questions about who is expressing themselves – at some point you no longer have control over that! And I remember that, then, there was a moment when trolls got involved which made joke tweets or attacks on the humanities, which were launched under the hashtag and so on. None of that is pretty, but for us it was a sign that we had managed to get out of our bubble. And only if we get out of this bubble do we have a chance to even reach the people in charge and make a point. That is exactly what we managed to do: Because of that, the media picked it up, there were a lot of newspaper articles, etc. All of this is only possible because we did not stay in this bubble of a hundred people who were also there during the initial phase of the campaign.

IB: Meine Position bei der Wahrnehmung der Debatte war von Anfang an auch eine ganz andere. Denn zu dem Zeitpunkt hatte ich bereits eine unbefristete Stelle, auf der ich sehr vieles gemeinsam mit meinem Team entscheiden kann und gestalten kann. – Aber ich kam aus der Universität und hatte mehrere befristete Verträge hinter mir. Was ich sehr spannend fand, ist das, was Frau Eichhorn auch vorhin erwähnt hat, nämlich welche unglaubliche Dynamik das angenommen hat und wie viele Menschen auf Twitter innerhalb von ein paar Stunden Beiträge verfasst haben – und wie diese kleinen autobiografischen Tweets zu einer kollektiven Stimme verschmolzen sind, auch wenn sie, wie Frau Mayar gesagt hat, einiges einschließt und einiges ausschließt. Was ich auch spannend und auch ein wenig traurig fand – aber daran ließe sich auch schnell was ändern, wenn die Universitäten mitmachen –, war das Wissenschaft mit Akademie gleichgesetzt wurde. Die wissenschaftliche Arbeit und die Arbeit an Universitäten wurde gleichgesetzt. Das passiert immer noch sehr häufig und da ist es erschreckend gewesen, zu sehen wie viel Informationsdefizit darüber besteht, wie viele Institutionen es außerhalb der Universität gibt, die auch wissenschaftlich arbeiten, die auch Forschung betreiben und nicht an das WissenschaftsZeitVertragsGesetz gebunden sind.

EN: My position in the debate was also quite different from the outset. Because at that time, I already had a permanent position where I could decide and shape a great deal together with my team. – But I came from the university and have had several fixed-term contracts in the past. What I found very exciting is what Ms. Eichhorn also mentioned earlier, namely what incredible momentum this has taken on and how many people contributed on Twitter within a few hours – and how these small autobiographical tweets have merged into a collective voice, even if, as Ms. Mayar said, it includes some and excludes others. What I also found exciting and also a little sad – but this could also be changed quickly if the universities joined in – was that academia was equated with the university system. Academic work and work at universities were equated. This still happens very often, and it was frightening to see how much information is lacking about how many institutions there are outside the university that also do academic work, that also do research and are not bound by the WissenschaftsZeitVertragsGesetz.

Textpraxis (SN): Vielen Dank! Ich finde, dass diese drei Perspektiven, die Sie uns hier geschenkt haben, wunderbar sind, weil sie das ganze Feld breit abstecken und systematisch ordnen. Ich denke, dass das gerade in der aktuellen Debattensituation, die gar nicht mehr endet, sondern immer weiter geht, sehr wichtig ist.

EN: Thank you very much! I think that these three perspectives that you have given us are wonderful, because they broadly define and systematically organize the entire field. I think this is very important, especially in the current debate situation, which no longer seems to ends but rather goes on and on.

Textpraxis (Eva Tanita Kraaz, ETK): Von mir auch vielen Dank. Was im bisherigen Gespräch aufgefallen ist, ist, dass wir viel über Dynamiken gesprochen haben. Wir haben über Dynamiken des Zögerns über die Selbstrepräsentation gesprochen und über mediale Dynamiken. An Sie, Iuditha Balint, würde ich gerne eine Frage richten im Zusammenhang des Bands Brotjobs & Literatur, der zuletzt von Ihnen erschienen ist. Sie geben in diesem Band dem Prekariat der literarischen Schriftsteller*innen eine Stimme. Sie stellen darin unter anderem zwei Deutungsansätze gegenüber, nämlich den der Selbstausbeutung, den der*die Schriftsteller*in selbst äußern, und den des strukturellen Problems. In dem Zusammenhang fällt der Böll-Ausspruch vom »sehr feinen Idioten«. Ich frage mich dabei, wie diese spezielle Dynamik auch auf den prekarisierten Mittelbau an deutschen Universitäten zutrifft. Ist das eine Analogie, die beim Schreiben des Bandes oder beim Bearbeiten der Beiträge oft aufkam, auch im Zusammenhang mit #IchBinHanna und #IchBinReyhan?

EN: Thank you very much from my side as well. What has stood out in the conversation so far is that we have talked a lot about dynamics. We have talked about dynamics of hesitation about self-representation, and about media dynamics. I would like to ask you, Iuditha Balint, a question in connection with the volume Brotjobs & Literatur, which you recently published. In this volume, you give a voice to the precarity of literary writers. Among other things, you contrast two approaches to interpretation, namely that of self-exploitation, expressed by the writers themselves, and that of the structural problems. In this context, the Böll quote of the »sehr feiner Idiot« (very fine idiot) comes up. I wonder how this particular dynamic also applies to the precarity of midlevel employment at German universities. Is this an analogy that frequently came up while writing the volume or editing the contributions, also in the context of #IchBinHanna and #IchBinReyhan?

IB: Sehr gute Frage und sehr gute Beobachtung. Die Analogie kam nur insofern zum Tragen als einige von den Schriftsteller*innen beziehungsweise Herausgeber*innen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, unter anderem Isabelle Lehn und Christoph Wenzel, selbst an Universitäten arbeiten – allerdings unbefristet. Sie kennen die Zusammenhänge dennoch. Die Grundstruktur in der Beschäftigung mit künstlerischen also schriftstellerischen Arbeitswelten und der Beschäftigung mit wissenschaftlichen Arbeitswelten, die ich auch außerhalb des Bandes mache, ist tatsächlich dieselbe: Selbstausbeutung auf der einen Seite und ein strukturelles Problem auf der anderen Seite. Das strukturelle Problem ist ein Problem, das von den Institutionen selbst angegangen werden müsste. Das Problem der Selbstausbeutung wird von diesem strukturellen Problem begünstigt, ist aber mit Blick auf wissenschaftliche, wie auch schriftstellerische Arbeit gegeben. Warum? – Weil diese Tätigkeitsfelder, Berufe beide von jeher entgrenzt sind. Sie werden kaum Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oder Schriftstellerinnen und Schriftsteller finden, die von nine to five arbeiten. Schreiben ist unkontrollierbar, Nachdenken ist unkontrollierbar. Mal funktionieren sie, mal funktionieren sie nicht. Man kann nicht sagen, ich habe morgens zwei Stunden und in diesen Stunden schreibe ich drei Seiten – oder lassen Sie es eine Seite sein. Mal klappt es und mal klappt es nicht. Die Motivation zum wissenschaftlichen Arbeiten oder zum schriftstellerischen Arbeiten liegt im Subjekt selbst. Die Räume der Arbeit sind entgrenzt. Wir arbeiten nicht nur im Büro, sondern auch in Cafés, im Zug und so weiter. Wir arbeiten nicht nur von morgens bis nachmittags, sondern manchmal auch nachts. Und diese entgrenzten Strukturen, oder besser gesagt, die nicht begrenzbaren Strukturen fördern natürlich diese Selbstausbeutungstendenzen. Es wäre darum nicht richtig, wenn man sagen würde: Nun ja, für die Selbstausbeutung ist das Subjekt selbst verantwortlich. Sie haben am Anfang oder wir haben am Anfang die Unsicherheit angesprochen, über die Missstände an Universitäten zu sprechen. Diese Unsicherheit und diese Ängste kommen nicht von ungefähr, sondern sind dem System schon inhärent. Insofern: Ja, es gibt viele Gemeinsamkeiten zwischen dem schriftstellerischen und dem wissenschaftlichen Tun, aber es gibt auch sehr viele Unterschiede. Wissenschaftler*innen an Universitäten sind etwa in der Regel Angestellte. In den schlimmsten Fällen sind sie Lehrbeauftragte und dann sind sie tatsächlich auch selbstständig beschäftigt. Schrifsteller*innen im Kultur- und Literaturbetrieb arbeiten zu 99 Prozent als Selbstständige.

EN: Very good question and very good observation. The analogy only came into play insofar as some of the writers or editors I worked with, including Isabelle Lehn and Christoph Wenzel, work at universities themselves – albeit as tenured employees. Nevertheless, they are familiar with the connections. The basic structure of my preoccupation with authorial work environments and academic work environments, which I also focus on outside of this volume, is actually the same: self-exploitation on the one hand and a structural problem on the other. The structural problem is one that would have to be addressed by the institutions themselves. The problem of self-exploitation is fostered by this structural problem, but it is a given with regard to academic, as well as writerly work. Why? – Because these fields of activity, professions both have always been de-limited. You will hardly find scholars or writers who work from nine to five. Writing is uncontrollable, thinking is uncontrollable. Sometimes they work, sometimes they do not. You cannot say, I have two hours in the morning and in those hours, I will write three pages – or let it be one page. Sometimes it works and sometimes it does not. The motivation for academic work or for work as a writer lies in the subject itself. The spaces of work have become unbounded. We work not only in the office, but also in cafés, on the train, and so on. We work not only from morning to afternoon, but sometimes at night. And these unbounded structures, or rather the structures that cannot be bounded, naturally promote these tendencies toward self-exploitation. It would therefore not be right to say: Well, the subject itself is responsible for self-exploitation. You mentioned at the beginning, or we mentioned at the beginning, the insecurity of speaking about the grievances at universities. This insecurity and these fears do not come from nowhere, but are already inherent in the system. In this respect, yes, there are many similarities between writing and academia, but there are also many differences. Researchers at universities, for example, are usually employees. In the worst cases, they are contract teachers and then they are actually freelance. Ninety-nine percent Writers in the cultural and literary sector are freelance workers.

KE: An einer Stelle würde ich gerne einen Faden aufnehmen. Interessant ist ja, was auch Dieter Lenzen gerade erst vor einer Woche in diesem Podcast (gemeint ist der Podcast Der Gipfel der Bildung von Jan-Martin Wiarda und Patrick Honecker vom 11. Februar 2022; Anm. d. Autorinnen) den Vergleich zwischen Künstlern und Wissenschaftlern aufgemacht hat. Wo er sagte: Beim Wissenschaftler gehört ein gewisses Risiko dazu und das muss man mehr oder weniger in Kauf nehmen. Das ist die Quintessenz. Was wir also in der Wissenschaft beobachten, ist nicht nur dieses Selbstbild, dass das so sein müsse, sondern es kommt auch von vielen Personen auf Leitungspositionen. Die sagen: Naja, das müsst ihr eben hinnehmen, das ist eben so notwendig in der Wissenschaft. Das ist, glaube ich, ein wichtiger Punkt, dass nämlich das Thema auch genutzt wird, um die Selbstausbeutung zu bestärken oder Leute dazu zu motivieren, das alles hinzunehmen, statt zu fragen: Könnte es auch anders sein? Ein weiterer Unterschied zwischen ›Kunst‹ und ›Wissenschaft‹ oder ›Autorschaft‹ und ›Wissenschaft‹ ist auch, dass Wissenschaft ganz anders institutionalisiert ist. Wir haben auch Studierende, die wir ausbilden. Wir sind verantwortlich für deren Zukunft. Wir sind im Fall der Germanistik dafür verantwortlich, dass wir Leute gut auf das Deutsch Lehramt vorbereiten und so weiter. Das heißt, wir haben essentielle gesellschaftliche Funktionen, die man einem Schriftsteller oder einer Schriftstellerin nicht attestieren kann. Die können natürlich auch wichtige gesellschaftliche Aufgaben übernehmen, aber das ist nicht in dieser Weise strukturiert und institutionalisiert. Wenn wir also Kunst und Wissenschaft in einen Topf werfen, übergehen wir auch diesen wichtigen Unterschied, dass Wissenschaft eine gesellschaftliche Funktion hat und dass Wissenschaftler aus diesem Grund angestellt oder verbeamtet sind – dass nicht einfach mal jeder so vor sich hinarbeitet. Es gehören Labore dazu und andere Voraussetzungen dafür, dass man Wissenschaft überhaupt durchführen kann. Dass der Staat dafür in Deutschland ohnehin als Akteur auftritt, um Wissenschaft zu finanzieren, hat durchaus seinen Grund.

EN: I would like to pick up this thread. It is interesting what Dieter Lenzen said just a week ago in that podcast (referring to the podcast Der Gipfel der Bildung by Jan-Martin Wiarda and Patrick Honecker from 11. Februar 2022; note by the authors) about the comparison between artists and scholars. Where he said: With the scholar, a certain risk is to be expected and one must accept that more or less. That is the bottom line. So, what we observe in academia is not only this self-image that this is how it has to be, but it also comes from many people in leadership positions. They say: Well, you just have to accept it, it is just necessary in academia. I think that is an important point because the topic is also used to reinforce self-exploitation or to motivate people to accept it all instead of asking: Could it be different? Another difference between ›art‹ and ›academia‹, or ›authorship‹ and ›academia‹, is also that scholarly work is institutionalized quite differently. We also have students that we educate. We are responsible for their future. We are responsible, in the case of German Studies, for preparing people well for teaching German at school and so on. In other words, we have essential social functions that cannot be attributed to a writer. Of course, they can also take on important social tasks, but it is not structured and institutionalized in this way. So, if we lump art and academia together, we also ignore this important difference, that academia has a social function and that scholars are employed or are civil servants for this reason – that no one simply works in a vacuum. Laboratories and other prerequisites are necessary for scholarly work to be carried in the first place. There is a good reason why the state finances academia in Germany.

IB: Das würde ich sofort unterschreiben – mit einer ganz kleinen Anmerkung: Auch Literatur und Kunst haben eine gesellschaftliche Funktion. Die ist in einem Aspekt dieselbe, die auch Wissenschaft als Funktion hat und zwar zur Reflexion zu bewegen. Insofern glaube ich tatsächlich, dass der grundlegende Unterschied zwischen Kunst- oder Literaturproduktion auf der einen Seite und Wissenschafts- und Erkenntnisproduktion auf der anderen Seite die institutionalisierten Strukturen sind. Daher kommt auch die Bemerkung, dass das Angehen struktureller Probleme tatsächlich eine ganz große Aufgabe der Universitäten sein muss – wie im Fall der Kunst das Ministerium für Kultur und Wissenschaft.

EN: I would immediately subscribe to that – with one very small remark: Literature and art also have a social function. In one aspect, this is the same function of scholarship, namely to encourage reflection. In this respect, I really believe that the fundamental difference between the production of art or literature on the one hand, and research as well as the production of knowledge, on the other, is the institutionalized structures. This is also why I remarked that that addressing structural problems must actually become a very important task for the universities – as in the case of art, the Ministry of Culture and Science must take on the task of addressing these problems.

Textpraxis (SN): Vielen Dank. Das zeigt die unbedingte Notwendigkeit, sich die Arbeitsbedingungen allgemein anzusehen und auch nochmal aufzuzeigen, welchen Stellenwert, aber auch welche Position und Verortung die einzelnen Disziplinen eigentlich haben und wie stark auch einzelne Vorurteile gegenüber bestimmten Berufsgruppen und den dazugehörigen Arbeitsprozessen sind. Many thanks. This shows the absolute necessity of taking a general look at the working conditions and also showing once again what status, but also what position and location the individual disciplines actually have and how strong individual prejudices against certain occupational groups and the associated work processes are. Ich würde gerne noch einen kleinen Einschub einblenden und Sie fragen: Was war insgesamt die größte Überraschung im Debattenverlauf? What surprised you the most about the movement?

IB: Die erste große Überraschung war die nicht vorhandene Unterscheidung zwischen der Arbeit an Universitäten und der wissenschaftlichen Arbeit allgemein. Dann das Informationsdefizit darüber, wie viele Möglichkeiten es gibt, wissenschaftlich zu arbeiten außerhalb der Universitätslandschaft. Und die schönste Überraschung war, dass die studentischen Hilfskräfte sich organisiert haben und auch eigens nochmal ihre Stimmen erhoben haben, um für ihre Lage zu sensibilisieren, die doch noch sehr anders ist als die der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen plus.

EN: The first big surprise was the non-existent distinction between working at universities and scholarly work in general. Then, there was the lack of information about how many opportunities there are to do scientific work outside the university environment. And the best surprise was that the student assistants organized themselves and raised their own voices to raise awareness for their situation, which is still very different from that of the academic employees plus.

MM: For me, it is really difficult to say, when I think about surprise, but perhaps the most fascinating development that I am still really happy about in this hashtag campaign and all that it entailed and it developed into is how each and every one of us in academia, filling positions of precarity or those of us who actually have just become professors or just received a ›verbeamtete‹ position, we are now considering what it means for us to be part of this collective ›we‹ and how we talk about it with our students. It was just mentioned that younger people also joined this campaign and they had their own corner to fight for and their own questions to consider and ask and find answers to. To us, this also means to consider how to begin this conversation with our students. So, several times it has happened to me in the past year and a half that students have talked to me about their interest in academia and I sit with them with a level of honesty that I never really afforded before – not because I did not know about the difficulties that I am facing myself or that my colleagues at my university or across Germany are facing, but only because I think I had not really developed a language to talk about it in such clear terms. Before, talking to students meant hints and jokes about precarity and financial difficulties in future. This has now become very serious, clear points that I can list for them. Instead of joking about them and telling them half-heartedly that it is not going to be easy, that the structure is going to be against them, they have to expect this and that and that – now, I can actually very clearly talk to them about very clear points that this campaign has enabled all of us to think a lot more clearly about. This is one really fantastic thing, that has been the result of being part of this campaign to the little degree that I have actually been. And, I am really thankful for it.

DE: Für mich ist es wirklich schwer zu sagen, wenn ich über Überraschungsmomente nachdenke, aber die vielleicht faszinierendste Entwicklung, über die ich mich bei dieser Hashtag-Kampagne und allem, was sie beinhaltete, immer noch wirklich freue, ist, wie jede*r Einzelne von uns in der Wissenschaft, die Positionen der Prekarität besetzen, oder auch diejenigen von uns, die gerade erst Professor*innen geworden sind oder gerade verbeamtet wurden, jetzt darüber nachdenken, was es für uns bedeutet, Teil dieses kollektiven ›wir‹ zu sein. Es wurde gerade erwähnt, dass sich auch jüngere Menschen dieser Kampagne angeschlossen haben, und sie haben ihre eigene Ecke, in der sie kämpfen, und ihre eigenen Fragen, die sie bedenken und stellen und auf die sie Antworten finden müssen. Für uns bedeutet dies auch, dass wir überlegen müssen, wie wir dieses Gespräch mit unseren Studierenden beginnen können. Mir ist es in den letzten anderthalb Jahren mehrfach passiert, dass Studierende mit mir über ihr Interesse an der Wissenschaft gesprochen haben und ich ihnen mit einer Ehrlichkeit begegnet bin, die ich mir vorher nie wirklich geleistet habe – nicht, weil ich die Schwierigkeiten, mit denen ich selbst oder meine Kolleg*innen an meiner Universität oder in ganz Deutschland konfrontiert sind, nicht kannte, sondern weil ich glaube, dass ich noch keine Sprache entwickelt hatte, um in so klaren Worten darüber zu sprechen. Früher gab es in Gesprächen mit Studierenden Andeutungen und Witze über Prekarität und finanzielle Schwierigkeiten in der Zukunft. Jetzt ist dies zu einem sehr ernsten Thema geworden, zu klaren Punkten, die ich für sie auflisten kann. Anstatt Witze darüber zu machen und ihnen halbherzig zu sagen, dass es nicht einfach sein wird, dass die Struktur gegen sie sein wird, dass sie mit diesem und jenem rechnen müssen – jetzt kann ich tatsächlich sehr klar mit ihnen über sehr klare Punkte sprechen, über die wir alle seit dieser Kampagne viel klarer denken können. Das ist eine wirklich fantastische Sache, die sich schon daraus ergeben hat, dass ich in dem geringen Umfang, in dem ich an dieser Kampagne teilgenommen habe, dabei war. Und ich bin wirklich dankbar dafür.

Textpraxis (ETK): I love the idea of the ›we‹ that is formed within the debate and also the idea of students’ participation in the ›we‹. I do feel, however, that with the hashtags and especially with the hashtag #IchBinHanna not every single person is addressed in the same way or feels addressed in the same way. I wonder, what are the reasons for that? Maybe particularly, but, of course, not exclusively addressing Kristin Eichhorn, how can the relevance of the topic to different people be explained? How do those messages reach the masses? Wie kann das Thema am besten zu unterschiedlichen Menschen und Zielgruppen getragen werden? Wir haben eben festgestellt, dass auch Studierende sich angesprochen gefühlt haben durch die Hashtag-Kampagne und die darauffolgende Debatte. Andere Leute haben sich allerdings ausgeschlossen gefühlt. Wie kann so eine Bewegung und Kampagne besonders viele Leute erreichen und vor allem bewirken, dass viele Leute sich angesprochen fühlen?

KE: Ich glaube, zunächst muss man sagen: Die Kampagne hat viele Leute angesprochen. Wenn jemand kommt und sagt: Ich fühle mich ausgeschlossen. Dann hat man die Leute ja erstmal erreicht. Dann kann man immer noch sagen, vielleicht ist das problematisch, aber zumindest haben die schon mal das Gefühl, da ist etwas passiert, an dem sie gerne teilhätten. Das war vorher nicht so. Vorher hat es das in einer abgeschlossenen Gruppe gegeben. Insofern sehe ich die Debatte als gutes Zeichen, dass wir überhaupt über unsere üblichen Gruppen hinausgekommen sind. Das ist das eine. Das andere: Natürlich ist diese ›Hanna‹ eine bestimmte Art von Figur, aber das ist die Figur des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. So stellt sich also das BMBF in diesem Erklärvideo eine Wissenschaftlerin vor. Die hat dann bestimmte Eigenschaften und andere Eigenschaften hat sie nicht. In dem Moment, in dem wir diese Identifikationsfigur genommen haben, haben wir natürlich eine Figur übernommen, die den Diskurs dominiert mit allen Vor- und Nachteilen, die das hat. Das heißt, das ist nicht unbedingt aus unserer Perspektive ausschließend. Die Probleme liegen vielmehr im System. Wenn bestimmte Gruppen also stärker ausgeschlossen sind als andere, dann ist das ein Systemproblem und wir müssen am System etwas machen. Das ist etwas, das uns allen am Herzen liegt. Das war uns von Anfang an wichtig, dass #IchBinHanna nicht einfach eine Sammlung von individuellen Jammergeschichten wird, sondern wir haben immer versucht, schnell strukturelle Probleme anzusprechen, um zu zeigen, dass das das System ist, dass vieles nicht gut läuft. Das geht auch um Fragen der grundsätzlichen Finanzierung von Wissenschaft. Das sind auch Aspekte, die man ansprechen kann. Und und und. Das heißt, wir haben viel größere Fragen, die wir damit aufmachen. Dass immer wieder neue Perspektiven reinkommen, die dann sagen: Moment! Hier ist auch noch was, das wir berücksichtigen müssen. Das finde ich eigentlich ein Zeichen dafür, dass die Debatte lebendig ist und dass sie funktioniert.

EN: I think the first thing is to say that the campaign has reached a lot of people. When someone comes and says: »I feel excluded«, you know you have managed to reach these people to begin with. You can still voice critic and point to possible problematic aspects, but at least they have the feeling that something has happened of which they would like to be a part. That was not the case before. Before, it happened in a closed group. In this respect, I see the debate as a good sign that we have moved beyond our usual groups. That is one thing. The other: Of course, this Hanna is a certain kind of figure, but this is the figure of the Federal Ministry of Education and Research (BMBF). So that is how the BMBF imagines a female scientist in this explanatory video. She has certain characteristics while, at the same time, she is lacking other characteristics. The moment we took this identification figure, we naturally adopted a figure that dominates the discourse, with all the advantages and disadvantages that come with this decision. That is, it is not necessarily exclusionary from our perspective. Rather, the problems are in the system. So, if certain groups are more excluded than others, then that is a systematic problem and we need to do something about the system. It is something we all care about. That was important to us from the beginning that #IchBinHanna would not simply be a collection of individual ›whining‹ stories, rather than have always tried to quickly address structural problems to show that this is the system, that many things are not going well. This also involves questions of the fundamental financing of science. These are other aspects that can be addressed and so on. In other words, we have much bigger questions that we open up. That new perspectives keep coming up, which then say, »Wait a minute! Here is something else we need to take into account«, I think, is actually a sign that the debate is alive and that it is working.

Textpraxis (ETK): Danke für die Einschätzung und Erklärung. Das ist durchaus wahnsinnig einleuchtend, zu gucken, woher überhaupt Hanna kommt: Die Figur Hanna kommt aus dem Erklärvideo. Hanna ist eine weiße, abled-bodied, wahrscheinlich cis-gendered und sie arbeitet als Biologin. Vielleicht können wir kurz rekapitulieren, wie überhaupt es dazu kam, dass es zwei verschiedene Hashtags gab, dass zu #IchBinHanna auch #IchBinReyhan dazukam. Ever since we have talked about Hanna being the avatar for German academia in the Mittelbau, being a white, presumably cis-gendered, abled-bodied person, this is why the hashtag #IchBinHanna appeared first. But, maybe we can recapitulate, why #IchBinReyhan appeared later to the initial hashtag campaign. Is this dynamic symptomatic? And if so, of what culture and history? Of Germany as whole, of German academia or of Germanistik in Germany in particular?

MM: I would like to also connect this back to what Frau Eichhorn was just talking about. The way, that you formulated your question, I particularly like it, because it allows us to go back to the origins of the campaign, as Frau Eichhorn was talking about: The way the campaign was a direct engagement with what we were presented with: that specific figure doing hard sciences, being female – which I believe was considered to be quite hip and open, when the video came out first. These all show the exclusions of the understanding that German academia has built for itself: Who is part of academia in Germany? And then, of course, this has evolved – really quickly, we see that the campaign has included others because it never wanted to exclude anyone. The video by BMBF was rather exclusive. It had a very particular face to it, with very particular characteristics that were easily recognizable by each and every one of us. But then, later on, because the campaign that was engaging with the video and the discourse it was establishing, was not going to take place behind closed doors, particularly because it was a social media campaign, the result has been that so many different individuals and groups of people with different positionalities have been able to join it – as I said before, some more quickly identifying with the ›we‹ that was a part of this collective response, others a bit more slowly or with more hesitation, because of deeper degrees of precarity that is associated with the kind of position they occupy in German academia. Ultimately, what has happened, however, is that the initial response has evolved and it has evolved into a very diverse campaign and even though, we sometimes speak over each other, we are also listening to each other. And I think this is what has happened and has resulted in our conscious engagement with the question of collective, with the ›we‹ that we have talked about a couple of time so far in our conversation today. I just want to quote Claire Schwartz, an American poet, activist, and Americanist, on the question of ›we‹. She has this really beautifully put observation: »›We‹ can be a coercive little word, a forced embrace, a leash. Oh, the possibilities and the violences of the ›we‹«. And I guess what is happening in the ongoing conversation with the two hashtags that basically everybody is now following in German academis is to think both about the possibilities of this collective and the violence of the collective, because both are important if this campaign is to result in policy change, in quality change, in the way that the law is interpreted and affects our way of life as academics.

DE: Ich möchte gerne an das anknüpfen, über das Frau Eichhorn gerade gesprochen hat. Die Art und Weise, wie Sie Ihre Frage formuliert haben, gefällt mir besonders gut, weil sie uns erlaubt, zu den Ursprüngen der Kampagne zurückzugehen, über die Frau Eichhorn gesprochen hat: Die Art und Weise, in der die Kampagne eine direkte Auseinandersetzung mit dem war, was uns präsentiert wurde, nämlich eine bestimmte Figur, die ›harte Wissenschaft‹ betreibt, die weiblich ist – was meiner Einschätzung nach als ziemlich hip und offen galt, als das Video zuerst herauskam. Das alles zeigt die Ausschlüsse des Verständnisses, das die deutsche Wissenschaft für sich selbst entwickelt hat: Wer ist Teil der Wissenschaft in Deutschland? Und dann hat sich das natürlich weiterentwickelt – Wir sehen sehr schnell, dass die Kampagne andere einbezogen hat, weil sie nie jemanden ausschließen wollte. Das Video des BMBF war eher exklusiv. Es hatte ein ganz bestimmtes Gesicht, mit ganz bestimmten Merkmalen, die für jeden von uns leicht zu erkennen waren. Aber dann, später, weil die Kampagne, die sich mit dem Video beschäftigte, nicht hinter verschlossenen Türen stattfand, vor allem weil es eine Social-Media-Kampagne war. Das Ergebnis war, dass sich so viele verschiedene Einzelpersonen und Gruppen mit unterschiedlichen Positionen daran beteiligen konnten – wie ich bereits sagte, konnten sich einige schneller mit dem ›wir‹ identifizieren, das Teil dieser kollektiven Reaktion war, andere etwas langsamer oder mit mehr Zögern, aufgrund des tieferen Grades an Prekarität, der mit der Art der Position verbunden ist, die sie in der deutschen akademischen Welt einnehmen. Letztendlich hat sich die anfängliche Reaktion jedoch weiterentwickelt und ist zu einer sehr vielfältigen Kampagne geworden, und obwohl wir manchmal übereinander sprechen, hören wir uns auch gegenseitig zu. Das ist es, was passiert ist und was dazu geführt hat, dass wir uns bewusst mit der Frage des Kollektivs, mit dem ›wir‹ auseinandergesetzt haben. Ich möchte nur Claire Schwartz, eine amerikanische Dichterin und Amerikanistin, zur Frage des ›wir‹ zitieren. Sie hat diese wirklich schön formulierte Beobachtung gemacht: »›Wir‹ kann ein kleines Zwangswort sein, eine erzwungene Umarmung, eine Leine. Oh, die Möglichkeiten und die Gewalttätigkeiten des ›wir‹«. Und ich denke, was in der laufenden Konversation mit den beiden Hashtags geschieht, ist, sowohl über die Möglichkeiten dieses Kollektivs als auch über die Gewalt des Kollektivs nachzudenken, denn beides ist wichtig, damit diese Kampagne zu einer Veränderung der Politik führt, zu einer Veränderung der Qualität, der Art und Weise, wie das Gesetz ausgelegt wird und unsere Lebensweise als Akademiker*innen beeinflusst.

IB: Ich glaube, dass es in dieser Hinsicht auch wichtig ist, dass diese Bewegung im digitalen Raum stattgefunden hat und stattfindet. Mir ist gerade klar geworden, dass das die erste digitale Protestbewegung in der Wissenschaft, zumindest in Deutschland ist – zumindest meines Wissens. Genau dieser digitale Raum hat es uns allen erlaubt, inklusiv zu werden, obwohl dieses Video es nicht war, und diverser zu werden, obwohl dieses Video es nicht war und immer noch nicht ist. Es wurde durch den digitalen Raum möglich, Aufmerksamkeit auch außerhalb der Wissenschaft für diese Fragestellungen zu generieren und für die Lage an den Universitäten Arbeitenden zu generieren. Ich glaube, dass Twitter in diesem Fall ein sehr, sehr glücklich gewählter Raum war.

EN: I think it is also important in this respect that this movement has taken place and is taking place in the digital space. I just realized that this is the first digital protest movement in academia, at least in Germany – at least to my knowledge. It is precisely this digital space that has allowed us all to become inclusive, even though this video was not, and to become more diverse, even though this video was not and still is not. It became possible through the digital space to generate attention outside of academia to these issues and to generate attention to the situation working in universities. I think Twitter was a very, very fortunate space in this case.

Textpraxis (SN): Meine nächste Frage tangiert nochmal den Zusammenhang von »possibilities and violence«. Was würden Sie sagen: Ist eine umsichtige Betreuung die unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Wissenschaftskarriere? Und was muss eine Betreuung bei der aktuellen Stellenpolitik leisten? Supervision is an indispensable prerequisite in and for an academic career. What should a supervisor have to guarantee within the current labor market policy?

KE: Das ist eine gar nicht so einfache Frage, weil wir ja auch darüber diskutieren, dass das System sehr hierarchisch ist und dass sehr viele Verantwortlichkeiten, aber natürlich auch Rechte, bei einzelnen Personen liegen und alle anderen von ihnen abhängig sind. Insofern ist diese Betreuungsfrage immer eine knifflige Frage, weil die Betreuungen immer auch Leute sind, die dann wieder bewerten. Das ist ja in anderen Ländern auch nicht so und das ist ein wichtiger Aspekt, den man nicht ganz aus dem Blick verlieren kann. Wenn wir jetzt nämlich die Frage stellen, »Was muss eine Betreuung leisten? Oder was darf sie? Was sollte sie leisten?«, dann schieben wir die Verantwortung ausschließlich denen zu, die die Promotion betreuen. Die haben eine Verantwortung und eine wichtige Verantwortung, aber man darf dabei nicht vergessen, dass es sich auch hier um Leute handelt, die überlastet sind, weil sie ganz viele Promotionen betreuen oder, was ja auch vorkommt, das sind Leute, die erst auf Juniorprofessuren sitzen oder eben nur eine begrenzte Zeit haben, in der sie Promotionen betreuen können. Das gibt es ja alles. Der Aspekt, den ich also nicht vergessen möchte, ist, dass wir auch da die Systemfrage stellen, ob Betreuung, so wie sie jetzt gedacht ist, überhaupt richtig funktioniert. Natürlich ist es wichtig in der Situation, in der wir sind, mit Leuten, die wir unter uns haben, und das sind nicht nur Promovierende, sondern sämtliche Leute, die irgendwie für uns arbeiten oder von uns abhängig sind, dass wir damit verantwortlich umgehen. Das heißt einerseits, wie eben bei Mahshid Mayar, dass sie sagte, sie spricht jetzt viel offener mit ihren Studierenden über diese Themen. Das heißt, dass man keine Narrative weiter verbreitet, die toxisch sind, und die einem selbst schon geschadet haben, sondern es ist wichtig, Leute zu stärken und zu unterstützen und ihnen eine Stimme zu geben – also nicht die Haltung, die sich manchmal zeigt, so: ›Lehrjahre sind keine Herrenjahre‹ und jetzt musst Du erstmal durchhalten, aber wenn Du die Professur hast, kannst Du machen, was Du willst. Ich glaube, man muss Leute ernst nehmen in ihren Sorgen und insofern auch wertschätzend behandeln. Ich glaube, das ist die wichtigste Führungsaufgabe überhaupt, in jeder Funktion: Dass man Leuten zuhört und sich ernsthaft damit beschäftigt, was die umtreibt. Manchmal kann man was dagegen machen, oftmals nicht, aber es hilft oft auch einfach, wenn man da ist, sich das anhört und sich nicht gleich angegriffen fühlt, sondern schaut, was man tun kann, um eine angenehme Atmosphäre zu schaffen. Ich glaube, das hilft schon viel, auch wenn man damit an den Strukturen erstmal nichts verändert hat.

EN: That is not such a simple question because we are also discussing the fact that the system is very hierarchical and that a great many responsibilities, but also rights, of course, lie with individual people and everyone else is dependent on them. In this respect, the question of supervision is always a tricky one, because the supervisors are always people who then evaluate. This is not the case in other countries either, and this is an important aspect that we cannot completely lose sight of. If we now ask the question, »What does supervision have to do? Or what is it allowed to do? What should it do?«, then we are placing the responsibility exclusively on those who supervise the doctorate. They have a responsibility and an important responsibility, but we must not forget that these are also people who are overworked because they supervise a large number of doctoral students or, as also happens, these are people who are only in junior professorships or have only a limited time in which they can supervise doctoral students. There is all that. So, the aspect that I do not want to forget is that we also have to ask the systemic question of whether supervision, as it is currently conceived, is working properly at all. Of course, it is important in the situation we are in, with people we have under us, and these are not only doctoral students, but all people who somehow work for us or are dependent on us, that we deal with it responsibly. That means, on the one hand, as with Mahshid Mayar, that she said she now talks much more openly with her students about these issues. That means not spreading narratives that are toxic and that have already harmed you, but it is important to empower and support people and give them a voice – so not the attitude that sometimes shows up, like this: »Life’s not easy at the bottom« (Lehrjahre sind keine Herrenjahre) and now you have to hold out for now, but when you have the professorship, you can do what you want. I think you have to take people’s concerns seriously and treat them with respect. I think that’s the most important leadership task of all, in any function: that you listen to people and seriously deal with what is bothering them. Sometimes you can do something about it, often you cannot. But it usually helps to be there, to listen to what they have to say and to not feel immediately attacked, rather than to see what you can do to create a rewarding atmosphere. I think that helps a lot even if it does not change the structures in the themselves.

Textpraxis (ETK): Danke für die Antwort und auch die Andeutung der Redewendungen, wie die über Lehrjahre und Herrenjahre. Das sind Narrative, auf die wir auch später nochmal zu sprechen kommen werden. Ich würde gerne noch eine Frage an Mahshid richten: In your current research you focus on the politics and poetics of silencing and I was wondering, is this academic perspective beneficial to observing the debates involving #IchBinReyhan and #IchBinHanna? Maybe even thinking back to the moment of hesitating to participate, too. How would you evaluate the processes of silencing before the hashtag emerged and now?

EN: Thank you for your answer and also for the nod to idioms, such as that about Lehrjahre and Herrenjahre. These are narratives that we will also come back to later. I would like to ask Mahshid another question: In Ihrer aktuellen Forschung konzentrieren Sie sich auf die Politik und Poetik des Schweigens. Ich frage mich, ob diese akademische Perspektive bei der Beobachtung der Debatten um #IchBinReyhan und #IchBinHanna hilfreich ist? Vielleicht sogar, wenn Sie an den Moment zurückdenken, in dem Sie gezögert haben, sich zu beteiligen. Wie würden Sie die Prozesse des Schweigens vor dem Auftauchen des Hashtags und jetzt bewerten?

MM: There are different lines of conversation that come to my mind. Of course, when we think about silence and silencing, we immediately think about subject positions and individuals, that certain people have been silenced or they have not been listened to, which is a more complex variation of silencing – that you have a voice, but there is no ear to listen to you – or you have a voice, but the microphone is off. Or, you have a platform, but you are dealing with a question of inaudibility. That means that, of course, when the microphone is off or if no one is listening to what you need to communicate to others, then you either completely silence yourself and feel like you are not part of a conversation or you resort to screaming. These are two positions that, of course, we again and again, historically speaking, but also very specifically about this campaign face. Just recently I tweeted about it: That as much as the campaign needs a mouth – or in other words, people to voice their concerns and their positions concerning what is going on in German academia – the campaign also needs an ear. So, if the structures, the people who run the system, are not willing to listen, then these conversations are not going to change anything, because unless their perspective changes based on the input that we give them, of course, nothing is going to change or very little is going to change. For example, in the case of our conversations with the younger generations, something is going to change. Our life decisions are going to be affected by it. But nothing is going to change in terms of the precarity that all of us are dealing with. That means that we are less colleagues than competitors and that is a very sad fact. No matter how much you try to be a person in academia with care and with a sense of justice. So, that is one part which is about subject positions occupied by different individuals. But then there is another side to the whole campaign of #IchBinHanna and #IchBinReyhan. And that is about the topicality of certain strands of conversation in this campaign, by which I mean that not individuals, but topics were silenced before. I have a very personal account of how this silencing has affected my career so far, but setting that aside just to more generally talk about it. What I see, is that the campaign has done something really important, and that is: It has made precarity a topic. That means that something that has been silenced before, because for example you were working in a department in which everybody had a permanent contract and you were the only person with a precarious, short-term contract, so you didn't have the anyone to talk to about the law. You did not have anyone to talk to and to complain about it even. Let alone, to ask for legal solutions to the situation, to receive professional advice on the subject. Since the hashtag has become part of the discourse about what is happening in German academia, it has made certain topics explicit. It has made certain issues actually topics that we can talk about. That is a tremendously valuable contribution of this campaign that goes against silencing in terms of: What can be talked about? What is allowed in the discourse about German academia? Who is another face of Hanna? Who is another face of Reyhan? What is my place as a non-German, non-European, non-American migrant in this system? What is the place of my colleagues who live with disability as part of their lives forever and what is German academia doing in response to them? To sum it up: It is about the silencing or the enabling of certain voices in terms of what we say and who is there to hear us, but also on the other hand, what is allowed in the boundaries of the discourse. And I think the second one is less talked about, but this is really important, because unless something is a topic, no one is going to talk about it in a way that is going to result in change. And both of these two sides are very important because we need a dialogue. Unless we have a dialogue, which involves mouths and ears, we are not going to go anywhere and also unless something is named, something is there to talk about, something is part of discourse, it is not going to be addressed and the situation about this changed.

DE: Es gibt verschiedene Gesprächsstränge, die mir in den Sinn kommen. Wenn wir über das Schweigen und zum Schweigen Bringen nachdenken, denken wir natürlich sofort an Subjektpositionen und Individuen, daran, dass bestimmte Menschen zum Schweigen gebracht wurden oder dass man ihnen nicht zugehört hat. Das ist eine komplexere Variante des Schweigens: Man hat eine Stimme, aber es gibt kein Ohr, das einem zuhört – oder man hat eine Stimme, aber das Mikrofon ist aus. Man hat also eine Plattform, aber man hat es mit einer Frage der Unhörbarkeit zu tun. Das heißt, wenn das Mikrofon ausgeschaltet ist, oder wenn niemand zuhört, was man anderen mitteilen will, dann wird man entweder ganz still und hat das Gefühl, nicht an einem Gespräch teilzunehmen, oder man schreit. Das sind zwei Positionen, mit denen wir natürlich immer wieder historisch gesehen, aber auch ganz konkret in dieser Kampagne konfrontiert sind. Erst kürzlich habe ich darüber getwittert: Dass, so sehr die Kampagne einen ›Mund‹ braucht – also Menschen, die ihre Sorgen und ihre Positionen zu dem, was in der deutschen Wissenschaft passiert, äußern –, die Kampagne auch ein ›Ohr‹ braucht. Wenn also die Strukturen, die Leute, die das System leiten, nicht bereit sind, zuzuhören, dann werden diese Gespräche nichts ändern, denn wenn sich ihre Sichtweise nicht aufgrund des Inputs, den wir ihnen geben, ändert, wird sich natürlich nichts oder nur sehr wenig ändern. Bei unseren Gesprächen mit den jüngeren Generationen wird sich zum Beispiel etwas ändern. Unsere Lebensentscheidungen werden davon beeinflusst werden. Aber an der Prekarität, mit der wir alle zu tun haben, wird sich nichts ändern. Das bedeutet, dass wir weniger Kolleg*innen als Konkurrent*innen sind, und das ist eine sehr traurige Tatsache. Ganz gleich, wie sehr man sich bemüht, in der akademischen Welt mit Sorgfalt und Gerechtigkeitssinn zu handeln. Das ist also der eine Teil, bei dem es um die Positionen verschiedener Personen geht, aber es gibt auch eine andere Seite der ganzen Kampagne um #IchBinHanna und #IchBinReyhan. Und zwar geht es um die Aktualität bestimmter Gesprächsstränge in dieser Kampagne, womit ich meine, dass nicht einzelne Personen, sondern Themen zuvor zum Schweigen gebracht wurden. Ich habe einen sehr persönlichen Bericht darüber, wie sich dieses Schweigen auf meine bisherige Karriere ausgewirkt hat, aber ich möchte das beiseitelassen, um allgemeiner darüber zu sprechen. Was ich sehe, ist, dass die Kampagne etwas wirklich Wichtiges bewirkt hat, und das ist: Sie hat Prekarität zu einem Thema gemacht. Das bedeutet, dass etwas, das vorher zum Schweigen gebracht wurde, weil man zum Beispiel in einer Abteilung gearbeitet hat, in der alle einen unbefristeten Vertrag hatten und man die einzige Person mit einem prekären, befristeten Vertrag war, sodass man niemanden hatte, mit dem man über die Gesetze sprechen konnte. Man hat auch niemanden, mit dem man darüber sprechen und sich beschweren konnte. Geschweige denn, um nach rechtlichen Lösungen für die Situation zu fragen, um professionellen Rat zu diesem Thema zu erhalten. Seitdem der Hashtag Teil des Diskurses über das Geschehen in der deutschen Wissenschaft geworden ist, hat er bestimmte Themen explizit gemacht. Er hat bestimmte Themen zu Themen gemacht, über die wir sprechen können. Das ist ein ungeheuer wertvoller Beitrag dieser Kampagne, die sich gegen das Schweigen richtet: Worüber kann man reden? Was ist im Diskurs über die deutsche Wissenschaft erlaubt? Wer ist ein anderes Gesicht von Hanna? Wer ist ein anderes Gesicht von Reyhan? Was ist mein Platz als nicht-deutsche*r, nicht-europäische*r, nicht-amerikanische*r Migrant*in in diesem System? Welchen Platz haben meine Kolleg*innen, die mit einer Behinderung als Teil ihres Lebens leben, und was tut die deutsche Wissenschaft als Antwort auf sie? Um es zusammenzufassen: Es geht darum, bestimmte Stimmen zum Schweigen zu bringen oder zuzulassen, in Bezug auf das, was wir sagen und wer da ist, um es zu hören, aber andererseits auch darum, was innerhalb der Grenzen des Diskurses erlaubt ist. Und ich glaube, über die zweite Seite wird weniger gesprochen, aber sie ist wirklich wichtig, denn wenn etwas kein Thema ist, wird niemand so darüber sprechen, dass es zu Veränderungen führt. Und diese beiden Seiten sind sehr wichtig, denn wir brauchen einen Dialog. Solange wir keinen Dialog haben, der ›Münder‹ und ›Ohren‹ einbezieht, werden wir nicht weiterkommen, und solange etwas nicht benannt wird, solange nicht über etwas gesprochen wird, solange etwas nicht Teil des Diskurses ist, wird es nicht angesprochen werden. Und die Situation hat sich diesbezüglich geändert.

Textpraxis (ETK): Thank you for these theoretically grounded, yet practically very specific insights! I think those are very fruitful to have in mind. What we have come to think about, while preparing the podcast – this is a full disclosure to our listeners – we had never thought about doing an English or a multi-language podcast. If we go really deep and ask ourselves why, then maybe to keep our work load lower. But it excludes people. So, how would this have resulted in excluding certain perspectives that are vital for explaining the phenomenon of academic precarity as a whole? Wo wir beim Thema Sprache sind: Als wir den Podcast geplant haben, haben wir erst nicht darüber nachgedacht einen englischsprachigen oder einen bilingualen Podcast zu machen, unter anderem natürlich weil wir an unseren Arbeitsaufwand gedacht haben. Die Frage ist bei der Sprache, wen man ausschließt und vielleicht sogar, welche Sprache benutzt werden muss. Denn selbstverständlich ist auch mit dem Konzept, das wir benutzen, die Inklusion aller möglichen Betroffenen nicht gegeben.

MM: To quickly engage with that: I want to thank you for this reflection you shared with us, because: It is really important to keep in mind that diversity in German academia is one of those topics that is very slowly finding its way into the mainstream discourses about what is happening in German academia. At the same time, every time that we talk about diversity, there is this unarticulated fear that it means exclusion of certain positions that had power previously. The fact is that diversity just means to accept expansion and to welcome complexities and multiplicity. This is exactly what is happening in this podcast today. I am really thankful for you having offered the possibility, not only because I can be part of this conversation, but also because the initial idea for this episode of the podcast was diversity, right? And this is a very good example of how diversity can be done, if we think about the ways it is part of our everyday lives at university campuses, in the streets and part of that larger discourse about internationalization of German academia. So, a very personal, but also professional thanks from me.

DE: Um mich dazu kurz zu äußern: Ich möchte Ihnen für diese Überlegungen danken, die Sie mit uns geteilt haben, denn: Es ist wirklich wichtig, sich vor Augen zu halten, dass Diversität in der deutschen Wissenschaft eines der Themen ist, die sehr langsam ihren Weg in die Mainstream-Diskurse über das, was in der deutschen Wissenschaft passiert, finden. Gleichzeitig gibt es jedes Mal, wenn wir über Diversität sprechen, diese unausgesprochene Angst, dass es den Ausschluss bestimmter Positionen bedeutet, die vorher Macht hatten. Tatsache ist, dass Vielfalt einfach bedeutet, Erweiterung zu akzeptieren und Komplexität und Vielfältigkeit zu begrüßen. Genau das geschieht heute in diesem Podcast. Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie diese Möglichkeit angeboten haben. Nicht nur, weil ich an diesem Gespräch teilnehmen kann, sondern auch, weil die ursprüngliche Idee für diese Episode des Podcasts Vielfalt war, nicht wahr? Und dies ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie man Vielfalt erreichen kann, wenn man darüber nachdenkt, wie sie Teil unseres Alltags auf dem Universitätsgelände, auf der Straße und Teil des größeren Diskurses über die Inter-Nationalisierung der deutschen Wissenschaft ist. Also, ein sehr persönlicher, aber auch professioneller Dank von mir.

KE: Vielleicht kann ich dazu noch ergänzen: Diese Frage treibt uns natürlich immer wieder um. Wir haben ja so eine Miniversion der #IchBinHanna-Seite, auf der wir die ganzen Presseerzeugnisse gesammelt haben auf Englisch und die 95 Thesen haben wir sogar komplett übersetzen lassen. Wir haben uns also schon bemüht, aber man muss natürlich auch sagen, dass es ähnlich ist wie bei euch im Podcast: Das ist eine ehrenamtliche Sache und wir müssen auch schauen, wir haben auch andere Aufgaben. Nicht zu vergessen unsere akademischen Jobs, die wir machen. Das heißt, wir müssen natürlich auch gucken, was wir eigentlich leisten können. Ich sehe grundsätzlich immer die Institutionen mehr in der Verantwortung. Eine Universität oder eine Gewerkschaft oder was auch immer, insbesondere wenn es um staatliche Organisationen geht; die sind einfach ganz anders in der Verantwortung, sich um solche Dinge zu bemühen und möglichst alle Leute einzubinden, auch barrierefreie Zugänge zu schaffen – und und und, weil die eher die Mittel dazu haben als zwei, drei einzelne Personen. Ich glaube, das ist auch ein Punkt, auf den man achten sollte: Wir tun das Beste, was wir können. Wir sind auch bereit, wenn Leute auf uns zukommen und uns Vorschläge machen, das im Rahmen unserer Möglichkeiten umzusetzen. Das ist auch ein Punkt: Wir brauchen auch den Input. Niemand wird es schaffen, immer an alles zu denken. Denn wie soll man auf Dinge kommen, von denen man nicht selbst betroffen ist. Insofern ist es auch nicht schlimm, wenn man Anregungen hat, aber ich glaube wirklich, dass man auf der institutionellen Ebene mehr tun müsste und zwar nicht einfach, indem man ein schönes Programm ausschreibt und sagt: Ach, wir fördern mal International Scholars für zwei Jahre, die dürfen dann kommen und dann laufen ihre Verträge und ihre Aufenthaltsgenehmigungen aus. Auch da muss strukturell mehr passieren. Durch andere Strukturen wäre auch manches gelöst, was wir jetzt als Problem haben.

EN: Perhaps I can add to that: Of course, this question is always on our minds. We have a mini version of the #IchBinHanna page on which we have collected all the press articles in English and we even had the 95 theses translated completely. So, we have already made an effort, but of course it is the same thing like what you do on the podcast: This is volunteer work and we have to check in with ourselves, we have other tasks. Not to forget our academic jobs that we do. That means, of course, we also have to evaluate what we can actually do. I always see more responsibility on the part of the institutions. A university or a union or whatever, especially when it comes to a state organization; they simply have a completely different responsibility to take care of such things and to involve as many people as possible, to create barrier-free access and so on, because they have the means to do so rather than two or three individual people. I think that is also a point to pay attention to: We do the best we can. We are also prepared, when people come up to us and make suggestions, to implement that within the scope of our possibilities. That is a point of itself, by the way: We need input! Nobody will manage to think of everything all the time. After all, how can you come up with things that do not affect you? In this respect, it is not a bad thing to have suggestions, but I really believe that more needs to be done at the institutional level, and not simply by announcing a nice program and saying: Oh, we will fund international scholars for two years, they can come and then their contracts and residence permits expire. Here, too, more has to happen on a structural level. Different structures would solve some of the problems we have now.

Textpraxis (SN): Ich merke, dass mich mehr und mehr große Dankbarkeit erfüllt, dieses zentrale Thema mit Ihnen besprechen und diskutieren zu dürfen. Es wurde jetzt schon oft über das ›Erlernen‹, darüber zu sprechen, gesprochen. In der Vorbereitung hat sich uns die Frage gestellt, welche Sprache aktuell verwendet wird und was können wir als Literaturwissenschaftlerinnen dazu sagen und wie können wir das einordnen. Konkret: Welche Metaphern werden in der Debatte genutzt? Which metaphors have been most frequently employed in the debate? Wir notierten uns während der Vorbereitung auf das Gespräch die wirklich wenig attraktiven Vokabeln: Verstopfung, Verschleißung, Nachwuchs, Wegwerfarbeitskräfte sowie Durchgangsstufe. Nach dieser wenig schönen Sammlung würde ich gerne Ihre Einschätzung hören.

KE: Ich versuche mal, einen Anfang zu machen, auch wenn es nicht ganz einfach ist, weil es die Möglichkeit gibt, an ganz verschiedenen Stellen anzusetzen. Sie hatten Verstopfung und dergleichen erwähnt. Es gibt, glaube ich, eine Reihe von Bildern, die immer wieder kommen und die auch immer wiederholt werden. Auch wenn man die nicht mehr wörtlich wiederholt, wie mit der Verstopfung, merkt man doch, wenn man mit Leuten darüber redet, dass die Argumente, die sie bringen, doch in dieser Logik funktionieren. Also: »Ja, natürlich, Wir müssen was verbessern und die Entscheidung muss früher fallen, aber: Nein, zu dem Zeitpunkt können wir dann doch noch nicht wissen, ob jemand für eine Professur geeignet ist«. Das heißt: Wir haben diese Argumentationslinien auch da, wo diese Begriffe gar nicht fallen. Ich glaube, ein Narrativ, dass sie noch nicht genannt haben, ist das Nachwuchs-Narrativ. Das ich ganz prominent und auch da haben wir inzwischen den Effekt, dass die Leute das Wort ›Nachwuchs‹ nicht mehr einfach so in den Mund nehmen oder sie sagen der sogenannte Nachwuchs und setzen es in Anführungszeichen, aber was sehr häufig noch kommt, ist die Rede von den jungen Leuten oder den jungen Wissenschaftler*innen, um die man sich kümmern müsse oder die Perspektiven brauchen. Auch das ist natürlich wieder schief, weil wir immer so tun, als hätten wir es mit Leuten zu tun, die in einer Qualifikationsphase sind, die im Sinne von ›Lehrjahre sind keine Herrenjahre‹, irgendwie noch jung sind, noch nicht richtig etabliert sind, aber natürlich gibt es auch Leute, die mit Mitte 50 noch befristete Verträge haben und noch nie auf einem unbefristeten Vertrag gearbeitet haben. Das wird einfach vergessen, dass das keine Altersfrage ist und keine Frage der Karrierestufe, sondern es ist ein systematisches Problem, das wir nur noch zehn bis fünfzehn Prozent von Leuten im System haben, die einigermaßen auf Dauer da sind, wenn wir an die Hochschulen schauen. Aber alle anderen sind so Durchrotationsmasse. Das ist auch ein Spiel, das man treiben kann: Verstopfung ist eigentlich gar nicht unser Problem. Wir haben einen massiven Durchfall produziert, weil wir so viel Angst vor Verstopfung haben. Man kann diese Bilder natürlich auch schön gegen ihre ursprüngliche Intention ausspielen.

EN: I will try to make a start, even though it is not quite easy because there is the possibility of starting in quite different places. You had mentioned constipation and the like. There is, I think, a series of images that come up again and again and that are always repeated. Even if you do not repeat them verbatim, like with constipation, you notice when you talk to people about it that the arguments they bring up still work in this logic. For example, someone could say: Yes, of course, we have to improve things and the decision has to be made earlier, but: No, at that point we still cannot know whether someone is suitable for a professorship. In other words, we have these lines of argumentation even when these terms are not used at all. I think one narrative that you have not mentioned yet is the narrative of the younger generation as junior staff (Nachwuchs). This is quite prominent, and here, too, we now have the effect that people do not just use the word »Nachwuchs« anymore, or they say »Nachwuchs« and put it in quotation marks, but what still comes up very often is talk about young people or young scientists who need to be taken care of or who need perspectives. Of course, this is skewed again because we always act as if we are dealing with people who are in a qualification phase, who are somehow still young in the sense that ›Lehrjahre sind keine Herrenjahre‹, who are not yet really established, but of course there are also people who still have fixed-term contracts in their mid-50s and who have never worked on a permanent contract. People simply forget that this is not a question of age and not a question of career stage, but it is a systematic problem that we only have ten to fifteen percent of people in the system who are there for the long term, if we look at the universities. But everyone else is so through-rotation. Let’s play with this metaphor: Constipation is actually not our problem at all. We have indeed produced a massive diarrhea because we are so afraid of constipation. You see, you can play these images nicely against their original intention.

Textpraxis (SN): Vielen Dank! Ich finde das Weiterdenken dieses ohnehin sehr problematischen Bildes absolut situationsadäquat.

EN: Thank you very much! I find this creative handling of this already very problematic image absolutely appropriate to the situation.

IB: Alle Metaphern, die Sie genannt haben und die auch Frau Eichhorn genannt hat, sprechen für Metabolismus bezogene Konsumökonomien. Das sagt sehr viel über das System Universität aus. Denn sie ist auf Kurzlebigkeit von Verträgen und der Arbeitskraft ausgerichtet und was ich schön finde an der #IchBinHanna- und #IchBinReyhan-Debatte ist, dass sie ein Gegennarrativ entworfen hat. Das ist das Narrativ der Verletzlichkeit. Alle, die sich geäußert haben – ob sie sich nun als #IchBinHanna oder #IchWarHanna oder #IchBinReyhan geäußert haben – haben sich verletzlich gezeigt und genau das hat Solidarität ermöglicht. So lange wir in terms of Konsum denken, werden wir niemals solidarisch sein. Aber wenn wir uns mit unseren Bedürfnissen als Individuen zeigen, die verletzlich sind, weil das System verletzend ist, ist Solidarität möglich und ich hoffe, dass das auch nicht abebbt. Denn was uns voneinander grundsätzlich in dieser Debatte unterscheidet, ist nicht, ob wir befristete oder unbefristete Verträge haben, ob wir gute oder schlechte Arbeitsbedingungen haben, sondern ob wir solidarisch sind oder nicht solidarisch sind miteinander und, ob wir Sensibilität entwickeln können für die Bedürfnisse der jeweils anderen und dadurch dieses kollektive ›wir‹ erhalten und diverser machen können.

EN: All the metaphors that you mentioned and that Ms. Eichhorn also mentioned speak to metabolism-based consumer economies. That says a lot about the university system. Because it is focused on short-term-bases of contracts and the labor force, and what I think is beautiful about the #IchBinHanna and #IchBinReyhan debate is that it has created a counter-narrative. That is the narrative of vulnerability. Everyone who has spoken out – whether they have expressed themselves as #IchBinHanna or #IchWarHanna or #IchBinReyhan – has shown themselves vulnerable, and that is what has enabled solidarity. As long as we think in terms of consumption, we will never be in solidarity. But if we show ourselves with our needs as individuals who are vulnerable because the system is hurting, solidarity is possible and I hope that this will not die down. Because what fundamentally distinguishes us from each other in this debate is not whether we have temporary or permanent contracts, whether we have good or bad working conditions, but whether we are in solidarity or not in solidarity with each other and whether we can develop sensitivity for each other’s needs and thereby maintain this collective ›we‹ and make it more diverse.

MM: I want to get back to a very important point that Frau Balint was talking about and that is: the language of solidarity. Because, one of the achievements of this campaign – at the same time that, of course, we are working on making it more effective, more open, we are trying to make our voices heard, etc. – one of the really important achievements of the campaign has been making all of us sensitive toward victimhood, toward precarity in ways that have not resulted in talking about individual problems, but talking about this whole culture that has resulted in a lot of pain, a lot of precarity, and anxiety for each and every one of us – to different degrees for a variety of reasons, of course. Since the campaign is trying to be more and more intersectional and be aware of the fact that different people occupy different positions of privilege or marginalization. One tangible example of this for myself has been how, despite the fact that I have not been to a conference in more than two years now, I have not met many of my colleagues for more than two years now, still, the hashtags and the campaign around them, the awareness they have given rise to have actually enabled me as a very marginal person in German academia to have developed so many bonds with people that I would have otherwise not have talked to, to have heard so many voices that otherwise I would not have engaged with, and to actually have become friends with people that I thought do not care about me or the people like me in German academia. We are going to, of course, have to build upon these sensibilities and this sense of solidarity – and that is going to be labor intensive, that is going to be heart-breaking for so many of us, because it is not going to be achievable for many of us who are already in the Mittelbau – but still, there is this sense of the generous care with which so many of us have approached this campaign, is going to last, I think. This is something that we can build upon – not only in terms of how beautiful things are, but in terms of how forceful we can be, when we are together. Hopefully, in one or two generations, things will have been meaningfully different for people who are now our students or our younger colleagues and for whom probably things will become a lot less frustrating than they are now.

DE: Ich möchte auf einen wichtigen Punkt zurückkommen, über den Frau Balint gesprochen hat, nämlich die Sprache der Solidarität. Denn eine der Errungenschaften dieser Kampagne – während wir natürlich daran arbeiten, sie effektiver und offener zu gestalten, und versuchen, uns Gehör zu verschaffen – eine der wirklich wichtigen Errungenschaften der Kampagne war es, uns alle für die Situation der Opfer und die Prekarität zu sensibilisieren, und zwar auf eine Art und Weise, die nicht dazu geführt hat, über individuelle Probleme zu sprechen, sondern über diese ganze Kultur, die für jede*n von uns zu viel Schmerz, viel Prekarität und Angst geführt hat – natürlich in unterschiedlichem Ausmaß und aus verschiedenen Gründen. Da die Kampagne versucht, mehr und mehr intersektional zu sein und sich der Tatsache bewusst zu sein, dass verschiedene Menschen verschiedene Positionen von Privilegien oder Marginalisierung einnehmen. Ein konkretes Beispiel für mich ist, dass ich trotz der Tatsache, dass ich seit mehr als zwei Jahren nicht mehr auf einer Konferenz war und viele meiner Kolleg*innen seit mehr als zwei Jahren nicht mehr getroffen habe, die Hashtags und die Kampagne um sie herum, das Bewusstsein, das sie geschaffen haben, haben es mir als einer sehr marginalen Person in der deutschen Wissenschaft ermöglicht, so viele Verbindungen zu Menschen aufzubauen, mit denen ich sonst nicht gesprochen hätte, so viele Stimmen zu hören, mit denen ich mich sonst nicht auseinandergesetzt hätte, und mich mit Menschen anzufreunden, von denen ich dachte, dass sie sich nicht für mich oder Leute wie mich in der deutschen Wissenschaft interessieren. Wir werden natürlich auf diesen Empfindungen und diesem Sinn für Solidarität aufbauen müssen – und das wird arbeitsintensiv sein, das wird vielen von uns das Herz brechen, weil es für viele von uns, die bereits im Mittelbau sind, nicht erreichbar sein wird – aber dennoch wird dieses Gefühl der großzügigen Fürsorge, mit der so viele von uns an diese Kampagne herangegangen sind, anhalten, denke ich. Darauf können wir aufbauen – nicht nur in Bezug darauf, wie schön die Dinge sind, sondern auch, wie kraftvoll wir sein können, wenn wir zusammen sind. Hoffentlich werden sich die Dinge in ein oder zwei Generationen für die Menschen, die jetzt unsere Studierenden oder unsere jüngeren Kolleg*innen sind, grundlegend geändert haben, und für sie werden die Dinge hoffentlich viel weniger frustrierend sein als jetzt.

KE: Ich möchte nochmal auf den Punkt der Verletzlichkeit eingehen, den Iuditha Balint so schön gebracht hat. Natürlich muss man aufpassen – gerade auf Twitter, aber auch generell – was man so an persönlichen Informationen oder Geschichten rausgibt, denn es gibt böse Menschen da draußen, die das ausnutzen, aber ich glaube, das ist trotzdem ein wichtiger Punkt, dieses gewisse Maß an Verletzlichkeit oder auch unsere eigenen Bedürfnisse formulieren zu können. Denn wenn ich immer den großen Macker raushängen lassen muss und bloß öffentlich keine Fehler machen und keine Schwäche zeigen darf, dann werde ich natürlich auch – um auf die Frage vorhin zurückzukommen – keine gute Führungsfigur, keine gute Promotionsbetreuerin und so weiter. Denn ich bin ja die ganze Zeit mit meinen eigenen nicht erfüllten Bedürfnissen beschäftigt, die ich mir nicht eingestehen darf, weil ich die Fassade aufrechterhalten muss und das frisst so viel Energie! Und dann kann ich natürlich, wie zurecht beide gesagt haben, mich nicht auf die anderen einlassen und nicht gucken, was die brauchen: Sind das denn dieselben Bedürfnisse, wie ich habe? Oder: Haben die andere Bedürfnisse? Und ich glaube, darum ist es wichtig, dass wir da auch einen Schritt weiterkommen und unsere eigenen Bedürfnisse formulieren kennen und können – müssen wir ja nicht immer tun, aber es zumindest können –, um dann auch mit anderen solidarisch sein zu können.

EN: I would like to go back to the point of vulnerability that Iuditha Balint made so beautifully. Of course, you have to be careful – especially on Twitter, but also in general – what personal information or stories you share, because there are bad people out there who take advantage of that, but I think that is still an important point, this certain amount of vulnerability or also being able to formulate our own needs. Because if I try to always impress and just do not make any mistakes in public and not show any weakness, then of course – to come back to the question earlier – I will not be a good leader, a good PhD supervisor and so on. Because I am busy all the time with my own unfulfilled needs, which I am not allowed to admit to myself because I have to maintain the facade and that eats up so much energy! And then, of course, as both of you rightly said, I cannot get involved with the others and not look at what they need: Are they the same needs as I have? Or do they have different needs? And I think that is why it is important for us to take a step forward and to know and be able to formulate our own needs – we do not always have to do it, but we should at least be able to do it – so that we can then also be in solidarity with others.

Textpraxis (SN): Gerade der Aspekt der Solidarität wird in der nächsten Frage zentral sein. Es geht um eine zentrale Diskrepanz: Wir würden gerne Ihre Einschätzung zu einer eigentlich offensichtlichen Diskrepanz erfahren: Mit Pandemiebeginn wurde das Brennglas eine beliebte Vokabel. Wie unter einem Brennglas seien plötzlich die virulenten Missstände im Gesundheits- und Schulsystem sichtbar geworden. Der Lehrer*innenmangel müsse aufgefangen werden. Mehr Lehrer*innen müssten ausgebildet werden. Wer dies leisten soll und wie dies geleistet werden soll, also wie prekäre wissenschaftliche Mitarbeiter*innen beschäftigt sind, die wiederum Lehrer*innen ausbilden und dies oftmals unbezahlt oder mit einem wohl eher symbolisch vergüteten Lehrauftrag tun, wurde nicht direkt thematisiert.

EN: The aspect of solidarity in particular will be central to the next question. It revolves around a central discrepancy: We would like to know your assessment of what is actually an obvious discrepancy: With the onset of the pandemic, the burning glass became a popular word. As if under a burning glass, the virulent grievances in the health and school systems suddenly became visible. The shortage of teachers had to be addressed. More teachers had to be trained. Who is to do this and how it is to be done; how precariously is academic staff employed, who in turn trains teachers and often does this unpaid or with a rather symbolically reimbursed Lehrauftrag. – This was not directly addressed.

KE: Das ist in der Tat keine einfache Frage. Man kann sagen: Das stimmt. Dann bin ich fertig mit meiner Antwort. Also ich glaube, das ist wirklich so und das liegt daran, dass man doch immer die Tendenz beobachten kann, auch auf politischer Ebene, dann mal irgendwo schnell ein Loch zu stopfen. Also das man sagt: Hier haben wir ein Problem. Und wie bei einer Straße sagt man: Ja, hier macht man ein bisschen neuen Asphalt rein. Was wir aber eigentlich bräuchten, wären ganz andere Strukturen und das sind natürlich Reformen, die man angehen muss, die auch Jahre und Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Das ist nicht so einfach, erstens in einer Gesellschaft, die so stark auf Aufmerksamkeitsökonomie aus ist, sodass man die nächste Pressemeldung rausgibt oder den nächsten Klick – das ist ja auch was, das wir in der Wissenschaft haben, dass Projekte gut funktionieren, weil man sagen kann: Ja, ich habe mal wieder ein paar Millionen eingeworben. Und dann in drei Jahren werbe ich wieder drei Millionen ein. Und ich kann immer wieder sagen, dass das was ist, was man veröffentlichen kann. Während die Aussage, »Ich habe drei Seminare gegeben und meine Studis waren zufrieden«, weniger interessant für die Öffentlichkeit ist. Ich glaube, dass das eine generelle Tendenz in unserer Gesellschaft und der Politik ist; dass man doch so stark auf das aktuelle Problem schaut, es löst, vergisst und zum nächsten übergeht. Ich hoffe, dass wir mit #IchBinHanna, auch weil es im Koalitionsvertrag drin ist und wir ganz oft im Gespräch sind, dass wir eine Situation geschaffen haben, wo der Handlungsbedarf gesehen wird und wo die beteiligten Stellen bereit sind, auch mal zusammen zu arbeiten und die einzelnen Reformen aufeinander abzustimmen. Das ist ein sehr langer Prozess, keine Frage, aber wenn wir da zumindest eine etwas andere Haltung zu diesen Problemen bekommen, sodass wir nicht mehr kurzfristig hier mal ein Loch stopfen und dann da wieder eins, sondern versuchen, ein Gesamtkonzept zu entwickeln, das wäre gut oder da bin ich zumindest vorsichtig optimistisch.

EN: Indeed, this is not a simple question. I could say: That is correct. And I am done with my answer. So, I think this is really the case, and that is because you can always observe the tendency – even at the political level – to quickly plug holes. In other words, people say, we have a problem here. And, as with a road, they say: Well, put a bit of new asphalt in there. What we actually need, however, are completely different structures, and of course these are reforms that have to be tackled, which also take years and decades. That is not so easy, most of all in a society that is so focused on attention economy, to always issue the next press release or the next click – that is also something we have in academia. Projects work well, because you can say: Well, I have once again raised a few million. And then in three years I will raise another three million. And I can always say that this is something that can be published. Whereas saying, »I taught three seminars and my students were satisfied«, is less interesting to the public. I think that is a general tendency in our society and politics; that people do look so strongly at the current problem, solve it, forget about it, and move on to the next one. I hope that with #IchBinHanna, also because it is in the coalition agreement and we are constantly in conversation, that we have created a situation where the need for action is seen and where the agencies involved are willing to work together and coordinate the individual reforms. That is a very long process, no doubt, but if we can at least get a slightly different attitude to these problems, so that we are no longer plugging a hole here and then another one there in the short term, but trying to develop an overall concept. That would be good, or at least I am cautiously optimistic about it.

Textpraxis (SN): Wir würden gerne mit dem letzten Punkt abschließen. So, please let us know: What would you change about academia in order to improve the working conditions for emerging scholars? Is there a deciding moment you can make out in your own career, where things changed for the better?

Textpraxis (ETK): Nochmal auf Deutsch: An welchem einen Punkt würden Sie sofort ansetzen, um die Arbeitsbedingungen junger Wissenschaftler*innen zu verbessern? Und was war die Weichenstellung, die bei Ihnen zum persönlichen Erfolg geführt hat?

IB: Das ist natürlich auch keine einfache Frage, denn es gibt so viele Punkte, an denen man ansetzen könnte. Da es sich aber um ein systematisches Problem handelt, sollte man tatsächlich mit systematischen Lösungsansätzen beginnen, beziehungsweise ob man das sollte, ich weiß es nicht, aber ich möchte das. Und ich glaube, ich würde an der Grundfinanzierung der Universitäten beziehungsweise von Forschung und Lehre beginnen und mit der Beseitigung des Informationsdefizits, darüber wo und was man an Universitäten, außerhalb von Universitäten wissenschaftlich arbeiten kann. Aber ich glaube, die Frage nach der Grundfinanzierung ist tatsächlich die brennendste, denn wie Frau Eichhorn vorhin bemerkt hat, die Jagd nach Drittmitteln macht die Forschung und die Lehre auch nicht besser und damit auch die Ausbildung von Lehrer*innen nicht.

EN: Of course, that is not an easy question either, because there are so many points where you could start. But since this is a systematic problem, we should really start with systematic approaches to solving it, or whether we should, I do not know, but I would like to, and I think I would start with the basic funding of universities, or of research and teaching. And with eliminating the information deficit about where and what you can do scholarly at universities, outside of universities. But I think the question of basic funding is actually the most pressing one because, as Ms. Eichhorn said earlier, the hunt for third-party funding does not make research and teaching any better, and thus the training of teachers no better.

KE: Ich bin vorhin in der deutschen Anmoderation schon wieder über das Stichwort ›junge Wissenschaftler*innen‹ gestolpert. Natürlich meinen Sie das in dem Sinne von Leuten, die jetzt studieren und die dann in die Forschung wechseln wollen. Aber: Nein, ich möchte die Arbeitsbedingungen für alle Wissenschaftler*innen verbessern, nicht nur für die Jungen, sondern von mir aus auch für die Alten, die auf ihren Professuren überlastet sind. Von mir aus auch das. Das ist genauso wichtig. Ich glaube, das wichtigste, das wir brauchen, ist ein Kulturwandel, den wir ja auch mit der Kampagne versucht haben anzustoßen. Auch wenn es nahe liegt, zu sagen, dass das ja nur eine Twitter-Kampagne ist und das darüber Reden nütze nichts. Aber ich glaube doch! Denn das Entscheidende ist, dass Leute anders denken und dann handeln sie nämlich auch anders. Es nützt uns nämlich nichts, wenn wir irgendwelche Reformen von Seiten der Politik anstoßen und dann werden die vor Ort von den Entscheidungsträgern unterwandert und dann suchen die alle möglichen Schlupflöcher, um da rauszukommen. Dann wird es nämlich immer unterlaufen und nie funktionieren. Das Wichtigste ist darum eigentlich, dass sich unsere Einstellung in Bezug auf wissenschaftliche Arbeit ändert und dass wir da endlich mal im 21. Jahrhundert ankommen. Ich glaube, das ist das wirklich Entscheidende. Vielleicht noch zu der zweiten Frage, wo der Moment ist, in dem alles gut wurde in meiner Karriere: Das kann ich nicht beantworten. Ich habe noch keinen Ruf auf Lebenszeit. Es gab viele Momente, wo es wieder gut wurde. Nach dem Studienabschluss hatte ich ein Stipendium. Nach dem Stipendium war ein halbes Jahr Leerlauf, dann hatte ich eine Stelle und nach der Stelle hatte ich eine neue Stelle und jetzt habe ich wieder eine Stelle. Also, es wird immer wieder gut, wenn dann die nächste Stelle kommt, die so ein, zwei, drei Jahre dauert. Das ist ein charakteristischer Fall. Es gibt keinen Moment, an dem alles wieder gut ist. Vielleicht ist der auch nie zu erwarten, sondern man hangelt sich so von einem Moment zum nächsten und versucht das Beste daraus zu machen. Es kann jetzt jeder sich seinen Teil dazu denken, was das eigentlich bedeutet. Ich glaube, es ist schon eine vielsagende Position. Das geht uns ja allen so. Es gibt, glaube ich, für niemanden hier so richtig die Lösung, dass alles gut wird. Vielleicht, wenn man irgendwann entfristet ist, aber dann hat man wieder andere Probleme.

EN: I stumbled across the keyword ›Nachwuchs‹ again in the German introduction. Of course, you mean that in the sense of people who are studying now and then want to move into research. But: No, I would like to improve the working conditions for all scholars, not only for the young, but also for the old, who are overworked in their professorships. That is fine with me, too. That is just as important. I think the most important thing we need is a cultural change, which we have also tried to initiate with the campaign. Even if it seems obvious to say that this is just a Twitter campaign and that talking about it is useless. But I think it is not! Because the crucial thing is that if people think differently, they will act differently. It does not do us any good if we initiate any reforms from the political side and then they are undermined on the ground by the decision-makers, who look for all kinds of loopholes to get out of it. If so, it will always be undermined and it will never work. The most important thing is that our attitude towards academic work changes and that we finally arrive in the 21st century. I think that is the one crucial thing. Perhaps to the second question, which was the moment when everything worked out in my career: I cannot answer that! I do not have a »Ruf auf Lebenszeit« (tenured professorship), yet. There were many moments when things turned out well. After graduation, I had a scholarship. After the scholarship, I was in limbo for half a year, then I had a job and after the job I had a new job and now I have a job again. So, it always gets good again if the next job comes along, which lasts one, two, three years. That is a characteristic case. There is no moment when everything is good again, maybe that is never to be expected, but you shimmy from one moment to the next and try to make the best of it. Now everyone can think about what that actually means. I think it is a very telling story. It is the same for all of us. I do not think there is ever really a solution for anyone here that everything will be all right. Maybe if you get a non-fixed-term contract at some point, but then you will have other problems.

MM: I guess I am just saying what Frau Balint and Frau Eichhorn have said in English and in slightly different words. My response to the second question is exactly what Frau Eichhorn was talking about: That there have been moments, of course; the pace of success has been different at different moments depending on so many different factors that are mostly out of my hands. I think that is the problem. So, good things can happen, but you can never really know, if they are going to happen or not; if the next contract is going to change the situation for the better or not; is it a step forward or not. And ultimately, as Frau Eichhorn just mentioned, even getting a permanent position, even becoming a full professor, is not going to necessarily mean heaven, and more responsibilities, complicated responsibilities are going to become an everyday fact for all of us. So, striving for a permanent position is not necessarily synonymous to thinking that a permanent position is ideal. But, dealing with precarity is such a draining experience. Not knowing what is going to happen next? Where am I going to live? Who am I going to work with? Is this project going to be successful? Is this funding going to be accepted or not? These are all very draining, serious factors that affect our very livelihood, our mental and physical health. So, I guess there are good moments, but then they all come with a high price and we cannot ever know if we have what it takes to pay for them. To get back to the first question that you posed about what to do to make the system better. Again, I am going to echo what the other two ladies just mentioned: it is a very difficult question to answer, because on the one hand, you can go for cosmetic changes and come up with some immediate solution that will affect a number of people and change some of the problems. But, at the same time, it is a systemic problem, in order to handle which we need actually to aim for qualitative change. So, it is not about the number of people necessarily who are going to get permanent contracts in the next five, ten, twenty years. Quantity is important, but quantity can be meaningful only when it is built upon meaningful qualitative changes. So, we are at that stage in German academia that I think, one of the few points that everybody agrees on is that the attitude, the law, and also the interpretation of the law by different institutions, including universities and research institutes, have to change. And unless they change, qualitative changes are not going to follow, numbers are not going to change, and also the life quality of the people who are employed by an institution that claims to be in charge of the society’s overall well-being is not going to change.

DE: Ich schätze, ich wiederhole vor allem, was Frau Balint und Frau Eichhorn gesagt haben, auf Englisch und mit etwas anderen Worten. Meine Antwort auf die zweite Frage ist genau das, worüber Frau Eichhorn gesprochen hat: Es gab natürlich Momente, in denen das Tempo des Erfolgs unterschiedlich war, was von vielen verschiedenen Faktoren abhing, die größtenteils nicht in meiner Hand lagen. Ich glaube, das ist das Problem. Es können gute Dinge passieren, aber man kann nie wirklich wissen, ob sie eintreten werden oder nicht, ob der nächste Vertrag die Situation zum Besseren verändern wird oder nicht. Und letztendlich, wie Frau Eichhorn gerade erwähnte, bedeutet auch eine Festanstellung, selbst wenn man eine ordentliche Professur bekommt, nicht unbedingt den Himmel, und mehr Verantwortung, komplizierte Verantwortung wird für uns alle zum Alltag. Das Streben nach einer Festanstellung ist also nicht unbedingt gleichbedeutend mit der Vorstellung, dass eine Festanstellung ideal ist. Aber der Umgang mit Prekarität ist eine sehr anstrengende Erfahrung. Man weiß nicht, wie es weitergeht: Wo werde ich wohnen? Mit wem werde ich arbeiten? Wird dieses Projekt erfolgreich sein? Wird die Finanzierung angenommen oder nicht? Das sind alles sehr belastende, schwerwiegende Faktoren, die unsere Lebensgrundlage, unsere geistige und körperliche Gesundheit beeinträchtigen. Es gibt auch gute Momente, aber sie haben einen hohen Preis, und wir können nie wissen, ob wir das Zeug dazu haben, sie zu bezahlen. Um auf die erste Frage zurückzukommen, die Sie gestellt haben, nämlich was zu tun ist, um das System zu verbessern. Auch hier schließe ich mich dem an, was die beiden anderen Frauen gerade gesagt haben: Es ist eine sehr schwer zu beantwortende Frage, denn einerseits kann man kosmetische Änderungen vornehmen und eine unmittelbare Lösung finden, die eine Reihe von Menschen betrifft und einige der Probleme verändert, aber gleichzeitig ist es ein systemisches Problem. Um es in den Griff zu bekommen, müssen wir eigentlich einen qualitativen Wandel anstreben. Es geht also nicht unbedingt um die Zahl der Menschen, die in den nächsten fünf, zehn, zwanzig Jahren einen unbefristeten Arbeitsvertrag erhalten werden. Quantität ist wichtig, aber Quantität kann nur dann sinnvoll sein, wenn sie auf sinnvollen qualitativen Veränderungen aufbaut. Wir befinden uns in der deutschen Wissenschaft in einem Stadium, in dem, wie ich glaube, einer der wenigen Punkte, über die sich alle einig sind, darin besteht, dass sich die Einstellung, das Gesetz und die Auslegung des Gesetzes durch die verschiedenen Institutionen einschließlich der Universitäten und Forschungsinstitute ändern müssen. Und wenn sie sich nicht ändern, wird es keine qualitativen Veränderungen geben, die Zahlen werden sich nicht ändern und auch die Lebensqualität der Menschen, die in einer Institution beschäftigt sind, die für sich in Anspruch nimmt, für das allgemeine Wohl der Gesellschaft verantwortlich zu sein, wird sich nicht ändern.

IB: Ich habe gerade gemerkt, dass ich die zweite Frage gar nicht beantwortet habe, danach wann es besser wurde in der wissenschaftlichen Karriere. Die Frage danach, wann es besser wurde, würde ich genauso beantworten wie meine Vorrednerinnen. Wenn Sie aber gefragt hätten: Wann wurde es grundlegend anders? Dann hätte ich tatsächlich gesagt, dass es nicht dann war, als ich die Stelle als Direktorin des Fritz-Hüser-Instituts angetreten bin, sondern als ich gemerkt habe, ungefähr ein dreiviertel Jahr davor, dass die drei Bewerbungen, die ich verschickt habe, alle an außeruniversitäre wissenschaftliche Einrichtungen gingen. Keine einzige Stelle war an einer Universität. Das hat mir sehr zu denken gegeben, denn ich habe meine Arbeit an der Universität sehr genossen, egal ob das im Graduiertenkolleg war oder am Lehrstuhl und ich habe die Lehre genossen und es war mir auch klar, dass die Lehre an einer außeruniversitären Forschungseinrichtung nicht zu meinen Aufgaben gehören würde. Ich habe aber auch gemerkt, dass Forschung mir sehr wichtig war, dass mir Wissenschaft sehr wichtig war und dass ich sie so, wie ich sie gerne machen würde, an der Universität nicht machen konnte, und zwar: mit Muße – was ich heute leider auch nicht immer kann, aber das liegt nicht an meiner Institution – mit Muße und mit Verantwortung. Und diese Verantwortungslosigkeit der Universität Mitarbeiter*innen gegenüber hat sich tatsächlich auch teilweise darauf ausgewirkt, wie ich mit meinen Studierenden umgegangen bin. Ich habe versucht, nicht unfair zu sein und ich habe versucht, die Lehre so gut zu gestalten wie möglich, aber ich konnte sie nicht so gut gestalten wie möglich. Und ich fand es schade, dass mich genau das von der Universität wegbewegt hat, aber das war genau der Zeitpunkt, an dem für mich tatsächlich alles anders wurde.

EN: I just realized that I did not answer the second question about when things got better in the academic career. I would answer the question about when things got better in the same way as the previous speakers. But if you had asked: When did it become fundamentally better? Then I would actually have said that it was not when I took up the position as director of the Fritz-Hüser-Institut, but when I realized, about three quarters of a year before, that the three applications I sent out were all to non-university scientific institutions. Not a single position was at a university. That gave me a lot to think about, because I really enjoyed my work at the university, whether it was in the research training group or at the chair, and I enjoyed teaching, and it was also clear to me that at a non-university research institution teaching would not be one of my tasks. But I also realized that research was very important to me, that academia was very important to me, and that I could not do it the way I would like to do it at the university, namely: at my leisure – which unfortunately I cannot always do today either, but that is not due to my institution – with leisure and with responsibility. And this irresponsibility of the university towards its employees has actually also partly affected the way I have treated my students. I tried not to be unfair and I tried to make the teaching as good as possible, but I couldn't make it as good as I could have. And I thought it was a shame that that is exactly what moved me away from the university, but that was exactly when everything actually changed for me.

Textpraxis (SN): An diesem Punkt möchten wir uns sehr herzlich dafür bedanken, dass Sie so offen und klar mit uns gesprochen haben, dass Sie das ganze Feld systematisch aufgeräumt haben und gezeigt haben, wie viel Handlungsbedarf und Gesprächsbedarf aktuell besteht und, ich denke, auch noch lange bestehen wird. So möchten wir mit den Worten schließen: Dear Iuditha Balint, dear Mahshid Mayar, dear Kristin Eichhorn, thank you all for this inspiring talk. Together they form the perfect basis for further discussion.

Wir bedanken uns herzlich für den Austausch und sagen tschüs, bis zum Herbst-Podcast.

EN: We sincerely thank you for sharing and say goodbye. See you next time on the fall podcast.

  • 1. Für wertvolle Hinweise und weiterführende Diskussionen möchten wir besonders Gulsin Ciftci und Lea Espinoza Garrido danken. Den Beiträger*innen zur Collage danken wir dafür, dass sie uns ihre Stimmen anvertraut haben. Dank gilt ebenfalls Max Leonard Alsmann, der diesen Podcast in hörenswerte Form brachte. Timothy Brown danken wir für seine zuverlässig aufmerksamen Korrekturarbeiten.

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Kommentare

6. Juni 2023 - 22:16

Greetings to the general public, I want to tell about how I was cured of
HIV disease by a Doctor called Dr. voodoo . I was browsing the Internet
searching for remedy on HIV and I saw a comment of people talking about how
Doctor voodoo cured them. I was scared because I never believed in the
Internet but i was convince to give him a try because i having no hope of
been cured of HIV so I decided to contact him with his email that was
listed on the comment voodoospelltemple66@gmail.com when I contacted
him he gave me hope and send a Herbal medicine to me that I took and
it seriously worked for me, am a free person now without problem,
my HIV result came out negative. I pray for you Dr. voodoo God will give
you everlasting life, you shall not die before your time for being sincere
and great men. Am so happy, you can also contact him if you have any
problem Email: voodoospelltemple66@gmail.com
or Add him up on WhatsAp +2348140120719