Digitales Journal für Philologie
Sonderausgabe # 4
Im Anschluss an terminologische und gattungstypologische Entwicklungen der jüngeren Fantastikforschung widmet sich diese Sonderausgabe ästhetischen Verfahrenstechniken der Fantastik unter besonderer Berücksichtigung des Aspekts der Hybridität. Dazu werden sowohl Fantastik herstellende als auch Fantastik begleitende Techniken aus unter anderem forschungs- und motivgeschichtlicher, thematischer und intermedialer Perspektive in den Blick genommen.
Das übergreifende Thema dieser Sonderausgabe, beziehungsweise der Tagung, aus welcher diese hervorging, lautet »Techniken der Fantastik«, denn Fantastik ist bei näherem Hinsehen ohne ihre Techniken überhaupt schwerlich denkbar: Nicht nur als erzählweltliches Element, etwa in der Science Fiction oder in diversen Formen der Fantasy, sondern ganz besonders als Verfahrensweisen der fantastischen Verfremdung und der Erschaffung von Hybridität. Stärker als motivische und erzählweltliche Aspekte konzentrieren sich die Beiträge in dieser Sonderausgabe auf den Bereich von ästhetischen Verfahrens- und Produktionstechniken von Fantastik. Der Technik-Begriff setzt dabei zugleich eine interessante Klammer um zwei Aspekte, die sich in allen Beiträgen widerspiegeln: (1) Fantastik herstellende Techniken und (2) Fantastik begleitende Techniken.
Der Beitrag gibt im ersten Teil einen knappen Rückblick auf Themen, Strategien und Geschichte der Fantasy(-Forschung) und zeigt im zweiten Teil anhand von David Mitchells jüngstem Roman Slade House, wie sich Fantasy und postmoderne Metafiction zu einem hybriden Genre zusammenfügen – zugleich aber auch, welch eines Einfallsreichtums und narrativen Know-hows es bedarf, um der literarischen Fantasy innovative Effekte abzugewinnen.
In ihrem Beitrag stellt Christine Lötscher die Assemblage, beispielhaft anhand von Jeff VanderMeers Trilogie Annihilation, als eine dezidiert literaturästhetische Verfahrensform und -technik vor, die zugleich als ein strukturelles Merkmal und wichtigster Bestandteil der New-Weird-Literatur offengelegt wird. Dabei werden außerdem Parallelen und konzeptuelle Spielarten der zwischen Nature Writing und der Weird Fiction changierenden Assemblage behandelt, die sich im weiteren Schritt gegen die längst obsolete Dichotomie zwischen Mensch und Natur wenden.
Der Begriff It-Narratives fasst ein Korpus an Texten, die im Großbritannien des ausgehenden 18. Jahrhunderts ihre größte Verbreitung fanden. Sie lassen sich im Allgemeinen als Objekterzählungen fassen, die sich dadurch auszeichnen, dass die Objekte der Erzählung selbst die autodiegetischen Erzählenden ihrer Geschichten sind: Münzen, Bücher, Kleidungsstücke und dergleichen erzählen die Geschichten ihrer Zirkulation durch menschliche Gesellschaften. Durch diese Konfiguration nehmen diese Texte eine scheinbar paradoxe Position in dem Spektrum zwischen ›realistischer‹ und ›fantastischer‹ Literatur ein. Einerseits handelt es sich um eine nicht-mimetische Erzählung, in dem Sinne, dass die Erzählsituation in der fantastischen Hypothese eines berichtenden Gegenstandes gründet. Andererseits bleibt diese Erzählposition der vorgeblich objektiven und unparteiischen Sicht des Objekts stets ausgerichtet auf die tendenzielle Auslöschung des Effekts epistemisch-ontologischer Unsicherheit, auf welchem der Rezeptionsmodus des Fantastischen im engen Sinne gründen würde. Stevanovićs Beitrag nimmt diese paradoxe Konfiguration zum Anlass, den in ihrer Spezifik einzigartigen Verfahren nachzugehen, durch welche dieser spekulative Zwischenraum offengehalten wird.
Kaum eine technische Entwicklung wurde so eng von der Literatur begleitet wie die des Roboters. Bereits das namensgebende Theaterstück von Karel Čapek formuliert die Urangst vor dem Aufstand der Maschinen gegen die Menschen. In der Folge ist es immer wieder die Literatur, die formuliert, welche Möglichkeiten, Gefahren, aber auch ethische Herausforderungen die neue Technologie mit sich bringt. Insbesondere die »Gesetze der Robotik«, die Isaac Asimov 1942 aufstellte, prägen bis heute den Diskurs zum Thema Roboter. Während die Literatur dem technisch Machbaren immer weit vorauseilte, blieb aber auch die technische Entwicklung nicht stehen, die Roboter, ihre Funktionen und damit auch der gesellschaftliche Blick auf veränderten sich fortwährend, was wiederum eine Reaktion in der Literatur hervorrief.
Dieses Phänomen der sich wandelnden Einstellungen gegenüber dem Roboter will der Aufsatz anhand der verschiedenen Versionen von Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt nachzeichnen: Ebenso wie die Robotertechnologie hat sich seit dem Erscheinen von Boy Lornsens Kinderbuch 1967 bis zur Verfilmung 2016 auch der Diskurs über Roboter in dieser Zeit entscheidend verändert. Gerade anhand eines kinderliterarischen Werks, das auch eine didaktische Zielsetzung hat, kann gezeigt werden, wie sich die Rolle des Roboters in Bezug auf sein Gegenüber, andere Technologien und sein soziales Umfeld entscheiden verändert. Dies kann als Reflex auf den veränderten Technikdiskurs gelesen werden.
In diesem Beitrag soll erklärt werden, warum es lohnt, sich der Oper aus dem Geist der Fantastik zu nähern. Anhand rezenter Opernproduktionen zeigt Coelsch-Foisner auf, wie fantastische Parameter zum Gattungsverständnis der Oper beitragen können und, umgekehrt, wie die Oper Modelle für die Fantastikforschung bieten kann. Das Erkenntnisinteresse richtet sich dabei auf Produktionen sowie auf die Art und Weise, in der sich das, was Coelsch-Foisner als »operatic imperative« bezeichnet, auf der Bühne ereignet, und unter welchen Voraussetzungen dies geschieht. Zu diesem Zweck werden Daten und Materialien aus Coelsch-Foisners Projekt »PLUS Kultur« an der Universität Salzburg analysiert, im Rahmen dessen sie seit mehr als einem Jahrzehnt anlässlich aktueller kultureller, vorwiegend theatraler Produktionen öffentliche Veranstaltungen unter dem Titel »Atelier Gespräche« abhält.