Digitales Journal für Philologie
Textpraxis # 16 (1.2019)
In dieser Ausgabe untersuchen Christina Glinik und Elmar Lenhart anhand Josef Winklers Domra verschiedene Schreibszenen. Sandra Folie beleuchtet neue Weltliteratur unter intersektionalen Gesichtspunkten, während Stefan Tomasek die museale Darstellung des Nibelungenlieds diskutiert.
Das umfangreiche Material zu Josef Winklers Domra bietet Forscher*innen die Gelegenheit, das Instrumentarium, das die critique génétique vorschlägt, auf seine Anwendbarkeit zu prüfen. Im Mittelpunkt unserer Untersuchung stehen zwei Textstellen in acht Bearbeitungsstufen, die mithilfe der Methode des close reading dafür operationalisiert werden. An den Versionen lässt sich eine zunehmende Fiktionalisierung des autobiographischen Substrats an der Formulierung der Schreib-Szene ablesen. Der Beitrag nimmt seinen Ausgang deshalb in der Autobiographieforschung, ist aber auch an der Schnittstelle zwischen Schreibprozess- und Schreib-Szenen-Forschung angesiedelt.
In den letzten Jahren haben feministische, queere und postkoloniale Literaturkritiker*Innen und Aktivist*Innen gezeigt, dass weder der Literaturmarkt noch die Literaturwissenschaft selbst frei von ethnischen, geschlechtsspezifischen, nationalen, rassischen und Klassenvorurteilen sind. Mit Blick auf den Literaturmarkt werden in diesem Artikel sogenannte »inner and outer gatekeepers« identifiziert, um aufzuzeigen, inwieweit der Euro- und der Androcentrismus in aktuellen Diskursen der Weltliteratur nach wie vor vorhanden sind. Vor dem Hintergrund der Dominanz des Weißen Mannes im Bereich der »alten« Weltliteratur wird untersucht, ob »neue« Weltliteratur implizit eine »Schwarze weibliche Angelegenheit« sein kann/muss.
Am Beispiel des Nibelungenmuseums in Worms wird die museale Darstellung des Nibelungenlieds untersucht. Dem Artikel liegt die Beobachtung zugrunde, dass für das Wissen vom mittelhochdeutschen Text populäre Vermittlungsinstanzen wirksamer sind, als es die tatsächliche Textlektüre ist. These ist, dass im Wormser Museum eine Überschreibung des Nibelungenliedes als Text in einen dreidimensionalen Raum stattfindet. Relevant sind dabei das räumliches Arrangement von Exponaten, die didaktische Steuerung der Rezipient_innen und die Vermittlung von Textwissen. Diskutiert wird, welche Teile des Nibelungenlieds museal (wieder/neu) erzählt werden und wie sich das Verhältnis des neu erzählten Textes zur mittelalterlichen Textüberlieferung gestaltet, ferner wie und auf welchen Vermittlungsebenen der (neue) Text im Museum präsentiert wird.