Digitales Journal für Philologie
Sonderausgabe # 8 (1.2024)
Mit generativer Literatur werden Textexperimente in den Blick genommen, die entweder überwiegend mithilfe generativer Künstlicher Intelligenz (GenAI) entstanden oder aber alghorithmenbasiert sind. Inzentiv für diesen besonderen Schwerpunkt sind die wachsende Prominenz generativer literarischer Verfahren einerseits sowie die nahezu sprunghafte Entwicklung dafür verantwortlicher technologischer Voraussetzungen andererseits.
Mit generativer Literatur werden Textexperimente in den Blick genommen, die entweder überwiegend mithilfe generativer Künstlicher Intelligenz (GenAI) entstanden oder aber alghorithmenbasiert sind. Inzentiv für diesen besonderen Schwerpunkt sind die wachsende Prominenz generativer literarischer Verfahren einerseits sowie die nahezu sprunghafte Entwicklung dafür verantwortlicher technologischer Voraussetzungen andererseits.
Anfang der 2000er Jahre kommt der Begriff »codework« auf, der künstlerische Projekte bezeichnet, die sich mit den symbolischen Ebenen des Computers beschäftigen - sprich: mit den auf Programmiersprachen basierenden algorithmischen Strukturen der digitalen Medien. Diese Kunstformen reflektieren die erkenntnistheoretischen und handlungspraktischen Folgen derjenigen technologischen Entwicklungen, die sie selbst verwenden. Ihre Ausrichtung und ihre Erscheinungsformen verändern sich daher mit ihren Technologien, genauso wie die Rezeptionsmodi, die teilweise neue Aktivitätsformen erfordern. Der Beitrag diskutiert daher, inwieweit das Verständnis des Begriffs codework angesichts aktueller Entwicklungen modifiziert und/oder erweitert werden muss.
Der Beitrag untersucht am Beispiel des 2018 als gedrucktes Buch publizierten Werks 1 the Road die Auswirkungen der Produktions-, Publikations- und Inszenierungsformen algorithmisch generierter Literatur auf die literaturwissenschaftlichen Kategorien Autor*innenschaft und Werk. Unter Rückgriff auf die Akteur-Netzwerk-Theorie und das Konzept der Schreibszene wird davon ausgegangen, dass Literatur grundsätzlich in einem Netzwerk aus verschiedenen beteiligten menschlichen und nicht menschlichen Akteur*innen entsteht. Generative Literatur zeichnet sich durch Spezifika aus, die zu Verschiebungen und Erweiterungen dieses Netzwerks führen. Daraus resultiert – so die im Beitrag ausgeführte These – eine Rekonfiguration der Konzepte Autor*innenschaft und Werk, die sich in produktiver Auseinandersetzung mit den etablierten Konzepten vollzieht.
Der Beitrag nimmt das Spannungsfeld zwischen literarischen Traditionen und aktuellen, digitalen Schreibweisen in den Blick: Exemplarisch wird der Band Halbzeug (Hannes Bajohr, 2018) betrachtet, der Konzeptgedichte enthält, die mittels digitaler Verfahren erzeugt wurden. Beispielanalysen einzelner Gedichte erörtern die Verfahren der Texterzeugung, die dahinterstehende Poetik sowie den bedeutungstragenden Kontrast zwischen Prätext und Transform. Dies dient als Grundlage für Reflexionen über die Implikationen digitaler Textproduktion und algorithmengestützter Autor:innenschaft, die mit der Verbreitung digitaler Schreibweisen und durch Bajohrs Offenlegung der jeweiligen Transformationstechnik zunehmend diffuser, aber auch ›quelloffener‹ werden.
Der Beitrag betrachtet Reimplementierung und Emulation digitaler Literatur als Formen der Rezeption. Annahme dabei ist, dass mit dem Akt des Reimplementierens digitaler Literatur auf einem anderen System als dem ursprünglich für die Produktion verwendeten System eine Transformation im Sinne eines Umschreibprozesses (n. Höltgen) stattfindet. Zur Überprüfung wird ein frühes Werk der digitalen Literatur mit vielen Reinszenierungen herangezogen: Theo Lutzʼ Stochastische Texte (1959). Methodisch kann im vorliegenden Beitrag auf das theoretische Framework und auf das Vokabular der Computerarchäologie zurückgegriffen werden, um das Werk vor dem Hintergrund seiner technischen Umsetzung zu erschließen und mit seinen Reinszenierungen zu vergleichen.
Der Beitrag untersucht die veränderte Rolle der Leser*innen-Instanz im Kontext generativer Literatur, d. h. hier codebasierter und/oder KI-generierter digitaler Texte. Am Beispiel gegenwartsliterarischer Textexperimente und mit Blick auf historische wie aktuelle theoretische Positionen werden zum einen die häufig behauptete Aufwertung der Leser*innen-Instanz und die Textlektüre als Prozess der Sinnstiftung nachvollzogen. Zum anderen wird untersucht, welche neue Leseherausforderungen der komplexe Textbegriff bereithält, der in generativen Verfahren zutage tritt. Zuletzt wird gezeigt, dass sich die Rollen von Autor*in und Leser*in gerade dort überschreiben, wo der generative Text das Resultat eines hermeneutischen Prozesses ist, im Zuge dessen Autor*innen zu Leser*innen werden.
Ausgehend von der Geste des Zurkunsterklärens erörtert der Aufsatz probehalber eine analoge Deixis in der Literatur und diskutiert ihre Relevanz für die Bewertung computergenerierter Texte. Entgegen der Ansicht, dass Computer oder KI-Systeme allein aufgrund qualitativ hochwertigen Outputs als Autor:innen anerkannt werden könnten, betont er die Notwendigkeit sozialer Anerkennung in einer Urteilsgemeinschaft. Als Alternative zum Turing-Test, der auf dem Paradigma der Täuschung beruht, steht dann der Durkheim-Test, der auf das Paradigma der Kosozialität setzt. Erst, wenn die zurkunsterklärende Geste einer Maschine auch als deiktisches Urteil im starken Sinne aufgefasst wird, kann plausiblerweise von Computerautorschaft die Rede sein.
Der Begriff des ›Postdigitalen‹ hat Konjunktur – aber ästhetisch klar beschriebene Konzepte sind in den Philologien noch selten. In Abgrenzung von einer soziologischen und produktionstechnischen Definition, die den Begriff auf einen allgemeinen Zustand ›nach der Digitalisierung‹ festlegt, in dem sowohl Analoges wie Digitales aufgehoben ist und sich fast alle Schreibenden mitunter digitaler Techniken bedienen, erprobt der Beitrag, in Anlehnung an den musik- und kunstwissenschaftlichen Diskurs, eine poetologische und ästhetische Charakterisierung des Postdigitalen im Bereich des Literarischen und bezeichnet einen spezifischen Typus davon als Postdigitale Sprachkunst.