Digitales Journal für Philologie
Sonderausgabe # 5 (2.2021)
Wie macht Pop Politik? Gerade der Pop hat durch seine Vielfalt, Kreativität und Reichweite sowie durch die Pluralität seiner Rezipient:innen ein großes Potenzial für Kritik und Subversion, aber natürlich auch für Populismus und Propaganda. Diese Grenzen sind oft fließend und daher wollen wir in dieser Sonderausgabe ausloten, welche Bandbreite an politischen Poetiken der Pop bereithält.
Vor allem geht es um die Frage nach dem Politischen des Pop, d.h. also um Fragen nach den Ausdrucksformen und Poetiken des Politischen im Gegenwartspop.
Ein spezieller Fokus liegt dabei auf dem Vermögen des Pop, Identitäten zu konstruieren, sie als politische Einheiten performativ hervorzubringen und mit Bedeutung zu versehen.
(Wie) Werden die Figuren, die außerhalb dieser klassischen Identitätsgebilde stehen, im Pop repräsentiert? Welche Rolle spielt Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, aber auch Feminismus, Kritik, Dekonstruktion im deutschen Pop?
Das Politische kann im Pop explizit thematisiert und ›engagiert‹ verhandelt werden: So unterhalten Bands wie Feine Sahne Fischfilet ihre Stilgemeinschaft nicht nur bestens, sondern kommunizieren auch eindeutige politische Positionen und Haltungen. Doch Pop kann das Politische auch impliziter verhandeln, indem soziale Aushandlungsprozesse abgebildet, aber auch performativ vollzogen werden. Es geht im Pop dann etwa um Fragen der Identität oder der geschlechtlichen Codierung. Pop macht somit Akteur:innen und Probleme sicht- und vor allem hörbar, die sonst oftmals abgeblendet werden. In der Einleitung werden die divergenten Verhandlungsorte des Pop in den Blick genommen und auf ihre jeweilige Funktion für die Aushandlung des Politischen untersucht.
Das Verhältnis von Pop-Musik und deutschem Schlager ist ebenso ungeklärt wie belastet. Es lässt sich noch nicht wertungsfrei behandeln. Deshalb geht der Beitrag von ästhetischen Urteilen des Verfassers zum Schlager um 1970 und zum Neoschlager der Gegenwart aus und bemüht sich, deren Sachanteile historisch und systematisch zu explizieren. Die These lautet, dass sich der Schlager seit den 1960er Jahren zur nationalen Alternative zum Pop entwickelt hat, beide bleiben paradigmatisch aufeinander bezogen und teilen dabei auch den oft nur für Pop reklamierten Doppelcharakter von Unterhaltung und existenziellem Angebot. Ist der Schlager also so etwas wie das Böse im System des Pop?
In den Nullerjahren bedienen sich deutschsprachige Indie-Pop-Gruppen vermehrt der Textsorte Manifest – man könnte fast von einer Konjunktur sprechen. Gruppen wie Tocotronic und Ja, Panik schreiben sich einigermaßen eifrig mit der aus der politischen Rhetorik bekannten Textsorte in eine Avantgarde-Genealogie ein. Auffällig ist aber auch die Leerstelle: Popfeministische Manifeste gibt es nämlich zeitgleich im deutschsprachigen Raum kaum. Schlaglichtartig wird diese Gemengelage anhand zweier Texte der Popfeministinnen Kerstin und Sandra Grether aufgezeigt und in die Diskurslage eingeordnet.
Obwohl sich Feine Sahne Fischfilet als ›linke‹ Band versteht und sich Frei.Wild eher ›rechts‹ im politischen Spektrum positionieren, greifen die Songs beider Bands auf Topoi aus dem Heimat-Diskurs zu, indem sie jeweils positiv konnotierte Konzepte von Herkunft modellieren. In diesem Beitrag wird gezeigt, wie aus diesem gemeinsamen diskursiven Material unterschiedliche Modelle des Politischen entworfen werden.
Der Beitrag lotet das Verhältnis von ambigen und politischen Aussagen in Raptexten aus. Die Nähe der Ambiguität zum politischen Sprechen wird historisch und systematisch rekonstruiert. Diese Nähe ist Motivation für unterschiedliche Wertungshandlungen in der Rap-Rezeption, eine spielerisch-subversive Tendenz emphatisch als ›politisch‹, eine eindeutig-subversive Tendenz kritisch als ›gefährlich‹ zu klassifizieren. Eine Analyse solcher Wertungen und der ambiguierenden Strategien des Rappers Kollegah geht den rhetorischen und visuellen Transformationen von der Hoodtales-Serie bis zu den Endzeitszenarien Armageddon und Apokalypse nach und diskutiert die Zusammenhänge von Mehrdeutigkeit, politischem Pop und erinnerungspolitischen Tabus.
Durch das neuste Album von K.I.Z Rap über Hass (2021) wird nicht nur innerhalb des HipHops vermehrt über Hass im Rap diskutiert, sondern auch in den Feuilletonteilen überregionaler deutschsprachiger Zeitungen. Dabei stellt sich die Frage, ob dieser Hass neu ist und welche Funktion er einnimmt. Und ist das, was im Rap als Hass bezeichnet und produktiv gemacht wird, überhaupt Hass oder viel eher Wut? Um diesen Fragen nachzugehen, wird untersucht, woher der Rap stammt, wieso dieser genuin politisch ist und welcher Zusammenhang zwischen dem Rap, dem Politischen und dem Hass überhaupt besteht. Anhand einiger deutschsprachiger Rap-Songs wird dargestellt, dass Hass als existenzielles Gefühl unter anderem eine grenzüberschreitende Wirkung hat und damit beispielsweise affirmativ, zur Lenkung von Aufmerksamkeit und zur Abgrenzung genutzt werden kann.
In der zweiten Folge unseres Podcasts »Philologie im Gespräch« sprechen Immanuel Nover (Koblenz-Landau) und Kerstin Wilhelms (Münster) über das Politische im Pop. Das Gespräch nimmt die auch in der aktuellen Textpraxis-Sonderausgabe thematisierten Fragen auf und diskutiert u.a. an der Rapperin Sookee sowie dem Rap-Kollektiv 187 Strassenbande, wie das Politische im Sinne eines sozialen Aushandlungsprozesses im Pop verhandelt wird. Es geht dabei nicht nur um die Auseinandersetzung mit explizit politischen Themen, sondern auch um die Form, also um die ästhetischen Verfahren, die in den Songs zur Aushandlung genutzt werden.