Digitales Journal für Philologie
Literarische Fantastik
Der amerikanische Romancier John Barth hat einmal gesagt, er habe einen Essay mit dem Ziel und in dem Geist verfasst »less to share my discoveries than to share my ignorance«1 – Ähnliches bitte ich Sie, wenn schon nicht mir, so doch dem Geist meines Beitrags zugute zu halten. Da Ignoranz aber nicht in einem Beitrag abgearbeitet werden kann, wird im Folgenden zum einen etwas über Themen, Strategien und Techniken der Fantasy(-forschung) gesagt und zum anderen die Interpretationsskizze eines Fantasy-Romans geliefert – zusammen werden beide Teile sicherlich ein Ganzes bilden.
1.
Die fantastische Literatur, so hat John Clute, Mitherausgeber der zu Recht gerühmten Encyclopedia of Fantasy, 1997 geschrieben, sei wie ein Ozean, in den die Forschung gerade erst vorsichtig ihre Zehen getaucht habe.2 Fantasy und Fantastik – ich fasse die beiden nach der englisch-amerikanischen Terminologie zusammen, wenn ich nichts anderes anmerke – bilden einen riesigen amorphen Zweig der Kulturindustrie, und die literarische Fantasy ist darin ein Forschungsgegenstand, der sich erst im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts einen festen Platz in der seriösen Literatur- und Medienwissenschaft erobert und diese beiden Wissenschaften sogleich auf vielfältige Art verändert hat. Seither hat der Fantasy-Wissenschaftszweig allerdings zunehmend Fahrt aufgenommen und Tempo entwickelt. In den akademischen Fandom-Netzwerken zu Game of Thrones hat sie in der Anzahl der Stellungnahmen die Literaturkritik und um Haaresbreite auch die Produzenten eingeholt.
Verallgemeinernde Aussagen über das Gesamtgebiet der Fantasy macht heute kaum noch jemand. 1970 hatte der schwedische Schriftsteller und Philosoph Lars Gustafsson die Fantasy noch als »reaktionär« bezeichnet.3 Im Gefolge der Postmoderne setzte Rosemary Jackson dagegen und charakterisierte die Fantasy 1981 als eine »literature of subversion«,4 an die man Hoffnungen auf eine Befreiung nicht nur von den Zwängen des literarischen Realismus knüpfen könnte. Inzwischen ist klar geworden, dass die subversive Fantasy auch das Gegenteil von Befreiung erreichen kann. Exemplarisch vermag das etwa der Erfolg der Left-Behind-Romanreihe5 von Tim LaHaye und Jerry D. Jenkins zu zeigen, die das fantastische Szenario des Weltuntergangs6 in einen sektiererischen, theologischen Rahmen zurückbindet. Die zwölf – auch ins Deutsche übersetzten – abenteuerlichen Romane der Reihe haben Spitzenpositionen auf den Bestsellerlisten und weltweit eine Auflage von über 60 Millionen Exemplaren erreicht,7 die mediale Zweitverwertung in Film, Rollen-, Hör- und Computerspielen, einer Kinderserie, verbunden mit allen Formen des Merchandising, haben das Weltuntergangsszenario mitsamt seinen religiösen Implikationen populär gemacht. Die Autor*innen stehen der populistischen evangelikalen Erweckungsbewegung nahe, welche die säkulare, liberale Kultur der USA bekämpft, und sie haben ihre Romane in diesem Sinn autoritativ interpretiert.8 Es ist nicht zu vermuten, dass die Millionen von Leser*innen der Reihe die religiöse Interpretation der Autor*innen und ihrer Netzwerke teilen oder für sie gewonnen werden, aber ebenso wenig ist auszuschließen, dass die Wirkung dieser Romanreihe reaktionäre gesellschaftliche und religiöse Leitbilder der Rezipient*innen verstärkt und apokalyptische Verschwörungstheorien nährt.9 Während in den USA eine Diskussion über die Funktion dieser Reihe unmittelbar nach dem Erscheinen der ersten Romane einsetzte,10 beginnt sie im deutschsprachigen Raum erst zaghaft.11 Also: Keine Gesamturteile mehr über Fantasy!
Die Forschung zur Fantasy bietet, aus der Ferne betrachtet, ein eigenartiges Bild: Es gibt eine ganze Reihe von ausgezeichneten Enzyklopädien und Handbüchern12 – neben der erwähnten Enzyklopädie von Clute und Grant wäre auch das deutschsprachige Handbuch von Brittnacher und May13 zu nennen – und es gibt eine große Menge exzellenter Einzelstudien zu einzelnen Romanen, Autor*innen und Richtungen sowie zu abgeschlossenen Kapiteln der Gattung im 19. und 20. Jahrhundert. Demgegenüber gibt es jedoch nur sehr wenige verallgemeinernde Untersuchungen zu Konzeption, Form, Strategie und Technik des Genres in den letzten Jahrzehnten.14 Angesichts dieser Atomisierung der Forschung bleibt immerhin festzuhalten, dass sich in der scientific community ein Konsens über eine angemessene liberale Bestimmung des Begriffs des fantastischen Texts herausgebildet hat und engere Bestimmungen wie etwa die von Todorov15 überwunden wurden. Dieser Konsens lässt sich vielleicht am knappsten in einer Formulierung von Michael Scheffel wiedergeben. Nach Scheffel liegt ein fantastischer Text dann vor, wenn er »mindestens ein Ereignis der erzählten Welt [enthält], das die auf der Ebene des Erzählens und/oder des Erzählten implizit oder explizit thematisierten Basisannahmen über das zu verletzen scheint, was in dieser Welt als möglich und unmöglich gilt.« 16 Diese Formulierung entspricht etwa der Begriffsbestimmung die Robert William Irwin bereits 1976 in seinem Buch The Game of the Impossible. A Rhetoric of Fantasy prägte. Sie lautet: »Whatever the material, extravagant or seemingly commonplace, a narrative is a Fantasy if it presents establishment and development of an impossibility, an arbitrary construct of the mind with all under the control of logic and rhetoric. This is the central formal requisite.«17 Umstritten ist hingegen nach wie vor die Frage, ob der Begriff lediglich auf die fantastische Literatur seit der Aufklärungskritik des späten 18. Jahrhunderts angewendet werden soll18 oder – was etwa Brian Stableford vorschlägt – für die Literatur seit der Antike schlechthin.19 Nach Stablefords Auffassung ist es sinnvoll »to extend the history of modern Fantasy literature all the way back to Homer, in a more or less unbroken evolutionary chain.«20 Die Literaturgeschichte seit dem 18. Jahrhundert betrachtet Stableford als einen Erziehungsprozess, in dem Autor*innen und Leser*innen daran gewöhnt werden mussten, das Fantastische in der Literatur für ebenso normal zu halten wie das Alltägliche, und behauptet entsprechend: »The history of Fantasy literature is, to a large extent, the history of that educative process; the recent emergence of a commercial genre of Fantasy is the proof of its success.«21 Eine derart teleologische, auf den Erfolg der Fantasy zustrebende Konzeption der Literaturgeschichte scheint jedoch kaum jemand zu teilen.
Was der Fantasy-Forschung nottut, hat Farah Mendlesohn 2008 in der Einleitung zu ihrem Buch Rhetorics of Fantasy bündig formuliert:
During the research for this book I became aware that while there are many single author or single text studies in genre Fantasy criticism, there is relatively little comparative criticism beyond the study of metaphorical and thematic elements. There is almost nothing dealing with the language of the fantastic that goes beyond aesthetic preference. My contention is that if we do not have a critical tool that allows us to collate texts in any yielding way (note that I do not insist on ›meaningful‹), we cannot engage in the comparative research that illuminates a genre.22
Arbeiten, die zur Erforschung der Poetik der Fantasy beitragen, halte ich auch zehn Jahre später noch für das dringendste Desiderat der Fantasy-Forschung. Wie nötig das ist, zeigt exemplarisch der von Edward James und Farah Mendlesohn herausgegebene repräsentative Cambridge Companion to Fantasy Literature: Unter den »ways of reading Fantasy« tauchen Studien zur Poetik des Genres nicht auf;23 Brian Atteberys Abschnitt über «Structuralism»24 ist der einzige, der überhaupt auf die Notwendigkeit empirischer Textanalyse und -interpretation hinweist.
In ihrem Buch Rhetorics of Fantasy hatte Farah Mendlesohn schon 2008 mit der Unterscheidung der »four modes of Fantasy« der Forschung selbst eine Richtung gewiesen:
In this book I argue that there are essentially four categories within the fantastic: the portal-quest, the immersive, the intrusive, and the liminal. These categories are determined by the means by which the fantastic enters the narrated world. In the portal-quest, we are invited through into the fantastic; in the intrusion Fantasy, the fantastic enters the fictional world: in the liminal Fantasy, the magic hovers in the corner of our eye; while in the immersive Fantasy we are allowed no escape.25
Dass diese vier Kategorien ein nützliches heuristisches Mittel zur Werkanalyse darstellen, hat Mendlesohn in ihrem Buch unter Beweis gestellt. Ihre eigene Anregung, die vier Kategorien mit semantischen Merkmalen zu verbinden, die nach John Clute der Tiefenstruktur der Fantasy unterliegen – «wrongness, thinning, recognition, and healing/return» –26 hat Mendlesohn bedauerlicherweise selbst kaum weiterverfolgt. Die Fantasy ist kein mehr oder minder homogenes Ganzes wie das russische Zaubermärchen, dessen Tiefenstruktur bekanntlich Propp27 zu rekonstruieren gesucht hat, und der Fantasy liegt auch nicht eine mehr oder minder definitive Stationenfolge zugrunde, wie sie Joseph Campbell aus den Stationen des Heldenmythos als universelles Muster deduziert hat.28 Campbells Heldenreise, dem einige Drehbuchautor*innen und Regisseur*innen Anregungen entnommen haben, mag von heuristischem Nutzen für den Teil der Fantasy sein, welcher der Quest-Struktur29 folgt, nicht aber für das Genre schlechthin. Die charakteristischen Merkmale der Fantasy lassen sich nicht – und das zu betonen ist mir wichtig – über inhaltliche,30 motivische oder (erzähl-)technische Eigenschaften bestimmen, sondern nur durch strukturelle, wie etwa die von Mendlesohn angegebenen. Dass diese jedoch zu einer differenzierten Beschreibung des Genres nicht ausreichen, wird am deutlichsten in Mendlesohns und James’ Short History of Fantasy erkennbar. Diese Literaturgeschichte, welche die Fantasy-Produktion chronologisch in Dekaden bespricht – was für Literaturgeschichten übrigens ein eher ungebräuchliches Gliederungsprinzip ist –, behält die Fantasy als Genre im Ganzen nur bis zu J.R.R. Tolkien und C.S. Lewis, und das heißt bis zum Ende der 1950er Jahre, im Visier, danach wendet sie sich vor allem den zahlreichen Sub-Genres zu – was aus dem Genre im Ganzen wird, müssen Leser*innen selbst herausfinden. Nun darf man die Ansprüche an eine eher populäre Literaturgeschichte nicht zu hoch schrauben und es steht außer Zweifel, dass die Short History of Fantasy einen sehr informativen Überblick über repräsentative Schriftsteller*innen und Einblicke in deren Werke bis zur Gegenwart gibt. Das geschieht jedoch in einem eher registrierenden als in einem kontinuierlich charakterisierenden Stil. Die Literaturgeschichte von Mendlesohn und James macht mit nahezu allen Sub-Genres der Fantasy bekannt, die sich seit den 1970er Jahren herausgebildet haben, unter anderem Dark Fantasy, Animal Fantasy, Urban Fantasy, Medieval Fantasy, Steam Punk, Alternate History, Cyberpunk und New Weird, doch über Konstanten und Variablen im Evolutionsprozess der Fantasy selbst erfährt man ebenso wenig wie über dessen Ursachen und Modalitäten. Sicher ist es unfair, von Mendlesohn und James Erklärungen zu verlangen, die, wenn ich richtig sehe, auch alle anderen Autor*innen auf dem Gebiet schuldig bleiben – die beiden hatten nur das Pech, eine Literaturgeschichte zu schreiben, und das ist eine Gattung, in der dieses Defizit deutlich hervortritt.
Fast jede Arbeit, die sich mit der jüngeren Entwicklung der Fantasy beschäftigt, gelangt zu dem Ergebnis, dass ein, wenn nicht das entscheidende Charakteristikum dieser Entwicklung, die Genremischung, die Assimilationsfähigkeit für die Inkorporierung von Elementen anderer Genres31 oder, wie es überwiegend heißt, die Tendenz zur »Hybridität« ist,32 womit die Tendenz der Fantasy gemeint sein dürfte, mehr als ein Genre zu integrieren. Gelegentlich wird die neuere Fantasy als eine Agglomeration von Texten ohne Genrekern bezeichnet; Heinrich Kaulen behauptet etwa, es gehöre »zum Wesen speziell dieses Genres, dass es sich in vielen Fällen als Genremix aus ganz unterschiedlichen Quellen und Traditionen [...] präsentiert und das Ideal einer Gattungsreinheit gar nicht erst anstrebt.«33 Kann eine solche Agglomeration von unterschiedlichen Subgenres eine Geschichte haben? Robert Irwin behauptete schon 1976, eine Literaturgeschichtsschreibung der Fantasy sei ein vergebliches Unterfangen, weil die Fantasy gar keine kontinuierliche Geschichte besitze. Irwin schrieb:
As I have noted earlier, though fantasies have been written in many periods, Fantasy has no history, that is, no continuous developmental history. Rather, it tends to be prominent through a span of years, emerging for no clearly ascertainable reasons, then receding.34
Ich wende mich nun einem rezenten Vertreter dieses möglicherweise diskontinuierlichen Genres zu.
2.
Ein charakteristisches Beispiel der hybriden Fantasy stellt der jüngste und vermutlich zugänglichste der verwickelten Romane David Mitchells dar: Slade House. Der Roman geht zurück auf eine mit The Right Sort betitelte short-story, die 2014 mit der Veröffentlichung von 280 Tweets einsetzte und angeblich erst nachträglich zu einem Roman vervollständigt wurde.35 Das mag die Entstehungsgeschichte des Romans richtig wiedergeben oder nicht: Charakteristisch ist für Mitchell jedenfalls eine Poetik der locker wirkenden Assemblage, hinter der stets ein durchkonstruierter Gesamtplan steht. Slade House, 2015 erschienen und 2018 von Volker Oldenburg ins Deutsche übersetzt, ist sicher keiner der ›großen‹ Romane Mitchells, und er reicht an Cloud Atlas, der vermutlich weit bekannter ist, nicht heran, aber er ist ein Roman, dessen brillante Einfälle und vernetzte Erzählfolgen für Mitchell typisch sind, kurz: Slade House ist ein Beispiel fantastischer Architektur, was sowohl den Schauplatz als auch den Roman selbst kennzeichnet.
Der plot, die Fabel, ist einfach: Den am Ende des 19. Jahrhunderts geborenen Zwillingen Jonah und Norah Grayer gelingt es, ihre Seelen zeitlos frisch zu halten und nach Belieben in andere Körper zu implementieren, wenn sie sich in einer Lakune36 – übrigens auch ein Begriff aus der Philologie – wenn sie sich also in einer Lakune genannten Stelle des Slade House alle neun Jahre seelische Energie (»psychovoltage«) aus den Körpern auserlesener Opfer zuführen.37 Zu dieser Transaktion werden auserlesene Menschen ins Slade House geladen, das nur dann und nur für sie durch eine unauffällige niedrige Eisentür von der Slade-Alley aus zugänglich ist.38 Hier werden die Opfer in eine eigens für diesen Zweck modellierte Realitätsblase gelockt und unter allerlei Vorwänden gebeten, ein Präparat namens «Seelex« einzunehmen, das die Verbindung zwischen Körper und Seele auflöst. Vor der Seelenentnahme werden die Opfer jedoch noch von geisterhaften Stimmen der Seelenreste ihrer Vorgänger gewarnt und treffen auf Bilder, auf denen sie selbst ohne Augen porträtiert sind. Die Geschichte beginnt 1979 mit einem Erfolg und endet 2015 mit einem Desaster für die Zwillinge.
Slade House ist ein polyphoner Roman, der in fünf Kapiteln von fünf verschiedenen Ich-Erzähler*innen erzählt wird. Zwischen den fünf Kapiteln liegt ein Zeitabstand von jeweils neun Jahren. Die beiden Seelenvampire gehen in jedem Kapitel ihrer Beschäftigung nach, das übrige Personal wechselt. Eine besondere Rolle spielt Freddie Pink, der im Roman eigentlich gar nicht auftritt.
Das erste Kapitel (1979) wird von dem schwachen, träumerischen Schüler Nathan Bishop erzählt, der sich mit dem seiner Mutter stibitzten Valiumvorrat über Wasser hält; mit ihr ist er im Slade House zu einer musikalischen Soiree geladen. Während die Mutter einem herbeigezauberten Yehudi Menuhin vorspielen darf, spielt der verwirrte Nathan mit den Grayer-Zwillingen, die schließlich seine Seele rauben. Mit ihr bestreiten die zwei Vampire die nächsten neun Jahre. Das zweite Kapitel (1988) wird von dem frisch geschiedenen, testosterongesteuerten Polizisten Gordon Edwards erzählt, der im Slade House nach dem Rechten sehen soll; die Polizei hat nämlich von Freddie Pink, einem nach neun Jahren aus dem Koma erwachten Zeugen, den Hinweis erhalten, dass die beiden Bishops 1979 im Slade House verschwunden seien. Edwards erliegt dem erotischen Charme einer Chloe Chetwynd, in deren verführerische Gestalt Norah Grayer sich gekleidet hat: ihr verfallen, büßt Gordon Edward seine Seele ein. Das dritte Kapitel (1997) erzählt die unattraktive und unglückliche Studentin Sally Timms, die von ihren Kommilitoninnen despektierlich »Oink, Oink« genannt wird. Sie begibt sich mit sechs Studierenden aus dem »Club für paranormale Phänomene« ins Slade House; der Anführer des Clubs hat von seinem Onkel Freddie Pink vom spurlosen Verschwinden der Bishops und Gordon Edwards im Slade House erfahren und will mit seinem Club den vermuteten paranormalen Ereignissen nachgehen. Sally verliert nach einer Party im Slade House ihre Seele an die Vampir-Zwillinge, der Rest des Clubs verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Die vierte Geschichte (2006) erzählt die Journalistin Freya Timms, die ihre Schwester Sally – an deren Tod sie nicht glaubt – retten will. Freya Timms interviewt Freddie Pink, der ihr die verwickelte Geschichte des reinkarnationsreichen Lebens der Vampir-Zwillinge wortreich schildert. Bedauerlicherweise weiß Freya nicht, dass Freddie Pink bereits seit geraumer Zeit tot ist und Jonah Grayer sich dessen Körpers und Maske bedient hat, um mit Freyas Seele den Energiebedarf für sich und seine Schwester zu sichern. Doch Freyas Seele gibt sich nicht so leicht geschlagen. Es gelingt ihr, Jonah Grayer mit einer von Sally hinterlassenen Nadel in den Hals zu stechen und so schwer zu verletzen, dass die vollständige Übertragung der Freya-Seele nicht gelingt. Die Seelenenergie der Zwillinge wird knapp. Das letzte Kapitel (2015) wird von Norah Grayer erzählt:39 Sie hat die Psychiaterin Dr. Iris Marinus-Fenby als nächstes Opfer ausersehen; diese soll die rapide auf die Neige gehende Seelenenergie der Zwillinge für die nächsten neun Jahre sichern. Dr. Marinus wird von Norah Grayer in der Gestalt eines nerdigen Engländers namens Bombadil empfangen, dessen Name Jonah Grayer die Frage entlockt: »Doch nicht der Alte-Weidenmann-Bezwinger aus dem Herrn der Ringe?«40 Darauf bemühen die Zwillinge sich, als Arzt und Ärztin in einem herbeigezauberten Krankenzimmer auftretend, um die Extraktion der Seele ihres Opfers. Es kommt jedoch anders: Dr. Marinus nämlich hat nicht allein die Tagebücher Freddie Pinks gelesen, sondern sich auch in den Besitz des Tonbands gebracht, auf dem Jonah Grayer in der Gestalt des Freddie Pink die wahre Geschichte der Vampirzwillinge erzählt hatte.41 Marinus verfolgt die Grayer-Zwillinge und will deren Opfer rächen. Dabei stellt sich heraus, dass die Psychiaterin selbst Mitglied einer Sektion der Unsterblichen ist, nämlich der «Horologen» vom «Tiefenstrom», die gegen die Fraktion der «Anachoreten» vom «Dunklen Weg« kämpfen, der die Grayer-Zwillinge angehören.42 Mit diesem final twist wird das mundane Geschehen im Slade House auf eine andere Bühne transponiert und der Kampf des Dr. Marinus gegen die Zwillinge als ein Kampf in der großen Schlacht »zwischen Gut und Böse«43 erwiesen, die seit Jahrhunderten in immer neuen Formationen ausgefochten wird. »Sie morden, um Unsterblichkeit zu erlangen« – »wir kämpfen für die Unantastbarkeit des Lebens« erklärt Marinus und fügt hinzu: »Was wäre ein Metaleben ohne ein höheres Ziel? Es bestünde nur aus Fressen.«44 Und so, metaphysisch, fantastisch und ironisch endet der Roman zunächst mit dem Sieg der Guten vom Tiefenstrom über die Bösen vom Dunklen Weg. Die Opfer sind gerächt, Jonah Grayer ist unwiderruflich tot. Die Seele der unverändert rachedurstigen Norah aber nistet sich im Hirn eines ungeborenen Jungen ein – wer weiß, was sie anrichten wird?
Slade House ist, so lässt sich zeigen, ein hybrider Fantasy-Roman, der aus der Kombination von Fantasy und Vampir-Geschichte besteht und mit Elementen der Dark Fantasy, der Ghost-Story, der Vampir-, Gothic- und (Haunted House)-Horror-Story angereichert und mit viel Ironie durchtränkt ist. Es ist jedoch nicht hinreichend, den Roman als hybrid zu etikettieren; es gilt, die Funktionen zu nennen, welche die einzelnen Genres in der Mischung übernehmen. In Slade House liefert das Rohkonzept für die Disposition der Handlung die Vampir-Geschichte. Dafür ist sie geeignet, da sie ein narratives Stereotypkonzept darstellt, das in der Regel lediglich die antagonistische Position von Täter und Opfer sowie eine finale Aktion – beziehungsweise deren Verhinderung – festlegt: im Übrigen lässt sie alle Handlungszüge und das agierende Personal offen. Im Unterschied zur strukturbildenden Vampir-Geschichte sind die Elemente von Ghost- und Horror-Story im Wesentlichen nur das gespenstische Ambiente des heimgesuchten Hauses, in dem die Seelenentnahme stattfindet. Entscheidend für die poetische Konzeption des Romans sind neben der Genremischung jedoch das Sujet und die ihm entsprechende Konstruktion der Erzählung.
Bis zum Ende des vierten Kapitels erweckt Slade House den Eindruck, als habe man es mit einer seriellen Folge45 von Erzählungen zu tun, in der die Seelenvampire sich gleichbleiben und nur die Opfer wechseln. Die Polyphonie der Erzähler*innenstimmen und Stile sorgt für Abwechslung und individuelle Farbe der einzelnen Kapitel in der Serie. Am Ende des vierten Kapitels aber, in dem Freya Timms sich auf die Spur der Zwillinge heftet, findet ein virtueller Gestalt-switch statt. Der Roman lässt sich aus der Retrospektive erstmals nicht allein als serielle Folge, sondern als kontinuierlich sich entwickelnde Geschichte lesen, in der die Opfer gegen die Täter aufzubegehren beginnen – eine Geschichte, die schließlich auf die Eliminierung des vampiristischen Zwillingspaars zuläuft. Diese Geschichte wird am Ende des vierten und zu Beginn des fünften Kapitels noch einmal retardiert, als sich herausstellt, dass Freddie Pink tot ist und die Zwillinge in Dr. Marinus ein neues Opfer gefunden haben, sie findet dann aber mit der Überwältigung der beiden Vampire ein erfolgreiches Ende.
Ausgangspunkt dieser Geschichte ist ausgerechnet der niemals in persona auftretende, stets nur zitierte Freddie Pink. Die Gelenkstelle, an der die Täter-Opfer-Serie zu einer Verfolgungsstory der Täter durch die Opfer wird, ist das erwähnte lange Interview,46 das Freya Timm im vierten Kapitel mit Freddie Pink führt. Freya will von Freddie Pink alles erfahren, was für die Rettung ihre Schwester Sally wichtig ist – Jonah Grayer aber gibt sich als Freddie Pink aus, um sich der Seele Freyas zu bemächtigen. Beiden misslingt ihr Vorhaben, aber aus dem Rencontre geht das Tonband-Interview hervor, das an Dr. Marinus gelangt und zum Verderben der Zwillinge führt. Dieses Ende hatte Norah ihrem leichtfertigen Bruder im Roman wiederholt nachdrücklich prophezeit: »Eines Tages«, so hatte sie ihn gewarnt, »bringt dein Leichtsinn dich noch um. [...] Und wenn dieser Tag kommt, werde ich alles tun, um mich zu retten. Sogar dich im Stich lassen, wenn es sein muss«.47 Auch in der Einlösung solcher Vorausdeutungen48 zeigt sich die Konstruktionslist und -lust des Autors. Auf die opernhafte Schlusswendung, mit der das Geschehen um die Zwillinge und ihre Opfer als Episode in perennierenden Kampf zwischen »Dunklem Weg» und »Tiefenstrom» eingeordnet wird, habe ich schon hingewiesen.
Das Mittel der Ironie findet sich auf verschiedenen Ebenen des Romans. Am seltensten in der Rede der Figuren, die den Roman erzählen; hier ergibt sich eine ironische Funktion meist erst durch die Konstellation der Figurenrede zu den späteren Ereignissen, so wenn etwa Jonah Grayer, dem an Ende die Lebensenergie ausgeht, zu Beginn sagt: »ich träume, dass mir das Essen ausgeht.«49 Am deutlichsten tritt die Ironie in der poetischen Konzeption des Romans hervor, wenn die Konventionen eines Genres gebrochen werden. Während Mitchell die Konventionen der Vampir-Geschichte eher unauffällig einhält,50 bricht er auf komische Weise vor allem mit einer zentralen Konvention der klassischen Fantasy. Das »Portal» bildet in ihr, wie Farah Mendlesohn gezeigt hat, eine Grenze, die zwei Welten trennt, die Alltagswelt und die fantastische Welt. Im Slade House ist das »Portal» ein unscheinbares, leicht zu übersehendes kleines Türchen,51 durch das im Laufe der Geschichte ein reger Verkehr geht: alle neun Jahre veranstalten die Zwillinge – nach ihren Worten – einen »Tag der offenen Tür».52 Diese Tür nun ist kein »Portal«, sie trennt keine Welten. Die Bewohner der ersten Welt haben schon in der Welt diesseits des Portals zahllose bewusstseinserweiternde Erlebnisse: Nathan Bishop und Sally Timms sind auf Drogen, Gordon Edwards befindet sich im hormonellen Ausnahmezustand, die Mitglieder des «Clubs für paranormale Phänomene« sind von den gesuchten Phänomenen selbst nicht frei und Freddie Pink, der Kronzeuge, hat mehrfach von innen mit der Psychiatrie Bekanntschaft gemacht. Aber auch die Zwillinge jenseits des »Portals« haben mit den Problemen der Alltagswelt zu tun: Sie können in ihrer fantastischen Welt zwar Realitätsblasen erzeugen, telepathisch kommunizieren und verfügen über das know-how zur Seelenentnahme, aber sie verkehren in beiden Welten in menschlicher Gestalt und begehen in beiden leichte aber auch – wie Jonah Grayer aus Eitelkeit – verhängnisvolle Fehler.
Zur Genre-Promiskuität und den Genre-Brechungen treten weitere Merkmale des postmodernen Romans hinzu, deren auffälligste Intertextualität und Intermedialität sind. Ihrer bedient sich Mitchell in einem Umfang, dem erst eine eigene Untersuchung gerecht werden könnte. Da außer den beiden Vampiren keine der Figuren eine Vorgeschichte besitzt, nutzt Mitchell vor allem intertextuelle und intermediale Anspielungen, um die kulturelle Welt seiner Romangestalten zu charakterisieren. So wird etwa die Welt Nathan Bishops unter anderem gekennzeichnet durch die Vorliebe für das Dungeons and Dragons-Spiel, die Starwars-Filme, den Roman The Kraken Wakes von John Wyndham und die britische Sitcom-Serie To the Manor Born. Die Vorstellungen der Mitglieder des Clubs für paranormale Phänomene sind geprägt durch Filme wie Candyman, Rocky Horror Picture Show und 2001: A Space Odyssey, und sie hören Songs von Supergrass, Björk, Massive Attack und Orb, um nur einige zu nennen. Auch bei der Namensgebung seiner Figuren ist Mitchell einfallsreich. Der erwähnte Bombadil aus dem fünften Kapitel stammt aus dem Herrn der Ringe, Sally Timms, die Protagonistin des dritten Kapitels, trägt den Namen der einstigen Leadsängerin der britischen Gruppe Mekons, Sallys Freund zitiert den Roman Vertrocknete Embryonen von Crispin Hershey, der samt seinem Verfasser nur in einem anderen Roman, nämlich David Mitchells The Bone Clocks existiert, zu dem zahlreiche Verweise in Slade House führen.53 In den Bereich der metafiktionalen Anspielungen gehört schließlich der Hinweis auf den Pakt zwischen Autor*in und Leser*in, von dem Nathan Bishop zu berichten weiß. »Bei meiner Englischlehrerin Mrs. Todd kriegt man automatisch eine Sechs, wenn man am Ende einer Geschichte schreibt: ›Dann bin ich aufgewacht und alles war nur ein Traum.‹ Damit verrät man das Bündnis zwischen Autor und Leser, sagt sie«.54
David Mitchells Slade House gehört als Fantasy in die Nähe des postmodernen Romans; er ist – um eine Formulierung Brian Stablefords zu verwenden – Bestandteil des «growth of fantasies about the Fantasy: self-conscious exercises in fabulation and metafiction.«55 Die ironisch metafiktionale Fantasy dieser Art hat nicht mehr die Aufgabe, einen eigenen Kosmos, eine secondary world zu schaffen, und sie ruft nicht die Emotionen der klassischen Fantasy hervor – nach Tolkien etwa «recovery, escape, and consolation« –, sondern vor allem Artefaktemotionen,56 das heißt Emotionen, die weniger mit den Figuren und Situationen der storyworld verknüpft sind als mit der technischen oder ästhetischen Perfektion eines literarischen (Kunst-)Werks.
Ein Ziel meiner fragmentarischen und skizzenhaften Analyse des Romans war es, dessen komplexe Struktur aufzuzeigen. Es ging mir aber auch darum, zu verdeutlichen, wie schwierig es gegenwärtig ist, Fantasy in eine Romanform zu integrieren, die der Geschichte des modernen und postmodernen Romans angemessen ist. Vielleicht – und mit dieser Spekulation möchte ich mich entlassen – sind die Evolutionsmöglichkeiten des Romans der literarischen Mainstream–Fantasy heute ähnlich erschöpft wie die des Realismus am Ende des 19. Jahrhunderts.
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- 1. John Barth: The Literature of Exhaustion and the Literature of Replenishment. Northridge 1982, Headnote, unpaginiert.
- 2. John Clute u. John Grant (Hg.): Encyclopedia of Fantasy. London 1997, S. VII.
- 3. Lars Gustafsson: »Über das Phantastische in der Literatur. Ein Orientierungsversuch«. In: Ders.: Utopien. Essays. München 1970, S. 9–25, hier S. 24. Einen »utopischen und subversiven Charakter« hatte ihr daraufhin Rein A. Zondergeld bereits 1975 attestiert, vgl. Rein A. Zondergeld: Lexikon der phantastischen Literatur. Frankfurt / M. 1983 (Phantastische Bibliothek 91), S. 12.
- 4. Rosemary Jackson: Fantasy: The Literature of Subversion. London 1981. Jackson betont (S. 175), dass die subversive Funktion nicht auf der thematischen, sondern auf der strukturellen Ebene basiere. Vgl. auch die optimistische Definition bei Brian Attebery: Strategies of Fantasy. Bloomington 1992, S. 1: »Fantasy is a sophisticated mode of storytelling characterized by stylistic playfulness, self-reflexiveness, and a subversive treatment of established orders of society and thought.«
- 5. Vgl. dazu Daniel Scott: »Belief, Potentiality, and the Fantastic: Mapping the Fantastic«. In: Ina Batzke u. a. (Hg.): Exploring the Fantastic. Genre, Ideology, and Popular Culture. Bielefeld 2018, S. 17–36, hier S. 23–25.
- 6. Zur Theorie und Geschichte des Genres vgl. Hans Krah: Weltuntergangsszenarien und Zukunftsentwürfe. Narrationen vom ›Ende‹ in Literatur und Film 1945–1990. Kiel 2004 (Limes 4).
- 7. Hans-Christian Gebbe: Funktionen populärer Fantasy-Literatur in der christlichen Rezeption. Göttingen 2017, S. 335 u. S. 345.
- 8. Vgl. Tim LaHaye u. J. B. Jenkins: Are We Living in the End Times? Wheaton 1999.
- 9. Über das in den USA als »prophecy fiction« bezeichnete Genre vgl. Crawford Gribben: Writing the Rapture. Prophecy Fiction in Evangelical America. Oxford 2009, bes. S. 129–144: »The Left Behind Phenomenon«.
- 10. Vgl. etwa Amy Johnson Frykholm: Rapture Culture. ›Left Behind‹ in Evangelical America. Oxford 2004.
- 11. Vgl. etwa Gebbe: Funktionen populärer Fantasy-Literatur (Anm. 7); Johannes Rüster: All-Macht und Raum-Zeit: Gottesbilder in der englischsprachigen Fantasy und Science Fiction. Berlin 2007 (Erlanger Studien zur Anglistik und Amerikanistik 8); ders.: »Der Glaube an die Sieben als synthetische Religion zwischen Apodiktik und Paraklese.« In: Markus May u. a. (Hg.): Die Welt von ›Game of Thrones‹. Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf George R. R. Martins ›Song of Ice and Fire‹. Bielefeld 2016, S. 141–156; Christoph Raedel: Faszination des Endes. Theologie und Fiktion in der ›Left-Behind‹-Buchreihe. Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen 2010.
- 12. Vgl. etwa, um nur Beispiele zu nennen, Clute u. Grant (Hg.): Encyclopedia of Fantasy (Anm. 2); Brian Stableford: Historical Dictionary of Fantasy Literature. Lanham u. a. 2005 (Historical Dictionaries of Literature and the Arts 5); Edward James u. Farah Mendlesohn (Hg.): The Cambridge Companion to Fantasy Literature. Cambridge 2012; Richard Brittnacher u. Markus May (Hg.): Phantastik. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart 2013.
- 13. Ebd.
- 14. Vgl. dazu Farah Mendlesohn: Rhetorics of Fantasy. Middletown 2008, S. XIII.
- 15. Vgl. Tzvetan Todorov: Einführung in die fantastische Literatur. Aus dem Französischen übersetzt v. Karin Kersten, Senta Metz u. Caroline Neubaur. München 1972, zu früheren Definitionsversuchen und ihrer Kritik vgl. nur Florian F. Marzin: Die phantastische Literatur. Eine Gattungsstudie. Frankfurt / M. u. a. 1982 (Europäische Hochschulschriften Reihe I 569) u. Uwe Durst: Theorie der phantastischen Literatur. Berlin 2007 (Literatur. Forschung und Wissenschaft 9).
- 16. Michael Scheffel: »Was ist Phantastik? Überlegungen zur Bestimmung eines literarischen Genres«. In: Nicola Hömke u. Manuel Baumbach (Hg.): Fremde Wirklichkeiten. Literarische Phantastik und antike Literatur. Heidelberg 2006, S. 1–18, hier S. 9. – Diese Formulierung stimmt überein mit der explizitesten analytischen Bestimmung von Hans Krah u. Marianne Wünsch: »Phantastisch/Phantastik« In: Karlheinz Barck u. a. (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe. Band 4: Medien – Populär. Stuttgart 2002, S. 798–814, hier S. 802, die auf älteren Arbeiten von Marianne Wünsch und Hans Krah beruht. Übereinstimmende Begriffsbestimmungen etwa bei Jan-Erik Antonsen: Poetik des Unmöglichen. Paderborn 2007 (Explicatio), S. 27 u. Sarah Faber: »Flights of Fancy, Secondary Worlds and Blank Slates: Relations between the Fantastic and the Real«. In: Ina Batzke u. a. (Hg.): Exploring the Fantastic. Genre, Ideology, and Popular Culture. Bielefeld 2018, S. 213–238, hier S. 214.
- 17. W[illiam] R[obert] Irwin: The Game of the Impossible. A Rhetoric of Fantasy. Urbana u. a. 1976, S. 9.
- 18. Diese Ansicht wird favorisiert etwa von Clute u. Grant (Hg.): Encyclopedia of Fantasy (Anm. 2), S. IX, James u. Mendlesohn (Hg.): The Cambridge Companion to Fantasy Literature (Anm. 12), S. 3 und Krah u. Wünsch: »Phantastisch/Phantastik« (Anm. 16), S. 808.
- 19. Vgl. dazu Stableford: Historical Dictionary of Fantasy Literature (Anm. 12), S. XL.
- 20. Ebd.
- 21. Ebd., S. XLIV.
- 22. Mendlesohn: Rhetorics of Fantasy (Anm. 14), S. XIII; vgl. auch James u. Mendlesohn (Hg.): The Cambridge Companion to Fantasy Literature (Anm. 12), S. 2.
- 23. Ebd. werden aufgeführt: Structuralism, Psychoanalysis, Political Readings, Modernism and Postmodernism, Thematic Criticism, The languages of the fantastic, Reading the series, Reading the slipstream.
- 24. Brian Attebery: »Structuralism«. In: Edward James u. Farah Mendlesohn (Hg.): The Cambridge Companion to Fantasy Literature. Cambridge 2012, S. 81–90.
- 25. Mendlesohn: Rhetorics of Fantasy (Anm. 14), S. XIV.
- 26. Ebd., S. XV. Die Begriffe finden sich in: Clute u. Grant (Hg.): Encyclopedia of Fantasy (Anm. 2); eine genauere Bestimmung findet sich dort S. 337–338.
- 27. Vgl. Valdimir Propp: Morphologie des Märchens. Hg. v. Karl Eimermacher. Aus dem Russischen v. Christel Wendt. Frankfurt / M. 1975 [1928].
- 28. Vgl. Joseph Campbell: Der Heros in tausend Gestalten. Aus dem Amerikanischen v. Karl Koehne. Frankfurt / M. 1953 [1949]. Die zwölf Stationen der Heldenreise nach Campbell: 1. Gewohnte Welt, 2. Ruf des Abenteuers, 3. Weigerung, 4. Begegnung mit dem Mentor, 5. Überschreiten der ersten Schwelle, 6. Bewährungsproben und Verbündete, 7. Vordringen in die tiefste Höhle (oder Unterweltsfahrt), 8. Entscheidende Prüfung, 9. Belohnung, 10. Rückweg, 11. Auferstehung, 12. Rückkehr mit dem Elixier.
- 29. Zur Quest-Struktur vgl. auch John H. Timmerman: »The Quest«. In: Wendy Mass u. Stuart P. Levine (Hg.): Fantasy. San Diego 2002, S. 98–104.
- 30. Vgl. dazu Irwin: The Game of the Impossible (Anm. 17), S. 8: »In short, to define a genre by its material or content alone is a mistake, and this mistake repeatedly occurs in discussion of Fantasy.«
- 31. Vgl. etwa bei Attebery: Strategies of Fantasy (Anm. 4), S. 126; Brittnacher u. May (Hg.): Phantastik (Anm. 12), S. 158; Helmut W. Pesch: »Science Fiction, Horror, Fantasy. Die modernen Genres der phantastischen Literatur«. In: Thomas Le Blanc u. Wilhelm Solms (Hg.): Phantastische Welten. Märchen. Mythen, Fantasy. Regensburg 1994, S. 131–164, hier S. 142.
- 32. Vgl. etwa Mendlesohn: Rhetorics of Fantasy (Anm. 14), S. 245.
- 33. Heinrich Kaulen: »Wunder und Wirklichkeit. Zur Definition, Funktionsvielfalt und Gattungsgeschichte der phantastischen Kinder- und Jugendliteratur«. In: JuLit, Zeitschrift des Arbeitskreises für Jugendliteratur 30 (2004), S. 12–20, hier S. 12; vgl. auch Gebbe: Funktionen populärer Fantasy-Literatur (Anm. 7), S. 131, der Fantasy als »Patchwork-Literatur« bezeichnet, in der »viele verschiedene Elemente aus anderen Texten aufgegriffen werden, welche ihrerseits wieder eine weit zurückreichende literarische Tradition haben.«
- 34. Irwin: The Game of the Impossible (Anm. 17), S. 182.
- 35. Nach: The Right Sort, David Mitchell’s Twitter short story. https://www.theguardian.com/books/2014/jul/14/the-right-sort-david-mitchells-twitter-short-story (zuletzt eingesehen am 5. September 2019).
- 36. »Eine Lakune ist ein kleiner, vor der Zeit geschützter Ort, an dem Kerzen ewig brennen und Körper nicht altern.« David Mitchell: Slade House. Roman. Aus dem Englischen v. Volker Oldenburg. Reinbek bei Hamburg 2018 [2015], S. 176. – Um die Anzahl der englischen Zitate im Beitrag nicht noch zu erhöhen, wird im Folgenden nach der deutschen Ausgabe zitiert.
- 37. Norah erklärt ihrem Bruder: »Der Modus funktioniert, vorausgesetzt, wir konservieren unsere Geburtskörper hier in der Lakune, bleiben immun gegen die Weltzeit und verankern unsere Seelen im Leben. Er funktioniert, vorausgesetzt, wir locken alle neun Jahre einen leichtgläubigen Begnadeten in die passende Beschwörung und laden die Lakune wieder auf.« Ebd., S. 82.
- 38. »Eingänge sind Chamäleons, Doc. Sie passen sich an«, erklärt Norah Grayer Dr. Marinus im letzten Kapitel (ebd., S. 201). Als Dr. Marinus vermutet, dass es sich bei der Eisentür um ein »Zeitportal« handelt, entgegnet Norah: »Nein, nein, das ist ein typischer Anfängerfehler. Der Einlass ist ein Portal in eine Beschwörung. In eine Realitätsblase« (ebd., S. 202).
- 39. Eine scheinbare Abweichung vom bislang befolgten Verfahren, die Kapitel durch die Opfer erzählen zu lassen – erst am Ende des Kapitels stellt sich heraus, dass Norah Grayer tatsächlich auch ein Opfer ist.
- 40. Ebd., S. 222.
- 41. Die Rolle Freddie Pinks, der neun Jahre im Koma gelegen und mehrfach psychiatrische Kliniken aufgesucht hat, wird von Mitchell mit beträchtlicher Ironie geschildert. Alle Nachforschungen, die Gordon Edwards und der Club für paranormale Phänomene auf Grund der Berichte des wahren Freddie Pink unternehmen, führen zu nichts, aber die Geschichte, die der falsche Freddie Pink alias Jonah Gray aus Eitelkeit über Norahs und sein Leben erzählt, führt über die Tonband-Aufzeichnung Freya Timms zur Katastrophe der Zwillinge. Das bestätigt Norah selbst: »Mit seinem großspurigen Auftritt als Freddie Pink und dem Katz-und-Maus-Spiel mit Freya Timms in meiner Fox-and-Hounds-Beschwörung hat der Dummkopf vor neuern Jahren den Ariadnefaden gesponnen, der Marinus ins Herz unseres Modus geführt hat« (ebd., S. 226).
- 42. Mit dem Namen der Figur des Dr. Marinus und der Frontstellung zwischen »Horologisten« und »Anachoreten« greift Mitchell auf den fünften Abschnitt (»An Horologist’s Labyrinth«) seines Romans The Bone Clocks. London 2014 zurück. Zuerst tauchte Marinus auf in David Mitchell: The Thousand Autumns of Jacob de Zoet. London 2010.
- 43. Mitchell: Slade House (Anm. 36), S. 233.
- 44. Ebd., S. 234.
- 45. Dieser Eindruck wird dadurch unterstützt, dass jede Folge in demselben Ambiente der Slade Alley beginnt und z. B. stets derselbe »Jogger mit schwarz-orangem Trainingsanzug« vorbeiläuft: Ebd., S. 8.
- 46. Freya Timm weiß nicht, dass sie ein »Interview with a Vampire« führt. Konzeption und Bedeutung des Interviews lassen vermuten, dass es sich um eine ironische Anspielung auf den Roman von Anne Rice: Interview with the Vampire. New York 1976 handelt.
- 47. Mitchell: Slade House (Anm. 36), S. 191.
- 48. Vgl. auch die Vorausdeutungen ebd., S. 37, 82, 140f.
- 49. Ebd., S. 22.
- 50. Weder beim Motiv der Vampire noch in der Gestaltung des Vampir-plots weicht Mitchell von den in der Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts überaus vielfältigen Ausgestaltungen deutlich ab. Als notwendiges Kriterium für das Vorliegen des Motivs gilt dasselbe, was Jeffrey Weinstock für den Vampir-Film feststellte: »In short, the only thing that absolutely defines a vampire film is the presence of an entity that either drinks blood or, more loosely, in some way ›drains‹ the life-force of someone or something else.« Jeffrey Weinstock: The Vampire Film. Undead Cinema. London 2012, S. 126.
- 51. »Eingänge sind Chamäleons, Doc. Sie passen sich an« erklärt Norah Grayer Dr. Marinus im letzten Kapitel. Mitchell: Slade House (Anm. 36), S. 201. Vgl. Anm. 38.
- 52. Ebd., S. 140 u. ö.
- 53. Zur Verweistechnik Mitchells auf die eigenen Romane vgl. Courtney Hopf: »The Stories We Tell. Discursive Identity Through Narrative Form in Cloud Atlas«. In: Sarah Dillon (Hg.): David Mitchell: Critical Essays. Canterbury 2011, S. 105–126, hier S. 106.
- 54. Mitchell: Slade House (Anm. 36), S. 31.
- 55. Stableford: Historical Dictionary of Fantasy Literature (Anm. 12), S. XLIV.
- 56. Zu Artefaktemotionen vgl. Ed. S. Tan: Emotion and the Structure of Narrative Film. Film as an Emotion Machine. Mahwah, New Jersey 1996, S. 65 u. Claudia Hillebrandt: Das emotionale Wirkungspotenzial von Erzähltexten: Mit Fallstudien zu Kafka, Perutz und Werfel. Berlin 2011 (Deutsche Literatur. Studien und Quellen 6), S. 134. – Über das Zusammenwirken von diegetischen mit Artefakt-Emotionen vgl. Merja Polvinen: »Affect and artifice in cognitive literary theory«. In: Journal of Literary Semantics 42.2 (2013), S. 165–180.
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