Digitales Journal für Philologie
Textpraxis # 2 (1.2011)
In unserer zweiten Ausgabe beschäftigt sich Frauke Bayer (Erlangen-Nürnberg) mit dem Fontane-Mythos in Ein weites Feld von Günter Grass, Jörg Schönert (Hamburg) legt eine Theorie der Satire vor und Jan Decker (Leipzig) erkundet in einem poetologischen Essay das literarische Schreiben.
Der Umgang einer Gesellschaft mit ihren klassischen Autoren sagt viel über deren Stellenwert im kulturellen Gedächtnis aus. Kollektiv verehrt und dabei missverstanden – zu diesem ernüchternden Resultat kommt Günter Grass kurz nach der Wende angesichts gesamtdeutsch praktizierter Formen einer Denkmalsetzung, die den Menschen hinter dem Autor negierten. Vor dem Hintergrund der Zuschreibung einer mythologisierenden Funktion von Literatur schafft Grass in seinem 1995 erschienenen Roman Ein weites Feld einen anderen Typus einer mythischen Verehrung: Unter Weiterentwicklung des von Thomas Mann entworfenen Postulats eines mythischen In-Spuren-Gehens gelingt es ihm, in der Gestalt des Fonty Leben und Werk Theodor Fontanes gleichermaßen zu spiegeln und den öffentlichen Gedächtniskulturen gegenüberzustellen.
Das entworfene Modell der literarischen Satire geht davon aus, dass satirische Kommunikation innerhalb der institutionalisierten Handlungen literarischer Kommunikation durch eine besondere Funktionalisierung von textuellem System und außertextuellen Bezügen gekennzeichnet ist, die für die Textstruktur Relevanz hat. Der Beitrag verfolgt dabei auch ein theorie- und fachgeschichtliches Ziel und dokumentiert, wie in den späten 1960er und im Laufe der 1970er Jahre in der deutschsprachigen Literaturwissenschaft für den Gegenstandsbereich ›Theorie und Geschichte der Satire‹ der Anschluss an die internationale Diskussion hergestellt wurde.
Der Prosaiker, Dramatiker und Hörspielautor Jan Decker reflektiert in diesem Essay über Bedingungen und Widerstände des literarischen Schreibens. Dabei geht es weniger um poetologische Verfahren als vielmehr um ein Hinterfragen der Bedingungen und Dispositionen, die einen Menschen dazu verleiten, einen literarischen Text dort entstehen zu lassen, wo sich ein Selbstempfinden und die Welt berühren. Ein Bogen wird gespannt, der über die Erotik und Körperlichkeit des Schreibakts hinweg letztlich dazu führt, die »Ursprungsneurose« als das zu pflegende Enigma des Autors zu erkennen.