Über Textpraxis
Christina
Riesenweber
Berlin

Einladung zum Mitdenken

10 Jahre »Textpraxis. Digitales Journal für Philologie«

Die erste Ausgabe von Textpraxis erschien im November 2010 und war das Ergebnis einer fast zweijährigen Planungsphase. Die sechsköpfige Redaktion bestand aus Nina Gawe, Till Huber, Innokentij Kreknin, Christoph Pflaumbaum, Matthias Schaffrick und mir, allesamt Doktorand*innen in der Graduate School Practices of Literature. Unser ursprünglicher Gedanke war, eine Zeitschrift zu gründen, die der GS PoL einen Ort zur Publikation und Diskussion gab, aber gleichzeitig auch ein Trainingsgelände für Nachwuchswissenschaftler*innen sein sollte, um das Zeitschriftenmachen zu lernen. Heute, 10 Jahre später, bin ich jedes Mal erstaunt, verwundert, hocherfreut und ein bisschen stolz, wenn sich zeigt, dass die Idee einer Redaktion, die durch die Generationen rotiert, nach wie vor Ergebnisse produziert.

Erstaunt bin ich deswegen, weil Textpraxis sich seit seiner Gründung nicht an den Regeln orientiert, wie eine erfolgreiche philologische Zeitschrift traditionellerweise aussehen sollte. Textpraxis agiert als »scholar-led« Zeitschrift ohne Verlagsanbindung. Textpraxis verzichtet auf das Ausflaggen altbekannter Namen im Herausgebergremium. Und Textpraxis wird nicht auf Papier gedruckt. Diese Entscheidungen haben wir während der Konzeptentwicklung nicht aus Trotz oder Pioniergeist getroffen. Wir wollten eine Zeitschrift gründen, die in ihrem Format unsere Ziele unterstützen kann: Sichtbarkeit für die Forschung rund um die Themen der GS PoL und inspirierender Austausch zwischen Wissenschaftler*innen verschiedener Erfahrungsstufen in einem Format, das bezahlbar und ästhetisch ansprechend ist. Der beste Weg zur Erreichung all dieser Ziele führte zum Konzept, das Textpraxis zu einem Vorreiter machte und immer noch als best practice referenziert werden kann: Eine frei zugängliche, digitale Publikation, in der Dialog und Austausch das Ziel sind, dem Technik und Formalia nachgeordnet angepasst werden.

Erst durch die Ausarbeitung dieses Konzepts sind wir damals wirklich auf das Open-Access-Prinzip aufmerksam geworden, und haben uns in einem Learning-by-Doing-Modus durch die Herausforderungen gearbeitet. Und natürlichgab es viele Lernchancen: Offene Lizensierung, Langzeitarchivierung und dauerhafte Verfügbarkeit waren Themen, die erst im Laufe der Zeit bearbeitet wurden und Textpraxis nach und nach auch technisch zu einer beispielhaften Unternehmung werden ließen. Viele der innovativen Elemente, die Textpraxis vor zehn Jahren bereits verwendet hat, gehören mittlerweile im Feld der Open-Access-Zeitschriften zum Standard und markieren das Digitale Journal für Philologie als Pionier und Vorreiter.

Eine Besonderheit allerdings hat Textpraxis, die eine Bereicherung für viele andere Publikationsprojekte darstellen würde, aber alles andere als weit verbreitet ist. Textpraxis vertraut darauf, aktive und engagierte Nachwuchswissenschaftler*innen für Redaktion und Herausgabe einzubinden, so dass Arbeitsaufwand und Wertschätzung zusammenfallen. Das Heft ist in jeder Hinsicht ein kollektives Unterfangen. Jede neue Ausgabe zeigt, dass die mittlerweile vierzig Redakteur*innen und Redakteure erfolgreich ihr Wissen teilen und den Staffelstab des Digitalen Journals für Philologie von Jahrgang zu Jahrgang weiterreichen. Das ist in meinen Augen die wirkliche Stärke von Textpraxis: Durch das grundlegende Konzept der gemeinschaftlichen Arbeit und des offenen Dialogs wird in einer akademischen Arbeits- und Denkwelt, für die persönliche und allein errungene Erfolge den Regelfall und den Maßstab darstellen, ein praktischer Raum geöffnet, in dem die philologische Arbeit gemeinsam unternommen werden kann. Falls Ihnen und Euch dieser Geist gelegentlich abhandenkommt, empfehle ich zur Erfrischung die Lektüre des Editorials von Textpraxis #1. Diese offene Grundhaltung, bereichert durch die Erfahrungen der ersten zehn Jahre und die guten Ideen von bislang vierzig klugen Köpfe werden mit Sicherheit dazu beitragen, dass Textpraxis auch im nächsten Jahrzehnt für frischen Wind unter den philologischen Publikationen sorgt.

 

Dr. Christina Riesenweber ist Mit-Erfinderin von Textpraxis und war Doktorandin des ersten Jahrgangs der Graduate School Practices of Literature. Nach Arbeiten als Redakteurin und Lektorin für wissenschaftliche Zeitschriften und Bücher ist sie seit 2015 an der Freien Universität Berlin tätig, wo sie die Themen Open Access, Open Science und Organisationsentwicklung für die Universitätsbibliothek bearbeitet. Am besten zu erreichen ist sie über Twitter @c_riesen, weitere Kontaktdaten sind hier zu finden: https://www.fu-berlin.de/sites/ub/ueber-uns/team/riesenweber/index.html

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