Digitales Journal für Philologie
Wenn Schatten spotten
In einem Text aus dem zweiten Jahrhundert herrscht ein reger Verkehr zwischen dem Reich der Toten und dem der Lebenden. Eine Figur namens Diogenes ent-sendet Polydeukes aus dem Totenreich mit folgendem gutgemeinten Rat hinauf zu Menipp in die Oberwelt:
αύτόν, δτι σοί, ώ Μένιππε, κελεύει ό Διογένης, εί σοι ίκανώς τά ϋττέρ γης καταγεγέλασται, ήκειν ένθάδε πολλω πλείω έπιγελασόμενον έκεϊ μέν γάρ έν άμφιβόλω σοι ἔτι ό γέλως ήν ένταΰθα δέ ού παύση βεβαίας γέλών καθάπερ έγώ νῦν, και μάλιστα έπειδάν όρας τούς πλουσίους καϊ σατράπας και τυράννους ούτω ταπεινούς και άσήμους,
Menipp, Diogenes befiehlt dir, wenn du die irdischen Dinge genug verlacht hast, hierher zu kommen, wo du noch viel mehr lachen sollst. Denn dort mochte dir oft ein Zweifel an der Berechtigung deines Lachens kommen […] hier aber wirst du nicht aufhören, beständig zu lachen so wie ich jetzt und am meisten, wann du siehst, wie klein und unscheinbar die Reichen, die Satrapen und die Tyrannen sind […].1
Verkehrte Welt im Totenreich – wo es eigentlich nichts mehr zu lachen gibt, scheint das Lachen kein Ende zu nehmen. Der eröffnende Redebeitrag im ersten nekrikoí diálogos des Satirikers Lukian von Samasota (um 165 n. Chr.) hat programmatischen Charakter und eröffnet den vorliegenden Beitrag zum äußerst einflussreichen und bis ins 18. Jahrhundert wirkmächtigen Genre des Totengesprächs.2 In der Unterwelt werden die irdischen Zustände von Toten verlacht, die Lebenden verspottet, karikiert, getadelt. Tote Figuren sind hier alles andere als verstummt: Entrückt in die Unterwelt nehmen die Schatten kein Blatt vor den Mund und können den Lebenden die Leviten lesen. Thematisch reicht das Spektrum, über das sprechende Tote oftmals in scharfzüngiger Wechselrede diskutieren, von Herrschaftskritik und Personalsatire, Kirchen- und Glaubensstreit, philosophische Debatten, Kriminalitätsdarstellungen und Literaturkritik bis hin zur kritischen Reflexion zeitgenössischer Moral- und Geschlechtervorstellungen.
Ebendiese thematische Offenheit, die Wandlungsfähigkeit der dialogischen Grundform und die Adressierung eines unterschiedlich gebildeten Publikums führte der Lexikoneintrag im Reallexikon deutscher Literaturgeschichte von 1925 noch als Argumente für eine vermeintlich geringe literarische Qualität des Totengesprächs an. Es sei eine »Abart des Dialogs«, ein »Seitentrieb[]«, der zwar mit der hohen Literatur auf vielerlei Weise »verkettet«, jedoch insgesamt eine »in Plattheit und Niedrigkeit versunkene Gattung« sei und zum Teil sogar ganz der »Schundliteratur« zugerechnet werden müsse.3 Neuere Handbuchbeiträge formulieren ihre Kritik zwar zurückhaltender, die Bewertung der Literarizität bleibt jedoch ein Aspekt der Diskussion4 und als literarisch wertvoll wird das Totengespräch nur in den Eigenschöpfungen von kanonischen Autoren, namentlich Wieland und Goethe, erachtet. Aus meiner medienliteraturgeschichtlichen Perspektive, die Literatur als Kommunikationssystem begreift, erhält das Genre ›Totengespräch‹ hingegen besondere Wertigkeit, da, so meine These, seine Varianz in Form und Medialität in funktionaler Hinsicht äußerst unterschiedliche, gesellschaftsrelevante Kommunikationsräume bereitstellt. Dies zeige ich in meinem Beitrag, indem ich im ersten Teil das gattungsbegründende Modell durch Lukian stichpunktartig darstelle und im zweiten Teil knapp ausführe, wie die Lukianische Form durch den Humanisten Ulrich von Hutten für eine bissige Personalsatire und Herrschaftskritik aktualisiert und modernisiert wird. Der dritte Teil fokussiert auf den Buntschriftsteller David Fassmann, der wie kein anderer das Totengespräch im frühaufklärerischen deutschsprachigen Kontext formal so modelliert und popularisiert, dass es als bildungspolitisches Medium zu begreifen ist. Von Hutten und Fassmann betrachte ich als zwei Beispiele innerhalb des Makroraums ›Frühe Neuzeit‹. Ich spreche also nicht von einem festen Gattungsraum oder einer Entwicklung, sondern wähle die beiden Beispiele aus systematischen Gründen, um die formale Variabilität, das Funktionsspekt-rum und die medienspezifischen Kommunikationsräume eines Genres zu beleuchten, das Öffentlichkeit generieren will, indem dem Diskurs der Lebenden eine andere Sprechhandlung entgegensetzt wird. Was aus meiner Sicht die Attraktivität des Totengesprächs ausmacht, ist das Zusammenspiel von spezifi-schen gattungspoetologischen Charakteristiken und einer Varianz in Form und medialer Vermittlung.
Bellende Tote: Lukian als ›Gattungsarcheget‹ der nekrikoí diálogoi
Mit dem Bezug auf den Kyniker Menippos, der, so das einführende Zitat, eingeladen ist, die Torheiten der Welt im Totenreich zu verlachen, setzte der griechische Autor Lukian neue Maßstäbe innerhalb der satirischen Dichtung. Lukian wird nach einer gescheiterten Karriere als Steinmetz in griechischer Literatur und Rhetorik unterwiesen und ist während seiner Reisen durch das römische Imperium als Gerichtsredner tätig. In Athen lässt er sich im Alter von etwa 40 Jahren als freier Schriftsteller nieder. Er verfasst literaturhistorische und -kritische Abhandlungen, gesellschaftskritische Sendschreiben, fantastische Erzählungen und satirische Dialoge. Durch die Nennung von Menipp (zu Gadara, 1. Hälfte des 3. Jhr.s. v. Chr.) nimmt Lukian Bezug auf den Kyniker5 und Namensgeber der Menippeischen Satire. Menipposʼ Schriften selbst sind verschollen; Lukian stellt sich durch die intertextuelle Referenz explizit in dessen Nachfolge. Wie sehr er diesen nachahmt oder aber eine eigene Gattungstradition begründet, wurde von der älteren Forschung kritisch diskutiert, wie Manuel Baumbach zusammenfasst:
Man hat Lukian […] wiederholt unterstellt, bei den Dialogi Mortuorum (wie überhaupt bei der Mehrzahl seiner Werke) aus den verlorenen Schriften Menipps von Gadara geschöpft und aus diesen seine scheinbar originellen Ideen gewonnen zu haben, eine These, die vor allem im ausgehenden 19. Jahrhundert aus dem Vorurteil gegenüber der späten und daher als epigonenhaft empfundenen griechischen Literatur der Kaiserzeit entwickelt und mit Hilfe der Quellenforschung ›bewiesen‹ wurde. Heute sind jedoch gerade die Dialogi Mortuorum als besonders wichtige Eigenschöpfung Lukians anerkannt […].6
›Satire‹ muss hier als Traditionszusammenhang von der Spätantike bis zur Neuzeit verstanden werden, wobei zwei Hauptbezüge zu nennen sind. Das ist zum einen die römische Verssatire von Horaz, Persius und Juvenal und zum anderen eben die menippeische Satire als Mischung von gebundener und ungebundener Rede. Die Signatur des Menippeischen kann dabei folgendermaßen skizziert werden: Sie beinhaltet die Subversion philosophischer Systeme und ist offen in der Suche nach Alternativen, bemüht einen unernsten Modus, stellt Verbindlichkeiten und Autoritäten herrschender Diskurse und zugrunde liegender Nor-men in satirischer Rede bzw. in der Verkehrung in Frage und zeichnet sich durch eine Stilmischung7, Mehrdeutigkeit und eine polyphone Erzählstimme aus, die den neuzeitlichen Schelmenroman beeinflusst.8 Neben Lukians Schriften ist Senecas Apocolocyntosis, Petrons Satyricon und Apuleiusʼ Goldener Esel der menippeischen Satire zuzuordnen. Bemerkenswert ist nun aber, dass es in der Antike keine Gattungspoetik der menippeischen Satire gibt. Sie wird von den Humanisten erst erfunden, indem diese ein Referenzkorpus konstruieren. Jene spezifische Form des satirischen Dialogs, auf die sich die humanistischen und aufklärerischen Verfasser der Totengespräche transformierend beziehen, ist eine Abwendung vom Dialog nach platonischem Muster, der der Erörterung ernster, philosophischer Themen gewidmet ist. In seiner dialogischen Schrift Bis Accusatus9 nutzt Lukian die rhetorische Figur der sermocinatio10, um die Rede eines Abstraktums lesbar zu machen. Lukian stilisiert sich gekonnt in diesem Werk selbst, indem er den personifizierten Dialog Anklage gegen sich, Lukian, erheben lässt, da er ihm anstelle der tragischen die komische, satirische Maske aufgesetzt habe und das gemeine Volk adressiere. Jene Wendung des Dialogs ins Komische legt den Grundstein für die nekrikoí diálogoi, für die Lukian – nachträglich – geschätzt wird:
Das bedeutendste Nachleben […] hatten die Totengespräche, in denen mehr oder weniger berühmte Tote (Philosophen, Herrscher, homerische Helden, aber auch Reiche und Erbschleicher) miteinander sprechen und der Tenor immer wieder die Vergänglichkeit und damit Nichtigkeit menschlicher Prätentionen ist, eine kynische Thematik wie in den menippeischen Satiren […].11
Aufgrund seiner bissigen Äußerungen polarisierte er allerdings zunächst: »Man las ihn oder setzte ihn auf den Index, hob ihn in den Olymp oder ließ ihn in der Hölle schmoren«12, so der Lukian-Forscher Baumbach.
Aus der Hölle bzw. dem Hades lässt es sich allerdings hervorragend spotten. Die 30 kurzen Gesprächsszenen, welche die nekrikoí diálogoi ausmachen, lassen in der antiken Unterwelt zwei oder mehr tote historische oder mythologische Figuren in sarkastischer Wechselrede Kritik an den Vergänglichkeiten des irdischen Lebens üben. Die Aufhebung zeitlicher, räumlicher und kultureller Grenzen an einem extramundanen Schauplatz ist dabei in funktionaler Hinsicht das wichtigste Merkmal: Auf diese Weise können Figuren aus ganz unterschiedlichen Kultur- und Sprachräumen sowie Angehörige verschiedener Generationen und gesellschaftlicher Zugehörigkeit zusammenkommen und über ein Thema streiten. Die Unterwelt ist ein fiktionaler Raum der Einhegung von Differenz, ungeachtet dessen, ob ein König, Feldherr, Soldat oder Athlet auftritt. Bevor die typisierten Figuren in Charons Nachen steigen, müssen sie ablegen, was sie auf Erden qualifiziert. Die Gleichheit der Toten unabhängig von ihrer sozialen Position zu Lebzeiten ist eine gattungskonstitutive Komponente. Lukian nutzt Ironie und Sarkasmus: Menippos etwa versteht beim Anblick von Helenas Totenschädel endlich, warum deren Schönheit zu so vielen Kriegstoten geführt habe. Der Topos mundus inversus steht im Zeichen von Demaskierung und Depotenzierung von Autoritäten und der Kritik an irdischen Glückvorstellungen und Bestrebungen wie Ruhm, Macht, Reichtum oder Eitelkeit.
Ich springe mit meinem ersten Beispiel ins 16. Jahrhundert, in die Hochzeit der Lukian-Rezeption durch die Humanisten. Die griechischen Texte von Lukian wurden zunächst ins Lateinische und dann ins Deutsche übersetzt und erlangten so Volkstümlichkeit. Mit der gattungshybriden Form, der Mischung aus philosophischem Dialog und komisch-satirischem Stil in Prosa, konnte ein größeres Publikum angesprochen werden als mit der römischen Verssatire. An das Lukianische Grundschema knüpft das folgende Beispiel eines frühneuzeitlichen Totengesprächs an und geht im Sinne der aemulatio darüber hinaus, indem nicht nur allgemein menschliche Laster – Machtstreben – getadelt werden, sondern das individuelle Fehlverhalten einer historischen Person öffentlich angeprangert wird. Ulrich von Hutten nennt Lukian in der Vorrede seines Totengesprächs explizit:
Dann ein eigene Art und Gewohnheit haben die Alten gehabt, daß, wann sie den großen Fürsten ihr Schand und Ubeltat nit haben offentlich dorfen vorwerfen, haben sie das in einen Schimpf gemenget, auf daß solichs dester lieblicher und lüstiger zu lesen sei, […]. In der Schar solicher Lehrer und Dichter ist ein Häupt und Fürst gewest Lucianus […]. Dann er hat die anderen alle mit seinen Dialogen und Schimpfgedichten weit ubertroffen. Darum pflegt ihm der vom Hutten denselbigen bevor zu haben und folget ihm nach uberzufahren in diesem Büchlein.13
Von Huttens intertextuelle Referenz auf Lukian, welcher zwei satirische Phalaris-Reden verfasst hat, auf die von Hutten in Form eines Dialogs ›antwortet‹, besticht in zweifacher Hinsicht: Der Humanist besiegelt zum einen die eigene Qualität durch den Bezug auf den Griechen und geht zum anderen über diesen durch die innovative dialogische Literaturform zum Zweck ›verdeckter‹ Herrschaftskritik hinaus.
Personalsatire und politische Kampfschrift: Ulrich von Huttens Totengespräch Phalarismus
Ulrich von Hutten (1488–1523) gilt als Begründer des satirischen Dialogs im Dienst der Reformation. Wie Erasmus von Rotterdam bringt er damit einen Zeitbezug in die Totengespräche, der kurz skizziert sei: Erasmusʼ Totengespräch Charon, das in den Dialogen Colloquia familiaria (1518) erschien, ist ein Seitenhieb auf den habgierigen Klerus und funktionalisiert den Topos der ›ver-kehrten Welt‹ religionskritisch: In der Unterwelt entpuppen sich Angehörige des Klerus als ›falsche‹ Heilige und ›richtige‹ Heiden. Aufgrund der zahlreichen Ketzerprozesse brennen bald so viele Scheiterhaufen, dass der Holznachschub ausgeht. So muss Charon das Holz für seinen schiffbrüchigen Nachen in der Oberwelt kaufen.14 Das satirische Sprechen läuft hier über das Prinzip der Verkehrung in der Verbindung mit dem Raum: Im heidnischen Totenreich bekommen die ›richtigen‹ Sünder – aus reformatorischer Sicht – die gerechte Strafe. Bemerkenswert ist, dass die irdische Welt und das Totenreich durch eine mobile, zwischen den beiden Räumen vermittelnde Figur einander berühren. Charon fungiert als mediale bzw. vermittelnde sowie grenzüberschreitende Figur. Diese spezifische Funktion des ›Übersetzers‹ Charon gilt auch für das nun im Fokus stehende Totengespräch, das ich aufgrund seiner spezifischen Kommunikationsstrategie untersuche. Das satirische Sprechen ist dort kein uneigentliches Sprechen, sondern explizit aggressiv und normverletzend, und wird durch die Verspottung eines lebenden Gegners verschärft. Der verbale Angriff richtet sich nicht länger ›nur‹ auf einen Stand (Adel, Klerus), sondern wird direkt und unverschleiert personalisiert. Auf diese Weise öffnet von Hutten das Genre ›Totengespräch‹ für die Personalsatire.
Der Fährmann im Totengespräch Phalarismus, das 1517 in lateinischer und 1521 in deutscher Sprache15erschien, ist überrascht, weil Merkur ihm keinen Verstorbenen, sondern einen lebendigen Menschen, lediglich auf Besuch, bringt. Laut Merkur soll diesem wunderlichen »Tyrannen aus teutzschen Landen«16 die Möglichkeit gegeben werden, sich mit seinem Lehrmeister, dem Phalaris, zu unterhalten. Der historische Phalaris beherrschte im 6. Jh. v. Chr. eine griechische Kolonie auf Sizilien und lieferte bereits ein Jahrhundert später Argumente für die Tyrannentopik. In einem eisernen Stier ließ er seine politischen Gegner rösten, bis deren Todesschreie wie das Brüllen eines Stiers klangen, so die Legende.17 Vor dem Einsatz des eigentlichen Dialogs zwischen Phalaris und dem Tyrannen wird letzterer mittels einer burlesken Szene eingeführt: Weil der Tyrann so schwer ist, neigt sich das Boot bedrohlich zur Seite und der empörte Besucher ist aufgefordert, selbst zu den Rudern zu greifen, damit sich der Nachen überhaupt bewegt. Im Beiseite-Gespräch von Merkur und Charon wird durch das Auslegen von Indizien die historisch verbürgte Identität des Deutschen entdeckt: Zuvor hatte Charon einen jungen Edelmann ins Totenreich befördert, der zu Lebzeiten an einem Hof gedient habe und von seinem eigenen Herrn getötet worden sei. Bei dem Edelmann handelt es sich um Ulrich von Huttens Verwandten Hans von Hutten. Er hatte als Rittmeister am Hof des Herzogs Ulrich von Württemberg gedient und war aus gekränkter Eifersucht von der eigenen Hand des Herzogs am 7. Mai 1515 in heimtückischer und grausamer Weise ermordet worden.18
Anders als bei Lukian kann der medienspezifische Kommunikationsraum dieses Totengesprächs genauer bestimmt werden (vgl. Abb. 1). Der Holzschnitt des Phalarismus-Drucks von 1517 in lateinischer Sprache zeigt nicht etwa die mythologische Figur, sondern entwirft eine Szene, die mit der Schilderung des realen Gewaltakts korrespondiert. Das Delikt war zum Veröffentlichungszeitpunkt des Totengesprächs längst bekannt, denn von Hutten hatte bereits zwei Invektiven gegen den Herzog geschrieben und an Kaiser, Fürsten und Freunde geschickt. Die fünf Reden und der Phalaris wurden in Latein zusammen mit anderen Texten als sog. Steckelberger Sammlung im Jahr 1519 gedruckt. Burg Steckelberg war im Besitz des Geschlechts der von Hutten und ist somit ein fingierter Druckort. Die Darstellung des Gewaltakts auf dem Holzschnitt von Hans Weidlitz ermöglichte die Informationsvergabe hingegen auch an Rezipienten, die illiterat waren. Somit dient das visuelle Medium hier als Zeitbezug.
Obwohl der ›Fall‹ also bereits in der Welt war – der Oberwelt – diskutiert von Hutten ihn erneut in Form eines Totengesprächs. Warum tut er das? Von Hutten gewinnt dadurch in mehrfacher Hinsicht: Er reflektiert mittels des Genres ›Totengespräch‹ über die Strategie der Bekanntgabe; er verstärkt seine publizistische Kampagne gegen den Herzog und appelliert an die politische Öffentlichkeit, namentlich an Kaiser Maximilian, endlich entschieden und juristisch gegen den Herzog vorzugehen. Er kämpft mit dem Mittel des literarischen Schrifttums und nutzt unterschiedliche literarisch-mediale Formate für sein Anliegen. Im Gegensatz zu einer Schmährede bzw. den bereits praktizierten Invektiven kommen im dialogisch strukturierten Totengespräch mehrere Figuren zu Wort, sodass die Möglichkeit zu einer – vermeintlich – objektiveren Darstellung gegeben ist. Von Hutten lässt über die Figur der eidolopoeie19 den schwäbischen Herzog selbst über den Mordfall sprechen. Bemerkenswert ist dessen lustvolle Schilderung des Mordes, der als Übertötung eingeschätzt werden kann. Von Hutten entwirft demnach eine fiktive Figur im Sinne des argumentum, die über ihre eigene Widerwärtigkeit mit Genuss erzählt und gibt sie auf diese Weise der moralischen und juristischen Beurteilung durch die Rezipienten preis. Die Verlegung ins Totenreich bedeutet außerdem, den Herzog durch die Waffe der Schrift sterben zu lassen, ihn aber gerade nicht mundtot zu machen. Den größten Anteil des Gesprächs hat signifikanterweise der Austausch der beiden Tyrannenfiguren über Foltermethoden, der nicht vorenthalten werden sollte. Ich zitiere aus der von Hutten selbst zugeschriebenen Übersetzung ins Deutsche im Jahr 1521, die im Übrigen mit dem bereits genannten Titelkupfer arbeitet:
Ph[alaris]: Du magst auch einen, der also geschunden ist, mit Eschen beißen.
T[yrann]: O Tyrannei, was Lustes von Martern lehrestu mich do!
Ph: Magst sie auch mit Essig gießen.
T: Würd lustig sein.
Ph: Oder mit Nesselen reiben.
T: Das ist freilich ein süße Marter anzusehen.
Ph: Vielen Menschen salltu Händ und Füeß abhauen, darnach sie lassen leben, ob sie schon lieber tot wären. Etzlichen die Augen ausstechen, andern die Ohren abschneiden und Nasen, die Zähn mit Zangen ausbrechen oder die Zungen ausreißen.
T: Solicher Stück hab ich schon gereid [bereits] etzlich geübt, so pflag ich das Hirßhorn [Geweih], meines Woppens Zeichen, etzlichen in die Backen zu brennen.20
Hier kann einem buchstäblich das Lachen im Halse stecken bleiben. Der lebende Schwabe hat sich bereits in die Geschichte der Tyrannei eingeschrieben: Er brandmarkt Widersacher mit dem Zeichen seines Herrschergeschlechts. Mit dem Meuchelmord Herzog Ulrichs an seinem einstigen Rittmeister Hans von Hutten übertrifft diese Tyrannenfigur alles, was dem topischen Phalaris an grausamen Mitteln bekannt ist, und kehrt das Verhältnis von Mentor und Mentee um:
›Ph: Eine soliche Tat hab ich nie getan oder zu tun gedacht, dann allweg pflag ich zu töten diejenigen, die mir anbracht worden […]. Und derhalben gib ich dir etwas zuvor und weich dir in der Tyrannei, als ein alter Tyrann einem jungen. Sage, du bist sehr zu loben, umb daß du bisher soliche Sachen betrieben hast, die aller andern Tyrannen Werke zurückwerfen und ubertreffen.‹21
Dringlicher kann der öffentliche Appell, gegen den lebenden Herzog Ulrich juristisch vorzugehen, nicht ausgedrückt werden: Der topische Phalaris erkennt den Deutschen als frühneuzeitlichen Despoten an und schickt ihn wieder zurück auf die Erde. In der Überbietung der Gräueltaten aller historischen Tyrannen spricht sich eine radikale Warnung vor der realen Gefahr einer Gewaltherrschaft aus. Im Gewand des Totengesprächs überstellt von Hutten die private Fehde22 an die Öffentlichkeit und stilisiert sie gekonnt zu einer Angelegenheit von nationalem Interesse. Ich möchte dieses Beispiel satiretheoretisch mit Jürgen Brummack als »ästhetisch sozialisierte Aggression« begreifen, da alle drei konstitutiven Dimensionen der Satire, so wie sie Brummack denkt, gegeben sind, nämlich der individuelle Affekt der Aggression, die soziale Wirkung sowie die ›Übersetzung‹ in ästhetische Zeichen.23
Sowohl Lukians nekrikoí diálogoi als auch von Huttens Totengespräch zeichnen sich klar durch eine satirische Sprechhaltung aus, die auf Angriff zielt. Das ändert sich in meinem zweiten Beispiel. Dafür begebe mich in das beginnende 18. Jahrhundert.
Totengespräche als periodisches Medium politischer Bildung in der Frühaufklärung: David Fassmanns Gespräche im Reiche derer Todten (1718–1739)
In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist eine formale und thematische Ausdifferenzierung sowie eine funktionale Vielfältigkeit und vor allem eine Publikationsflut von Totengesprächen zu beobachten.24 Für die Verbreitung und Variation einer bis dahin vor allem im Gelehrtendiskurs beliebten Gattung ist insbesondere für den deutschen Kontext ein Periodikum des Poikilographen David Fassmann verantwortlich.25 Fassmann (1683–1744) wurde in Latein, Englisch und Französisch unterrichtet, war als Sekretär und Schreiber verschiedener Gesandtschaften und Kanzleien tätig und begleitete den Neffen des englischen Großkanzlers auf Reisen nach England, Irland, Frankreich, Italien und in die Niederlande. In Leipzig studierte er ab 1717 Jura, Philosophie und Geschichte und begann seine Publikationstätigkeit. Von 1726 bis 1731 war er ›Zeitungsreferent‹ am preußischen Hof Friedrich Wilhelms I. in Berlin.26 Man kann also sagen, dass Fassmann Experte im Bereich Presse und Öffentlichkeit war. Dass unter seiner Feder das Genre ›Totengespräch‹ popularisiert wurde, liegt in erster Linie an der Publikationsform: Fassmann hat nicht etwa einzelne Totengespräche verfasst, sondern überführt das dialogische Genre in ein als seriell konzipiertes Periodikum und schreibt sich damit in das frühaufklärerische Zeitschriftenwesen ein.27 Die historisch-politische Zeitschrift Gespräche im Reiche derer Todten, die er anonym zwischen 1718 und 1739 in insgesamt 240 Nummern, ›Entrevuen‹ genannt, in Leipzig, zuerst bei Cörner, später bei Deer, herausgegeben hat, enthält ausschließlich Totengespräche.28 Von den in geringer Anzahl vorliegenden Forschungsbeiträgen zu Fassmann wird das Periodikum in Bezug auf den Zeitschriftendiskurs unterschiedlich gewertet; die historische Wissensvermittlung steht gegenüber der moralischen Erziehung in jedem Fall im Vordergrund, sodass Fassmanns Totengespräche nicht im engeren Sinn als moralische Wochenschriften einzuordnen sind. Deutlich fiel die Geringschätzung bei den gelehrten Zeitgenossen aus. Johann Christoph Gottsched hatte die Dialogue des Morts von Fontenelle übersetzt und so für deren Verbreitung im deutschsprachigen Raum gesorgt. Der Professor für Rhetorik und Poetik spricht sich erwartungsgemäß klar für das französische Vorbild aus, lobt dessen brevitas, den geistreichen Witz, die moralphilosophische Unterweisung und die Adressierung eines gelehrten Publikums. Er nennt den Verfasser der Gespräche im Reiche derer Todten spöttisch einen Scribenten und platziert seine Literaturkritik in einem Beitrag der Vernünftigen Tadlerinnen. Auf diese Weise differenziert er Fassmanns Periodikum von den moralischen Wochenschriften und setzt es herab.29 Fassmann bezieht sich in der Valetrede seines letzten Bands ebenfalls auf Fontenelle, hebt als Unterschied den moralisierenden Charakter des Franzosen hervor und akzentuiert die unterhaltende Geschichtsvermittlung der eigenen Totengespräche – er nimmt somit eine Umwertung der Kritik durch Gottsched vor.
Der von Gottsched sogenannte Schreiberling, der selbst den Vergleich mit Fontenelle nicht scheut, wusste allerdings offenbar mit seinem Schreiben und seinem Stil eine breite Öffentlichkeit anzusprechen. Die 240 Hefte der Zeitschrift wurden zu 15 Bänden von jeweils etwa 1200 Seiten zusammengefasst, mit einem Register versehen und beanspruchen damit neben der informativen und unterhaltenden auch noch eine enzyklopädische Funktion. Das Journal war äußerst populär und auch in kommerzieller Hinsicht – 1000 Reichstaler pro Jahr30 – erfolgreich, darauf weist neben dem langen Publikationszeitraum und unzähligen Nachahmungen die Auflage hin: Eine Entrevue erreichte eine Auflage von 3000 Stück; einige Nummern hatten bis zu fünf Auflagen. Primäres Anliegen Fassmanns ist die unterhaltende Vermittlung politisch-historischen Wissens durchaus unter Verwendung von humorvollen, scherzhaften Schreibweisen, nicht aber der satirische Angriff, wie er von Lukian oder aus den Kreisen der humanistischen Gelehrten bekannt ist. Im Vorbericht zur 1. Entrevue heißt es, er werde Personen zusammenstellen, »welche in der Welt einen hohen Rang gehabt / derer Historie wichtig und merckwürdig / und die von dem Lauf derer Zeiten gute Nachricht haben / und davon am besten zu urteilen wissen.«31 Drei Hauptmerkmale begründen die innovative Form des Totengesprächs von Fassmann: Die dialogische Form wird narrativiert, der Fiktionsvorbehalt wird durch eine kommunikative Vermittlerfigur gebrochen und ein breites stilistisches Register adressiert ein unterschiedlich gebildetes Publikum.
Exemplarisch zeige ich die gattungspoetologischen und medialen Komponenten an der Nr. 4 mit einem Umfang von 89 Seiten, die zu Beginn des Jahres 1719 erschienen ist. Es handelt sich um Gespräche In dem Reiche derer Todten, Vierdte Entrevuë, Zwischen Elisabetha, Königin von Engeland, Und Christina, Königin in Schweden: Worinnen die Historie, Intriguen und Politic dieser beyden Princeßinnen, und folglich die Enthauptung der Schottländischen Königin Mariæ, […] Nebst dem Kern derer neuesten Merckwürdigkeiten, und darüber gemachten curieusen Reflexionen, Wobey insonderheit Von der Succession, und jetzigen Zustand des Königreichs Schweden eine ausführliche Nachricht gegeben wird.32
Hier treffen zwei Regentinnen aus der ferneren und näheren Geschichte, Elisabeth I. von England (1533–1603) und Christina von Schweden (1632–1654), im Totenreich aufeinander. Ich wähle diese vierte Entrevue aus, da sie ein geschlechterspezifisches Thema adressiert und, damit zusammenhängend, eine intermediale Forschungsperspektive hinsichtlich des Dramas und der Gattungspoetik zur Tragödie und Komödie eröffnet: Es geht um weibliche Regentschaft bzw. Berufstätigkeit im Verhältnis zum Ehe- und Familienleben. In der frühen Neuzeit ist weibliche Regentschaft bekanntlich nicht ungewöhnlich,33 bemerkenswert ist an Fassmanns Totengespräch jedoch, wie über weibliche Macht gesprochen wird. Um 1720 wirken die poetologischen Normen der französischen Klassik in Bezug auf literarisch-ästhetische Produktionen primär in der Dramatik noch nach. Die doctrine classique mit der Vorgabe der vraisemblance und der bienséance gibt dem Postulat der Wahrscheinlichkeit vor der Wahrheit den Vorzug und verbannt alles explizit Körperliche durch die Mauerschau von der Bühne.34 In Fassmanns Totengespräch hingegen dürfen sich die beiden Königinnen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, über Liebesdinge unterhalten. Das ist in Deutschland erst, weiterhin im Rahmen sittlicher Tugendvorstellungen, im bürgerlichen Trauerspiel möglich.35
Diskutiert wird die Problematik eines öffentlichen Liebeslebens als Monarchin, jedoch weniger in Form einer rhetorisch ausgefeilten Kontroverse. Vielmehr führt eine auktoriale Erzählinstanz in die szenische Gesprächssituation ein und lässt die Königinnen in einer Orangerie im Totenreich aufeinandertreffen. Die Gesprächsanteile der jeweiligen Figur umfassen mehrere Seiten, sodass treffender von monologischen Selbstnarrationen zu sprechen ist. Im Vordergrund steht, so möchte ich argumentieren, die Vermittlung biografischen Wissens auf eine unterhaltsame Weise. Damit korrespondiert, dass die beiden Königinnen weniger in ihrer öffentlich-politischen Funktion beschrieben, sondern durch den Austausch von Gerüchten über ihr Liebesleben konturiert werden. Das ist bei Elisabeth als der sprichwörtlichen ewigen Jungfrau und der ›queeren‹ Christina36 brisant. Fassmann setzt hier bewusst auf die von Johann Heinrich Zedler in Bezug auf das Totengespräch gescholtene ›Gemüths-Ergötzung‹ des Publikums und das, was heutzutage Boulevardblätter an Klatsch und Tratsch aus den europäischen Königshäusern anbieten. In der sprachlich recht derben Unterhaltung fragt Christina Elisabeth, was diese von Gesetzen halte,
›welche die Weiber unfähig machen zu regiren, zu gouvernieren, zu commandiren, oder ihnen andere Rechte absprechen und versagen, so die Manns-Personen zu exerciren und zu geniessen haben?‹ ›Solche Gesetze sind die größte Absurdität von der Welt. – Denn einmahl ist gewiß, daß sichgrosse Capacität und ein ungemeines, ja weit herrlichers Naturel in denen Weibern, als bey denen Männern zeiget‹ (S. 231f.),
so Elisabeths unmissverständliche Erwiderung. Christina geht daraufhin auf misogyne Gesetzgebungen ein. Sie verweist auf die »Türken und andere Barbaren«, bei denen die Frauen den Stellenwert von »Sclavinnen« hätten:
›In Teutschland ist es an vielen Orten bald eben so […]. In Italien […] dienen sie weiter zu nichts als nur zum Kinder-zeugen; und im übrigen hat man so wenig Consideration vor sie, daß man sie bey nahe wie Affen oder Papageyen eingeschlossen, und an Ketten geschmiedet hält […].‹ (S. 233)
Hier wird sehr deutlich nicht allein die Sensationslust des Publikums bedient – vielmehr geht es um Politik und Gesetzgebungen, um interkulturelle Diskurse und das Verhältnis der Geschlechter, der Querelle de femmes. So kann festgestellt werden, dass über die Selbstnarrationen und den Dialog der beiden Gesprächspartnerinnen unverstellt kritische Ansichten zur zeitgenössischen Politik und zu Geschlechterfragen zur Diskussion gestellt werden. Gesellschaftsrelevante Kritik wird im unterhaltsamen Modus vermittelt.37 Dieser Befund ist für die bildungspolitische Funktion des Fassmannʼschen Modells des Totengesprächs von besonderer Relevanz: Die kritischen Stimmen sind an historische, adlige, gelehrte oder klerikale Personen gebunden und verfügen dadurch über eine gewisse Autorität. Sie ›stehen im Raum‹ und müssen, so meine Argumentation, von den, auch weiblichen, Rezipienten der Totengespräche selbstständig kontextualisiert und bewertet werden. Keine auktoriale Erzählinstanz oder Fassmann selbst tritt hier auf und ordnet den Diskurs – das ist dem Publikum anheimgestellt. Die Gespräche im Reiche derer Todten trauen diese bildungspädagogische Aufgabe sich selbst und dem breiten Publikum zu. Eine hierbei vermittelnde Figur gibt es aber doch, auf die ich im letzten Teil meines Beitrags eingehe. Dabei handelt es sich um den Secretarius, der im letzten Teil einer jeden Entreveu auftritt. Diese faszinierende Figur ist in der Fassmann-Forschung bislang kaum berücksichtigt worden38 und verdient aus meiner Sicht aufgrund ihrer metafiktionalen und medienreflexiven Funktion besondere Beachtung.
Der Secretarius als medienreflexive Figur
Zwar sind die Fassmannʼschen Totengespräche in der vorliegenden Forschung als Zeitschriftenmedium wahrgenommen worden, dem spezifischen Personal der Totengespräche und insbesondere dem Secretarius ist jedoch aus einer medienkulturwissenschaftlichen Perspektive bisher keine Aufmerksamkeit zuteilgeworden.
Der Secretarius ist fester Bestandteil des Schlussteils einer jeden Entrevue, die durchschnittlich 80 Seiten umfasst. Erst auf den etwa letzten vier Seiten taucht er auf und unterbricht dadurch das Gespräch der zwei toten historischen Figuren über deren autobiografische Stationen. Dies kündigt die Erzählerstimme an, indem sie schlicht konstatiert, der Secretarius komme mit den neuesten Nachrichten. Seine Begegnung mit den Figuren im Totenreich ist immer dann komisch, wenn er den Tod einer Person meldet, die gerade vor ihm steht. Wie er den Weg ins Totenreich gefunden hat, bleibt demnach eine Leerstelle, er verbindet aber die Ober- und Unterwelt, indem er selbst als medialer Kanal fungiert. Nach seiner Ankunft verliest er – den heutigen Agenturmeldungen ähnlich – aktuelle Nachrichten, die anschließend von den Toten kommentiert werden. Auf diese Weise wird der Bezug zwischen den fiktionalisierten Lebensbeschreibungen und der aktuellen Politik hergestellt, sodass die intratextuellen Toten und die extratextuell Rezipierenden gleichzeitig am politischen Diskurs teilhaben können. Bei den Nachrichten handelt es sich um solche, die für das Publikum zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Entrevue politische Aktualität besaßen. Es handelt sich also nicht um tagesaktuelle Nachrichten wie z. B. die Meldung einer Brandkatastrophe, sondern um solche, die politische Konsequenzen haben, etwa die Thronfolgeregelung durch den Tod eines Königs oder die Änderung des Primogeniturrechts.
In der hier untersuchten 4. Nummer geht es unter anderem39 – und das ist in Bezug auf die Positionierung der Königinnen zu Gender- und Machtfragen von Relevanz – um die Thronfolgeregelung nach dem Tod Karls des XII. im Jahr 1718. Christina klärt Elisabeth auf: Seit 1604 ist die Thronfolge in Schweden durch das Erbrecht auch in Bezug auf weibliche Nachfolgerinnen geregelt. Da Karl ohne Nachkommen war, hat nach dieser Regelung seine Schwester Ulrika Eleonora Anspruch auf den Thron; diese zögerte nicht und erklärte sich nach dem Tod des Bruders zur Königin, musste sich jedoch einem Wahlverfahren durch das von Männern besetzte Parlament unterziehen.40 Bereits ein Jahr nach ihrer Krönung war sie genötigt, die Herrschaft an ihren Mann abzutreten. Durch den in die Totenwelt verlagerten Dialog können die Rezipierenden hinter die Kulissen einer für sie sonst nicht zugänglichen politischen Bühne schauen und erfahren, wie umkämpft Herrschaftspositionen sind.
Das Beispiel zeigt, wie historisches Wissen in deutscher Sprache für ein ungelehrtes Publikum aufbereitet und durch die kommentierten Nachrichten am Schluss jeder Entrevue in den zeitgenössischen politischen Diskurs eingespeist wird. Die Stellungnahmen der Gesprächspartner*innen implizieren recht kontrastive Positionen und bieten so Grundlagen für die Meinungsbildung; der Secretarius ist in dieser Hinsicht die Schlüsselfigur. Innerhalb der frühneuzeitlichen Herrschaftspraxis ist er die wichtigste politische Figur, denn er hatte Zugang zu Akten, bereitete Gespräche vor, sah Schriftstücke durch bzw. verfasste sie und entschied über deren Relevanz. Auf diese frühneuzeitliche Funktion verweist Fassmanns Secretarius-Figur dadurch, dass der konkret politische Diskurs einer jeden Entrevue an die zwischen irdischem Raum und Totenreich transferierende Figur geknüpft ist. Diese frühneuzeitliche Konzeptualisierung des Secretarius wird im frühaufklärerischen Journal medienreflexiv überblendet. Anders als die narrativ gestalteten, ausgeschmückten Dialoge der Toten, ist die Nachricht des Secretarius in einem sachlich-berichtenden Stil verfasst. Er spricht nicht über sich oder mit den anderen Figuren, sondern tritt ausschließlich als Medium auf, d. h. als Kommunikationsmittel: Der Secretarius figuriert die Zeitung und ist die sprechende Zeitungsnachricht.41 Als starkes medienreflexives Element verweist die Figur auf das Medium ›Schrift‹. Etymologisch ist das heutige Wort ›Sekretär‹ dem mlat. secretarius entlehnt. Der Sekretär bezeichnete einen Geheimschreiber; den geheimen Rat eines Fürsten; jemanden, der das Geheimsiegel führt; einen Schreiber, scriptor, Stadtschreiber und librarius.42 Der Secretarius ist also dem Medium der Schrift unterstellt und wird in Verbindung mit dem Geheimen gebracht – secret. Man kennt den Sekretär auch als Möbelstück bzw. Schreibschrank, und vielleicht auch den in Afrika beheimateten Vogel gleichen Namens. Hier ist die Namensherkunft zwar ungeklärt, jedoch liegt es nahe, dass auch der Vogel aufgrund seiner langen, hervortretenden Federn im Nacken an Federkiele, mithin an das Schreibgerät, das sich der frühaufklärerische Schreiber, als der, wie bereits angemerkt, Fassmann von Gottsched verspottet wurde, hinter die Ohren klemmt, erinnert.
Wenn nun der Secretarius ins Totenreich kommt und die neuesten Merkwürdigkeiten verliest, ist er hörbar und wird zur Stimme. Das heißt nicht etwa, dass die Toten illiterat sind und nicht über ausreichend Lesekompetenz verfügen – es handelt sich ja hauptsächlich um Angehörige des Gelehrtenstands, des Adels, der Kirche oder um Herrschaftspersönlichkeiten –, sondern in der Figur verdichten sich zum einen die Art und Weise, wie Nachrichten übermittelt wurden, bevor sich die Nachricht mit der Alphabetisierung größerer Teile der Bevölkerung allmählich ins Schriftliche verschiebt: Nachrichten wurden mündlich vermittelt, öffentlich ausgerufen oder vorgetragen, auch Flugblätter wurden vorgelesen. Zum zweiten steckt im Begriff der Zeitschrift neben der Schrift die Zeit: Der Secretarius gestattet Gleichzeitigkeit, denn die Toten aus unterschiedlichen Jahrhunderten, die normalerweise nicht zusammenkommen würden, lesen bzw. hören hier gemeinsam und gleichzeitig mit den Lebenden eine Nachricht, die zum Veröffentlichungszeitpunkt der Nummer noch aktuell war. Die Übergangsfigur des Secretarius43 ermöglicht somit Synchronizität, ein Kriterium von massenmedialer Kommunikation, das Benedict Anderson als konstituierend für die Bildung von imaginierten Gemeinschaften ansieht44, indem sie das Medium Schrift – achivier- und daher lesbar zu jeder Zeit – figuriert.
Fazit und Ausblick
Zwei unterschiedlich gestaltete Beispiele von Totengesprächen innerhalb der Makroepoche ›Frühe Neuzeit‹ habe ich vor der Folie des Lukianischen Modells vorgestellt, um die Varianz in Form, Medialität und Sprechhandlung herauszustellen. In beiden Fällen steht das Gespräch zwischen Toten im Dienst, einen Kommunikationsraum zu entwerfen. Diese sind gattungsgeschichtlich – Dialog – und medientechnisch – zeitgenössisches Pressewesen – vorbereitet. Funktional unterschiedlich ist die Kommunikationssituation aufgrund des extramundanen Schauplatzes: Ein enthierarchisiertes und normverletzendes Sprechen ist möglich bei von Hutten, während die Synchronizität durch die figurierte, ins Totenreich übergehende Zeitung (Secretarius) das Totengespräch-Modell von Fassmann prägt. Die Übergangsfiguren und -mittel im frühneuzeitlichen Totengespräch sind hingegen konstitutiv für die Kommunikation von etwas, das nur verdeckt gesagt werden kann. Hier ist der Nachen von Charon der materielle Gegenstand der Übersetzung und das Rudern als Technik derselben analysierbar. Zwar wird die Überquerung des Grenzflusses selbst nicht thematisiert, ist in den Figuren und materiellen Medien jedoch bereits angelegt. Von Hutten geht über die Geißelung allgemein menschlicher Prätentionen bei Lukian insofern hinaus, als er den politischen Zeitbezug in den Dialog integriert. Charon und Merkur fungieren bei Lukian als Grenzfiguren; durch den Gegenwartsbezug gestalten die Humanisten hingegen die Grenze zwischen dem Totenreich und der irdischen Welt durchlässiger. In den Totengesprächen von Erasmus und von Hutten sind mobile Übergangsfiguren und dehnbare Übergangszonen auszumachen. Von Huttens Totengespräch ist Herzstück einer publizistischen Kampagne, weil das satirische Sprechen aus dem Hades den regulären, normierten Kommunikationsrahmen erweitern kann. Während sein Phalarismus spezifische Adressaten anspricht, nämlich den Kaiser als politischen Handlungsträger, den Herzog, die Kirche, Gelehrte sowie die eigene Familie, richten sich die Gespräche im Reiche derer Todten an eine breite Öffentlichkeit, mithin an die Adressat*innen des Bildungsprojekts einer Populäraufklärung. In diesem Punkt lässt sich das historisch-politische Journal Fassmanns, das insbesondere Gottsched von den moralischen Wochenschriften abgegrenzt hatte, mit ebendiesen wieder verbinden. Denn in den moralischen Wochenschriften wird über den Einsatz von fingierten Leser*innenbriefen eine ähnliche Kommunikationssituation geschaffen, wie sie die kommentierte Presseschau durch die medienreflexive Figur des Secretarius und die Dialogpartner*innen erwirkt. Beide Zeitschriftenmodelle zeigen, wie sie sich eine Populärbildung vorstellen und verstehen sich als mediale Formate zur Einübung in politische und philosophisch-moralische Diskursfähigkeit.
Mit dem populäraufklärerischen Kommunikationsraum des Fassmannʼschen Modells geht aber auch einher, dass diese journalistischen Totengespräche das satirische Potential und den Topos der verkehrten Welt nur noch ansatzweise ausspielen und so ein gattungskonstitutives Merkmal zugunsten didaktisch-kommunikativer Strategien verschwindet. Zu diesen didaktisch-kommunikativen Verfahren gehört – erstens – das mediale Format, bestehend aus Titelkupfer und gereimtem Paratext, welches den Inhalt einer jeden Nummer auf anschauliche Weise präsentiert. Eine vermittelnde, adressatenorientierte Schreibstrategie ist – zweitens – die fingierte Autor-Stimme, die Schilderungen der Toten bestätigt: Der Verfasser habe dies und jenes tatsächlich auf seinen Reisen erlebt oder es sei ihm am Preußischen Hof zu Ohren gekommen.45 Was aus geschichtswissenschaftlicher Sicht wertlos erscheint, weil es nicht nachprüfbar ist, kann als rhetorische Strategie analysiert werden, die durch die Herstellung von Evidenz das Publikum an sich binden möchte. Rezipient*innen werden – drittens – durch ein breites stilistisches Register angesprochen. Wenn Elisabeth im oben genannten Beispiel die Bestrebungen des spanischen Königs damit kontert, dass wohl die Mäuse kühn geworden seien, handelt es sich um eine Tier-Metapher mit abwertendem Effekt. Wenn dieselbe mit Christina delikate Details über höfische Liebesexzesse austauscht, bedient dieser anekdotische Stil ein Publikum, das sich weniger für tiefgründige philosophisch-moralische Debatten interessiert. Fassmanns periodisch erscheinende und narrativierte Totengespräche sind eine unschätzbare Fundgrube früher Populäraufklärung und zeigen, wie der Transfer historischen Wissens gelingen kann. Immerhin 480 Tote aus unterschiedlichen Kulturräumen, Religionen und historischen Kontexten kommen zu Wort. Diese didaktische Form des Totengesprächs erweist sich als besonders anpassungsfähig. So werden in der Nachfolge Fassmanns auch kriminalistische und sogar numismatische Diskurse in Form von Totengesprächen geführt.46 Dadurch bietet die Form Angriffspunkte und wird selbst zum Gegenstand von Parodie, wenn etwa in einem anonymen Totengespräch von 1724 ein Ochse und ein Schwein über den äußerst beflissenen Fassmann spotten.47 Das kann man ›platt‹ nennen und vermuten, dass sich das Totengespräch als satirische Gattung bereits zu Tode gelacht hat.
Spätestens ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wird in der Tat das Leistungsvermögen des Genres befragt. Wenn beispielsweise in Goethes Totengespräch Götter, Helden und Wieland (1774) der Zeitgenosse Wieland ›gestorben wird‹, so steht dieser Text im Zeichen polemischer Literatursatire; wenn Brecht 1939 den Lukull vor das Totengericht in die Unterwelt führt, sind die Rezipient*innen aufgefordert, über die Rechtfertigung von Krieg zu reflektieren. Goethes Totengespräch ist auch ein Dramolett, das Verhör des Lukullus war zunächst ein Stück für das Radio, bevor Brecht es als Oper komponierte. Gattungs- und medienwissenschaftliche Forschungsperspektiven auf das Totengespräch, wie ich sie hier eingenommen habe, sind also keineswegs erschöpft. Des Weiteren ist die Fülle an narrativer und dramatischer Literatur des 20. Jahrhunderts, in der Tote zu den Lebenden hinaufsteigen, ins Verhältnis zu den ›klassischen‹ Unterweltdialogen zu setzen. Ob die Schatten der Gegenwartsliteratur48 noch überwiegend spotten oder aber mit mahnender oder prekärer Stimme sprechen, wäre ebenso zu diskutieren, wie die Differenzierung von Medialität und genrespezifischem Format zeitgenössischer Totengespräche: Sprechen Tote in der Welt der Lebenden miteinander oder mit Lebenden? Gibt es ›tote‹ Fokalisierungsinstanzen (narratio post mortem)? Was passiert mit den Übermittlerfiguren zwischen den zwei Welten, wie durchlässig wird die Grenze zwischen irdischer Welt und Totenreich? Schatten und Geister treiben schließlich weiterhin ihr ›Unwesen‹.
Abb. 1: Ulrich von Hutten: Der deutsche Phalarismus. Speyer 1521. VD16 H 6402
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Abbildungen
HUTTEN, Ulrich von: Der deutsche Phalarismus. Speyer 1521. VD16 H 6402.
- 1. Lukian: Hauptwerke. Griechisch – deutsch. Totengespräche. Nr. 1: Diogenes und Polydeukes. Hg. v. Karl Mras. Berlin 1980, S. 163–167, hier S. 162 u. 163. DOI: 10.1515/9783110360677.162. Für 2025 ist eine Neuübersetzung und Herausgabe von Lukians Schriften über die Toten von Peter von Möllendorf bei de Gruyter angekündigt. In dieser neuen Ausgabe werden die Totengespräche weder den rhetorischen noch den philosophischen Schriften zugeordnet, sondern beanspruchen einen eigenen Band. Inwiefern es sich bei den Totengesprächen um eine literarische oder philosophische Gattung handelt – dafür spricht die editorische Entscheidung – ist eine Frage der Lektüre. Ich argumentiere für eine literaturwissenschaftliche Lektüre, die das poetische, rhetorische und philosophische Potenzial der Texte realisieren kann: In der Frühen Neuzeit ist Lukian eindeutig als literarischer Autor rezipiert worden. Der literarische Topos der verkehrten Welt verbindet zudem Lukians Totengespräche mit Grimmelshausens Satire Verkehrte Welt (1672), die für die Ausformulierung von Gegenwartskritik den Raum ›Totenreich‹ nutzt. Hania Siebenpfeiffer widmet sich dieser Satire und ihrer Inszenierung des mundus inversus mit Blick auf die Dispositionsformen von Recht und Erzählen, vgl. Hania Siebenpfeiffer: »Dispositionsformen von Recht und Erzählen in Grimmelshausens Verkehrter Welt«. In: Simpliciana XLII (2020), S. 85–106.
- 2. Ich verwende den Begriff ›Totengespräch‹ als philologischen Fachterminus und meine entsprechend ein Gespräch unter Toten im Totenreich und nicht etwa die Kommunikation zwischen Lebenden und Toten allgemein, z. B. in spiritistischen Sitzungen. Eine andere Begriffsverwendung nehmen Elena Fabietti und Zoe Ghyselinck (Hg.) vor in Necrodialogues and Media: Communicating with the Dead in the Twentieth and Twenty-first Century. Berlin 2025 [im Druck].
- 3. Carl Kaulfuss-Diesch: »Totengespräch«. In: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Hg. v. Paul Merker u. Wolfgang Stammler. 4 Bde. Berlin 1925–1931, S. 379–380.
- 4. Vgl. z. B. auch Maren Eckart: »Königin Elisabeth I. und Königin Christina im Totengespräch.« In: Sprache – Literatur – Kultur. Text im Kontext. Hg. v. Bo Andersson, Gernot Müller u. Dessislava Stoeva-Holm. Uppsala 2010, S. 177–189, hier S. 180; Ludwig Lindenberg: Leben und Schriften David Fassmann (1683–1744) mit besonderer Berücksichtigung seiner Totengespräche. Berlin 1937, S. 141; vgl. den Überblick über kritische Stimmen im instruktiven Artikel von Hansjörg Schelle: »Totengespräch«. In: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Hg. v. Paul Merker u. a. Bd. 4: Sl–Z. Berlin 2001, S. 475–513, hier S. 483, 486, 505.
- 5. Die Bezeichnung ›Kynismus‹ als einer philosophischen Schule geht u. a. »auf einen Spottnamen zurück, der die Kyniker wegen ihres freimütigen und einfachen, aber auch schamlosen und unverschämten Verhaltens mit Hunden (kýnes) verglich. […] Die Bezeichnung ›Hund‹ soll von den Kynikern als passend empfunden und bereitwillig übernommen worden sein.« Marie-Odil Goulet-Cazé: »Kynismus«. In: Neue Pauly Online, 2006, DOI:10.1163/1574-9347_dnp_e626020. Die Kyniker ›beißen‹ mit satirischen Sprechhandlungen.
- 6. Manuel Baumbach: »›Wenn Tote Politik betreiben‹ – Das Totengespräch und seine Rezeption im Humanismus am Beispiel von Erasmus und Hutten.« In: Dialog und Gesprächskultur in der Renaissance. Hg. v. Bodo Guthmüller u. Wolfgang G. Müller. Wolfenbüttel 2004, S. 261–275, hier S. 263.
- 7. Vgl. dazu auch Sina Dell’Anno: Satura – Monströses Schreiben in Antike und Aufklärung. Lucilius, Varro, Horaz, Petron, Martianus Capella, Hamann, Jean Paul. Berlin 2023. Kap. 2: Menippea, S. 40–103.
- 8. Vgl. dazu Stefan Trappen: Grimmelshausen und die menippeische Satire. Eine Studie zu den historischen Voraussetzungen der Prosasatire im Barock. Berlin u. a. 2018, bes. S. 135–138.
- 9. Lukian: »Der doppelt Angeklagte«. In: Lukianus Samosoatensis 120–180. Sämtliche Werke. Bd. 5. Übers. v. Christoph Martin Wieland. Bearb. v. Hanns Floerke. 2. Aufl. München 1922, S. 176–208.
- 10. Bei der sermocinatio handelt es sich um »ein fiktives Frage- und Antwortspiel, das der Verlebendigung der monologischen Rede dient«, und somit um eine Form der prosopopoiie, bei der eine nicht anwesende Person oder ein Abstraktum als anwesend imaginiert und dieser bzw. diesem eine bestimmte Rede in den Mund gelegt wird, Wolfram Groddek: Reden über Rhetorik. Zu einer Stilistik des Lesens. Basel, Frankfurt a. M. 1995, S. 189.
- 11. Heinz Günther Nesselrath: »Lukian«. In: Kleines Lexikon griechischer Autoren. Hg. v. Oliver Schütze. Stuttgart 2015, S. 105–110, hier S. 108.
- 12. Manuel Baumbach: Lukian in Deutschland. Eine forschungs- und rezeptionsgeschichtliche Analyse vom Humanismus bis zur Gegenwart. München 2002, S. 21.
- 13. Ulrich von Hutten: »Phalarismus«. In: Deutsche Schriften. Hg. und mit Anmerkungen versehen v. Peter Ukena. München 1970, S. 5–21, hier S. 5f.
- 14. Vgl. Baumbach: Lukian in Deutschland, S. 38–42.
- 15. Die deutsche Übersetzung stammt vermutlich von von Hutten selbst. Vgl. Herbert Jaumann: »Hutten, Ulrich von«. In: Deutscher Humanismus 1480–1520. Verfasserlexikon. Hg. v. Franz Josef Worstbrock. Bd. 1: A–K. Berlin 2008, Sp. 1185–1237, hier Sp. 1229.
- 16. Von Hutten: »Phalarismus«, S. 7.
- 17. Barbara Patzek: »Phalaris«. In: Der Neue Pauly Online, 2006, DOI: 10.1163/1574-9347_dnp_e917880.
- 18. Der historische Kontext ist hervorragend aufgearbeitet worden, vgl. Walther Ludwig: »Der Ritter und der Tyrann. Die humanistischen Invektiven des Ulrich von Hutten gegen Herzog Ulrich von Württemberg.« In: Neulateinisches Jahrbuch 3 (2001), S. 103–116; Franz Brendle: Dynastie, Reich und Reformation. Die württembergischen Herzöge Ulrich und Christoph, die Habsburger und Frankreich. Stuttgart 1998, bes. S. 25–74; Georg-Wilhelm Hanna: Mänade, Malefiz und Machtverlust. Herzog Ulrich von Württemberg und Hans von Hutten: politische Folgen eines Mordfalls. Köngen 2003; Bianca Hufnagel: »›Ein Tyrann in teutzschen landen‹ als Catilina in der Unterwelt. Fünf Reden und ein Totengespräch als verdoppeltes Kampfmittel und als Begründer des (literarischen) Diskurses über Tyrannei bei Ulrich von Hutten.« In: Kollision und Devianz. Diskursivierungen von Moral in der Frühen Neuzeit. Hg. v. Yvonne Al-Taie, Bernd Auerochs u. Anna-Margaretha Horatschek. Berlin 2015, S. 121–144.
- 19. Die eidolopoiie bezeichnet die einem Toten beigelegte Rede.
- 20. Von Hutten: »Phalarismus«, S. 15f.
- 21. Von Hutten: »Phalarismus«, S. 11.
- 22. Geschmäht wird nicht allein der Herzog Ulrich. Bevor der namenlose Tyrann von Merkur wieder aus dem Totenreich geführt wird, darf er noch seinen Onkel begrüßen, der sich laut Phalaris oft mit einer Äffin vergnügt und auch sonst gern unter dem »Vieh« verweilt. Bei dem Onkel, der hier animalisiert und in die Nähe der Sodomie gerückt wird, handelt es sich um Eberhart den Jüngeren, der, als regierungsunfähig angesehen, von der Württembergischen Elite des Landes verwiesen wurde.
- 23. Jürgen Brummack: »Zu Theorie und Begriff der Satire«. In: DVjs 45 (1971). Sonderheft Forschungsreferate, S. 275–377, hier S. 282. Kritisch wird diese theoretisch-konzeptionelle Perspektive diskutiert von Jörg Schönert, unter anderem deshalb, weil sich die satirischen Dimensionen auf außertextueller Ebene finden: vgl. Jörg Schönert: »Theorie der (literarischen) Satire. Ein funktionales Modell zur Beschreibung von Textstruktur und kommunikativer Wirkung.« In: Textpraxis # 2 (1.2011). URL: http://www.uni-muenster.de/textpraxis/joerg-schoenert-theorie-der-litera.... Vgl. auch Barbara Könneker: Satire im 16. Jahrhundert. Epoche – Werk – Wirkung. München 1991.
- 24. Vgl. John Routledge: The Dialogues of the Dead in Eighteenth Century Germany. Bern u. a. 1974 und John S. Egilsrud: Le ›Dialogue des Morts‹ dans les littératures française, allemande et anglaise (1644–1789). Paris 1934. Die Studien von Routledge und Egilsrud sind wichtige Beiträge, da sie ein Untersuchungskorpus versammeln; sie verzeichnen jedoch nur einen kleinen Teil der tatsächlich publizierten Dialoge, vgl. dazu Riccarda Suitner: Die philosophischen Totengespräche der Frühaufklärung. Hamburg 2016, bes. S. 23–36. Suitners Studie ist gewinnbringend, weil sie auch auf nichtpublizierte Totengespräche etwa in Form von Flugblättern verweist und so Anknüpfungspunkte für eine medienwissenschaftliche Perspektive bietet.
- 25. Totengespräche sind ein Genre der europäischen Aufklärung und laden deshalb zu einer noch ausstehenden interkulturellen Forschungspraxis ein. Für den englischsprachigen Raum sind Lord Lyttleton, John Ferriar und Matthew Prior als Verfasser von Dialogues of the Dead zu nennen. Vgl. dazu Sibylle Baumbach: »Totgesagte streiten länger: Das Elysium als Austragungsort gelehrter Polemik in George Lytteltons Dialogues of the Dead.« In: Zeitsprünge – Forschungen zur Frühen Neuzeit 15 (2011), S. 404–426. Bislang kaum erforscht sind die italienischen Totengespräche. Stilbildend in Frankreich sind die Nouveaux Dialogues des Morts von Bernard le Bouvier de Fontenelle, die er 1683 in Lyon verfasst und zwischen 1710–1713 publiziert hat; des Weiteren verfassten François Fénelon und Nicolas Boileau Totengespräche. Mit der im Jahr 2014 erschienenen Studie Stimmen aus dem Jenseits von Stefanie Dreyfürst liegt inzwischen zumindest eine literaturwissenschaftliche Monografie zu Fassmanns Totengesprächen vor. Dreyfürst stellt das Material vor, kontextualisiert und wertschätzt es als frühneuzeitliches Journal, das Unterhaltung, historische und politische Bildung miteinander verknüpft. Die Studie stellt ein Corpus dar, das in der Vollständigkeit noch nicht vorlag, bietet selbst jedoch noch keine konkrete Forschungsperspektive an. Vgl. Stephanie Dreyfürst: Stimmen aus dem Jenseits. David Fassmanns historisch-politisches Journal Gespräche in dem Reiche derer Todten (1718–1740). Berlin 2014.
- 26. Wilmont Haacke: »Fassmann, David«. In: Neue Deutsche Biographie 5 (1961), S. 28. URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118686194.html#ndbcontent (zuletzt eingesehen am 5. August 2024).
- 27. Vgl. grundlegend für den deutschsprachigen Raum Misia Sophia Doms u. Bernhard Walcher (Hg.): Periodische Erziehung des Menschengeschlechts. Moralische Wochenschriften im deutschsprachigen Raum. Frankfurt a. M. u. a. 2012. Vgl. Ernst Fischer, Wilhelm Haefs u. York-Gothart Mix (Hg.): Von Almanach bis Zeitung. Ein Handbuch der Medien in Deutschland 1700–1800. München 1999; Johannes Weber: Götter-Both Mercurius. Die Urgeschichte der politischen Zeitschrift in Deutschland. Bremen 1994.
- 28. Zur Urheberschaft: Der Verfasser Fassmann wird am Ende des Vorberichts der 1. Entrevue genannt und in Michael Holzmann u. Hans Bohatta: Deutsches Anonymen-Lexikon (DAL). Weimar 1902 ermittelt. Vgl. auch https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb10898074?page=6,7. VD18 9055633X
- 29. Vgl. Schelle: »Totengespräch«, S. 507.
- 30. Vgl. Lindenberg: Leben und Schriften David Fassmanns, S. 29.
- 31. David Fassmann: »Gespräche in dem Reiche derer Todten«. 240 Bde. Leipzig Cörnerische Erben; Wolffgang Deer, 1719–1739. Bd. 1: »Gespräche in dem Reiche derer Todten. Erste Entrevuë. Zwischen Leopoldus I. und Ludovicus XIV.« 1720. In: Deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts Online. Erstausgaben und Werkausgaben von der Frühaufklärung bis zur Spätaufklärung. Online-Datenbank. De Gruyter. http://db.saur.de/DLO/saveUrl.jsf?type=document&documentId=BDL02759_0004... (zuletzt eingesehen am 5. August 2024).
- 32. David Fassmann: »Gespräche in dem Reiche derer Todten.« 240 Bde. Leipzig Cörnerische Erben; Wolffgang Deer, 1719–1739. Bd. 4: »Gespräche in dem Reiche derer Todten. Vierte Entrevuë. Zwischen Elisabetha und Christina«. 1720. In: Deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts Online. Erstausgaben und Werkausgaben von der Frühaufklärung bis zur Spätaufklärung. Online-Datenbank. De Gruyter. http://db.saur.de/DLO/saveUrl.jsf?type=document&documentId=BDL02759_0235... (zuletzt eingesehen am 5. August 2024). Im Folgenden mit Originalseitenangabe im Fließtext zitiert.
- 33. Zu untersuchen wäre das Fassmannʼsche Corpus grundsätzlich hinsichtlich unterschiedlicher Differenzkategorien. Dreyfürsts Monografie geht einzig auf die Kategorie des ›Fremden‹ ein, die nicht zufriedenstellend theoretisch hergeleitet wird; ›Gender‹ wird nicht berücksichtigt.
- 34. Die doctrine classique bezeichnet ein poetologisches Normmodell. Zentral ist die Forderung nach Wahrscheinlichkeit der Handlung (vraisemblance) und, damit verknüpft, nach moralischer und ästhetischer Angemessenheit (bienséance). Vgl. Julia Pfahl: »Französische Klassik«. In: Peter W. Marx (Hg.): Handbuch Drama. Theorie – Analyse – Geschichte. Stuttgart 2012, S. 244–250.
- 35. Christina und Elisabeth verhandeln gerade nicht im genus grande die hohen Liebesaffekte, durch die sich die Tragödie auszeichnet, stattdessen fällt im Totengespräch als popularisierendem Genre eine Stilisierung ›nach unten‹ auf, wenn sich die beiden Königinnen recht derb über Liebesverhältnisse austauschen.
- 36. Vgl. Joachim Grage: »Entblößungen. Das zweifelhafte Geschlecht Christinas von Schweden in der Biographik.« In: Frauenbiographik. Lebensbeschreibungen und Porträts. Hg. v. Christian von Zimmermann u. Nina von Zimmermann. Tübingen 2005, S. 35–64.
- 37. Vgl. Eckart: »Königin Elisabeth I. und Königin Christina im Totengespräch.« Eckarts Aufsatz ist die einzige mir bekannte Auseinandersetzung mit der Genderthematik. Sie interessiert sich primär für die Literarisierung der Königin Christina, nicht aber insgesamt für das Fassmannʼsche Medium. Meine Argumentation profitiert dennoch von ihrem Beitrag.
- 38. Aus anderen politischen Zeitschriften ist diese kommunikative Figur etwa als Götter-Bote Merkur bekannt. Merkur ist die Leitfigur für Druckerzeugnisse und Gott des Handels, vgl. Weber: Gott-Both Mercurius.
- 39. Die Meldung des Secretarius beinhaltet auch die Kriegserklärung Frankreichs gegen Spanien am 9. Januar 1719 sowie die Entdeckung der Cellamare-Verschwörung. Beide Regentinnen sind sich in ihrer Haltung gegen Spanien einig und machen dies durch spöttische Redeweisen deutlich.
- 40. Sari Nauman: »Ulrika Eleonora d.y., drottning«. In: Svenskt kvinnobiografiskt lexikon. Übers. v. Alexia Grosjean. https://www.skbl.se/en/article/UlrikaEleonoradydrottning (zuletzt eingesehen am 3. August 2024).
- 41. Vgl. den Eintrag »zeitung, f.« in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01 (2023). https://www.woerterbuchnetz.de/DWB?lemid=Z03957 (zuletzt eingesehen am 5. August 2024).
- 42. Vgl. den Eintrag »Sekretär« in: Deutsches Wörterbuch von Jakob und Wilhelm Grimm. Digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities. Version 01 (2023). https://woerterbuchnetz.de/?sigle=DWB&lemid=S25724 (zuletzt eingesehen am 5. August 2024).
- 43. Spätestens in der Weimarer Republik wird diese kommunikative Figur gegendert, vgl. etwa die große Anzahl von Sekretärinnen-Figuren in der neusachlichen Literatur. Heute versteht man unter einem Sekretariatsdienst eine kommunikative Schaltstelle, die Nachrichten lenkt und framed.
- 44. Vgl. Benedict Anderson: Imagined Communities. Reflections of the Origin and Spread of Nationalism. London u. a. 1983.
- 45. Vgl. z. B. in der 69. oder in der 127. Entrevue, auf die Lindenberg (S. 139) verweist.
- 46. Vgl. Holger Dainat: »Gespräche im Reiche der Toten unter den Spitzbuben. Literarische Bilder krimineller Karrieren im frühen 18. Jahrhundert.« In: Repräsentationen von Kriminalität und öffentlicher Sicherheit. Bilder, Vorstellungen und Diskurse vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Hg. v. Karl Härter, Gerhart Sälter u. Eva Wiebel. Frankfurt a. M. 2010, S. 309–340.
- 47. Vgl. Johannes Rentsch: Lukian-Studien. Plauen 1895, S. 36.
- 48. Man denke etwa an Elfriede Jelineks Prinzessinnen-Dramen, in denen tote Figuren aus Märchen, eine Jackie Kennedy und verstorbene Autorinnen bitterböse Geschlechterverhältnisse dekonstruieren, oder an Sibylle Lewitscharoffs Consummatus über die monologische Totenklage eines Mannes, der im Kaffeehaus sitzend lauter Tote um sich vereint.

