Digitales Journal für Philologie
Very insightful!
Ob Ridley Scotts Alien oder David Cronenbergs Parasiten-Mörder, der populäre Film der 1970er-Jahre ist eine beliebte Herberge des Parasiten. Als literarische Figur und sozialer Trittbrettfahrer taucht er in Daphne du Mauriers Die Parasiten und in Friedrich Schillers Der Parasit oder Die Kunst sein Glück zu machen auf. Vielleicht denkt man am Rande auch an den Parasiten Lord Voldemort aus Joanne K. Rowlings Harry Potter. Zweifellos stehen mit den erwähnten Parasiten Emotionen des Ekels, der Angst oder der moralischen Empörung in Verbindung. Bedenkt man jedoch nicht ausschließlich die pejorative Bedeutung des Parasiten, auf die Jacques Derrida in seinem Vortrag Die Signatur aushöhlen – eine Theorie des Parasiten1 besteht, kann jedwede intertextuelle und appropriierende Strategie in Kunst und Kultur als parasitär angesehen werden. Im Fall Moses Pelham versus Kraftwerk etwa gestand das Bundesverfassungsgericht dem Genre Hip-Hop erst kürzlich die parasitäre Strategie des Sampling zu. Mit ihrem 2011 auf ihrer Homepage publizierten Essay Das Parasitärdrama ruft Elfriede Jelinek derweil gleich eine parasitäre Textgattung ins Leben.2 Kathrin Röggla denkt sich hingegen »brav in den Parasiten hinein« und assoziiert dabei William S. Burroughs’ Konzept der Sprache als Virus:
Man müsse sich nur einen Augenblick in einen Parasiten reindenken, […] der müsse sich auch entwickeln, der habe auch so seine Probleme, beim Wechsel des Wirts beispielsweise, zum Beispiel vom Tier auf den Menschen! Und ich denke mich auch brav in den Parasiten hinein, mache das aber weniger von der Soziologenseite, sondern mehr von der Literatenseite und lande ziemlich schnell bei William S. Burroughs, der sich ja auch hervorragend in Viren hineingedacht hat und die Entwicklung der menschlichen Sprache auf einen Virenbefall zurückführt, ja, eine Schöpfungsgeschichte geschrieben hat, in der das Virus eine zentrale Rolle spielt.3
Abgesehen von biologischen, medizinischen oder soziologischen Betrachtungen ist der Parasit theoretisch gesprochen ein marginales, das heißt auf der Grenze liegendes und zugleich invasives Phänomen, das Bewegungen des Aufeinandertreffens, Besetzens, Eindringens und Transformierens generiert. Der Parasit ist prinzipiell im Kollektiv zu denken: Er ist laut Claudia Jost in eine »Logik des Mitseins«,4 laut Jacques Derrida »des ›Mitessens‹«5 und mit den Worten Jean-Luc Nancys in ein »singulär plural sein«6 verstrickt. Der vorliegende Beitrag macht den Begriff des Parasiten für die Textanalyse fruchtbar und spürt anhand ausgewählter Essays und Theatertexte Kathrin Rögglas parasitärem Schreibverfahren in räumlicher, akustischer und rhetorischer Hinsicht nach.
In Kathrin Rögglas Essay Stottern und Stolpern. Strategien einer literarischen Gesprächsführung ist das Autordasein, so die Stimmen, durch ein spezifisches »Mitsein«, das »Mitarbeiten« geprägt: »Mitarbeiten, wird gesagt, das ist, was ihr Autoren macht, […]. Eure Mitarbeit ist glänzend, sie kann als Paradebeispiel für andere dienen, so ausnehmend gut wird das Prinzip ›Mitarbeit‹ von euch praktiziert«.7 Ungeklärt bleibt zunächst, wer bei wem ›mitarbeitet‹. Es müsse verzweifelt nach jenen gesucht werden, die nicht mitarbeiten. Irgendwer müsse aber doch nicht mitarbeiten.8 Diese intuitive Vorstellung birgt bei genauerer Betrachtung Ähnlichkeiten zu einem parasitären Verhältnis zwischen Wirt und Parasit: Der »Mitarbeiter« hätte dabei die Position des Parasiten inne. Wirt wäre derjenige, der nicht mitarbeitet, »Geschäftsführer« und »Spitzenmanager«,9 so wird im Text spekuliert.
Neben dem Prinzip ›Mitarbeit‹ trägt auch die Gesprächssituation selbst, die Kathrin Röggla in Stottern und Stolpern entwirft, parasitäre Züge: »Ich sitze noch immer in jener kleinen Buchhandlung, die eigentlich recht harmlos aussieht, eine wütende Meute vor mir, eine wütende Meute in mir.«10 Vermutlich handelt es sich bei der beschriebenen Szene um eine Lesung, zweifellos sind es »Buchhandlungsbesucher, die zeigen wollen, wie alles vom kapitalistischen Prinzip durchdrungen ist«.11 Gemeinsam sprechen sich »Ich« und »Meute« über die Omnipräsenz des Unternehmertums in Rage. Ununterscheidbar wird, wessen wütende Stimmen zu vernehmen sind. Dem ungeachtet haben die Diskutanten mit ihrer geäußerten Rüge das invasive Moment gemein: Aus der aufgebrachten Menge vor wird eine aufgebrachte Menge im schildernden ›Ich‹. Es ist nicht allein das zum Leitmotiv ernannte Kapital, sondern ebenso die ›wütende Meute‹ selbst, die eindringt und emotional infiziert. So ist das von Kathrin Röggla in Stottern und Stolpern entworfene Stimmengewirr gleich zweifach parasitär konnotiert, zum einen die Beziehung, zum anderen die Sprache betreffend.
Zunächst zur Beziehungsebene: Die parasitäre ›Doppelhelix‹ neigt dabei zu Ambivalenz. Auf der Beziehungsebene bewegt sie sich zwischen Abhängigkeit und Autonomie, markiert und verwischt Grenzen, zeichnet ein voneinander profitierendes und zugleich defensives Verhältnis zwischen Schriftsteller- und Unternehmertum. Der heutige Schriftsteller, so der Vorwurf der Meute, erscheint als ein »unternehmerisches Selbst«12 und unterscheidet sich damit nicht mehr von seinen Vertragspartnern Verlag, Redaktion oder Theater:
Bleiben wir erstmal bei der Gegenseitigkeit, dem Prinzip der gegenseitigen Angewiesenheit. Denn ja, wir brauchen einander. Als Kritiker, als Textlieferanten, als Reibeflächen. Wir lernen von einander [sic!], wir streiten miteinander, wir grenzen uns ab. Wir klauen voneinander, wir borgen uns Dinge, die wir nie wieder zurückgeben, allenfalls beschädigt, aber das macht nichts, denn das Material vervielfacht sich einfach. […] Wir pfeifen aufeinander, aber ohne einander, was wären wir dann? Nichts. Außerdem würde es dann keine Bücher mehr geben, denn ohne Autoren verschwänden auch die Bücher nach und nach.13
Kennt die parasitäre Beziehung laut Michel Serres »nur eine Richtung«,14 so ist das bei Kathrin Röggla skizzierte Verhältnis ein wechselseitiges. Der aus der Korrelation resultierende Schaden wird ohne weiteres in Kauf genommen, da man auf die virale Beschaffenheit der Beziehung vertraut. Man könnte mit Michel Serres fragen: »Wer wird jemals wissen, ob das Parasitentum ein Hindernis für das Funktionieren des Systems ist oder gerade dessen Dynamik?«15 In Stottern und Stolpern resultiert die Dynamik sogar aus dem Defekt: beschädigte Beute, deren Versehrtheit nichts zur Sache tut, da einzig die sich verselbständigende Vervielfachung zählt.
Auch das Verhältnis zur Sprache sei ein »vampirhaftes«. Daher dem Parasitären verwandt, zeichnet sich der von Kathrin Röggla entworfene Blutsauger zudem durch ein Moment der feindlichen Übernahme aus. Man eigne »sich heute einfach an, was einem vermeintlich entgegengesetzt oder feindlich scheint.«16 Auch hier handelt es sich um eine wechselseitige Einflussnahme, denn nicht bloß das alltägliche Sprechen sei gefärbt von ökonomischem Gebaren, auch das Unternehmertum bediene sich umgekehrt der Sprache des Alltags, der Jugend- und Subkultur. So seien »Aneignung, Affirmation, feindliche Übernahme« vorherrschende Bewegungen der Gegenwart: »[E]s wird konsumiert, subsumiert. Eingemeindet, aufgesaugt und aufgebraucht.«17 Ohne diese explizit als parasitäre Bewegungen zu typisieren, besitzt Kathrin Rögglas Blick auf das gegenwärtige Handeln augenfällige Analogien zu Michel Serres‹ Definition eines Parasiten: »Der Parasit hält nicht ein, er hält nicht ein mit Essen, Trinken, Schreien, Rülpsen; er hört nicht auf, tausenderlei Geräusche zu machen und den Raum mit seinem Wuchern und seinem Getöse zu erfüllen. Der Parasit ist Expansion, er läuft, er wächst. Er dringt ein und besetzt. Und plötzlich quillt er über diese Seiten hinaus.«18 Anders als bei Kathrin Röggla, bei der die vereinnahmenden Tendenzen vorwiegend subversiven Charakter besitzen, wird Michel Serres' Parasit von kulinarischen Konnotationen dominiert. Auch laut Jacques Derrida, der dem Parasitären annektierende und zugleich entlastende Züge zuträgt, gehört »das Wort Parasit von Anfang an zum Bereich des ›Mitessens‹«.19
»War es nicht vielmehr ein Rauschen, ein Parasit?«20 – Etymologisch gesehen weist Michel Serres in seiner Arbeit Der Parasit auf insgesamt drei Bedeutungen des Parasiten hin: Er ist nicht nur »lebendes Tier und menschliche Beziehung«, sondern auch »physikalisches Rauschen«.21 Daran angelehnt erläutert Claudia Jost in ihrer Logik des Parasitären die akustische Bedeutungsebene des Parasiten als »ein Knistern und Rauschen in den medialen Leitungen, ein Nebengeräusch, das die Bedeutungsübertragung stört und den Sinn entstellt«.22 Es verwundert nicht, dass auch die Gesprächssituation in Kathrin Rögglas Stottern und Stolpern akustisch gestört wird: Während noch über den Verlust räumlicher Konturen und Grenzverwischung – ebenso Eigenschaften des Parasitären – sinniert wird, meldet sich eine »Stimme […] aus dem Off«, wird ein Flüstern hörbar, das nicht weiter zuzuordnen ist.23 Die fremde Stimme bedient sich wiederum fremder Rede, genauer: »eines Textes von Gilles Deleuze«.24 Ohne es zu wissen, wird der akustische Einwurf einem ›Mitarbeiter‹ zugeschrieben, obwohl der nachstehenden Erkundigung lediglich Schweigen entgegengebracht wird: »Hoppla, da arbeitet jemand offensichtlich bei mir mit!«25 Akustische Interruption und Schweigen gehen in eins. Laut Michel Serres »kreuzt, diagonalisiert [der Parasit] den Austausch«.26 Die parasitäre Durchkreuzung führt jedoch nicht etwa dazu, dass die Unterhaltung ins Stocken gerät. Vielmehr gibt die »kontrapunktische Stimme«,27 die selbst parasitiert, indem sie von Deleuze abkupfert, Anlass, die Richtung zu ändern, vom Skript abzuweichen und ganz allgemein über das »Gespräche führen«28 nachzudenken:
Ein Gespräch ist ein Prozess, der die eigene Position verändert. Dieser Aspekt interessiert mich, nicht zuletzt, weil er meist unter den Tisch gekehrt wird. In der Kommunikation reinszenieren wir nicht nur Identitäten, wir hören uns auch welche ab, stecken uns an, richten uns aufeinander ein […]. Wir befinden uns mehr im Zwischenmenschlichen als im Menschlichen, und ich halte die Zwischenmenschen für die interessantere Spezies.29
So ist die zuvor erfolgte Wendung im Gespräch zugleich Teil der Definition, die nachfolgend aufgestellt wird. Das Parasitäre entpuppt sich hier sowohl als »Agent[…] der Veränderung«30 als auch als »Agent der Zwischenräume«.31 Randphänomene des Abhörens und Ansteckens gehen mit ihm einher, Grenzen werden markiert und zugleich verwischt. Der Parasit wie der »Zwischenmensch« sind gewissermaßen mediale Figuren, da sie sich »auf der Beziehung«32 befinden und die Mechanismen des Zwischenraums stören, lenken, modellieren und verschieben.
Ebenso verkehren parasitäre Bewegungen das Verhältnis von Innen und Außen. Parasiten dringen nicht zwingend in einen Organismus ein. Die Quelle der Störung kann ebenso von Anbeginn im Inneren (des Körpers) liegen. So bezeichnet Michel Serres einen Schluckauf etwa als »parasitäre[n] Lärm, der die Folge der Reden unterbricht«.33 Eine Kontraktion des Zwerchfells ist hier Auslöser des Störgeräuschs. Auch »Stottern und Stolpern« werden bei Kathrin Röggla als »Lärm«, als »Störgeräusche«34 wahrgenommen: »Nicht zu sehr soll gestolpert werden, und Stottern […] geht schon mal gar nicht […]. Ja, es gilt […], in der permanenten Präsenz zu bleiben, […] das keine Schleifen, Rückverweise oder komplizierten Bezugnahmen duldet«.35 Seien es Versprecher, ungewollte Redepausen oder krankhafte Störungen des Redeflusses, die durch den parasitären Eingriff ausgelösten Umwege, Unterbrechungen und Störgeräusche erscheinen als durchweg unerwünscht. Es sind jedoch genau jene »Brüche, Risse, Stolperstellen im Erzählfluss«,36 die Kathrin Röggla vornehmlich interessieren. Ihr schwebt gar eine »Ästhetik des hässlichen Gesprächs«37 vor. Eines der auszumachenden Symptome ist mitunter der »sozial gesteuert[e]« »Redezwang«,38 unter dem Kathrin Rögglas Figuren leiden.
In Kathrin Rögglas Essay Negativer Realismus, 2015 erschienen in Theater der Zeit, lässt der Einwand eines fiktiven Gesprächspartners mutmaßen, dass parasitäre Bewegungen universellen Charakter besitzen. Es sei »ohnehin alles embedded«, »ins System eingespeist«,39 heißt es dort. Der Computersprache und den ›embedded systems‹ entlehnt, ruft die Gegenstimme, die im Gespräch wiederum selbst parasitär agiert, die Vorstellung von verborgenen Zusammenhängen, unentschiedenen Verantwortlichkeiten hervor. Im übertragenen Sinne bedeutet ›embedded‹, Teil eines übergeordneten Systems zu sein und aus dem Schutze bzw. aus der Bedrohung eines Innen heraus zu agieren. Die im Inneren ablaufenden Prozesse sind dabei für Außenstehende bisweilen nicht wahrnehmbar und Ihnen somit womöglich gar nicht bewusst. In Kathrin Rögglas Worten, die sie Einar Schleef entlehnte: »›Wenn zwei sich nicht kloppen, das ist Drama.‹ […] weil sie nichts voneinander wissen, weil sie sich gar nicht kennen, voneinander getrennt sind«.40
›Embedded‹ und zugleich ahnungslos sind auch Kathrin Rögglas Dramatis personae: »ob er noch nicht bemerkt habe, daß er bevölkert werde. ob er nicht gemerkt habe, wie sich da einiges in ihm festsetze, […] daß sich da etwas fortsetze in ihm«,41 äußert eine der Stimmen in fake reports und redet sein Gegenüber nieder. Vermutet werden parasitäre Bewegungen des Eindringens, Ausbreitens und Okkupierens. Den Besetzer näher zu bestimmen, gelingt zumeist nicht. Die angenommene Bedrängnis bleibt diffus. In fake reports gründen die parasitären Bewegungen nicht auf ein-, sondern wechselseitigen Beziehungen zwischen Parasit und Wirt. Das Personal stammt aus der Medienbranche oder hat mit ihr zu tun, »aber auch haben umgekehrt die medien mit ihnen zu tun«.42 Sie werden jedoch nicht als ›Medienmenschen‹, sondern als »medienmaschinen«43 eingeführt und erhalten daher roboterhafte Züge, die das Parasitäre mechanisiert und deshalb kompromissloser erscheinen lassen. Es dürfen ›embedded systems‹, die sich der äußeren Kontrolle entziehen, angenommen werden. Ebenso unentschlossen ist sich Kathrin Rögglas Personal ob der eigenen Ereignisrezeption. Einerseits wolle man nicht nur ›live dabei sein‹, sondern gleich »live sein!«,44 andererseits wolle man nichts mehr wissen und sich der medialen Aufarbeitung der Katastrophe entziehen. Doch auf die Behauptung, man habe es »im tv gesehen«, folgt umgehend: »schließlich sei man dabei gewesen.«45 Das Medium, das den Blick auf die Katastrophe freigibt und Rhetoriken steuert, wird unversehens ausgeblendet und Involviertheit behauptet. Mit Michel Serres gesprochen übt der mediale Parasit ›Mimikry‹: »Um die unvermeidlichen Reaktionen der Abwehr und des Ausstoßens zu vermeiden, produzieren tierische Parasiten an den Stellen, wo sie mit dem Körper des Wirtstieres in Kontakt kommen, ein Gewebe, das dem des Wirtes identisch ist.«46 Nicht nur die Figur des senior associate in Kathrin Rögglas Roman wir schlafen nicht »merke […] gar nicht mehr, in welchem fachjargon er wieder einmal rede und was für vokabular er wieder rauslasse.«47
Gleich auf drei unterschiedlichen Ebenen manifestieren sich in wir schlafen nicht parasitäre Bewegungen: auf den Ebenen von Figur, Sprache und Körper. In einer Vorbemerkung weist Kathrin Röggla darauf hin, dass ihrem Text unter anderem »gespräche mit consultants, coaches, key account managerinnen«48 zugrunde liegen. Die Figuren entstammen durchweg der Beraterbranche und insofern einem Metier, dem bisweilen parasitäre Züge anhaften. Entsprechend äußert der senior associate im Militärjargon: »als berater schickst du deine sturmtruppen da rein«.49 Es sind gewissermaßen ›new economy parasites‹,50 die in wir schlafen nicht Einblick in ihr professionelles Handeln geben. Gleichzeitig ist auch ihr Sprechen parasitär organisiert, so dass selbst der it-supporter »das ganze wording« als »ganz schön absurd« bezeichnet.51 Auch die key account managerin betont die »ganz eigene gesprächslogik«,52 in die man unweigerlich hineingerate. Obwohl die Rede von »gespenstern«, »untoten« und »unlebendigkeit«53 ist, offenbart ihr ökonomisch gefärbtes Vokabular einen höchst offensiven Körperbezug: »man müsse sich […] noch mehr verankern in den abläufen«,54 man sei in »Verwandtschaften versunken«55 und stecke in »durchhalteparolen«.56 Die von Claudia Jost betonte »Logik des Mitseins«,57 die dem Parasitären anhafte, verkehrt sich in wir schlafen nicht in eine Logik des Mithaltens: »[M]an müsse eben immer mithalten.«58 Mithalten, verankern, versunken sein, drinstecken – Die verwendeten Verben versetzen den sprechenden Körper zugleich in Bewegung, mit ihnen ist immer auch eine körperliche Aktion verbunden.
Den Beteiligten in Kathrin Rögglas gleichnamigem Stück, das 2009 am Düsseldorfer Schauspielhaus uraufgeführt wurde, liegt die Partizipation bereits namentlich inne. So spricht Dorothea Marcus in ihrer Kritik passenderweise auch von »Parasiten der Sensation«,59 die sich gierig an die Berichterstattung des österreichischen Entführungsfalls um Natascha Kampusch haften. »[D]a könne auch niemand behaupten, er wäre nicht dabei gewesen«,60 heißt es im vorangestellten Situationsbericht, der damit den Stimmen in fake reports ähnelt. Dass ein Beteiligtsein hier ausschließlich medial fingiert ist, scheint den Involvierten zuweilen klar, wenn es unter anderem heißt: »er für seinen teil interessiere sich nur für unsere liebe medienwirklichkeit.«61 Sprachlich gesehen werden die medialen Grenzen jedoch durchweg ignoriert. Auch wenn die Vorsilben der beteiligten Figuren – ›quasi‹, ›möchtegern‹, ›pseudo‹ und ›irgendwie‹ – die Beziehungskonstellationen von beruflicher bis freundschaftlicher Natur bereits als vorgetäuscht entlarven, ist die kommunikative Vereinnahmung nicht weniger offensiv: »also sie würde ja an mir dranbleiben, da brauchte ich mir keine Sorgen machen.«62 Ein »besonders starke[r] draht[…]«, »direktkontakt« zum Entführungsopfer oder gar der Zugang zum »situation room«63 werden behauptet und mittels zudringlicher Taktiken des Dranbleibens, Hineindenkens und Abfärbens sprachlich in Szene gesetzt.64 Wie in wir schlafen nicht dominieren in die beteiligten parasitäre Strategien der Bedrängnis auf Figurenebene, sprachlicher und körperlicher Ebene. Ohne ihr eigenes Parasitentum zu reflektieren, vermuten ›die Beteiligten‹ selbst Eingriffe in die Sprache des Entführungsopfers, dessen mediale Auftritte sie verfolgen: »er könne sich nicht vorstellen, dass ich in wirklichkeit diese worte verwendete, […] und er frage sich, ob die mir nicht etwa untergejubelt worden seien?«65 Aus dem vagen Verdacht wird eine ›handfeste‹ Behauptung. Dem Opfer wird mediale Lenkung unterstellt, so dass sich ›die Beteiligten‹ kurzerhand abwenden: »ich hätte die medien ja sozusagen in der hand.«66
Das sprachliche Gewaltpotential bleibt bestehen: Zehn Jahre nach ihrer Flucht und sieben Jahre nach der Uraufführung von die beteiligten charakterisiert Natascha Kampusch anlässlich der Veröffentlichung ihres Buches Zehn Jahre Freiheit das fortwährende Insistieren »noch mehr preiszugeben« als abermaligen Freiheitsentzug, »als wollte man mich ein zweites Mal meines Rechts auf Individualität und Privatsphäre enteignen«.67 Ihr Kommentar legt die auch heute noch wirksamen rhetorischen Zudringlichkeiten frei, denen Kathrin Röggla bereits 2009 Stimme verlieh.
Parasitär darf auch Kathrin Rögglas eigenes Schreibverfahren genannt werden. Wie längstens bekannt, liegen ihren literarischen Texten nicht selten Interviews zugrunde. »Ich bin ja auf die Erfahrungen anderer Menschen angewiesen«,68 äußert Kathrin Röggla in einem Gespräch mit der Kritischen Ausgabe. Von wir schlafen nicht bis hin zu die unvermeidlichen manifestiert sich ein aus fremden Stimmen bestehendes Textgewebe, das das Erzählen als parasitär ausweist. In den Worten von junk space, Kathrin Rögglas 2004 uraufgeführtem Stück über angstdominierte Menschen, arbeiten ihre sprechenden Figuren gewissermaßen »an den wänden«.69 Ob ›die zweite reihe‹ in die beteiligten, die ›Medienmenschen‹ in fake reports oder die ›Consultants‹ in wir schlafen nicht, Kathrin Rögglas Dramatis personae sind nur indirekt anwesend, die Erzählerfigur zudem unbekannt, da das Gesprochene gewissermaßen aus dem Mund eines Anderen, eines anonymen Mitsprechenden stammt. In der von Kathrin Röggla etablierten Erzählsituation – zumeist konjunktivisch, anonym, zeitlos – formieren sich parasitäre Positionen, die Michel Serres mit den Konjunktionen »daneben«, »bei«, »abgesetzt von« umschreibt.70 Man könnte auch mit Peter Krapp sagen, der Erzähler »parazitiert« die Rede Anderer.71 Die Silbe para deutet hier sowohl das ›Mitsein‹ als auch die Trennung, den Paravent an, der alle Beteiligten zu ›Wandarbeitern‹ macht.
Auch an medialen Rändern kann Kathrin Rögglas Erzählen angesiedelt werden. In einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk betont sie, sie entwickle »im Moment sehr gerne Texte durch Medien hindurch«.72 Als Beispiel dient Normalverdiener. Erst kürzlich als Hörspiel erschienen, basiert Normalverdiener auf einer Erzählung, die in Kathrin Rögglas Band Nachtsendung. Unheimliche Geschichten in Kürze und demnächst auch als Theaterstück erscheinen wird, wie sie im zitierten Interview angibt. So gilt:
Meine Texte werden nicht mehr 100% in ein Medium passen, sie werden immer etwas danebengehen, drüberstehen. Das Erzählen in der Zukunft wird den Medien nicht Recht geben in ihren Formaten. Es wird aber nicht nur ein Format neu erfinden und darin sitzenbleiben, bis aus dem Format eine Marktposition geworden ist – denn worauf laufen denn die Late Night Shows, Spielshows, Castinggeschichten, Reality-Formate raus? D.h. ein Text wird weniger den Konventionen folgen, die mit ihm verbunden sind, ›dem Roman‹, ›dem Drama‹, sondern sich von den hybriden Medienverhältnissen nähren, in denen wir mittlerweile hausen.73
Kathrin Rögglas Schreiben wuchert ihr zufolge somit in mehrere Medienbereiche hinein.74 Nicht nur die Narrative betreffend, können parasitäre Bewegungen auch als Movens der Textproduktion ausgemacht werden. Man müsse sich eben nur einen Augenblick in einen Parasiten hineindenken.75
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Monika Bella
Very insightful!
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