Digitales Journal für Philologie

Textpraxis # 15 (1.2018)
In dieser Ausgabe untersucht Jana Wittenzellner anhand der Schriften Hildegart Rodriguez' verschiedene Autorschaftskonzeptionen. Julian Ingelmann widmet sich der Frage, weshalb die Gattung der Kurzgeschichten deutsche Schreibforen dominiert, während Verena Meis das Parasitäre in den Werken Kathrin Rögglas beleuchtet.
Je nach Gattung sind nach wie vor zwei gänzlich unterschiedliche Konzepte von Autorschaft in Gebrauch: In fiktionalen Texten vermuten wir einen dem Text äußerlichen Autor oder eine Autorin und innerhalb des Textes einen literarischen Erzähler oder eine literarische Erzählerin. Die Erzählstimme im Sachtext dagegen scheint die »unverfälschte« Stimme der Person außerhalb des Textes zu sein, die ein sachbezogenes Wissen kundtut. Diese Stimme scheint mit der des Urhebers oder der Urheberin des Textes in eins zu fallen. Wenn jedoch Zweifel an der Glaubwürdigkeit einer dieser Instanzen des Sachtexts aufkommen, wird die Differenz zwischen ihnen sichtbar. Veranschaulichen lässt sich dies am Fall der spanischen Autorin und Sexualreformerin Hildegart Rodríguez.
Der Beitrag Kurzgeschichte X.0? Kleine Prosaformen im Kontext digitaler Laienliteratur von Julian Ingelmann untersucht die Bedeutung der Kurzgeschichte in digitaler Laienliteratur. Anhand einer Analyse des Online-Forums wortkrieger.de arbeitet Ingelmann mit Hilfe eines mixed-method Ansatzes Bedingungen und Potenziale der Gattung innerhalb dieses Kontexts heraus. Im Rahmen dieser Untersuchung geht Ingelmann auf den spezifischen ›Gebrauchswert‹ der Kurzgeschichte für laienschriftstellerische Foren- und Diskussionskultur ein. Auf dieser Basis führt die Analyse die Verschiebung und zunehmende Unschärfe einer Gattungsdefinition von ›Kurzgeschichte‹ auf die speziellen Anforderungen digital produzierter und rezipierter Laienliteratur zurück.
Der Parasit ist laut dem französischen Philosophen Michel Serres ein Phänomen, das Ereignisse des Aufeinandertreffens, Eroberns, Besetzens generiert und die Inbesitznahme und Überbordung akustisch bemerkbar macht. Der Beitrag spürt einesteils Kathrin Rögglas parasitär zu nennendem Schreibverfahren nach und fragt zudem nach Grenzziehung und -verwischung, nach Parasit und Wirt in Rögglas literarischem wie dramatischem Werk.
In ihrem Essay Stottern und Stolpern. Strategien einer literarischen Gesprächsführung sind es »Aneignung, Affirmation, feindliche Übernahme«, die Kathrin Röggla als »die Bewegungen, die Strategien unserer Zeit« bezeichnet: »es wird konsumiert, subsumiert. Eingemeindet, aufgesaugt und aufgebraucht.« Und in »Über das Anlegen von Katastrophenquellen« rät ihr der Soziologe: »Man müsse sich nur einmal einen Augenblick in einen Parasiten reindenken«.